Kapitel 8

Achtes Kapitel




[ 4]„Die Zeit bis zum Touchdown: 7 Sekunden.“ Yassir klammerte sich an seinem Sitz fest und betete einen Koranvers: „Jede Seele schmeckt den Tod, und auf die Probe wollen wir euch stellen mit Bösem und Gutem, und zu Uns kehrt ihr zurück.“
[ 4]Dann heulten die Triebwerke auf, und das alte Raketenflugzeug hatte Bodenkontakt. Es rumpelte über die Piste, bis es an Geschwindigkeit verloren hatte, folgte dem Abfertigungsfahrzeug, bis es die Fluggastbrücke erreicht hatte. Yassir krallte sich den Beutel mit dem Geld und verschwand als Erstes auf der Toilette, um einem Bedürfnis nachzugehen. Ihm war leicht schlecht, als er durch endlose Korridore bis zur Gepäckabfertigung schlich. Dann dachte er an seinen neuerworbenen Reichtum, und er dankte Gott, dass er den Ausflug zum Mond unversehrt überstanden hatte.
[ 4]Von der Raketenbasis war es nicht weit bis in die Innenstadt von Kairo. Yassir stieg in seinem alten Hotel ab, versteckte die Scheine unter dem Bett, und liess Tanita zu sich kommen. Sie sah aufregender denn je aus, die roten Haare noch leicht vom Schlaf zerzaust, in einer leichten Bluse, die ihre Formen nur schlecht verhüllte, Shorts und Sandalen. Um den Hals trug sie ein goldenes Kettchen. Yassir griff danach und ließ dann in seiner Erregung die Hände über ihren Körper gleiten. Sie setzte sich rittlings auf ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Hast du denn genügend Geld, um eine Nacht mit mir zu bezahlen? Ich bin nicht billig, musst du wissen.“
[ 4]Yassir griff in die Nachttischschublade und zog ein Bündel Scheine hervor. „Reicht das für drei Tage?“ fragte er und drückte ihr die Banknoten in die Hand. Tanita pfiff durch die Zähne und stellte fest, „anscheinend bist du ein reicher Mann geworden. Mach dir keine Sorgen, wir werden unseren Spaß haben.“
[ 4]Sie trieben es drei Tage und drei Nächte lang, und Yassir stand nur auf, um auszutreten oder eine Flasche Champagner und etwas zu essen an der Tür entgegenzunehmen. Er war nur froh, dass der Chip in seinem Gehirn ihn nicht beim Sex störte, ihn sogar zu stimulieren schien. Tanita verwöhnte ihn nach allen Regeln der Kunst, aber irgendwann überwog dann doch ihr Egoismus, und sie machte Yassir klar, dass sie auch noch andere Kunden hätte und sie im Leben nicht zu einer festen Bindung bereit sei. Yassir seufzte, erklärte dann, „ich muss mich sowieso um meine Fundstelle kümmern. Und dann werde ich versuchen, diesen verfluchten Chip wieder aus meinem Kopf heraus zu bekommen.“ Er ließ sie gehen, sah ihr zufrieden nach, wie sie sich anzog, ihre Sachen zusammenraffte. Nur ihr Parfum schwebte noch im Zimmer. Er streckte sich zufrieden auf dem Bett aus und nahm eine Mütze Schlaf.
[ 4]Als er wieder erwachte, war es spät nachts. Er knipste die Nachttischlampe an und griff unter das Bett, um sein Geld zu zählen. Aber da war nichts. In blinder Panik durchwühlte er das Bett, den Schrank, sein Gepäck. Tanita hatte sein Vermögen mitgehen lassen. Er rauschte aus dem Zimmer, klopfte an ihrer Tür. Niemand öffnete. Mit aller Wucht warf er sich gegen die Tür, das Holz splitterte, und er stand in ihrem Zimmer. Sie war ausgeflogen. Yassir ging zum Nachtportier und fragte nach. Ja, sie habe das Hotel vor drei Stunden verlassen, um in ihre Heimat zurückzukehren. Wo das denn sei, wollte Yassir wissen. „Also hören Sie, bei diesen Mädchen weiß man das nie so genau. Nehmen Sie sich doch eine andere, Sie wissen schon.“
[ 4]Yassir ging auf sein Zimmer und barg den Kopf in den Händen. So war sein ganzer Reichtum in Luft zerronnen, denn er war sich sicher, dass er Tanita nie wiedersehen würde. Ein schneller Aufstieg, ein tiefer Fall. Alles, was ihm jetzt noch blieb, waren seine Felder im Rif, und er würde hart arbeiten müssen, um den teuren Antigrav-Gleiter zu bezahlen. [ 4]Um einen Schlussstrich zu setzen, entschied er sich, den Alten aus Luxor noch einmal zu besuchen. Der Gleiter stand noch in der Tiefgarage, wie Yassir ihn verlassen hatte. Der Parkwächter, ein genetischer Mischling, halb Mensch, halb Hund, gab ihm die Schlüssel und jaulte zufrieden auf, als Yassir aus der dunklen Tiefgarage düste. Der Weg war lang, und Yassir gab Stoff. Die Landschaft interessierte ihn nun nicht mehr, er wollte dem Alten aus Luxor nur mitteilen, wie es ihm ergangen sei, und dann das Weite suchen.
[ 4]Der Alte war mitten bei der Arbeit, als Yassir an der Fundstelle ankam. Er säuberte einen DVD-Rekorder mit dem Pinsel und versuchte, ihn an einem Verstärker anzuschließen, um die zahlreichen CDs abzuspielen. Yassir schaute ihm eine Weile zu, unterbrach ihn dann bei der Arbeit.
[ 4]„Allah! Das Gold ist weg.“
[ 4]„Haben die Amerikaner es einkassiert?“
[ 4]„Ich habe es auf dem Mond in Lunos umgetauscht. In Kairo hat eine Dirne das ganze Geld mitgehen lassen.“
[ 4]„Das überrascht mich nicht. Du hättest besser den Mund gehalten und wärst in deine Heimat zurückgekehrt. Was erwartest du auch, wenn du mit so viel Bargeld durch die Gegend läufst?“
[ 4]„Und was mache ich jetzt?“
[ 4]„Du wolltest doch nach Mekka.“
[ 4]„Das ist wahr. Aber wie werde ich den Chip in meinem Kopf wieder los?“
[ 4]„Frag doch deinen Freund, den Bombenleger. Vielleicht kann er dir helfen.“
[ 4]„Woher hast du von Kamil gehört?“
[ 4]„Manchmal sprechen sich die Dinge halt herum.“
[ 4]Er säuberte den Tonkopf des DVD-Rekorders, stellte dann alle Steckverbindungen her. Fetzige Musik dröhnte durch die Einöde. Der Alte lächelte zufrieden und untersuchte das CD-Cover. „Wir sind Helden. Die Reklamation.“
[ 4]Der Alte drehte die Lautstärke herunter. „Fahr nach Mekka, mein Freund. Dein Leben ist noch lange nicht zu Ende. Vielleicht wirst du bei der Arbeit auf deinen Feldern Erleichterung finden. Und schließlich hast du ja deinen Spaß mit der Dirne gehabt, was beklagst du dich?“
[ 4]„Aber vier Millionen Lunos! Das war ein teures Vergnügen!“
[ 4]„Manchmal nehmen die Dinge halt eine überraschende Wendung. Und jetzt entschuldige mich, ich muss die CDs katalogisieren.“
[ 4]Er stellte den Plattenkoffer in den Sand und begann die Titel abzuschreiben. Yassir schenkte er keine Beachtung mehr. Der lud den Rest seines Gepäcks in den Gleiter und programmierte seinen Pathfinder neu. Das nächste Ziel war Syrien, Damaskus.
[ 4]In zehn Metern Höhe düste er mit 200 Stundenkilometern über das Mittelmeer hinweg. Nach fünf Stunden Fahrt erreichte er das Festland und preschte im Tiefflug über das Gelände. Alle hundert Meter waren Verkehrsschilder aufgestellt, die mit dem Pathfinder gekoppelt waren und ihm in Leuchtschrift den Weg wiesen. Er zirkelte um die Hinterhöfe von Damaskus herum, bis er die Avenue Mohammed 21 gefunden hatte. Sein Freund reparierte gerade einen Holofernseher und blickte irritiert auf, als Yassir den dicken Gleiter im Hof parkte. „Was wollen Sie?“
[ 4]„Salam Aleikum, Kamil, erkennst du mich nicht?“
[ 4]Kamil stutzte. „Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor, vielleicht helfen Sie mir auf die Sprünge?“
[ 4]„Yassir. Dein alter Freund Yassir Zouhir.“
[ 4]„Allah issalmek! Ist das denn die Möglichkeit? Yassir, der alte Freund aus Jugendzeiten! Was treibt dich hierher?“
Yassir tippte sich an den Kopf. „Die Amerikaner haben mir einen Chip implantiert. Jetzt möchte ich ihn wieder loswerden.“
[ 4]„Du warst auf dem Mond?“
[ 4]„Genau da.“
[ 4]„Hat die Bombe ihr Ziel getroffen?“
[ 4]„Das hat sie. Du solltest in Zukunft vorsichtig sein.“
[ 4]„Das ist mein Problem. Aber...“
[ 4]„Der Chip?“
[ 4]„Richtig. Das wird eine schwierige Operation, wir brauchen dazu einen Neurochirurgen. Es kann sein, dass du hinterher unter extrapyramidalen Störungen leidest. Hast du Geld?“
[ 4]„Keinen Luno mehr.“
[ 4]„Dann würde ich dir vorschlagen, dass ich ein Virus überspiele, das den Chip funktionslos macht. So kommst du um die Operation herum.“
[ 4]„Können wir das gleich machen? Ich ertrage die Gedankenkontrolle nicht länger.“
[ 4]„Kein Thema. Computer?“
[ 4]Eine sanfte Stimme meldete sich im Hintergrund. „Sie wünschen, Meister?“
[ 4]„Such mir doch eben mal das Merlin-Virus heraus.“
[ 4]„Wie Sie wünschen.“
[ 4]Kamil zog ein 24adriges Kabel aus einer Schublade und stellte eine Steckverbindung mit dem Parallelrechner her. Er schubste Yassir zu dem Computer und befestigte das andere Ende des Kabels an dem Interface in seinem Schädel. Die Daten rauschten durch die Leitung. Yassir wurde schwindelig. Sein Leben schien an ihm vorbeizuziehen, alles färbte sich rot. Dann klärte sich sein Blickfeld mit einem Mal auf, und es war wie früher: das Licht, die Gerüche nach Salz und Lötzinn, die raue Oberfläche des Holzschemels unter ihm, der Geschmack in seinem Mund nach Kurkuma, die Stimme des Imams aus dem benachbarten Minarett, der die Gläubigen zum Gebet aufrief. Yassir lachte. „Es ist vollbracht.“
[ 4]Kamil löste die Steckverbindung und lotste ihn über die Straße in ein billiges Restaurant. „Lass uns etwas essen.“
Sie bestellten Couscous mit Lammfleisch, und Yassir fing an zu erzählen.
[ 4]Er erzählte alles: von der Fundstelle, den Antiquitäten und dem Gold, von dem Alten aus Luxor, dem Hotel in Kairo, Tanita und von der Reise zum Mond.
[ 4]Kamil lachte auf. „Ich habe gehört, dass du da warst. Deshalb habe ich die Bombe da hochgeschickt. Der Schlag hat gesessen.“
[ 4]Yassir bejahte und schaufelte gierig in sich hinein. Er wollte weitererzählen, da klingelte Kamils Handy.
Kamil wollte abheben, doch plötzlich gab es einen furchtbaren Knall, und Yassir wurde nach hinten geschleudert. Kamil lag blutüberströmt in einer Ecke, sein Kopf war halb abgerissen. Die Polizei war im Nu da. Anscheinend hatte sich in Kamils Handy eine Sprengkapsel befunden. Die Amerikaner hatten sich gerächt. Yassir schenkte niemand große Beachtung, und so lud er sein Gepäck wieder in den Antigrav-Gleiter, gab die Zielkoordinaten von Mekka ein und machte sich von dannen.
[ 4]Er schwebte in kurzem Abstand zum Boden durch die Syrische Wüste, um sich die Landschaft ganz genau anzusehen. Es machte ihm Spaß, auf manuelle Steuerung umzuschalten und größeren Hindernissen selbst auszuweichen. Aber auf diese Weise kam er nur langsam voran, und als er nach zwei Tagen Akaba passierte und in die Wüste Nefud eindrang, gewann er wieder an Höhe und gab Vollgas.
[ 4]Weitere zwei Tage später kam er an das Ziel seiner Pilgerfahrt: Die heilige Stadt Mekka war erreicht. Er parkte den Gleiter außerhalb der Stadt auf einem bewachten Parkplatz und suchte sich ein billiges Hotel. Dann ging er unverzüglich zur großen Moschee. Als er die Kaaba erblickte, verrichtete er zwei Niederwerfungen mit den dazu vorgeschriebenen Gebeten. Anschließend ging er zur Kanzel und zog sich dort die Schuhe aus. Hierauf begann der Gang um die Kaaba, der siebenmal wiederholt werden musste. Nach jedem Umlauf küsste er den heiligen Stein. Zuletzt drückte er die Brust an die Tür der Kaaba, breitete die Arme aus und bat Allah laut um Vergebung aller seiner Sünden. Nun begab er sich zum heiligen Brunnen Sem Sem und trank nach einem kurzen Gebet viel Wasser daraus. Dann ging er zum Hügel Szafa, wo drei offene Bogen standen, wandte das Gesicht zur Moschee, hob die Hände gen Himmel und bat Allah um Beistand auf dem heiligen Weg. Nun ging er sechshundert Schritte weiter zum Altan von Merua. Auf Merua verrichtete er wieder ein Gebet und legte den Weg dann noch sechsmal zurück. Als alle heiligen Handlungen verrichtet waren, ließ er sich das Haupt scheren und bahnte sich den Weg durch die Pilgerströme nach außerhalb der Stadt. Er war jetzt ein Hadschi und durfte die Heimreise antreten. Nach all den Abenteuern, die er erlebt hatte, war er froh, bald wieder in heimatliche Gefilde zu kommen. Er würde sich eine junge Frau suchen, seine Felder weiter bestellen und ein großes Fest feiern. Denn dank Allah war er unversehrt und bei guter Gesundheit, und er würde allen von seinem großen Fund erzählen, auf dass sie sich auf den Weg nach Luxor machten, um zu sehen, wie die Menschen vor tausend Jahren gelebt hatten.
 



 
Oben Unten