Kameraden, wir haben... Lissabon - Die Texas Bar Chapter 16

Am nächsten Tag, nach über einer Woche, trifft endlich aus Hamburg die Nachricht ein, auf die wir alle gewartet haben. Es besteht keine Ansteckungsgefahr, vielmehr haben wir uns beim Bunkern von Wasser, bei unserem letzten Lissabon Besuch, aufgrund des Hochwassers, einen Bazillus eingefangen. Trotzdem vergehen noch zwei Tage bis wir unseren Platz verlassen und an die Salazar-Brücke verlegen dürfen.

Was steht jetzt noch einem Landgang entgegen? Der Kahn erstrahlt im hellsten Weiß seines langen, rostigen Bestehens. Die Mannschaft ist erholt, aufgrund der unfreiwilligen Anlandung bei den alten Lagerhallen. Heuer hat sich angesammelt und will unter die Leute gebracht werden.

Am Morgen werden wir geweckt, zuerst mit „Locken.“ Mit den Worten: „Seemann, die Hand vom Sack und von den Socken, bleib ruhig liegen, es war nur Locken“, gibt er uns noch ein wenig Zeit uns zu sammeln. Eine Viertelstunde später, ist er wieder da und verkündet: „Reise, reise – aufstehen.“
Langsam kommt Bewegung in die Mannschaft. Der Wachhabende durchquert mit großen Schritten den Mannschaftsraum, bleibt dann abrupt in der Mitte stehen und verkündet. „Auf, auf, ihr müden Leiber, die ganze Pier steht voller nackter Weiber.“ Wir antworten ihm, wie sooft: „Der Maat, der hat uns angelogen, die sind ja alle angezogen.“ Der Wachhabende ist über den müden Chor nicht erfreut und wiederholt die Prozedur in Erwartung einer größeren Begeisterung.
Sie erfolgt jetzt auch, allein aus dem Wissen heraus, dass wir ihn sonst nicht loswerden. Wie ein Mann schmettern wir unseren Satz von den „angezogenen Weibern.“

Es scheint mittlerweile dem Letzten klar zu sein, dass es sich heute um einen besonderen Tag handelt, es wird Landgang geben. Der Tag verfliegt und die Honoratioren der Stadt besuchen am Abend das Schiff, damit verzögert sich der Landgang für die Freigänger um eine Stunde und fördert bei allen die Ungeduld. Wir trödeln herum, warten gespannt auf das Kommando, dass es endlich losgehen kann.

Dieses Mal gibt es keine scharfen Kontrollen in Sachen Bekleidung, nach dem Motto: „Sind noch alle Zacken am Kamm?“ Oder: „Der Kniff in ihrer Hose sieht aus, als wenn ein Bulle pisst.“ Nein! Wir gehen von Bord, mit der Gewissheit, niemand wird uns aufhalten, sonst brennt die Hölle.

Eine besondere Mitteilung hat sich bei den Seeziegen wie ein Lauffeuer verbreitet. Wie aus gut informierten Kreisen zu hören ist, wurden vor kurzem zwei Amerikaner, die mit ihrer Flotte im Hafen lagen, bei einer Messerstecherei in der Texas-Bar getötet.
Allen ist sofort klar, dass es für uns heute Abend nur ein Ziel geben kann, die Texas-Bar. Einige haben es so eilig, dass sie mit dem nächsten Taxi in die Stadt fahren.

Wir bummeln, es ist ja noch früh, im Pulk durch die Stadt, die auf sieben Hügeln erbaut ist und den Landgang untauglichen Seelords größte Schwierigkeiten bereitet. Wir brauchen die halbe Straßenseite, um vorwärtszukommen.
Wir wirken auf die Bewohner der Stadt wie Betrunkene. Arm in Arm, laut grölend, als gehöre uns die Welt, stiefeln wir über den Asphalt und sind nicht in der Lage geradeaus zu gehen. Die lange Zeit auf See hat ihre Wirkung bei allen hinterlassen und lässt uns wie ein Segelschiff, bei schwerer, achterlicher See, hin und her schwanken.

Aus den Tavernen dringt fremdartige Musik an unser Ohr. Gerüche von frisch gegrilltem Fisch und Langusten verfolgen uns. Es ist warm, die Lichter der Stadt, die den nahenden Abend ankündigen, legen einen eigenartigen Zauber über die Gassen der Altstadt. Am Ende wird uns der Weg doch zu lang und wir entern ein Taxi, das uns direktemang zur Texas-Bar bringt.

Waldenberg ist der Erste, der die Bar betritt. Tommy ist der Zweite und ich bin der Dritte. Die Mädels an der Bar wittern ihre Chance. Eine, die, als die Schönheit verteilt wurde, vergessen hatte, laut hier zu schreien, wirft sich Waldenberg an den Hals.

Waldenberg, noch in voller Fahrt voraus, registriert kurz, erkennt die Dame als „Dritte Wahl“ und stößt sie zurück gegen die Bar. Dort federt sie ab, wie eine Billardkugel und kommt zurück, an Tommy vorbei, der quasi in der Mitte des rechten Winkels steht und fliegt mir, dem Dritten, mittenmang, direkt an den Hals.

Sie strahlt mich an, ich registriere ebenfalls, dass sie nicht zu den Schönheiten zählt, aber da ist so eine Traurigkeit in ihrem Blick, ich darf sie nicht von mir stoßen, nicht noch einmal, das ist nicht fair. Also bewege ich mich, sie an die Hand nehmend, auf die Bar zu und denke mir, das kann nicht wahr sein, da bist du vier, nein fünf, nein fast sechs Wochen auf See und dann das.
Aber, ich tröste mich, der Abend ist ja noch jung. Mit Händen und Füßen beginnen wir unser Gespräch, dabei betrachte ich die Einrichtung der Bar. Der ganze Raum ist in Grün gehalten, eingerahmt von hölzernen Einfassungen an Tischen, Stühlen und Geländern. Rettungsboote hängen an der Balustrade. Alles verströmt einen warmen Charakter.

Es gibt nach oben Balkone, wo sich viel Volk tummelt. Die Kleine neben mir ist erstaunlich leicht zufriedenzustellen. Sie nimmt einen Drink, der fast nichts kostet, sie fordert eigentlich nichts, was mich überrascht.
Aus ihren Augen strahlt eine seltsame Ruhe. Sie ist gut gelaunt und macht mich, nicht ohne Stolz, mit ihrer Freundin bekannt. Diese junge Dame ist schwarzhaarig, hat eine fabelhafte Figur, sie ist schmalgesichtig und begierig darauf, mit mir zu tanzen.

Meine Begleiterin sieht darin keinen Affront und schon stehen wir auf der überfüllten Tanzfläche und schieben uns, mehr als dass man es als kultiviertes Tanzen bezeichnen könnte, über den Parcours.
So vergeht der Abend, indem ich mal mit der einen, mal mit der anderen engwangig, begleitet vom Schubsen und Drücken der umher schiebenden Massen, beschienen von gelblichem Licht aus Messingleuchtern und von der Beschallung der Musikanlage, hin und her wanke und mich mittlerweile recht wohlfühle.
Die „Kleine“, erzählt mir von ihrer Familie und ich beginne zu ahnen, dass ihr größter Schatz der kleine Sohn ist, dessen Bild sie mir so nahe vor das Gesicht hält, dass ich ihn zuerst nicht erkennen kann.

Ich begreife, diese Menschen lassen sich nach unseren Maßstäben nicht einordnen, sie sind arm, bettelarm. Sie verkaufen sich zum Wohle ihrer Familie, ob sie gut aussehen oder mäßiger in ihrem Aussehen sind, spielt keine Rolle, sie alle tragen die gleiche Last, sie müssen ihre Familien durchbringen.
Tief in meinem Inneren schäme ich mich, was hatte ich erwartet? Ich wollte Spaß, ich wollte endlich wieder mit einer Frau zusammen sein, war das denn so schwer zu verstehen?

Willi ruft mir etwas zu, ich verstehe zuerst nicht. Er tanzt mit einer kleinen, dunkelhaarigen Frau. Jetzt macht er ein Zeichen mit Daumen und Zeigefinger, er reibt sie aneinander, ein Zeichen mit internationalem Charakter, er hat kein Geld mehr.

Ich werfe ihm mit einer lässigen Bewegung meine Geldbörse, über die Köpfe der Tanzenden hinweg, zu. Geschickt fängt er sie auf und bringt sie mir bei der nächsten Tanzpause zurück.

Das, was er braucht, hat er sich entnommen. Ich stecke sie ein, ohne nachzusehen. Meine beiden Freundinnen haben mich verlassen, es ist spät geworden. Willi verabschiedet sich, nicht ohne mir ein Zeichen zu geben, dass er mit seiner Partnerin nach Hause fahren und erst morgen zum Zapfenstreich zurück sein würde.

Jim, Liliencron und Waldenberg sitzen etwas abseits, sie haben, sagen wir mal, noch "händevoll" zu tun. Ich sitze da, und schaue den Damen zu, wie sie ihre Handtaschen leeren und ihr Geld auf den Tischen zählen.
Als einer der Jungs, aus Spaß, nach den Scheinen greifen will, erleben wir die Damen plötzlich von ganz anderer Art. Sie schreien und kratzen den „Angreifer“, der sich schleunigst zurückzieht.

Ich bin im Gespräch mit einem holländischen Skipper, als plötzlich eine der Damen zu schreien beginnt, niemand hatte nach ihrem Geld gegriffen. Warum dieses Theater denke ich mir? Mit wutverzerrtem Gesicht springt sie auf und der Stuhl, auf dem sie eben noch saß, wird derb nach hinten geworfen. Sie stemmt beide Arme in die Hüfte und wendet sich uns zu.

Sie wirft das Geld aus ihrer Handtasche auf den Tisch, aus ihrem wütenden Gesicht schleudert sie wüste Verwünschungen in unsere Richtung. Ich verstehe nicht, warum ist sie sauer auf uns? Der Skipper neben mir verbirgt sein Gesicht zur Hälfte in seiner Hand und lächelte mir zu.

„Sie haben mit einem Deutschen gevögelt“, sagt er. „Na und, wo ist das Problem?“, frage ich ihn. „Es waren Ostdeutsche, verstehst du, die haben mit ostdeutschem Geld bezahlt und die ‚Kleine‘ hat es erst jetzt begriffen.“

Als wir die Bar verlassen, sind wir nicht mehr die Frischesten. Arm in Arm, laut singend, laufen wir durch die nächtliche Altstadt von Lissabon. „Da sind wir ja nicht wirklich zum Zug gekommen“, meint Tommy.
„Tja, die Nachfrage bestimmt den Preis“, meint Wagenberg und fällt, seine Sektflasche dabei wie ein Jongleur balancierend, auf den Bürgersteig. „Das wussten schon die alten Römer“, sage ich. „Scheiß Amis“, meint Jörg und trifft es am besten. Tatsächlich haben die Amerikaner, mit ihren Dollars, die Preise bei den „Damen vom Ballett“ versaut. „Ohne Kohle? - da hast du keine Chance“, meint Jörg weiter. „Das war ja auch der Grund, warum Willi meine Hilfe brauchte“, sage ich. Tommy hat ein Taxi angehalten, es geht zurück zum Schiff.
 



 
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