Ondek hätte nicht Gedacht, das die Axt und das Kettenhemd seinen Marsch so erschweren würden. Aber den Göttern seih dank, er hatte das Dundou Gebirge erreicht und war nur noch wenige hundert Schritt von den Toren Cargesias entfernt. Er sah, wie ein menschlicher Händler mit einem völlig überladenen Karren die Stadt, die im inneren des Berges lag, verließ und seine Reise auf der Straße, die nach Behnan führte fortsetzte. Er war schon voller Vorfreude auf die Königsstadt und darauf vor den Rat zu treten und seine Aufgabe zu empfangen. Cargesia war schon über zehntausend Jahre alt. Damals zur Zeit der Drachenkriege hatte sein Volk die Stadt in den Fels gehauen, um vor den Angriffen der feuerspeienden Kreaturen geschützt zu sein. Die Stadt bot Platz für nahezu siebentausend Zwerge, was den größten Teil aller Zwerge darstellte, die es auf Deren gab. Die ursprünglich gebauten Häuser waren direkt mit in den Fels gehauen. Sie gingen aus dem Fels hervor, der die riesige Höhle umrahmte. Doch mit der Zeit war die Stadt gewachsen und es wurden viele neue Gebäude errichtet. Nirgendwo auf Deren, in keiner anderen Zwergensiedlung und schon gar nicht bei den Menschen, hatte er jemals eine so kunstvolle und beeindruckende Baukunst gesehen. Alles war aus glattem Marmor errichtet, an dem man nach den wenigen vorhandenen Fugen mit scharfem Auge suchen musste. Überall waren feinste Applikationen aus Gold und Silber angebracht. Die freien Flächen wurden von den meisterhaft aus Alabasterblöcken geschlagenen Helden des geschehenen beherrscht. Hinter der Stadt reichten tiefe Stollen ins Gebirge, wo Kohle, Erz, Gold und Silber abgebaut wurden. Kurz hinter dem Tor lag ein riesiger Marktplatz, auf dem die menschlichen Händler ihre Waren anboten, für die Zwerge nicht unbedingt berühmt waren. Das waren zum Beispiel Tonwaren, gewebte Kleidung, oder auch gläsernes und Felle. Im Gegenzug dazu deckten sich diese Händler mit Waffen, Rüstungen, Werkzeugen, Metallarbeiten, Gold- und Silberschmuck ein, die niemand auf Deren so gut herstellen konnte wie ein Meister der Zwerge.
Ondek erreichte die Tore Cargesias. Sie waren so hoch wie fünf Zwerge und wurden mittels starker Ketten bewegt. Rechts und links der Tore waren Wehrgänge in den blanken Fels gehauen, die nach ca. fünfzig Schritt nahtlos ins Gebirge übergingen. Der einzige Weg für einen Feind, wäre es, die riesigen Tore aus Stahl zu zerstören. Aber das hatte laut den Aufzeichnungen des geschehenen noch nie jemand auch nur versucht.
Eine kleine Klappe auf Kopfhöhe öffnete sich vor ihm und ein Zwerg sah ihn an. >>Einen Moment.<< Und schon war die Klappe wieder geschlossen. Er hörte das Rasseln von Ketten und dann das Ächzen der Tore. Langsam schwangen sie nach außen auf. Gerade als sie weit genug offen standen, das Ondek hindurch passte hielten sie an. Er trat hindurch und sah auf Cargesia. Es war noch viel unglaublicher und leuchtender, als er es in Erinnerung hatte. Ondek hatte ganz vergessen, wie viele Edelsteine in alle Gebäude und Statuen eingearbeitet waren. Überall brachen sich die Lichtstrahlen in den geschliffenen Steinen und legten die Stadt in die bunten Farben eines Regenbogens, der sich mit dem Stand der Sonne bewegte. Direkt vor ihm lag der Marktplatz. Im vorderen Teil des Platzes waren die Stände der menschlichen Besucher, dahinter boten die Zwerge ihre Waren feil. Ondek schlenderte gemütlich über den Marktplatz, das bunte Treiben und das viele Geschrei erinnerte ihn an einen Jahrmarkt, den er vor Jahren in Behnan mit seinem Vater besucht hatten, als sie einige Waffen und Rüstungsteile zur Kriegerschule brachten. Er kaufte sich ein gebratenes Huhn und eine Decke und sah sich jeden Stand genauestens an. Besonders bei den Ständen der zwergischen Schmiede konnte er sich kaum losreißen. So vergingen einige Stunden, die Ondek im prallen Leben eines überfüllten Marktes zubrachte. Aber er genoss das ungewohnt hektisch Treiben und die vielen Menschen und Zwerge. Als er merkte, das langsam die Sonne hinter dem Zenit verschwand, ging er weiter in die große Höhle hinein. Er betrat die eigentliche Stadt, wo fast ausnahmslos Zwerge zu sehen waren.
Nachdem er durch einige Straßen geschlendert war und sich immer noch nicht an der Vielfalt dieses Zwergenparadieses satt gesehen hatte, kam er an ein Gasthaus dessen Name ihm sehr gut gefiel. Er beschloss in das Dendradek nuhl Beriim, den Drachentötern zu Ehren, einzukehren. Drinnen war es gemütlich warm. Ondek setzte sich an einen Tisch und schaute sich um. Die meisten Besucher waren eindeutig Daresch´To aber es waren auch einige Metam Arep und Cheylir Areth, Minenarbeiter, zugegen. In der einen Ecke glaubte er auch zwei Beckli´Arastedi Vlarem, ehrwürdige Baumeister, zu erkennen.
Eine Schankmaid trat an seinen Tisch. Es war eine recht ansehnliche Zwergin. Sie war schön rund und wohlgenährt. Von der harten arbeit hatte sie kräftige Arme und ihr Bart war mit großem Aufwand geflochten und glänzte vor Fett. Ondek bestellte eine Portion Fleisch und einen Humpen Grosch. Grosch war das Starkbier, das die Zwerge brauten. Die Zwerge waren auch so ziemlich die einzigen die es tranken. Jeder halbwegs vernünftige Mensch, der schon einmal davon probiert hatte, ließ die Finger davon. Auf Zwerge hatte gegorenes von Natur aus fast keine Wirkung. Dies war auch der Grund, das sie dieses extrem starke Bier brauten. So bekamen sie wenigstens leichte Rauschgefühle, wenn sie genug tranken.
Ondek beschloss der schönen Schankmaid ein gehöriges Trinkgeld zu geben, aß das gebratene Fleisch, ließ genüsslich das Grosch seine Kehle herunterlaufen und beobachtete die anderen Zwerge um ihn herum. Er fühlte sich pudelwohl. Nach ein paar weiteren Stunden und etliche Humpen Grosch später fühlte sich Ondek ein wenig müde. Er stand auf und ging durch den Raum zum Gastwirt hinüber. >>He, Wirt ich hätte gern ein Zimmer für die Nacht.<<
Es dauerte einige Momente bis der Wirt zu ihm aufsah. >>Das macht zwei Silberlinge, oder wenn du mit den Münzen der Menschen zahlen willst, zwei Goldstücke mit dem Kopf ihres Königs darauf.<< Ondek gab ihm zwei seiner Silberlinge und der Wirt überreichte ihm einen Schlüssel.
Sein Zimmer war hinter der Schankstube. Es war recht klein, das Bett und der kleine Schrank darin füllten es schon zur Hälfte aus. Aber mehr benötigte Ondek ja auch nicht. Er nahm seinen Rucksack ab, legte Helm, Kettenhaube, Axt und Wehrgehänge auf den Boden und legte sich ins Bett. Er hatte sich immer noch nicht an das Gefühl gewöhnt, mit einem Kettenhemd zu schlafen. Aber er wusste aus den alten Geschichten das ein Daresch´To nur zu einer einzigen Gelegenheit sein Kettenhemd freiwillig ablegte und das war für Intimitäten. Da er nicht damit rechnete, das sich die schöne Schankmaid des nächtens heimlich zu ihm schlich, ließ er es beruhigt an und schloss die Augen.
Nachdem er am nächsten Morgen aufgestanden war, machte er für einen Zwergen eine recht aufwändige Waschprozedur. Er tauchte seine Hände in die Wasserschale und spritzte sich einige Tropfen ins Gesicht. Nachdem er also frisch gewaschen war, legte er sein Wehrgehänge wieder an, stopfte die Kettenhaube in den Helm, band diesen am Gürtel fest, nahm seine Streitaxt auf und verließ das Gasthaus. Wieder schlenderte er ziellos durch die Straßen und erkundete Cargesia.
Kurz vor Mittag entdeckte er den Laden eines Mutebiasch, eines Bartpflegers. Kurzentschlossen kehrte er in den Laden ein. Der Laden selbst bestand aus einer Warteecke, in der ein kleiner Tisch mit drei Stühlen stand. Auf dem Tisch stand ein kleines Fass Bier und mehrere Krüge. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Stuhl mit recht hohen Beinen und an der Wand hing ein Spiegel. In der Warteecke auf dem Stuhl saß ein Mann, der den längsten Bart hatte, den Ondek je gesehen hatte. >>Was kann ich für Dich tun, Daresch´To<<, sagte er zu Ondek. >>Ich hätte gern meinen Bart entzaust, gekämmt, zweimal geflochten und schließlich gewachst.<<
>>Gut, dann setz Dich hin. Ich hole eben Kamm und Wachs.<< Der Mann deutete auf den hohen Stuhl. Während der Mutebiasch seine Utensilien zusammensuchte, kletterte Ondek auf den Stuhl. Als der Bartpfleger vor ihm stand und mit der Arbeit begann, erkannte er, warum der Stuhl so lange Beine hatte. Durch die erhöhte Sitzposition war sein Bart genau auf Arbeitshöhe des Mannes und der Spiegel war auch in der richtigen Höhe angebracht, das Ondek sich betrachten konnte.
Nachdem der Mutebiasch seine Arbeit beendet hatte, war mehr als eine Stunde vergangen und Ondeks Bart war komplett entzaust, links und rechts hatte er einen sorgfältig und fest geflochtenen Zopf und sein ganzer Bart glänzte vom ranzigen Büffelfett. Das Büffelfett verlieh Ondeks Auftreten auch eine recht herbe Note, die unter Zwergen durchaus als recht männlich galt. Hoch zufrieden gab Ondek dem Bartpfleger 7 Silberlinge, verließ den Laden und schlenderte weiter durch die Straßen.
Wenig später erreichte er den Sitz des Rates der Ältesten. Die Ältesten hatten nicht nur die Aufgabe, den jungen Zwergen ihre Prüfung zur Mannwerdung aufzuerlegen, vielmehr war es ihre Bestimmung den König in allen Belangen zu Beraten und ihn mit ihrem Wissen zu unterstützen. Ondek zweifelte, ob er wirklich schon bereit war, vor den Rat zu treten. Er hatte aus irgendeinem Grund Angst davor, eine Prüfung zu bekommen, die er nicht bestehen konnte.
Lange schaute er sich den Sitz des Rates an. Es war ein ehrfurchtgebietendes Gebäude. An der Außenwand war es über und über gespickt mit Wappenflaggen sämtlicher Sippen. Nach einiger Zeit konnte er auch das Wappen seiner eigenen Sippe entdecken. Jede Flagge die an diesem Gebäude hing, zeigte die Sippen an, deren Männer schon die Prüfung der Mannwerdung bestanden hatten, also alle Sippen, die es gab. Diese Aussicht ließ ihn neuen Mut fassen. Die Männer aller Sippen haben sich diesen Prüfungen gestellt. Warum sollte gerade er es also nicht schaffen? Durch diesen Gedanken beflügelt ging er auf den Sitz des Rates zu.
Nachdem er ihn betreten hatte, fand er sich in einer großen Halle wieder. Am anderen Ende der Halle saßen die fünf Ratsmitglieder und unterhielten sich. Der Weg dorthin war rechts und links mit den Statuen aller Ratsmitglieder gesäumt, die es jemals gab. Neben jeder Statue stand eine brennende Fackel in einer schmiedeeisernen Halterung. Bedächtig dieser Abbilder bedeutender Zwerge ging Ondek langsam die Statuenallee entlang. Als er vor den Ratsmitgliedern stand, betrachteten diese ihn ausgiebig. Nach einer Weile ergriff einer von ihnen das Wort. >>Wie ich Deinem Wappen entnehmen kann bist Du Dak Mithrya. Was führt Dich zu uns?<<
>>Ich bin gekommen, mich der Prüfung zu stellen, die mich zum Mann macht, werte Herrschaften.<<, entgegnete Ondek.
>>Eine ziemlich ungewöhnliche Tracht für einen Dak Mithrya.<<, sagte ein anderer zum ihm. Der Älteste in der Mitte meldete sich zu Wort, >>Lasst uns nicht über seine Kleidung reden, vielmehr sollten wir uns überlegen, welche Herausforderung wir dem jungen Metam Arep stellen können.<<
Ondeks Augen blitzten ein wenig auf. >>Daresch´To, werte Herrschaften, nicht Metam Arep. Ich bin hier um mich der Aufgabe zu stellen ein Daresch´To zu werden.<<
Plötzlich lag eine Totenstille über dem Raum und die Ältesten schauten mit großen Augen auf den jungen Zwerg. Nach einigen Sekunden, brachen sie, wie auf ein Kommando, gleichzeitig in schallendes Gelächter aus. >>Wie heißt Du junger Mann?<<
>>Ondek Dak Mithrya<<, antwortete Ondek verdutzt.
>>Ondek, wir wissen einen guten Scherz zu würdigen und bedanken uns für die Belustigung, aber nun lass uns kurz Zeit, darüber zu beraten, welche Aufgabe wir einem Dak Mithrya stellen können, damit er ein Metam Arep werden kann.<<
Ondek konnte es nicht fassen. Der Rat nahm ihn wirklich nicht ernst. Aus lauter Wut über seine Lage stieg das Blut in Ondeks Kopf.
>>Werte Herrschaften, ich bin gekommen, mich als Daresch´To Prüfen zu lassen.<<
Erneut schaute der Rat zu Ondek auf, danach sahen sie sich gegenseitig verblüfft an. Wieder übernahm der Älteste in der Mitte das Wort.
>>Es scheint Dir wirklich ernst zu sein, ein Daresch´To zu werden. Und wenn ich es mir recht überlege, passt Dein Aufzug jetzt auch besser ins Licht. Aber weiß eigentlich Deine Sippe von Deinem wahnwitzigem vorhaben?<<
>>Mein Großvater, Ältester der Dak Mithrya weiß von meinen Wünschen und hat diesen mit seinen besten Wünschen zugestimmt.<<
>>Überleg mal ganz genau, Ondek. Die Männer Deiner Sippe waren schon immer Metam Arep. Ich kann mich nicht entsinnen, von einem Dak Mithrya gehört zu haben, der Daresch´To gewesen war. Erzähle uns, mit welchen Arbeiten Du die letzten, nun sagen wir, dreißig Jahre zugebracht hast.<<
>>Ich bin meinem Vater in seiner Schmiede zur Hand gegangen und habe viel über die Schmiedekunst gelernt. Außerdem hat er mir beigebracht, wie ich mit Menschen den richtigen Preis für unsere Waren aushandele.<<
>>Und genau das ist der Punkt, junger Mann. Du hast Dein ganzes Leben lang gelernt, ein Schmied zu sein und ich denke Du könntest ein herausragender Metam Arep werden. Jetzt sage uns auch, wie viele Stunden Du auf dem Übungsplatz zugebracht hast und wie viele Feinde Du bezwungen hast.<<
>>In Ululean gibt es keinen Übungsplatz und Feinde gibt es überhaupt nicht, werte Herren.<<
>>Wie kommst Du dann auf die Idee ein Daresch´To zu werden? Was denkst Du wohl, wie lange Du mit Deiner Streitaxt im Kampf überleben wirst. So wie es ausschaut, bist Du froh, das Du unter ihrer Last gerade mal aufrecht stehen kannst?<<
Ondek platzte vor Wut. Wie gern würde er jetzt an dem Ältesten in Mitte ein kleines Exempel statuieren, damit die anderen sehen könnten, das er seine Axt nicht nur herumtragen konnte. Und überhaupt, was fiel ihnen ein, ihn dermaßen in seiner Ehre zu kränken. Sie haben ihm ja bildlich den Bart gestutzt. Auch wenn es das Letzte sein sollte, was er in seinem Leben tat, jetzt wollte er erst recht ein Daresch´To werden. Aufbrausend antwortete er, >>Ich trage die Rüstung und die traditionelle Waffe eines Daresch´To und ich bin gekommen, um eine entsprechende Aufgabe zu erhalten. Ich denke es liegt nicht in eurem ermessen zu beurteilen, für welche Arbeit ich geeignet bin, oder für welche nicht. Solltet ihr euch weigern mir eine Prüfung aufzuerlegen, die mich zum Daresch´To macht, werde ich nach Ululean zurückkehren und dort meiner Sippe berichten müssen, das die werten Herrschaften ihr Ansehen besudelt haben, da sich die Herrschaften weigern, mich auf die Art Mann werden zu lassen, wie es der Älteste unserer Sippe bestimmt hat.<<
>>Ganz ruhig, junger Mann. Wir wollten Dir nicht auferlegen, welchen Beruf Du ergreifen sollst. Wir wollten Dir nur darlegen, das Deine Wahl mit Sicherheit die Falsche ist. Aber wie wir gesehen haben hast Du zumindest schon mal das Temperament eines Daresch´To. Wenn Du also unbedingt in Dein Verderben rennen willst und Deine Sippe nie wieder sehen willst, ist hier Deine Prüfung nach deren Erfüllung Du ein vollwertiger Mann und Daresch´To bist. Morgen wirst Du Cargesia durch die alten Stollen, die an das andere Ende der Berge führen verlassen. In der Wüste Tenoni sollst Du dann einen Oger erschlagen. Deine Prüfung ist bestanden, wenn Du uns zum Beweis den Kopf des Untiers vorlegst. Und nun geh und kühle erst einmal Dein Gemüt ab. Ich denke nicht, das wir Dich noch einmal wieder sehen werden. Trotz allem wünsche ich Dir viel Glück.<<
Wortlos machte Ondek auf dem Absatz kehrt und verließ die Halle des Rates.
Ondek erreichte die Tore Cargesias. Sie waren so hoch wie fünf Zwerge und wurden mittels starker Ketten bewegt. Rechts und links der Tore waren Wehrgänge in den blanken Fels gehauen, die nach ca. fünfzig Schritt nahtlos ins Gebirge übergingen. Der einzige Weg für einen Feind, wäre es, die riesigen Tore aus Stahl zu zerstören. Aber das hatte laut den Aufzeichnungen des geschehenen noch nie jemand auch nur versucht.
Eine kleine Klappe auf Kopfhöhe öffnete sich vor ihm und ein Zwerg sah ihn an. >>Einen Moment.<< Und schon war die Klappe wieder geschlossen. Er hörte das Rasseln von Ketten und dann das Ächzen der Tore. Langsam schwangen sie nach außen auf. Gerade als sie weit genug offen standen, das Ondek hindurch passte hielten sie an. Er trat hindurch und sah auf Cargesia. Es war noch viel unglaublicher und leuchtender, als er es in Erinnerung hatte. Ondek hatte ganz vergessen, wie viele Edelsteine in alle Gebäude und Statuen eingearbeitet waren. Überall brachen sich die Lichtstrahlen in den geschliffenen Steinen und legten die Stadt in die bunten Farben eines Regenbogens, der sich mit dem Stand der Sonne bewegte. Direkt vor ihm lag der Marktplatz. Im vorderen Teil des Platzes waren die Stände der menschlichen Besucher, dahinter boten die Zwerge ihre Waren feil. Ondek schlenderte gemütlich über den Marktplatz, das bunte Treiben und das viele Geschrei erinnerte ihn an einen Jahrmarkt, den er vor Jahren in Behnan mit seinem Vater besucht hatten, als sie einige Waffen und Rüstungsteile zur Kriegerschule brachten. Er kaufte sich ein gebratenes Huhn und eine Decke und sah sich jeden Stand genauestens an. Besonders bei den Ständen der zwergischen Schmiede konnte er sich kaum losreißen. So vergingen einige Stunden, die Ondek im prallen Leben eines überfüllten Marktes zubrachte. Aber er genoss das ungewohnt hektisch Treiben und die vielen Menschen und Zwerge. Als er merkte, das langsam die Sonne hinter dem Zenit verschwand, ging er weiter in die große Höhle hinein. Er betrat die eigentliche Stadt, wo fast ausnahmslos Zwerge zu sehen waren.
Nachdem er durch einige Straßen geschlendert war und sich immer noch nicht an der Vielfalt dieses Zwergenparadieses satt gesehen hatte, kam er an ein Gasthaus dessen Name ihm sehr gut gefiel. Er beschloss in das Dendradek nuhl Beriim, den Drachentötern zu Ehren, einzukehren. Drinnen war es gemütlich warm. Ondek setzte sich an einen Tisch und schaute sich um. Die meisten Besucher waren eindeutig Daresch´To aber es waren auch einige Metam Arep und Cheylir Areth, Minenarbeiter, zugegen. In der einen Ecke glaubte er auch zwei Beckli´Arastedi Vlarem, ehrwürdige Baumeister, zu erkennen.
Eine Schankmaid trat an seinen Tisch. Es war eine recht ansehnliche Zwergin. Sie war schön rund und wohlgenährt. Von der harten arbeit hatte sie kräftige Arme und ihr Bart war mit großem Aufwand geflochten und glänzte vor Fett. Ondek bestellte eine Portion Fleisch und einen Humpen Grosch. Grosch war das Starkbier, das die Zwerge brauten. Die Zwerge waren auch so ziemlich die einzigen die es tranken. Jeder halbwegs vernünftige Mensch, der schon einmal davon probiert hatte, ließ die Finger davon. Auf Zwerge hatte gegorenes von Natur aus fast keine Wirkung. Dies war auch der Grund, das sie dieses extrem starke Bier brauten. So bekamen sie wenigstens leichte Rauschgefühle, wenn sie genug tranken.
Ondek beschloss der schönen Schankmaid ein gehöriges Trinkgeld zu geben, aß das gebratene Fleisch, ließ genüsslich das Grosch seine Kehle herunterlaufen und beobachtete die anderen Zwerge um ihn herum. Er fühlte sich pudelwohl. Nach ein paar weiteren Stunden und etliche Humpen Grosch später fühlte sich Ondek ein wenig müde. Er stand auf und ging durch den Raum zum Gastwirt hinüber. >>He, Wirt ich hätte gern ein Zimmer für die Nacht.<<
Es dauerte einige Momente bis der Wirt zu ihm aufsah. >>Das macht zwei Silberlinge, oder wenn du mit den Münzen der Menschen zahlen willst, zwei Goldstücke mit dem Kopf ihres Königs darauf.<< Ondek gab ihm zwei seiner Silberlinge und der Wirt überreichte ihm einen Schlüssel.
Sein Zimmer war hinter der Schankstube. Es war recht klein, das Bett und der kleine Schrank darin füllten es schon zur Hälfte aus. Aber mehr benötigte Ondek ja auch nicht. Er nahm seinen Rucksack ab, legte Helm, Kettenhaube, Axt und Wehrgehänge auf den Boden und legte sich ins Bett. Er hatte sich immer noch nicht an das Gefühl gewöhnt, mit einem Kettenhemd zu schlafen. Aber er wusste aus den alten Geschichten das ein Daresch´To nur zu einer einzigen Gelegenheit sein Kettenhemd freiwillig ablegte und das war für Intimitäten. Da er nicht damit rechnete, das sich die schöne Schankmaid des nächtens heimlich zu ihm schlich, ließ er es beruhigt an und schloss die Augen.
Nachdem er am nächsten Morgen aufgestanden war, machte er für einen Zwergen eine recht aufwändige Waschprozedur. Er tauchte seine Hände in die Wasserschale und spritzte sich einige Tropfen ins Gesicht. Nachdem er also frisch gewaschen war, legte er sein Wehrgehänge wieder an, stopfte die Kettenhaube in den Helm, band diesen am Gürtel fest, nahm seine Streitaxt auf und verließ das Gasthaus. Wieder schlenderte er ziellos durch die Straßen und erkundete Cargesia.
Kurz vor Mittag entdeckte er den Laden eines Mutebiasch, eines Bartpflegers. Kurzentschlossen kehrte er in den Laden ein. Der Laden selbst bestand aus einer Warteecke, in der ein kleiner Tisch mit drei Stühlen stand. Auf dem Tisch stand ein kleines Fass Bier und mehrere Krüge. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Stuhl mit recht hohen Beinen und an der Wand hing ein Spiegel. In der Warteecke auf dem Stuhl saß ein Mann, der den längsten Bart hatte, den Ondek je gesehen hatte. >>Was kann ich für Dich tun, Daresch´To<<, sagte er zu Ondek. >>Ich hätte gern meinen Bart entzaust, gekämmt, zweimal geflochten und schließlich gewachst.<<
>>Gut, dann setz Dich hin. Ich hole eben Kamm und Wachs.<< Der Mann deutete auf den hohen Stuhl. Während der Mutebiasch seine Utensilien zusammensuchte, kletterte Ondek auf den Stuhl. Als der Bartpfleger vor ihm stand und mit der Arbeit begann, erkannte er, warum der Stuhl so lange Beine hatte. Durch die erhöhte Sitzposition war sein Bart genau auf Arbeitshöhe des Mannes und der Spiegel war auch in der richtigen Höhe angebracht, das Ondek sich betrachten konnte.
Nachdem der Mutebiasch seine Arbeit beendet hatte, war mehr als eine Stunde vergangen und Ondeks Bart war komplett entzaust, links und rechts hatte er einen sorgfältig und fest geflochtenen Zopf und sein ganzer Bart glänzte vom ranzigen Büffelfett. Das Büffelfett verlieh Ondeks Auftreten auch eine recht herbe Note, die unter Zwergen durchaus als recht männlich galt. Hoch zufrieden gab Ondek dem Bartpfleger 7 Silberlinge, verließ den Laden und schlenderte weiter durch die Straßen.
Wenig später erreichte er den Sitz des Rates der Ältesten. Die Ältesten hatten nicht nur die Aufgabe, den jungen Zwergen ihre Prüfung zur Mannwerdung aufzuerlegen, vielmehr war es ihre Bestimmung den König in allen Belangen zu Beraten und ihn mit ihrem Wissen zu unterstützen. Ondek zweifelte, ob er wirklich schon bereit war, vor den Rat zu treten. Er hatte aus irgendeinem Grund Angst davor, eine Prüfung zu bekommen, die er nicht bestehen konnte.
Lange schaute er sich den Sitz des Rates an. Es war ein ehrfurchtgebietendes Gebäude. An der Außenwand war es über und über gespickt mit Wappenflaggen sämtlicher Sippen. Nach einiger Zeit konnte er auch das Wappen seiner eigenen Sippe entdecken. Jede Flagge die an diesem Gebäude hing, zeigte die Sippen an, deren Männer schon die Prüfung der Mannwerdung bestanden hatten, also alle Sippen, die es gab. Diese Aussicht ließ ihn neuen Mut fassen. Die Männer aller Sippen haben sich diesen Prüfungen gestellt. Warum sollte gerade er es also nicht schaffen? Durch diesen Gedanken beflügelt ging er auf den Sitz des Rates zu.
Nachdem er ihn betreten hatte, fand er sich in einer großen Halle wieder. Am anderen Ende der Halle saßen die fünf Ratsmitglieder und unterhielten sich. Der Weg dorthin war rechts und links mit den Statuen aller Ratsmitglieder gesäumt, die es jemals gab. Neben jeder Statue stand eine brennende Fackel in einer schmiedeeisernen Halterung. Bedächtig dieser Abbilder bedeutender Zwerge ging Ondek langsam die Statuenallee entlang. Als er vor den Ratsmitgliedern stand, betrachteten diese ihn ausgiebig. Nach einer Weile ergriff einer von ihnen das Wort. >>Wie ich Deinem Wappen entnehmen kann bist Du Dak Mithrya. Was führt Dich zu uns?<<
>>Ich bin gekommen, mich der Prüfung zu stellen, die mich zum Mann macht, werte Herrschaften.<<, entgegnete Ondek.
>>Eine ziemlich ungewöhnliche Tracht für einen Dak Mithrya.<<, sagte ein anderer zum ihm. Der Älteste in der Mitte meldete sich zu Wort, >>Lasst uns nicht über seine Kleidung reden, vielmehr sollten wir uns überlegen, welche Herausforderung wir dem jungen Metam Arep stellen können.<<
Ondeks Augen blitzten ein wenig auf. >>Daresch´To, werte Herrschaften, nicht Metam Arep. Ich bin hier um mich der Aufgabe zu stellen ein Daresch´To zu werden.<<
Plötzlich lag eine Totenstille über dem Raum und die Ältesten schauten mit großen Augen auf den jungen Zwerg. Nach einigen Sekunden, brachen sie, wie auf ein Kommando, gleichzeitig in schallendes Gelächter aus. >>Wie heißt Du junger Mann?<<
>>Ondek Dak Mithrya<<, antwortete Ondek verdutzt.
>>Ondek, wir wissen einen guten Scherz zu würdigen und bedanken uns für die Belustigung, aber nun lass uns kurz Zeit, darüber zu beraten, welche Aufgabe wir einem Dak Mithrya stellen können, damit er ein Metam Arep werden kann.<<
Ondek konnte es nicht fassen. Der Rat nahm ihn wirklich nicht ernst. Aus lauter Wut über seine Lage stieg das Blut in Ondeks Kopf.
>>Werte Herrschaften, ich bin gekommen, mich als Daresch´To Prüfen zu lassen.<<
Erneut schaute der Rat zu Ondek auf, danach sahen sie sich gegenseitig verblüfft an. Wieder übernahm der Älteste in der Mitte das Wort.
>>Es scheint Dir wirklich ernst zu sein, ein Daresch´To zu werden. Und wenn ich es mir recht überlege, passt Dein Aufzug jetzt auch besser ins Licht. Aber weiß eigentlich Deine Sippe von Deinem wahnwitzigem vorhaben?<<
>>Mein Großvater, Ältester der Dak Mithrya weiß von meinen Wünschen und hat diesen mit seinen besten Wünschen zugestimmt.<<
>>Überleg mal ganz genau, Ondek. Die Männer Deiner Sippe waren schon immer Metam Arep. Ich kann mich nicht entsinnen, von einem Dak Mithrya gehört zu haben, der Daresch´To gewesen war. Erzähle uns, mit welchen Arbeiten Du die letzten, nun sagen wir, dreißig Jahre zugebracht hast.<<
>>Ich bin meinem Vater in seiner Schmiede zur Hand gegangen und habe viel über die Schmiedekunst gelernt. Außerdem hat er mir beigebracht, wie ich mit Menschen den richtigen Preis für unsere Waren aushandele.<<
>>Und genau das ist der Punkt, junger Mann. Du hast Dein ganzes Leben lang gelernt, ein Schmied zu sein und ich denke Du könntest ein herausragender Metam Arep werden. Jetzt sage uns auch, wie viele Stunden Du auf dem Übungsplatz zugebracht hast und wie viele Feinde Du bezwungen hast.<<
>>In Ululean gibt es keinen Übungsplatz und Feinde gibt es überhaupt nicht, werte Herren.<<
>>Wie kommst Du dann auf die Idee ein Daresch´To zu werden? Was denkst Du wohl, wie lange Du mit Deiner Streitaxt im Kampf überleben wirst. So wie es ausschaut, bist Du froh, das Du unter ihrer Last gerade mal aufrecht stehen kannst?<<
Ondek platzte vor Wut. Wie gern würde er jetzt an dem Ältesten in Mitte ein kleines Exempel statuieren, damit die anderen sehen könnten, das er seine Axt nicht nur herumtragen konnte. Und überhaupt, was fiel ihnen ein, ihn dermaßen in seiner Ehre zu kränken. Sie haben ihm ja bildlich den Bart gestutzt. Auch wenn es das Letzte sein sollte, was er in seinem Leben tat, jetzt wollte er erst recht ein Daresch´To werden. Aufbrausend antwortete er, >>Ich trage die Rüstung und die traditionelle Waffe eines Daresch´To und ich bin gekommen, um eine entsprechende Aufgabe zu erhalten. Ich denke es liegt nicht in eurem ermessen zu beurteilen, für welche Arbeit ich geeignet bin, oder für welche nicht. Solltet ihr euch weigern mir eine Prüfung aufzuerlegen, die mich zum Daresch´To macht, werde ich nach Ululean zurückkehren und dort meiner Sippe berichten müssen, das die werten Herrschaften ihr Ansehen besudelt haben, da sich die Herrschaften weigern, mich auf die Art Mann werden zu lassen, wie es der Älteste unserer Sippe bestimmt hat.<<
>>Ganz ruhig, junger Mann. Wir wollten Dir nicht auferlegen, welchen Beruf Du ergreifen sollst. Wir wollten Dir nur darlegen, das Deine Wahl mit Sicherheit die Falsche ist. Aber wie wir gesehen haben hast Du zumindest schon mal das Temperament eines Daresch´To. Wenn Du also unbedingt in Dein Verderben rennen willst und Deine Sippe nie wieder sehen willst, ist hier Deine Prüfung nach deren Erfüllung Du ein vollwertiger Mann und Daresch´To bist. Morgen wirst Du Cargesia durch die alten Stollen, die an das andere Ende der Berge führen verlassen. In der Wüste Tenoni sollst Du dann einen Oger erschlagen. Deine Prüfung ist bestanden, wenn Du uns zum Beweis den Kopf des Untiers vorlegst. Und nun geh und kühle erst einmal Dein Gemüt ab. Ich denke nicht, das wir Dich noch einmal wieder sehen werden. Trotz allem wünsche ich Dir viel Glück.<<
Wortlos machte Ondek auf dem Absatz kehrt und verließ die Halle des Rates.