Karneval im Sommer - Rheinisches Brauchtum damals

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Er hatte Theologie studiert und schien es nicht zu bereuen. „In Rom war ich auch“, sagte er, „drei Jahre lang. Das Seminar war an der Via Veneto, stell dir vor! Und hinterm Haus ein Friedhof, da trafen sich abends die Herren, ein munteres Treiben, kann ich dir sagen, jede Nacht römischer Karneval … Nein, ich hab da nie mitgemacht. Sie haben uns schon um zehn eingeschlossen, und die Fenster auf der Rückseite waren vergittert.“

Freiheit statt Sozialismus! Das hatte er sich ein Dutzend Mal auf die Innenseite seiner Schlafzimmertür geklebt. Sollte ich nachher in mein Hotel zurückfahren? Ich ekelte mich allerdings vor dieser Absteige am Heumarkt, nicht mal frische Bettwäsche gab es … Da blieb ich lieber bei ihm. Immerhin war er freundlich, und er fing nicht von Politik an. Nur dass er Franz Josef Strauß persönlich kenne, sagte er mir. Strauß sei privat ganz anders, als man ihn sich denke, ein höflicher Mann, umgänglich, kultiviert.

Am anderen Morgen trennten wir uns noch nicht. Er fuhr mich zum Hotel, und wir brachten mein Gepäck zum Bahnhof, schlossen es ein. Dann gingen wir italienisch essen, gut und teuer, er war auch ein Gourmet. Zum Nachtisch gab es frische Erdbeeren mit schwarzem Pfeffer. Ich hatte noch vier Stunden bis zur Abfahrt.

Er fuhr mit mir zum Volksgarten, wo auf einer Wiese eine Art Karneval gefeiert wurde. Karneval im September? Eine Erste Kölner Hunnenhorde hatte ihr Lager aufgebaut und viele andere Vereine dazu geladen. Es war prachtvolles Sommerwetter und zwischen zivilen Besuchern stolzierten die phantastisch Kostümierten einher. Die Hunnenmänner hatten gelb geschminkte Gesichter, trugen schwarze Perücken und sehr lange falsche Schnurrbärte. Ob die Kostüme - viel Fell, viel Leder - stilecht waren? Noch imponierender wirkten die Frauen mit ihrem reichen Schmuck und meist königlicher Haltung. Das Biwak bestand aus fellbedeckten Hütten, Verzeihung: Jurten. Zu den Gästen gehörten angebliche Gladiatoren, die auf ihr martialisches Äußeres und ihre schmucken Kostüme so stolz waren, dass sie sich, wenn überhaupt, nur puppenhaft bewegten. In ihrer Mitte saß ein fetter, gemütlicher Nero, der allenfalls sich selbst eine Zigarette, aber kaum Rom angezündet hätte. Andere Vereine traten auf der Bühne auf: ein brasilianisches Folkloreballett aus Königswinter, verwegen kostümiert, und eine große Truppe schwarz Angemalter, die sich Vringsveedeler Dschungelbrööder nannte. Ich amüsierte mich sehr, wir blieben Stunde um Stunde.

Mein Theologe wurde von einem recht zivilen Ehepaar ins Gespräch gezogen. Bei Kölsch besprach man auf Kölsch die erregenden Vorgänge um ein allen, nur mir nicht, bekanntes Paar, das sich gerade getrennt hatte. Bei dem in Rede stehenden Kerl schien es sich um einen Zuhälter zu handeln. Die dicke, schwitzende, schon merklich alkoholisierte Bürgersfrau sprach sich lüstern über alle Einzelheiten aus, sie wusste genau, wo er seine Pferdchen stehen hatte und wie die Geschäfte dort liefen. Leider verstand ich von ihrem Redeschwall nur die Hälfte.

Zu den Besuchern gehörten auch einige Ledermänner in ihrem kleinen Schwarzen, mit den übrigen Trachtenträgern hier konnten sie es nicht aufnehmen. Einer von ihnen mischte sich oft unters Volk. Hier tat er einem Ehemann mit Gipsarm schön, dort leistete er bei einer Ehefrau Aufklärungsarbeit und ließ sich dann mit zwei Kindern auf den Schultern knipsen. Der Kindermund: „Mami, du hast vorhin gesagt, der Onkel ist schwul, was ist denn das?“ Schließlich versuchte er, eine wunderschön blau gewandete Hunnenprinzessin für sich einzunehmen. Er schien ihr aber ein wenig lästig zu fallen. Sie äußerte nur immer wieder höflich „Warum nicht … warum nicht …“ und entzog sich ihm dann, die Spröde.

Es war auch für mich nicht bei einem Kölsch geblieben. Mir ging schon alles im Kopf herum: falsche Hunnen und ein echter Theologe, Brasilianer und Gladiatoren, Nero und Franz Josef Strauß, Freiheit statt Sozialismus auf der Via Veneto und lustiges, schwitzendes rheinisches Volk unter einer wie südlich sengenden Sonne im Kölner Volksgarten … Und dann war es Zeit für mich, wieder heimzufahren in den ach! so nüchternen Norden.
 
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Schade und ich dachte, es würde dir eine Freude machen, wenn nach Monaten Ödland jemand den Thread "neues unter der Soutane" kommentieren würde. :D
 
Qualifizierte Beiträge sind immer erwünscht. Deiner war substanzlos. Mit Genets Welt und Stil hat der Text gar nichts zu tun. Das Olfaktorische spielt in ihm auch keine Rolle. Und das Adjektiv "eindringend" passt ebenfalls nicht.
 
Nicht unbedingt ... in einer Inszenierung von Querelle wurde teilweise das Matrosen Tankshirt gegen Lederkluft substituiert ... das hat Symbolcharakter.
 
wenn nach Monaten Ödland jemand den Thread "neues unter der Soutane" kommentieren würde
Um Legendenbildung vorzubeugen: Von einer Soutane ist im Text nicht die Rede. Man wird später nicht zwangsläufig Träger einer Soutane, wenn man Theologie studiert und zeitweise ein Seminar besucht hat. Der Text hat auch keine antiklerikale Tendenz, er gibt nur sommerliche Eindrücke aus Köln und von Berührungen unterschiedlicher Milieus wieder. Die Leichtigkeit, mit der Letzteres erfolgte, fand ich ortstypisch und sehr angenehm. Und in dem Seminar an der Via Veneto scheint es höchst sittsam zugegangen zu sein. Alles in allem: von wegen Genet und "Querelle"!
 
G

Gelöschtes Mitglied 23450

Gast
Sehr unterhaltsam; angenehm zu lesen; ich freue mich immer, wenn jemand fehlerfreies Deutsch abliefert!

Genet? Querelle? Will mir nicht einleuchten ...

Schönen Abend
Rudi
 



 
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