Kapitel 5

losvu

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Hallo, Alex...

Du kennst ja meine Art. ;)
Unten noch ein paar kleine Anmerkungen.

MfG

Montag, 16. Juli

Sie sah ihn nicht.
Es machte ihn stolz, dass er seinen "Objekten" unauffällig
wie ein Schatten folgen konnte.
Die junge Frau ging auf einen Zeitungsstand zu. Wie er
wusste, tat sie das jeden Morgen. Jeden verdammten
Morgen kaufte sie eine New York Times; wochentags,
bevor sie mit der U-Bahn zur Arbeit fuhr und am Woch-
enende, nachdem sie zuvor anderthalb Stunden durch
den Central Park gelaufen war.
Er hasste diese Art von durchgeplantem, perfektem Le-
ben, dabei lebte er selbst nach einem solchen Konzept.
Er vermutete, dass wohl jeder irgendwann mal in seinem
Leben dem grauen Alltagstrott folgte.
Sie stieg die Treppe zur U-Bahn hinab, was ihn dazu ver-
anlasste, seine Deckung im Wirrwarr der geschäftigen
Menschen zu verlassen. Er kaufte sich ebenfalls eine Ti-
mes und folgte ihr zum meist genutzten Beförderungs-
mittel der Stadt hinunter. Noch während er die stickige
Luft von unten einatmete und seinem "Objekt" folgte,
las er die Schlagzeile: "Wie lange wird der Baseball-
Killer noch morden ?" Untertitel:"Keine neuen Erkennt-
nisse im Fall des Serienmörders."
Wie lange noch ?, überlegte er. Bis ihr mich schnappt,
ihr blinden Idioten... Er grinste und faltete die Zeitung
zusammen.
Die Türen der eben angekommenen Bahn glitten zi-
schend auf und er stieg ein, sein "Objekt" fest im Blick,
jedoch so unauffällig wie immer.

Auch mehrere Tage nach dem desillusionierenden Tref-
fen waren sie kein Stück weitergekommen. Mason war
mittlerweile demselben Fall wie Piedro zugeteilt worden.
Er hatte Alex das Kommando über die Sonderkommis-
sion übertragen, doch das war nur eine Formalität ge-
wesen. Ein Ein-Frau-Team konnte schließlich auch nur
eine Teamleiterin haben. Um nicht untätig herumzusitzen
ging Alex der Spur mit dem Fingerabdruck und seiner
Besitzerin nach.
Mrs. Maloney arbeitete wie jeden Tag der Woche in
einer der vierzehn Fakultäten der Universität. Sie wech-
selte täglich zwischen den Fakultäten, was es entsprech-
end schwer machte, die ältere Frau zu finden. Doch Alex
hatte sich im Hauptbüro erkundigt und erfahren, dass an
diesem Tag die Studenten der Mathematischen Fakultät
die Ehre hatten, von ihr umsorgt zu werden.
"Guten Morgen. Kann ich Ihnen helfen ?", fragte ein Mann
um die Vierzig.
Da das Gelände zu groß war, als dass Alex es allein nach
Mrs. Maloney hätte absuchen können, hatte sie sich nach
einem Information oder etwas Ähnlichem umgeschaut.
"Vielen Dank, das wäre sehr nett von Ihnen. Ich suche
Mrs. Maloney."
"Unsere gute Seele Mrs. Maloney ?" Er lächelte. "Sie steht
immer in der Aula. Darf ich Sie dorthin geleiten ?"
"Warum nicht ? Haben Sie denn Zeit dafür ?"
Der skeptische Unterton in ihrer Stimme schien ihm aufge-
fallen sein. "Nun, ich bin Professor an der Fakultät und nut-
ze die Zeit zwischen den Veranstaltungen sinnvoll." Er klopf-
te leicht gegen den Aktenordner unter seinem Arm. "Ich wer-
de noch ein paar Klausuren durchsehen müssen und so ver-
rückt das klingen mag... das kann ich am besten in der lärm-
erfüllten Aula. Was veranlasst Sie eigentlich dazu, Mrs. Ma-
loney zu besuchen ?"
Alex war sich darüber bewusst, dass das FBI seine Ermitt-
lungen nicht gern an die große Glocke hängte, darum lächel-
te sie nur freundlich und antwortete: "Sie hat möglicherweise
etwas, was mich mit meinen Studien weiterbringt."
Er lachte. "Verstehe. Ihre Sandwiches sind einsame Spitze,
nicht wahr ?"
"Ja, das sind sie wirklich !"
"Übrigens, da vorne ist sie." Er nickte in Richtung der kleinen,
älteren Dame mit dem grauen Haar.
Alex dankte ihm und ging zur "guten Seele der Universität" hi-
nüber. Ob die Sandwiches wirklich einsame Spitze waren ?
Sie sahen jedenfalls schon mal so aus... Das Geschäft mit den
Sandwiches schien in der mathematischen Bildungsanstalt zu
florieren.
Schon nach einer Viertelstunde sank Alex' Hoffnung, poten-
tielle Verdächtige oder zumindest Anhaltspunkte zu finden. Im
Grunde hatte sie in dieser Viertelstunde bereits über fünfzig po-
tentielle Verdächtige entdeckt. Das bedeutete ganz einfach je-
den, der ihr bis jetzt über den Weg gelaufen war. Seufzend ließ
sie sich auf eine Bank in der Nähe von Mrs. Maloneys Stand
sinken und ließ die Studenten, die sie gesehen hatte, Revue pas-
sieren. Da waren unter anderem drei Punks mit Irokesenschnitt
und Haarfarben, die garantiert nicht natürlich waren, gewesen.
Sie schüttelte den Kopf. Kein Serienmörder würde sich derart
auffällig seiner Umwelt präsentieren... jedenfalls war ihr so je-
mand noch nie untergekommen. Andererseits... Viele Serientä-
ter hatten ihre Taten vor aller Augen begangen und keiner hatte
es bemerkt. John Wayne Gacy alias "Pogo the Clown" zum
Beispiel war sehr oft als Clown bei Benefizveranstaltungen für
todkranke Kinder aufgetreten und hatte gleichzeitig 33 Jungen
und Jugendliche ermordet und unter seinem Haus in Chicago
vergraben. Also konnte sie über ein auffälliges Äußeres nicht
einfach hinwegsehen.
Ein weiterer potentieller Verdächtiger so gewesen, wie sie sich
einen typischen Mathematikstudenten immer vorgestellt hatte:
mit dicker Brille, Pickeln, Schweißperlen auf der Stirn und seine
Bücher umklammernd, war er durch die Aula gehetzt. Klein und
pummelig, wie er gewesen war, kam er als Serienmörder aller-
dings weniger in Frage, da er vermutlich nicht genügend Kraft
aufbrachte, um einem Menschen mit einem Baseballschläger den
Schädel einzuschlagen. Baseball kannte er wahrscheinlich bloß
aus dem Fernsehen... Außerdem wirkte er schlicht zu labil, um
Monat für Monat eine Frau zu ermorden. Wahrscheinlich war
ihm erst ein paar Minuten zuvor aufgefallen, dass die Bibliothek
in den Semesterferien früher schloss und er somit nur noch ein
paar Minuten Zeit hatte, seine fünfbändige "Lexikon der Mathe-
matik"-Reihe gegen einen doppelt so großen Almanachen einzu-
tauschen. Und wenn er schon bei diesem Gedanken ins Schwit-
zen geriet, was passierte dann erst, wenn er kurz davor war, ei-
ne Frau umzubringen ? Nein, unmöglich.
Geh nicht allein nach dem Äußeren. Du weißt nicht, wer darun-
ter wohnt...
"Agent Andrews ?"
Das "Agent" veranlasste einige der herumstreunenden Studenten,
sich nach der vermeintlichen Quelle umzusehen, doch Alex hatte
sich schon Mrs. Maloney zugewandt.
"Ja. Guten Tag, Mrs. Maloney. Einer unserer Mitarbeiter hat Sie
ja bereits ausführlich befragt, aber wenn Sie heute morgen schon
die Times gelesen haben, wird Ihnen sicher aufgefallen sein, dass
wir noch kein Stück weitergekommen sind. Und ich muss leider
feststellen, dass die Schlagzeile der Wahrheit entspricht. Wie wä-
re es, wenn wir uns im Starbucks unterhalten ? Den Broadway
runter gibt es einen."

Das Cafe war für einen Montagmorgen nicht gut besucht. Eine
Gruppe japanischer Touristen bestellte sich diverse Kaffeespezia-
litäten und amüsierte sich über die englische Aussprache der ame-
rikanischen Verkäuferin. Sie bediente Asiaten jedoch wahrschein-
lich genauso freundlich, wie sie jeden anderen Kunden auch be-
handelt hätte. Als sie ihnen jedoch den Rücken zukehrte, verdreh-
te sie die Augen zur Decke und seufzte leise. Alex bemerkte, dass
die junge Frau ein T-Shirt mit NYU-Enblem trug. Wahrscheinlich
eine Studentin, die sich in der vorlesungsfreien Zeit etwas hinzu-
verdiente...
Arbeiten Sie oft in der Mathematischen Fakultät ?", fragte sie und
nippte an ihrem heißen Latte Macchiato.
Mrs. Maloney blickte von ihrem Kaffee auf und sah sie mit ihren
wachen Augen an. "Nun, dort bin ich am Liebsten, doch ich wechs-
le täglich. Wissen Sie, die Juristen habe ich auch bereits ins Herz ge-
schlossen. Mit diesen jungen Leuten kann man sich gut unterhalten
und sie sind für jeden Spaß zu haben. Allerdings muss ich Ihnen sa-
gen, dass mich die Mathematik- und Informatikstudenten immer am
meisten an meinen Sohn erinnern." Sie wandte den Blick ab, sprach
aber weiter. "Er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen und da-
bei hatte er noch soviel vor sich ! Ein junger Mann wie er, mit bes-
ten Noten im Informatikstudium... er hätte soviel erreichen können.
Stattdessen steuerte er seinen Wagen im Vollrausch in den Hudson."
Mittlerweile hatte Mrs. Maloney den Blick wieder gehoben und
Alex erkannte Wut darin, Wut gegen ihren Sohn. Die Trauer um
seinen Tod überwog jedoch bei weitem. "Es hat eben nicht sollen
sein."
"Ist er der Grund dafür, dass Sie die gute Seele der Universität ge-
worden sind ?"
Über diese Frage mussten Mrs. Maloney lächeln. "Ja. Der Aus-
druck der 'guten Seele' trifft es ziemlich genau. Ich lebe in der Hoff-
nung, mit meiner Arbeit die Stundenten zu umsorgen. Ich bin eine
Art Ersatzmutter für viele von ihnen. Selbst der Lehrkörper hat sich
schon mit mir angefreundet."
Und in diesem Moment wurde es Alex klar. Mason hatte Recht ge-
habt. Zwei Wochen dauerte es, bis Mrs. Maloney die gesamte Uni-
versität mit Sandwiches versorgt hatte. Einmal in dieser Zeit hatte
potentiell jeder der 50000 Studenten, Professoren und des Hilfsper-
sonals die Möglichkeit, eines von ihren Sandwiches zu kaufen und...
"Also kann so ziemlich jeder auf diesem Campus an Ihren Fingerab-
druck herangekommen sein ?"
"So wie es aussieht, ja. So Leid es mir tut, aber ich kann Ihnen nicht
helfen, den Kreis der Verdächtigen einzuengen." Sie griff nach Alex'
Hand und drückte sie bemerkenswert kräftig. "Aber wenn ich es je-
mandem zutraue, diesen Kerl zu fassen, dann Ihnen. Sie sind mit so
viel Engagement dabei, dass es Ihnen gelingen wird. Früher oder
später."
Genau davor hatte sie Angst. Was, wenn es eher später als früher
sein würde ?

Auf dem Weg zur U-Bahn hörte sie Masons Stimme in ihrem Kopf.
Und wer sagt uns, dass der Täter wirklich im Campus-Umfeld zu
suchen ist ?
Niemand.
Da wären als nächstes New York City und Umgebung mit bald 16
Millionen Einwohnern...
Wir würden Jahre brauchen...
Und wenn er von außerhalb käme, dann gute Nacht...
Das baut mich jetzt wirklich auf...
Wir kennen sein Motiv nicht...
Ich weiß...
Er hinterlässt keine verwertbare Spur...
Ich weiß !
Es könnte verdammt nochmal jeder sein...
Wie soll ich das nur hinkriegen ?
Wirklich jeder...
Jeder...


Zeit zwischen den Veranstaltungen = universitär für Freistun-de
(aber das ist egal, ich verfalle auch oft noch in den Schul-
jargon ;))

Der Betrieb an der Uni rührt wohl daher, dass NYU Sommerkurse
zwischen den regulären Semesterveranstaltungen anbietet ?
(Semesterferienbeginn in NY State meines Wissens Anfang/Mitte
Juni)

Die Beschreibung der Mathestudenten war mir ein wenig zu stereotyp. Solche findet man in allen Fakultäten. (Wir muss-
ten mal eine Zeitlang in die Mathematische Fakultät ausweich-en. Denen sah man in keiner Weise an, was sie sudierten ;))
Ich habe die Stelle ein wenig abgeändert.

Die Jurastudenten hast du dagegen gut getroffen. Ich besuche
regelmäßig Veranstaltungen (=Unterricht ;)) an der Juristi-
schen Fakultät und sie sind wirklich sehr nett und für jeden
Spaß zu haben.

Am Schluss deines eigentlichen Kapitels habe ich noch eine Art
"virtuellen" Dialog zwischen Alex und Mason angefügt. Du musst
ihn jedoch, ebenso wenig wie die Gacy-"Anekdote" und die Be-
merkungen, dass man nicht von Äußerlichkeiten auf die wahre Person schließen kann/sollte/darf, übernehmen. Zwingt dich
keiner. ;)

MfG

losvu
 



 
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