Kamikatze

anbas

Mitglied
Kamikatze

Da meine Katze gerne in der Nähe des Kamins liegt, nenne ich sie "Kamikatze".
Diese Art von Humor gefällt mir…
Eigentlich habe ich ja weder Katze noch Kamin – aber als Einstieg für einen neuen Text fand ich diesen Satz irgendwie klasse.

Genaugenommen habe ich gar keine konkrete Idee, worüber ich schreiben will – spüre aber den inneren Drang, etwas zu Papier bringen zu müssen. Irgendein Thema über "Gott und die Welt" sollte es doch geben. Aber bedauerlicherweise kenne ich beide nicht gut genug, um über sie schreiben zu können. Der eine macht mir zu sehr auf geheimnisvoll und die andere lese ich nicht. Manchmal frage ich mich allerdings, ob Gott die Welt, und hier die Erde im Speziellen, überhaupt noch kennt, oder ob er inzwischen nur ein vages Bild aus längst vergangenen Zeiten von ihr hat. Falls er sich jedoch auf dem aktuellen Stand der Dinge befindet, müsste er sich vorkommen, wie ein gutbürgerlicher Vater, dessen Kind Terrorist, Pornodarsteller oder Punker geworden ist.
Aber vielleicht befindet sich ja die Menschheit schon seit ein paar tausend Jahren in der Pubertät. Gemessen an unserer Entwicklungsgeschichte – also von der Zeit an, als unsere Urahnen noch als Einzeller in der Ursuppe dieses Planeten herumschwabbelten – könnte das vielleicht sogar hinhauen. Dann wäre es ganz normal, dass die Kinder rebellieren. Sie haben ein gutes Gespür dafür, genau den richtigen Nerv der Eltern zu treffen. Da wird der Sohn des friedensbewegten Lehrers Zeitsoldat, die Tochter des AFD-Funktionärs heiratet einen Somali oder die Kinder des Schlachters möchten sich von heute auf morgen nur noch vegetarisch ernähren. In solchen und ähnlichen Fällen wird die elterliche Liebe schon auf eine sehr harte Probe gestellt – und nicht alle Eltern bestehen sie. Denn irgendwann ist selbst bei den tolerantesten Zeitgenossen Schluss mit lustig. Diese Schmerzgrenze liegt natürlich bei jedem Menschen woanders.

Ich persönlich halte mich zum Beispiel für ziemlich tolerant – wie vermutlich viele andere auch. Außerdem denke ich, ein hohes Maß an Empathie und Verständnis gegenüber meiner Umwelt aufbringen zu können. So ist mir durchaus bewusst, dass bei manchen Lebensläufen eigentlich nichts Gutes oder zumindest nur schwer Gewöhnungsbedürftiges herauskommen kann. Dies ist für mich nachvollziehbar, und ich bin in der Lage die daraus resultierenden manchmal recht merkwürdigen Verhaltensweisen zu tolerieren, selbst, wenn es mir manchmal schwer fällt. Daher hege ich auch große Bewunderung für Menschen mit derartig schwierigen Biografien, die es schaffen, ein normales oder zumindest relativ normales Leben zu führen.
Diese Empathie kann durchaus eine Stärke sein. Sie ist andererseits aber auch extrem hinderlich dabei, wenn es darum geht, anderen Menschen gegenüber eine klare Position einzunehmen. Wenn man für alles Verständnis aufbringt, laufen die eigenen Grenzen in Gefahr, allmählich aufgeweicht zu werden bis sie im schlimmsten Fall nicht mehr sichtbar sind. Daher sage ich mir inzwischen häufiger mal, dass ich kein Verständnis mehr haben will – oder, falls mir dies nicht gelingt, zumindest nur so etwas wie ein "Teilverständnis" zulassen möchte.
So kann ich beispielsweise durchaus verstehen, dass manche Menschen aus Ärger oder Frust blöde Dinge tun – irgendwelchen Mist einkaufen, sich mit Essen vollstopfen, Kette rauchen, als Troll im Internet herumwirbeln und so weiter. Aber wenn sie zu Hause ihre Kinder schlagen oder den Hund treten, geht mir das deutlich zu weit. Auch dafür könnte ich rein theoretisch Verständnis entwickeln, doch genau das will ich inzwischen nicht mehr.

Ähnlich sehe ich das übrigens beim Wahlverhalten der Leute. Ich habe absolut Verständnis dafür, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politiker der etablierten Parteien verloren haben und deshalb nur noch irgendwelche kleinen Splitterparteien wählen. Schwieriger wird es mit meiner Toleranz aber schon, wenn sie gar nicht mehr zur Wahl gehen. Doch dafür, dass sie aus Ärger und Unzufriedenheit Parteien wählen, die für eine inhumane, fremdenfeindliche, undemokratische und asoziale Politik stehen, will ich definitiv kein Verständnis aufbringen. Diese Menschen handeln genauso, wie jene Leute, die aus Frust zu Hause Kind und Hund verprügeln. Aber im Gegensatz zum Verprügeln von Kindern ist ein asoziales Wahlverhalten nicht strafbar – was irgendwie ja auch richtig ist. Trotzdem bleibt es für mich eine schwer zu ertragende Entwicklung.

So, jetzt spüre ich, dass mein Schreibdrang langsam nachlässt. Doch was mache ich nun mit der Kamikatze? Wegen diverser Allergien kommt mir ein Tier nicht ins Haus, und ein Kamin passt eh nicht in meine Wohnung. Vielleicht finde ich ja ein passendes Bild – also "Katze vor Kamin" – das ich mir hinhängen kann. Wer weiß, was beim nächsten Mal dabei rauskommt, wenn ich über sie schreibe.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20969

Gast
Hi Andreas,
da schreibt einer aus persönlicher Anschauung. Du weißt, wovon du schreibst. Und so ist daraus so etwas wie eine Notiz über Sozialverhalten geworden. Eigentlich schade um das Thema. Finde ich. Denn da ist doch eine Figur! Einer, der sich die Toleranz in Teilen abgewöhnen will (aus sich herausreden will), der sie von Natur aus in sich hat. Ich denke, wenn du eine Geschichte aus dem Thema machst, triffst du den Leser empfindlicher. Und das willst du doch (unterstelle ich mal). litbons
 

anbas

Mitglied
Hallo Peter,

Danke für Deine Rückmeldung! Hm, ob ich daraus auch noch eine längere Geschichte "basteln" werde, weiß ich im Moment nicht. Dieser Text soll tatsächlich eher kurz, fast notizartig sein. Aber manchmal überrasche ich mich selber, und es entsteht aus solch einer Anregung wie Deiner tatsächlich ein neuer Text.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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