Helene Persak
Mitglied
Noch bevor die Gruppe das Tor erreicht, vernimmt Gabrialla ein leises Läuten. Es ist die Glocke, welche die mittleren Gruppen in die Lehrräume ruft.
Nie mehr, seufzt Gabrialla losgelöst. Frei, jubelt es in ihr.
Über ihre Erleichterung versäumt sie es, die Erzieher zu grüßen. Ein mahnender Knuff Michelles, lässt sie zusammen fahren und routiniert reagieren. So schafft sie es gerade, als sie durch das Tor treten. Der tadelnde Blick der Erzieher lässt sie ihren beschämt senken.
„Was soll nur aus dir werden, Gabrialla?“, tadelt sie nun auch Michelle. „Schon versäumst du, in Gedanken, wie du bist, die alltäglichsten Dinge. Wie wird das erst, wenn du so einsam in den Gärten bist?“ Doch Gabrialla vernimmt deutlich die Furcht hinter ihrem Tadel.
„Ich habe doch dich, Michelle. Du denkst doch nicht, nur weil ich draußen arbeite, wirst du mich los?“, droht sie gespielt. „Nein, so einfach wird das nicht“, kichert sie ungezwungen. Michelle, lächelt ebenfalls, doch bleibt ihr Blick prüfend.
„Ich werde dich vermissen.“
Ach, Michelle. Ich bin doch nur vier Striche, jeden zweiten Tag, in den Gärten, murrt sie, bewusst im Stillen. Sie will ihre Freundin nicht verletzen, doch manchmal kann sie diese nicht verstehen. Der Tag hat 15 Striche. Rechnet sie für sich. Jeden zweiten Tag bin ich vier davon in den Gärten. Wir sollen eine Schlafenszeit von mindestens fünf Strichen einhalten. Ich werde jetzt fast genau so viel Zeit mit ihr verbringen wie zuvor, fasst sie zusammen.
„Wir haben doch noch 17 Nächte, Michelle.“, will sie, ihre Freundin aufheitern. „Morgen haben wir erst einmal frei.“, versucht sie es weiter.
„Du verbringst deine Freientage gern in den Gärten.“, vermerkt die Freundin.
Stimmt, aber: „Nur kurz. Meistens bin ich vor einem Strich wieder hier.“, verteidigt sie sich.
„Und am Tag danach werden wir unseren Berufen zugeteilt.“, fährt Michelle unverändert kritisch fort.
„Woraufhin wir vier volle Tage frei haben.“, ergänzt sie zunehmend frustriert.
„An denen wir aus der Lehranstalt ausziehen und unsere neuen Räume einrichten werden.
Richtig. Daran habe ich gerade nicht gedacht.
„Danach werden wir 10 Tage in unsere Berufe eingewiesen, Gabrialla. Da bleibt wenig Zeit, sich zu sehen.“
Wenig Zeit? Zwei Striche arbeiten, fünf Schlafen und den Rest haben wir frei. Acht Striche, in denen wir gemeinsam unsere Körper trainieren, essen gehen und gemeinsam sonst wo sind? Ab jetzt sind wir frei und können unsere Freizeit selber planen.
„Was gibt es zu Grinsen?“, wird sie von ihrer Freundin aus ihren Gedanken gerissen.
Gabrialla kommt es vor, als würde ihr Gesicht nur aus einem Grinsen bestehen, als sie verkündet: „Wir sind frei.“ Sie greift nach Michelles Händen und dreht sich überschwänglich mit ihr im Kreis. „Wir können selbst entscheiden. Wir sagen jetzt, wann wir Trainieren oder Schwimmen gehen wollen. Wir entscheiden, wann wir schlafen gehen oder ob wir noch wach bleiben wollen. Michelle! Wir entscheiden, ob wir uns sehen wollen!“ Ungewohnt überschwänglich schließt sie die Freundin in ihre Arme.
„Au!“, protestiert Michelle.
„Verzeih.“, entsetzt von ihrer Unbeherrschtheit, will sie sich zurückziehen. Da spürt sie, wie sich, warm und vertraut die Arme ihrer Freundin um sie legen. Sanft wird sie zurückgezogen und an diese gedrückt.
„Du bist wie ein Kind, Gabrialla.“, kichert Michelle in ihr Ohr. „Dich deiner Kraft, bei der niemand bestreitet, dass sie ungewöhnlich ist, einfach nicht bewusst. Ich bin froh, dich als meine Freundin zu haben.“ Gerührt von diesem Geständnis, weiß sie nichts zu sagen.
Doch etwas anderes schon.
Ich brauche dich nicht, erklingt es hochmütig. Wer braucht schon ein niederes Geschöpf wie dich? Aufschauen solltest du zu mir., grollt es am Rande ihres Bewusstseins.
Natürlich brauche ich sie. Widerspricht Gabrialla, die das seltsame Bedürfnis, die Freundin von sich zu stoßen und an zu schreien, nicht verstehen kann. Was hätte ich nur gemacht, wenn ich ohne sie wäre? Was sollte ich machen, wenn ich sie nicht mehr haben würde? Sie ist der Grund, warum ich nicht alleine bin. Sie ist mein Kontakt zu den anderen der Farm.
Du brauchst sie nicht., flüstert es nun klarer. Du kannst sehr gut alleine auskommen. Du bist klug. Du bist stark. Du weist, wie du für dich selbst sorgen kannst.
Natürlich weiß ich das, stimmt sie zu. Doch, wo sollte ich einen Garten anlegen? Wo auf der Farm würde es mir gestattet werden, alleine zu leben?
Nicht auf der Farm .... Gabrialla stockt. Alles in ihr sträubt sich, dem weiter zu folgen. Sträubt sich, dem Fremden noch einen Herzschlag weiter Aufmerksamkeit zu schenken.
Irritiert von ihrem inneren Dialog, schweift ihr Blick umher. Erhascht ein paar neugierige Abschließende und versteift sich.
„Wir werden beobachtet.“ Vorsichtig versucht sie, sich aus der Umarmung zu lösen. Doch Michelles Arme lassen sie nur zögernd los.
„Lass sie,“ flüstert diese, bevor sie Gabrialla verspätet frei gibt, „sie müssen noch viel Lernen“. Die letzten Worte hat sie so laut gesprochen, dass die Lehrlinge sie wohl vernommen haben. Denn, diese drehen sich nun eilig herum und entschwinden ihren Blicken, durch ihre Tür, in das Gebäude.
„Kommt ihr?“, fordert Marie ihre Aufmerksamkeit, bevor noch jemand etwas sagen kann.
„Natürlich.“, erwidert Michelle manierlich. Ein sachtes Lächeln umspielt ihre Lippen, als sie nach Gabriallas Hand greift und mit ihr durch die Baumreihe schlüpft.
Im lichten Abstand, kaum ein Sichtschutz, trennt sie den Bereich der Lehranstalt vom Zentrum der Farm. Der großen Fläche. Wie ein riesiges Knüpfwerk liegt es vor ihnen. Nur von zwei sich in der Mitte treffenden Wegen in vier annähernd gleich großen Flächen geteilt.
Hier werden wir bald, mit den anderen Erwachsenen, unserem Training nachkommen, geht es Gabrialla durch den Kopf.
Neugierig, als würde sie den Ort das erste Mal sehen, lässt sie ihren Blick schweifen.
Fast Menschen leer breitet er sich vor ihr aus.
Da ist in der Mitte das Podest. Auch wir werden in Zukunft hier an Versammlungen teilnehmen. Werden zuhören, wie die Oberen etwas zu verkünden haben. Oder ihre Vertreter allgemeine Informationen weitergeben. Hier werden wir Feiern. Die Ergebnisse unserer Arbeit ebenso wie ... Sie überlegt, welche Feste es sonst noch alles gibt, doch wollen ihr nur die der Lehrlinge einfallen.
„Was ist Los?“, schreckt Michelle sie auf. „Du siehst so grübelnd aus. Stimmt etwas nicht?“
„Nein,“ antwortet sie automatisch und merkt, wie tief ihre Stimme klingt. „Nein,“ beginnt sie noch einmal. „Ich habe einfach an unsere Zukunft gedacht. Das wir jetzt auch die Feste der erwachsenen Feiern werden.“
„Und, schon wider geht es nur um das Essen.“ Gabrialla dreht sich herum, um Juls eine böse Antwort zu geben, doch Marie und Michelle sind schneller.
Maries Ellenbogen entringt ihm ein Laut des Schmerzes, als Michelle erwidert: „Gib ruhe Juls. Oder willst du, dass ich nun doch noch allen erzähle, wie sehr du früher die Süße Quma begehrt hast?“, neckt sie ihn, im tadelndem Ton.
„Das ist nicht gerecht. Ich war noch ein Kind.“, beschwert dieser sich auch gleich.
„Nicht alle entwickeln sich gleich schnell Juls. Das Individuum ist genauso zu achten, wie das Individuum auf die Gemeinschaft achten soll.“ Juls bleibt stumm, doch Gabrialla kann sehen, wie er mit den Zähnen knirscht und mit sich hadert.
„Also,“ wendet sich Michelle an alle, „wollen wir heute noch schwimmen gehen? Oder hierbleiben?“ Für sie ist das Thema offensichtlich beendet. Gabrialla nimmt sich vor, es ihr gleich zu tun.
„Schwimmen.“, ertönt es im Chor.
„Na, dann los mit euch.“ Von Michelle angetrieben, wenden sie sich nach links, um dem Rand der Fläche zu folgen. An deren Ende angekommen, schwenken sie nach rechts.
Die Fläche weiterhin rechts von sich, folgen sie dem Weg gerade aus. In Richtung des Sees. Marie, die leise mit Juls spricht, bildet die Spitze ihre Gruppe. Sie hat ihren Arm um seinen geschlungen und scheint erhitzt auf ihn einzureden. Wie Gabrialla erheitert bemerkt. Als sie an die Abzweigung gelangen, die Gabrialla immer in die Gärten nimmt, stockt sie kurz.
Bald, beruhigt sie sich.
Bald, hallt es ihn ihr düster nach. Gabrialla läuft ein Schauer über den Rücken, welchen sie jedoch schnell als Nervosität abtut.
Morgen noch. Zwei Tage muss ich mich noch gedulden.
Ihr Blick gleitet wieder zur Gruppe. Doch bleibt er nicht dort, sondern wandert unstetig umher.
Auf der, ihnen gegenüber gelegenen Seite der Fläche, reihen sich die Gemeinschaftsräume, hinter denen die Wohnhäuser aufragen. Ihr Blick bleibt bei einem, der zwei großen hängen. Das Haus der alleine lebenden, weiblichen Farmbewohner. Von ihrer Position aus, am rechten Ende der Fläche, ragt es vier Stockwerke in die Höhe. Das Braun seiner Fassade scheint im Licht der Sumza zu glänzen.
Dort sind unsere vorübergehenden Räume. Dort werden wir unsere Wohngemeinschaft haben. Ihr Blick schweift weiter, über die kleineren, in den unterschiedlichsten Farbtönen gehaltenen Häusern.
Den Familienhäusern.
Bäh, was bin ich froh, dass ich nie zu den Bälgern ziehen muss!
Ihr Blick sucht die Ferne. Sucht das Haus, das für die ist, die in Partnerschaft, doch ohne ihre Kinder leben.
Vielleicht mit Gideon, überlegt sie und sucht das graue Haus. Durch die Familienhäuser getrennt, liegt es am linken Ende der Fläche. Ebenso wie das Braune ragt es vier Stockwerke in die Höhe. Es ist das Haus der männlichen Farmbewohner, welche alleine leben. Dort, wo Gideon wohnt.
Ihre Gedanken schweifen zurück. Zurück an dem Tag vor sechs Nächten.
Sie war im Garten. Vollkommen in Gedanken versunken bei ihrer Arbeit, als er sie ansprach.
„Hallo Gabrialla.“ Schemenhaft nur kann sie sich erinnern, wie erschrocken sie war. Kann sich erinnern, wie ihr Körper sich falsch bewegt hat.
Es war wieder einer dieser Momente, schimpft sie. Eigentlich hätte ich weglaufen sollen. So wurde es uns beigebracht. So werden wir trainiert. Doch nein, Gabrialla muss es wieder anders machen.
Natürlich habe ich versucht, mich zu wehren, gesteht sie. Das Schlimme ist, ich weiß noch nicht einmal wie. Woher kann ich diese Bewegungen? Warum kann ich mich daran nicht erinnern?
Gideon hat natürlich nur gelacht und gemeint:„Dieses Mal hättest du mich fast getroffen.“. Ein Teil von ihr ist amüsiert über seine Reaktion. Das er diesen Teil von ihr akzeptiert. Das er sie akzeptiert.
Doch der andere ist verärgert. Nicht über Gideon, sondern über sich selbst.
Warum bin ich so seltsam? Es tut ihr, jetzt im Nachhinein, leid. Leid, dass sie ihn spüren hat lassen wie sehr es sie frustrierte.
Doch Gideon nahm es ihr nie übel.
Nicht, seit unsere Gruppe aufgelöst wurde, fällt ihr ein und ihre Gedanken schweifen in eine Zeit, weiter in der Vergangenheit. Wie ungehalten er war, als ihm, dem großen Ländler, mit seinen elf Zyklen, ein kleines, Acht Zyklen altes Mädchen zugeteilt wurde. Ich musste erst beweisen, dass ich genauso hart arbeiten kann, wie er. Es war wohl auch zum Vorteil, dass wir nicht immer gleichzeitig hier waren. Wir waren in unterschiedlichen Lehrgruppen und hatten unterschiedliche Lehrzeiten. Und dann wurde er Ländler, seufzt sie.
Jetzt, in seinem Amt als Ländler, habe ich mich gewundert, das er mich angesprochen hat. Gideon hat nie viel gesprochen. Ich wusste natürlich, dass er für den Bereich zuständig war, doch die Sperrzeit war noch fern.
„Ich wollte dir etwas zeigen und dachte, vielleicht lohnt es sich für dich, dafür etwas früher aufzuhören?“
Ich muss seltsam ausgesehen haben, wie ich ihn da stumm und mit offenem Mund angestarrt habe. Aber, Gideon und etwas Neues? Gideon, der sich stets an die Regeln hält und nie auch nur einmal gezeigt hat, eine zu missachten, will mir etwas Neues zeigen? Doch ich habe sicher nur einen Herzschlag gezögert.
So schnell haben wir sicher selten die Werkzeuge gesäubert und aufgeräumt.
Anschließend nahmen wir, zu meiner Überraschung, den Weg zurück, zu den inneren Gebäuden. Ich konnte mir nicht vorstellen, was es da Neues geben könnte, doch ich bin ihm gefolgt. Bis ich aus dem Wald getreten bin und den Grenzwald gesehen habe.
Sie erinnert sich, wie die Bäume vor ihr aufragten. Knorrig und viel größer als alle anderen, die sie bis dahin gesehen hatte. Nur ein breiter Streifen grün trennte den bekannten von dem verbotenen Wald.
„Keine Sorge,“ grinste Gideon mich an, „wir gehen nicht in diesen Wald. Los komm. Es lohnt sich.“
Mir war nicht wohl, doch ich war neugierig. Vor ihrem Auge kann sie sehen, wie nach wenigen Schritten ein Teil des Weges abzusinken begann.
Gideon folgte ihm, als wäre es normal, doch ich fand es zu seltsam. Alles so grün und dann diese Grube, in die er hinein gegangen ist. Sie wirkte so klein. Nicht einmal 10 Schritte bestimmt. Nicht so toll, fand ich, überlegt sie. Doch Gideon ist einfach weiter gegangen. Erst, als er an der gegenüber liegenden Wand ankam, hat er sich zu mir umgedreht.
„Was ist? Kommst du?“, hat er versucht, mich zu locken, doch ich war ungläubig.
„Das ist eine Grube.“, habe ich ihm geantwortet und er hat mich angegrinst.
„Sieht so aus, oder?“, hat er gemeint und war verschwunden.
Was bin ich erschrocken! Und dann, als ich ihm nachgelaufen bin, schwebte da auf einmal sein Kopf. Ohne Körper!
„Na? Doch nicht so langweilig?“, hat mich der Kopf belustigt gefragt. Erst, als ich bei ihm war, habe ich gesehen, dass der Weg einen Knick macht.
Natürlich habe ich mit ihm geschimpft. Mich so zu erschrecken. Aber gleichzeitig habe ich ihn weiter geschoben.
Es war, als wäre ich in einem grünen Raum. Nur der Himmel war noch zu sehen, anstelle eines Daches. Ein kleiner Raum. Den nur zwei Schritte maß der Weg, bevor er erneut um eine Ecke führte.
Was ich dann gesehen habe, hätte ich nie erwartet. Das war ... nach all den Tagen, immer noch unfähig, diesen Anblick in Worte zu fassen, verhallen ihre Gedanken.
Nie mehr, seufzt Gabrialla losgelöst. Frei, jubelt es in ihr.
Über ihre Erleichterung versäumt sie es, die Erzieher zu grüßen. Ein mahnender Knuff Michelles, lässt sie zusammen fahren und routiniert reagieren. So schafft sie es gerade, als sie durch das Tor treten. Der tadelnde Blick der Erzieher lässt sie ihren beschämt senken.
„Was soll nur aus dir werden, Gabrialla?“, tadelt sie nun auch Michelle. „Schon versäumst du, in Gedanken, wie du bist, die alltäglichsten Dinge. Wie wird das erst, wenn du so einsam in den Gärten bist?“ Doch Gabrialla vernimmt deutlich die Furcht hinter ihrem Tadel.
„Ich habe doch dich, Michelle. Du denkst doch nicht, nur weil ich draußen arbeite, wirst du mich los?“, droht sie gespielt. „Nein, so einfach wird das nicht“, kichert sie ungezwungen. Michelle, lächelt ebenfalls, doch bleibt ihr Blick prüfend.
„Ich werde dich vermissen.“
Ach, Michelle. Ich bin doch nur vier Striche, jeden zweiten Tag, in den Gärten, murrt sie, bewusst im Stillen. Sie will ihre Freundin nicht verletzen, doch manchmal kann sie diese nicht verstehen. Der Tag hat 15 Striche. Rechnet sie für sich. Jeden zweiten Tag bin ich vier davon in den Gärten. Wir sollen eine Schlafenszeit von mindestens fünf Strichen einhalten. Ich werde jetzt fast genau so viel Zeit mit ihr verbringen wie zuvor, fasst sie zusammen.
„Wir haben doch noch 17 Nächte, Michelle.“, will sie, ihre Freundin aufheitern. „Morgen haben wir erst einmal frei.“, versucht sie es weiter.
„Du verbringst deine Freientage gern in den Gärten.“, vermerkt die Freundin.
Stimmt, aber: „Nur kurz. Meistens bin ich vor einem Strich wieder hier.“, verteidigt sie sich.
„Und am Tag danach werden wir unseren Berufen zugeteilt.“, fährt Michelle unverändert kritisch fort.
„Woraufhin wir vier volle Tage frei haben.“, ergänzt sie zunehmend frustriert.
„An denen wir aus der Lehranstalt ausziehen und unsere neuen Räume einrichten werden.
Richtig. Daran habe ich gerade nicht gedacht.
„Danach werden wir 10 Tage in unsere Berufe eingewiesen, Gabrialla. Da bleibt wenig Zeit, sich zu sehen.“
Wenig Zeit? Zwei Striche arbeiten, fünf Schlafen und den Rest haben wir frei. Acht Striche, in denen wir gemeinsam unsere Körper trainieren, essen gehen und gemeinsam sonst wo sind? Ab jetzt sind wir frei und können unsere Freizeit selber planen.
„Was gibt es zu Grinsen?“, wird sie von ihrer Freundin aus ihren Gedanken gerissen.
Gabrialla kommt es vor, als würde ihr Gesicht nur aus einem Grinsen bestehen, als sie verkündet: „Wir sind frei.“ Sie greift nach Michelles Händen und dreht sich überschwänglich mit ihr im Kreis. „Wir können selbst entscheiden. Wir sagen jetzt, wann wir Trainieren oder Schwimmen gehen wollen. Wir entscheiden, wann wir schlafen gehen oder ob wir noch wach bleiben wollen. Michelle! Wir entscheiden, ob wir uns sehen wollen!“ Ungewohnt überschwänglich schließt sie die Freundin in ihre Arme.
„Au!“, protestiert Michelle.
„Verzeih.“, entsetzt von ihrer Unbeherrschtheit, will sie sich zurückziehen. Da spürt sie, wie sich, warm und vertraut die Arme ihrer Freundin um sie legen. Sanft wird sie zurückgezogen und an diese gedrückt.
„Du bist wie ein Kind, Gabrialla.“, kichert Michelle in ihr Ohr. „Dich deiner Kraft, bei der niemand bestreitet, dass sie ungewöhnlich ist, einfach nicht bewusst. Ich bin froh, dich als meine Freundin zu haben.“ Gerührt von diesem Geständnis, weiß sie nichts zu sagen.
Doch etwas anderes schon.
Ich brauche dich nicht, erklingt es hochmütig. Wer braucht schon ein niederes Geschöpf wie dich? Aufschauen solltest du zu mir., grollt es am Rande ihres Bewusstseins.
Natürlich brauche ich sie. Widerspricht Gabrialla, die das seltsame Bedürfnis, die Freundin von sich zu stoßen und an zu schreien, nicht verstehen kann. Was hätte ich nur gemacht, wenn ich ohne sie wäre? Was sollte ich machen, wenn ich sie nicht mehr haben würde? Sie ist der Grund, warum ich nicht alleine bin. Sie ist mein Kontakt zu den anderen der Farm.
Du brauchst sie nicht., flüstert es nun klarer. Du kannst sehr gut alleine auskommen. Du bist klug. Du bist stark. Du weist, wie du für dich selbst sorgen kannst.
Natürlich weiß ich das, stimmt sie zu. Doch, wo sollte ich einen Garten anlegen? Wo auf der Farm würde es mir gestattet werden, alleine zu leben?
Nicht auf der Farm .... Gabrialla stockt. Alles in ihr sträubt sich, dem weiter zu folgen. Sträubt sich, dem Fremden noch einen Herzschlag weiter Aufmerksamkeit zu schenken.
Irritiert von ihrem inneren Dialog, schweift ihr Blick umher. Erhascht ein paar neugierige Abschließende und versteift sich.
„Wir werden beobachtet.“ Vorsichtig versucht sie, sich aus der Umarmung zu lösen. Doch Michelles Arme lassen sie nur zögernd los.
„Lass sie,“ flüstert diese, bevor sie Gabrialla verspätet frei gibt, „sie müssen noch viel Lernen“. Die letzten Worte hat sie so laut gesprochen, dass die Lehrlinge sie wohl vernommen haben. Denn, diese drehen sich nun eilig herum und entschwinden ihren Blicken, durch ihre Tür, in das Gebäude.
„Kommt ihr?“, fordert Marie ihre Aufmerksamkeit, bevor noch jemand etwas sagen kann.
„Natürlich.“, erwidert Michelle manierlich. Ein sachtes Lächeln umspielt ihre Lippen, als sie nach Gabriallas Hand greift und mit ihr durch die Baumreihe schlüpft.
Im lichten Abstand, kaum ein Sichtschutz, trennt sie den Bereich der Lehranstalt vom Zentrum der Farm. Der großen Fläche. Wie ein riesiges Knüpfwerk liegt es vor ihnen. Nur von zwei sich in der Mitte treffenden Wegen in vier annähernd gleich großen Flächen geteilt.
Hier werden wir bald, mit den anderen Erwachsenen, unserem Training nachkommen, geht es Gabrialla durch den Kopf.
Neugierig, als würde sie den Ort das erste Mal sehen, lässt sie ihren Blick schweifen.
Fast Menschen leer breitet er sich vor ihr aus.
Da ist in der Mitte das Podest. Auch wir werden in Zukunft hier an Versammlungen teilnehmen. Werden zuhören, wie die Oberen etwas zu verkünden haben. Oder ihre Vertreter allgemeine Informationen weitergeben. Hier werden wir Feiern. Die Ergebnisse unserer Arbeit ebenso wie ... Sie überlegt, welche Feste es sonst noch alles gibt, doch wollen ihr nur die der Lehrlinge einfallen.
„Was ist Los?“, schreckt Michelle sie auf. „Du siehst so grübelnd aus. Stimmt etwas nicht?“
„Nein,“ antwortet sie automatisch und merkt, wie tief ihre Stimme klingt. „Nein,“ beginnt sie noch einmal. „Ich habe einfach an unsere Zukunft gedacht. Das wir jetzt auch die Feste der erwachsenen Feiern werden.“
„Und, schon wider geht es nur um das Essen.“ Gabrialla dreht sich herum, um Juls eine böse Antwort zu geben, doch Marie und Michelle sind schneller.
Maries Ellenbogen entringt ihm ein Laut des Schmerzes, als Michelle erwidert: „Gib ruhe Juls. Oder willst du, dass ich nun doch noch allen erzähle, wie sehr du früher die Süße Quma begehrt hast?“, neckt sie ihn, im tadelndem Ton.
„Das ist nicht gerecht. Ich war noch ein Kind.“, beschwert dieser sich auch gleich.
„Nicht alle entwickeln sich gleich schnell Juls. Das Individuum ist genauso zu achten, wie das Individuum auf die Gemeinschaft achten soll.“ Juls bleibt stumm, doch Gabrialla kann sehen, wie er mit den Zähnen knirscht und mit sich hadert.
„Also,“ wendet sich Michelle an alle, „wollen wir heute noch schwimmen gehen? Oder hierbleiben?“ Für sie ist das Thema offensichtlich beendet. Gabrialla nimmt sich vor, es ihr gleich zu tun.
„Schwimmen.“, ertönt es im Chor.
„Na, dann los mit euch.“ Von Michelle angetrieben, wenden sie sich nach links, um dem Rand der Fläche zu folgen. An deren Ende angekommen, schwenken sie nach rechts.
Die Fläche weiterhin rechts von sich, folgen sie dem Weg gerade aus. In Richtung des Sees. Marie, die leise mit Juls spricht, bildet die Spitze ihre Gruppe. Sie hat ihren Arm um seinen geschlungen und scheint erhitzt auf ihn einzureden. Wie Gabrialla erheitert bemerkt. Als sie an die Abzweigung gelangen, die Gabrialla immer in die Gärten nimmt, stockt sie kurz.
Bald, beruhigt sie sich.
Bald, hallt es ihn ihr düster nach. Gabrialla läuft ein Schauer über den Rücken, welchen sie jedoch schnell als Nervosität abtut.
Morgen noch. Zwei Tage muss ich mich noch gedulden.
Ihr Blick gleitet wieder zur Gruppe. Doch bleibt er nicht dort, sondern wandert unstetig umher.
Auf der, ihnen gegenüber gelegenen Seite der Fläche, reihen sich die Gemeinschaftsräume, hinter denen die Wohnhäuser aufragen. Ihr Blick bleibt bei einem, der zwei großen hängen. Das Haus der alleine lebenden, weiblichen Farmbewohner. Von ihrer Position aus, am rechten Ende der Fläche, ragt es vier Stockwerke in die Höhe. Das Braun seiner Fassade scheint im Licht der Sumza zu glänzen.
Dort sind unsere vorübergehenden Räume. Dort werden wir unsere Wohngemeinschaft haben. Ihr Blick schweift weiter, über die kleineren, in den unterschiedlichsten Farbtönen gehaltenen Häusern.
Den Familienhäusern.
Bäh, was bin ich froh, dass ich nie zu den Bälgern ziehen muss!
Ihr Blick sucht die Ferne. Sucht das Haus, das für die ist, die in Partnerschaft, doch ohne ihre Kinder leben.
Vielleicht mit Gideon, überlegt sie und sucht das graue Haus. Durch die Familienhäuser getrennt, liegt es am linken Ende der Fläche. Ebenso wie das Braune ragt es vier Stockwerke in die Höhe. Es ist das Haus der männlichen Farmbewohner, welche alleine leben. Dort, wo Gideon wohnt.
Ihre Gedanken schweifen zurück. Zurück an dem Tag vor sechs Nächten.
Sie war im Garten. Vollkommen in Gedanken versunken bei ihrer Arbeit, als er sie ansprach.
„Hallo Gabrialla.“ Schemenhaft nur kann sie sich erinnern, wie erschrocken sie war. Kann sich erinnern, wie ihr Körper sich falsch bewegt hat.
Es war wieder einer dieser Momente, schimpft sie. Eigentlich hätte ich weglaufen sollen. So wurde es uns beigebracht. So werden wir trainiert. Doch nein, Gabrialla muss es wieder anders machen.
Natürlich habe ich versucht, mich zu wehren, gesteht sie. Das Schlimme ist, ich weiß noch nicht einmal wie. Woher kann ich diese Bewegungen? Warum kann ich mich daran nicht erinnern?
Gideon hat natürlich nur gelacht und gemeint:„Dieses Mal hättest du mich fast getroffen.“. Ein Teil von ihr ist amüsiert über seine Reaktion. Das er diesen Teil von ihr akzeptiert. Das er sie akzeptiert.
Doch der andere ist verärgert. Nicht über Gideon, sondern über sich selbst.
Warum bin ich so seltsam? Es tut ihr, jetzt im Nachhinein, leid. Leid, dass sie ihn spüren hat lassen wie sehr es sie frustrierte.
Doch Gideon nahm es ihr nie übel.
Nicht, seit unsere Gruppe aufgelöst wurde, fällt ihr ein und ihre Gedanken schweifen in eine Zeit, weiter in der Vergangenheit. Wie ungehalten er war, als ihm, dem großen Ländler, mit seinen elf Zyklen, ein kleines, Acht Zyklen altes Mädchen zugeteilt wurde. Ich musste erst beweisen, dass ich genauso hart arbeiten kann, wie er. Es war wohl auch zum Vorteil, dass wir nicht immer gleichzeitig hier waren. Wir waren in unterschiedlichen Lehrgruppen und hatten unterschiedliche Lehrzeiten. Und dann wurde er Ländler, seufzt sie.
Jetzt, in seinem Amt als Ländler, habe ich mich gewundert, das er mich angesprochen hat. Gideon hat nie viel gesprochen. Ich wusste natürlich, dass er für den Bereich zuständig war, doch die Sperrzeit war noch fern.
„Ich wollte dir etwas zeigen und dachte, vielleicht lohnt es sich für dich, dafür etwas früher aufzuhören?“
Ich muss seltsam ausgesehen haben, wie ich ihn da stumm und mit offenem Mund angestarrt habe. Aber, Gideon und etwas Neues? Gideon, der sich stets an die Regeln hält und nie auch nur einmal gezeigt hat, eine zu missachten, will mir etwas Neues zeigen? Doch ich habe sicher nur einen Herzschlag gezögert.
So schnell haben wir sicher selten die Werkzeuge gesäubert und aufgeräumt.
Anschließend nahmen wir, zu meiner Überraschung, den Weg zurück, zu den inneren Gebäuden. Ich konnte mir nicht vorstellen, was es da Neues geben könnte, doch ich bin ihm gefolgt. Bis ich aus dem Wald getreten bin und den Grenzwald gesehen habe.
Sie erinnert sich, wie die Bäume vor ihr aufragten. Knorrig und viel größer als alle anderen, die sie bis dahin gesehen hatte. Nur ein breiter Streifen grün trennte den bekannten von dem verbotenen Wald.
„Keine Sorge,“ grinste Gideon mich an, „wir gehen nicht in diesen Wald. Los komm. Es lohnt sich.“
Mir war nicht wohl, doch ich war neugierig. Vor ihrem Auge kann sie sehen, wie nach wenigen Schritten ein Teil des Weges abzusinken begann.
Gideon folgte ihm, als wäre es normal, doch ich fand es zu seltsam. Alles so grün und dann diese Grube, in die er hinein gegangen ist. Sie wirkte so klein. Nicht einmal 10 Schritte bestimmt. Nicht so toll, fand ich, überlegt sie. Doch Gideon ist einfach weiter gegangen. Erst, als er an der gegenüber liegenden Wand ankam, hat er sich zu mir umgedreht.
„Was ist? Kommst du?“, hat er versucht, mich zu locken, doch ich war ungläubig.
„Das ist eine Grube.“, habe ich ihm geantwortet und er hat mich angegrinst.
„Sieht so aus, oder?“, hat er gemeint und war verschwunden.
Was bin ich erschrocken! Und dann, als ich ihm nachgelaufen bin, schwebte da auf einmal sein Kopf. Ohne Körper!
„Na? Doch nicht so langweilig?“, hat mich der Kopf belustigt gefragt. Erst, als ich bei ihm war, habe ich gesehen, dass der Weg einen Knick macht.
Natürlich habe ich mit ihm geschimpft. Mich so zu erschrecken. Aber gleichzeitig habe ich ihn weiter geschoben.
Es war, als wäre ich in einem grünen Raum. Nur der Himmel war noch zu sehen, anstelle eines Daches. Ein kleiner Raum. Den nur zwei Schritte maß der Weg, bevor er erneut um eine Ecke führte.
Was ich dann gesehen habe, hätte ich nie erwartet. Das war ... nach all den Tagen, immer noch unfähig, diesen Anblick in Worte zu fassen, verhallen ihre Gedanken.