Wolfgang Urach
Mitglied
Zweiter Teil: Die Namenverdreher
7. Kapitel: Herr Fusi muss freischneiden, ausrasieren, wegradieren
Die Türglocke schellte; Herr Fusi richtete sich auf.
„Ja bitte?“, fragte er und stemmte sich auf seinen Besen.
„Einen Lappalier-Haarschnitt“, sagte der junge Mann und stemmte die Fäuste in die Seiten.
„Ja, ich komme gleich“, antwortete Herr Fusi gedankenverloren und bückte sich wieder, um die zusammengekehrten Haare auf die Schippe zu schieben.
Lieber Leser! Ich greife ungern in den Lauf einer Geschichte ein, aber hier erscheint es mir erforderlich.
Was passiert da in Herr Fusis Frisörladen?
Da steht breitbeinig ein junger Kerl im Eingang des Ladens. Sein schwarzes Hemd ist gebügelt, und er hat seine Ärmel säuberlich hochgekrempelt. Um den Hals trägt der Junge (vielleicht 15 oder 16 Jahre alt) ein ebenso schwarzes Halstuch. Sein Gesicht hat die weichen Züge eines lieben Jungen. Er blinzelt von Zeit zu Zeit, weil seine neuen Kontaktlinsen ihn etwas jucken. An den Beinenden der neuen Jeans sehen wir spiegelblank geputzte und polierte Springerstiefel.
Ein gefährlicher Typ? Trotz seiner militärischen Kleidung ist er das wohl nicht. Ich glaube sogar, wir haben ihn schon kennen gelernt, oder irre ich mich?
Was der Jungte sagt, mag erstaunen: „einen Lappalier-Haarschnitt“. So als ob die Einwohner der Region Lappalien einen besonderen Haarschnitt hätten.
Herr Fusi hat seine Kehrarbeiten beendet und säubert Kamm und Schere, bevor er sich dem jungen Mann zuwendet. Er hat schon vergessen, was dieser ihm gesagt, und –unter uns gesagt – er hat gar nicht richtig zugehört, was der Halbstarke verlangt hat, weil er an seine Freundin Fräulein Daria gedacht hat.
Heute Abend wollen die beiden zusammen ins Kino gehen. Aber sie haben noch keinen Treffpunkt ausgemacht. Kurz gesagt, Herr Fusi ist nicht so ganz bei der Sache…
Nichts für ungut, lieber Leser, ich wollte Dich nur auf dieses anfängliche Missverständnis zwischen dem jungen Mann und Herrn Fusi hinweisen, denn es ist der Beginn eines längeren Nichtverstehens.
„Wie soll’s denn aussehen?“, Herr Fusi neigte sich noch weiter nach vorn, um im Spiegel den jungen Mann anzuschauen, der sich in einen der Frisörsessel niedergelassen hatte.
„Na, lappalisch eben!“, knirschte der Kunde.
„Bitte?“, Herr Fusi legte den Kopf schief.
„Mensch!“, Der Kunde sprang auf, rot im Gesicht, drehte sich zum Frisör um, der immer noch krumm hinter ihm stand. „Kurz, sportlich-athletisch, korrekt“, schoss es aus dem Mund des Jungen.
„Aha“, Herr Fusi kratzte sich kopfnickend am Hinterkopf.
Der Kunde sank in den Frisiersessel zurück.
„Soviel?“, fragte unser Herr Fusi und zeigte die Hälfte der Haarlänge zwischen seinen dürren Fingern, die Schere bereit zum Schnitt.
„Mindestens soviel! Weniger ist mehr“, ordnete der Kunde an.
„Weniger ist mehr“, wiederholte Fusi pflichtbewusst, ohne genau zu verstehen.
„Kennen Sie Arnold Rosenberg, lappalischer Kamerad?“, fragte der Halbstarke hart.
Unser Herr Fusi wollte schon gegenfragen: „Muss ich den kennen?“ Oder noch besser: „Seit wann sind wir lappalische Kameraden, junger Freund?“ Doch er zögerte, besann sich eines Besseren und antwortete schlicht: „Nein.“
„Dem lappalischen Gladiatoren weht nicht mädchenhaftes Haar ins Gesicht, wenn er den Kampf beginnt. Nein. Wenn er sich aufmacht, die ruhmreiche Siegesstrasse gegen seine minderwertigen Feinde zu betreten, peitscht seinem kurzgeschorenen Haupt der heisere Hass seiner Neider und Gierer entgegen.“
„Bitte?“, fragte Fusi und hielt mit dem Scherengeklapper inne. Er hatte das Gefühl, auf dem Mars zu landen. Irgendwie hatte er keine Orientierung mehr, der junge Mann verwirrte ihn mit diesen verschiedenen Namen und Begriffen.
„Arnold Rosenberg: Von den römisch-germanischen Wurzeln Lappaliens.“
„Soso“, fügte Fusi verdattert an und fing an, scherenbewegend seine Verwirrung zu verbergen.
Musste man diesen Rosenzwerg kennen?
Was waren die römischen Wurzeln seiner Region?
Wer war dieser kämpferische Gladiator, von dem der junge Mann gesprochen hatte?
„Kennen Sie die Sammelbewegung zum Wohle Lappaliens S–W–L ?“, fragte der Kunde majestätisch langsam.
„Wie?“, fragte Fusi und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
„S – W – L“, wiederholte der junge Mann langsam, als ob unser Fusi erst drei Jahre alt wäre.
„Nein, kenn ich nicht, wenn ich ehrlich bin“, bekannte der Frisör.
„Das erstaunt mich nicht“, entgegnete der junge Mann schmallippig, etwas eingeschnappt.
„Ähem, soll ich den Nacken etwas ausrasieren?“, fragte Fusi vorsichtig, um das Thema zu wechseln.
„Nacken, Hinterkopf, Ohren: freischneiden, wegrasieren, ausradieren“, intonierte der schwarzbehemdte Friseurkunde.
„Rosenzwerg?“, versuchte Fusi zu verstehen.
Mit einem Satz sprang das Schwarzhemd auf: „Beleidigen Sie nicht unseren geistigen Führer, Kamerad!“
„Ich wollte… Entschuldigung… das ist ein Missverständnis…“, erklärte Fusi konfus.
Das junge Springaufmännchen setzte sich wieder. Fusis Hände zitterten. Er ließ die Schere und den Kamm sinken. Er stützte sich auf dem Waschbecken ab. Seine Handinnenflächen ließen Schweißflecken auf dem kalten Stein zurück, als er sich wieder seinem Kunden zuwendete.
„Lappaliens Zukunft kommt aus der Vergangenheit“, orakelte die junge Vortragsmaschine vor ihm, „wir sind stolz, Lappalier zu sein.“
Fusi verstand nichts mehr: er lebte seit seiner Geburt in dieser Gegend, war aber nie besonders stolz gewesen, Lappalier zu sein. Bisher hatte er immer gedacht, dass die Geburt so was wie ein Zufall wäre…
„Uns hat man immer unterschätzt: Lappaliens Zukunft erwartet uns, die leibhaftigen Lappalier“, dozierte das Schwarzhemd.
Stumm griff unser Herr Fusi den Elektrorasierer. Stumm setzte er ihn im Nacken des Kunden an, rasierte ihn stumm aus.
„Mehr“, befahl das Schwarzhemd.
Der Hinterkopf wurde zum Stoppelfeld.
„Höher.“
Vom Haupthaar blieb nur wenig stehen.
„Ohren frei.“
Fusi gehorchte.
„Alles ratzekahl.“
Fusi zitterte.
„Schneller.“
Fusi hatte begriffen. Außer einem schnittigen Scheitel sollte alles schmissig-spitz gestoppelt werden.
„Wunderbar, Kamerad!“ Das Schwarzhemd stand ruckartig auf.
„Morgen Abend: 18 Uhr Marktplatz. Treffen der leibhaftigen Lappalier.“ Der Kunde zahlte, und die Tür fiel glockenschlagend ins Schloss.
Fusi wachte aus seiner Betäubung auf.
Er wusste nicht, warum, aber hatte das Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben.
Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Würden jetzt alle Kunden so sein wie dieser?
Dieser Halbstarke erinnerte ihn dunkel an einen netten Jungen, den er kannte. Er erinnerte sich nur nicht mehr an wen.
Und da waren diese neuen Fragen.
Was musste man tun, um „leibhaftiger Lappalier“ zu werden? Warum war er selbst nicht stolz, in Lappalien geboren zu sein? Musste man Rosenzwerg kennen?
Herr Fusi hängte das Schild „Vorübergehend geschlossen“ ins Schaufenster und schloss den Frisörsalon ab. Ihm war nicht gut; er fühlte sich schlecht. Er war verwirrt, hatte Angst vor neuen Kunden und fragte sich, was diese Namen bedeuten sollten. In seinem Kopf drehte sich alles.
7. Kapitel: Herr Fusi muss freischneiden, ausrasieren, wegradieren
Die Türglocke schellte; Herr Fusi richtete sich auf.
„Ja bitte?“, fragte er und stemmte sich auf seinen Besen.
„Einen Lappalier-Haarschnitt“, sagte der junge Mann und stemmte die Fäuste in die Seiten.
„Ja, ich komme gleich“, antwortete Herr Fusi gedankenverloren und bückte sich wieder, um die zusammengekehrten Haare auf die Schippe zu schieben.
Lieber Leser! Ich greife ungern in den Lauf einer Geschichte ein, aber hier erscheint es mir erforderlich.
Was passiert da in Herr Fusis Frisörladen?
Da steht breitbeinig ein junger Kerl im Eingang des Ladens. Sein schwarzes Hemd ist gebügelt, und er hat seine Ärmel säuberlich hochgekrempelt. Um den Hals trägt der Junge (vielleicht 15 oder 16 Jahre alt) ein ebenso schwarzes Halstuch. Sein Gesicht hat die weichen Züge eines lieben Jungen. Er blinzelt von Zeit zu Zeit, weil seine neuen Kontaktlinsen ihn etwas jucken. An den Beinenden der neuen Jeans sehen wir spiegelblank geputzte und polierte Springerstiefel.
Ein gefährlicher Typ? Trotz seiner militärischen Kleidung ist er das wohl nicht. Ich glaube sogar, wir haben ihn schon kennen gelernt, oder irre ich mich?
Was der Jungte sagt, mag erstaunen: „einen Lappalier-Haarschnitt“. So als ob die Einwohner der Region Lappalien einen besonderen Haarschnitt hätten.
Herr Fusi hat seine Kehrarbeiten beendet und säubert Kamm und Schere, bevor er sich dem jungen Mann zuwendet. Er hat schon vergessen, was dieser ihm gesagt, und –unter uns gesagt – er hat gar nicht richtig zugehört, was der Halbstarke verlangt hat, weil er an seine Freundin Fräulein Daria gedacht hat.
Heute Abend wollen die beiden zusammen ins Kino gehen. Aber sie haben noch keinen Treffpunkt ausgemacht. Kurz gesagt, Herr Fusi ist nicht so ganz bei der Sache…
Nichts für ungut, lieber Leser, ich wollte Dich nur auf dieses anfängliche Missverständnis zwischen dem jungen Mann und Herrn Fusi hinweisen, denn es ist der Beginn eines längeren Nichtverstehens.
„Wie soll’s denn aussehen?“, Herr Fusi neigte sich noch weiter nach vorn, um im Spiegel den jungen Mann anzuschauen, der sich in einen der Frisörsessel niedergelassen hatte.
„Na, lappalisch eben!“, knirschte der Kunde.
„Bitte?“, Herr Fusi legte den Kopf schief.
„Mensch!“, Der Kunde sprang auf, rot im Gesicht, drehte sich zum Frisör um, der immer noch krumm hinter ihm stand. „Kurz, sportlich-athletisch, korrekt“, schoss es aus dem Mund des Jungen.
„Aha“, Herr Fusi kratzte sich kopfnickend am Hinterkopf.
Der Kunde sank in den Frisiersessel zurück.
„Soviel?“, fragte unser Herr Fusi und zeigte die Hälfte der Haarlänge zwischen seinen dürren Fingern, die Schere bereit zum Schnitt.
„Mindestens soviel! Weniger ist mehr“, ordnete der Kunde an.
„Weniger ist mehr“, wiederholte Fusi pflichtbewusst, ohne genau zu verstehen.
„Kennen Sie Arnold Rosenberg, lappalischer Kamerad?“, fragte der Halbstarke hart.
Unser Herr Fusi wollte schon gegenfragen: „Muss ich den kennen?“ Oder noch besser: „Seit wann sind wir lappalische Kameraden, junger Freund?“ Doch er zögerte, besann sich eines Besseren und antwortete schlicht: „Nein.“
„Dem lappalischen Gladiatoren weht nicht mädchenhaftes Haar ins Gesicht, wenn er den Kampf beginnt. Nein. Wenn er sich aufmacht, die ruhmreiche Siegesstrasse gegen seine minderwertigen Feinde zu betreten, peitscht seinem kurzgeschorenen Haupt der heisere Hass seiner Neider und Gierer entgegen.“
„Bitte?“, fragte Fusi und hielt mit dem Scherengeklapper inne. Er hatte das Gefühl, auf dem Mars zu landen. Irgendwie hatte er keine Orientierung mehr, der junge Mann verwirrte ihn mit diesen verschiedenen Namen und Begriffen.
„Arnold Rosenberg: Von den römisch-germanischen Wurzeln Lappaliens.“
„Soso“, fügte Fusi verdattert an und fing an, scherenbewegend seine Verwirrung zu verbergen.
Musste man diesen Rosenzwerg kennen?
Was waren die römischen Wurzeln seiner Region?
Wer war dieser kämpferische Gladiator, von dem der junge Mann gesprochen hatte?
„Kennen Sie die Sammelbewegung zum Wohle Lappaliens S–W–L ?“, fragte der Kunde majestätisch langsam.
„Wie?“, fragte Fusi und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
„S – W – L“, wiederholte der junge Mann langsam, als ob unser Fusi erst drei Jahre alt wäre.
„Nein, kenn ich nicht, wenn ich ehrlich bin“, bekannte der Frisör.
„Das erstaunt mich nicht“, entgegnete der junge Mann schmallippig, etwas eingeschnappt.
„Ähem, soll ich den Nacken etwas ausrasieren?“, fragte Fusi vorsichtig, um das Thema zu wechseln.
„Nacken, Hinterkopf, Ohren: freischneiden, wegrasieren, ausradieren“, intonierte der schwarzbehemdte Friseurkunde.
„Rosenzwerg?“, versuchte Fusi zu verstehen.
Mit einem Satz sprang das Schwarzhemd auf: „Beleidigen Sie nicht unseren geistigen Führer, Kamerad!“
„Ich wollte… Entschuldigung… das ist ein Missverständnis…“, erklärte Fusi konfus.
Das junge Springaufmännchen setzte sich wieder. Fusis Hände zitterten. Er ließ die Schere und den Kamm sinken. Er stützte sich auf dem Waschbecken ab. Seine Handinnenflächen ließen Schweißflecken auf dem kalten Stein zurück, als er sich wieder seinem Kunden zuwendete.
„Lappaliens Zukunft kommt aus der Vergangenheit“, orakelte die junge Vortragsmaschine vor ihm, „wir sind stolz, Lappalier zu sein.“
Fusi verstand nichts mehr: er lebte seit seiner Geburt in dieser Gegend, war aber nie besonders stolz gewesen, Lappalier zu sein. Bisher hatte er immer gedacht, dass die Geburt so was wie ein Zufall wäre…
„Uns hat man immer unterschätzt: Lappaliens Zukunft erwartet uns, die leibhaftigen Lappalier“, dozierte das Schwarzhemd.
Stumm griff unser Herr Fusi den Elektrorasierer. Stumm setzte er ihn im Nacken des Kunden an, rasierte ihn stumm aus.
„Mehr“, befahl das Schwarzhemd.
Der Hinterkopf wurde zum Stoppelfeld.
„Höher.“
Vom Haupthaar blieb nur wenig stehen.
„Ohren frei.“
Fusi gehorchte.
„Alles ratzekahl.“
Fusi zitterte.
„Schneller.“
Fusi hatte begriffen. Außer einem schnittigen Scheitel sollte alles schmissig-spitz gestoppelt werden.
„Wunderbar, Kamerad!“ Das Schwarzhemd stand ruckartig auf.
„Morgen Abend: 18 Uhr Marktplatz. Treffen der leibhaftigen Lappalier.“ Der Kunde zahlte, und die Tür fiel glockenschlagend ins Schloss.
Fusi wachte aus seiner Betäubung auf.
Er wusste nicht, warum, aber hatte das Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben.
Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Würden jetzt alle Kunden so sein wie dieser?
Dieser Halbstarke erinnerte ihn dunkel an einen netten Jungen, den er kannte. Er erinnerte sich nur nicht mehr an wen.
Und da waren diese neuen Fragen.
Was musste man tun, um „leibhaftiger Lappalier“ zu werden? Warum war er selbst nicht stolz, in Lappalien geboren zu sein? Musste man Rosenzwerg kennen?
Herr Fusi hängte das Schild „Vorübergehend geschlossen“ ins Schaufenster und schloss den Frisörsalon ab. Ihm war nicht gut; er fühlte sich schlecht. Er war verwirrt, hatte Angst vor neuen Kunden und fragte sich, was diese Namen bedeuten sollten. In seinem Kopf drehte sich alles.