Kater machen Besuche

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Lange Jahre wohnte ich im Parterre eines großen alten Hauses im Hamburger Westen. Es war eine ruhige Seitenstraße mit kleinen Gärten hinter den Häusern. Gerne hätte ich eine Katze gehalten, doch zu viel sprach dagegen: Ich lebte allein in der Wohnung, ich war berufstätig und immer wieder ganze Tage und Nächte abwesend.

Zwei Stockwerke über mir wohnte eine mehrköpfige türkische Familie mit einem Kater zusammen. Er war braun getigert, sie nannten ihn Boncho und sprachen es sehr weich aus. Der große, kräftige Boncho war ein eher rauer und etwas kratzbürstiger Geselle. Da die Wohnung auch ohne ihn schon etwas eng war, verbrachte er seine Tage und teilweise auch seine Nächte lieber außerhalb des Hauses. Er lief die Gehwege auf und ab, er strich durch die kleinen Vorgärten oder er präsidierte dem Straßenleben, auf einer Mülltonne hockend.

Wenn ich im Winter mitten in der Nacht oder erst im Morgengrauen heimkam, konnte ich ihm nicht schnell genug die Haustür öffnen - so durchfroren war er. Er raste sofort die Treppe hinauf und maunzte vor der Wohnungstür, bis ihm einer öffnete. Eines Nachts blieb er auf der untersten Treppenstufe sitzen und sah mir zu, wie ich meine Tür aufschloss. Ich nickte ihm kurz zu und schon er huschte durch den Türspalt. Er inspizierte gleich alle Räume und beroch sehr interessiert die alten Möbel, die ich geerbt hatte.

Von da an kam er häufig auf kurze Besuche zu mir. Um sich anzumelden, kratzte er die schöne alte Türleibung aus Holz zuschanden. Er war ein schwieriger Gast. Unruhe brachte er herein und lief pausenlos durch alle Räume. Wenn er doch sitzen wollte, passte es mir wieder nicht. So sprang er sehr gern auf die Arbeitsplatte in der Küche und ließ sich von da nur schwer vertreiben. Dann gab es noch einen Platz, auf dem er gern verweilt hätte: zwischen den Pflanzen auf den Fensterbänken zur Straße. Doch ich wollte vermeiden, dass ihn seine Leute dort entdeckten. Ich grüßte sie wohl freundlich im Hausflur, hatte allerdings keinen weiteren Kontakt zu ihnen. Sie wussten nichts von Bonchos Besuchen bei mir.

Als ich ihm einmal mit einer Gymnastiksandale aus Holz auf eine Zehe trat, nahm er es nur vorübergehend übel. Vielleicht war er doch auf seine Weise sensibel, denn nach dem Tod seines Herrn, des Familienvaters, siechte er selbst dahin und starb in der Blüte seiner Jahre. Bald darauf verließ ich Hamburg.

Es hatte dort noch einen Besucher auf vier Pfoten gegeben, einen ganz anderen Charakter. Kater Namenlos hatte ein schwarzes Fell mit weißen Tupfen. Er kam immer nur von der Gartenseite her. Hier lag die Wohnung fast drei Meter über dem Bodenniveau und besaß hinter der Küche einen Balkon mit einem Fliederbusch davor. Ihn benutzte der Namenlose, um heraufzukommen. Es fing damit an, dass er mich von unten auf dem Balkon beobachtete und ich ihm eine Scheibe Wurst - Mortadella, glaube ich - anbot. Er fraß sie auf dem Balkon, dem Anschein nach nur aus Höflichkeit, und kam dann vorsichtig in die Küche.

Er war zugleich munter und sanft, gutartig und verspielt. Er ruhte auf dem Sofa oder streckte sich lang auf dem Teppichboden aus und schlug seine Krallen ins Gewebe: Schlingware! Und er sah mich dabei halb schelmisch, halb glückselig an. Ich ließ ihn gewähren.

Übrigens war er so gut wie stumm und brachte nur ein Piepsen zustande, vielleicht Folge einer Bissverletzung an seinem Kehlkopf.

Anfangs wollte er einmal an einem regnerischen Spätherbstabend partout nicht mehr heimgehen. Ich musste ihn nach zwei Stunden höflich dazu auffordern, indem ich ihn auf den Balkon hinausschob. Er merkte es sich und blieb danach nie mehr länger als zwanzig Minuten. Besucher von mir tolerierte er niemals. Er wollte dann sofort hinausgelassen werden. (Boncho dagegen hatte es kalt gelassen.)

Eines Tages knickte ein Orkan unseren Flieder. Es gab keine Aufstiegshilfe mehr für den Namenlosen. Von da an grüßten wir uns nur noch aus der Distanz, schmerzlich betrübt, verzichtend. Das Leben hatte uns auseinander gerissen.
 
C

cellllo

Gast
Sehr gerne gelesen !
Man sieht alles sensibel lebensnah vor sich ! z.B. dies :
"...oder er präsidierte dem Straßenleben, auf einer Mülltonne hockend."
sowie ( - bitte bei der Gelegenheit reparieren ) :
"... und schon [red]huschte er[/red] durch den Türspalt."
u.v.m.
In unsrer Wohnanlage sind Tiere ( wie auch hohe Bäume ) verboten
und so kann man sich auch keinen kleinen Freund aus der Nachbarschaft anlachen........... :-((
cellllo
 
Lange Jahre wohnte ich im Parterre eines großen alten Hauses im Hamburger Westen. Es war eine ruhige Seitenstraße mit kleinen Gärten hinter den Häusern. Gerne hätte ich eine Katze gehalten, doch zu viel sprach dagegen: Ich lebte allein in der Wohnung, ich war berufstätig und immer wieder ganze Tage und Nächte abwesend.

Zwei Stockwerke über mir wohnte eine mehrköpfige türkische Familie mit einem Kater zusammen. Er war braun getigert, sie nannten ihn Boncho und sprachen es sehr weich aus. Der große, kräftige Boncho war ein eher rauer und etwas kratzbürstiger Geselle. Da die Wohnung auch ohne ihn schon etwas eng war, verbrachte er seine Tage und teilweise auch seine Nächte lieber außerhalb des Hauses. Er lief die Gehwege auf und ab, er strich durch die kleinen Vorgärten oder er präsidierte dem Straßenleben, auf einer Mülltonne hockend.

Wenn ich im Winter mitten in der Nacht oder erst im Morgengrauen heimkam, konnte ich ihm nicht schnell genug die Haustür öffnen - so durchfroren war er. Er raste sofort die Treppe hinauf und maunzte vor der Wohnungstür, bis ihm einer öffnete. Eines Nachts blieb er auf der untersten Treppenstufe sitzen und sah mir zu, wie ich meine Tür aufschloss. Ich nickte ihm kurz zu und schon huschte er durch den Türspalt. Er inspizierte gleich alle Räume und beroch sehr interessiert die alten Möbel, die ich geerbt hatte.

Von da an kam er häufig auf kurze Besuche zu mir. Um sich anzumelden, kratzte er die schöne alte Türleibung aus Holz zuschanden. Er war ein schwieriger Gast. Unruhe brachte er herein und lief pausenlos durch alle Räume. Wenn er doch sitzen wollte, passte es mir wieder nicht. So sprang er sehr gern auf die Arbeitsplatte in der Küche und ließ sich von da nur schwer vertreiben. Dann gab es noch einen Platz, auf dem er gern verweilt hätte: zwischen den Pflanzen auf den Fensterbänken zur Straße. Doch ich wollte vermeiden, dass ihn seine Leute dort entdeckten. Ich grüßte sie wohl freundlich im Hausflur, hatte allerdings keinen weiteren Kontakt zu ihnen. Sie wussten nichts von Bonchos Besuchen bei mir.

Als ich ihm einmal mit einer Gymnastiksandale aus Holz auf eine Zehe trat, nahm er es nur vorübergehend übel. Vielleicht war er doch auf seine Weise sensibel, denn nach dem Tod seines Herrn, des Familienvaters, siechte er selbst dahin und starb in der Blüte seiner Jahre. Bald darauf verließ ich Hamburg.

Es hatte dort noch einen Besucher auf vier Pfoten gegeben, einen ganz anderen Charakter. Kater Namenlos hatte ein schwarzes Fell mit weißen Tupfen. Er kam immer nur von der Gartenseite her. Hier lag die Wohnung fast drei Meter über dem Bodenniveau und besaß hinter der Küche einen Balkon mit einem Fliederbusch davor. Ihn benutzte der Namenlose, um heraufzukommen. Es fing damit an, dass er mich von unten auf dem Balkon beobachtete und ich ihm eine Scheibe Wurst - Mortadella, glaube ich - anbot. Er fraß sie auf dem Balkon, dem Anschein nach nur aus Höflichkeit, und kam dann vorsichtig in die Küche.

Er war zugleich munter und sanft, gutartig und verspielt. Er ruhte auf dem Sofa oder streckte sich lang auf dem Teppichboden aus und schlug seine Krallen ins Gewebe: Schlingware! Und er sah mich dabei halb schelmisch, halb glückselig an. Ich ließ ihn gewähren.

Übrigens war er so gut wie stumm und brachte nur ein Piepsen zustande, vielleicht Folge einer Bissverletzung an seinem Kehlkopf.

Anfangs wollte er einmal an einem regnerischen Spätherbstabend partout nicht mehr heimgehen. Ich musste ihn nach zwei Stunden höflich dazu auffordern, indem ich ihn auf den Balkon hinausschob. Er merkte es sich und blieb danach nie mehr länger als zwanzig Minuten. Besucher von mir tolerierte er niemals. Er wollte dann sofort hinausgelassen werden. (Boncho dagegen hatte es kalt gelassen.)

Eines Tages knickte ein Orkan unseren Flieder. Es gab keine Aufstiegshilfe mehr für den Namenlosen. Von da an grüßten wir uns nur noch aus der Distanz, schmerzlich betrübt, verzichtend. Das Leben hatte uns auseinander gerissen.
 
A

aligaga

Gast
Keine eigentliche "Geschichte", aber ein hübscher Bericht, der den Autor als "Katzenversteher" zeigt.

Zu
In unsrer Wohnanlage sind Tiere ( wie auch hohe Bäume ) verboten
und so kann man sich auch keinen kleinen Freund aus der Nachbarschaft anlachen........... :-((
wäre zu bemerken, dass ein generelles Verbot von Haustieren sittenwidrig und damit rechtsunwirksam ist. Im Übrigen gibt es erfahrungsgemäß keine Wohnalange in Großdeutschland, die nicht wenigstens eine Katze beherbergen würde.

Gruß

aligaga
 
C

cellllo

Gast
Bitte bitte aligaga schreib das nicht mir hier,
sondern der Verwaltung unsrer sog.
"Baugenossenschaft" !
Niemand ist ja gezwungen hier einzuziehen.
Wenn man hier einziehen will, muss man sich
mit dieser Satzung eben einverstanden erklären !
Die Mietkosten sind halt verführerisch moderat....
dafür ist man total machtlos und wurde - ohne Not -
ein mörderischer unerträglicher Kahlschlag vollzogen !!

Das einzige armselige schwanzlose Katzenwesen
der ganzen Gegend hab ich schon laaaaaaange
nie mehr gesehn :-((

( Ist das eigentlich immernoch nicht allbekannt,
wo in D die allerärgsten Spießer wohnen ??? )

cellllo :-((
 
Danke, aligaga, für Aufmerksamkeit und Anerkennung. Oho, keine eigentliche Geschichte? Wie rede ich mich denn da heraus? Ich versuch's mal so: Es sollte ein Doppelpack von Geschichten nach Katzenart sein, die natürlich nicht in allem Geschichten nach Menschenmaß und -verständnis sein können. (Hoffentlich keine faule Ausrede.)

Schönen Abendgruß
Arno A.
 
A

aligaga

Gast
Bitte bitte aligaga schreib das nicht mir hier,
sondern der Verwaltung unsrer sog.
"Baugenossenschaft" !
Das hier ist ein Literaturforum. Ich verstehe mich dort nicht zuletzt als Kritiker.

Deshalb hab ich den Autor darauf aufmerksam gemacht, dass ich in seinem Text keine Geschichte erkenne, sondern handlungslose Milieubeschreibungen (was nichts Negatives ist oder sein will!), und nebenbei bemerkt, dass heutzutage Knebelverträge, die das Halten von Haustieren grundsätzlich ausschließen, längst rechtsunwirksam sind.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Rechte der Mieter irgendwelcher Wohnanlagen durchzusetzen. Das müssten die schon selber machen. Lamentieren allein, nota bene gegenstandslos gewordenes, nützt dabei freilich nichts. Da müsste man schon mehr tun.

Du hättest deinen Einwand besser wie folgt formuliert, celllo:
"Laut Mietvertrag sind in unsrer Wohnanlage Tiere ( wie auch hohe Bäume ) verboten. Das ist zwar sittenwirdrig und damit rechtsunwirksam, aber wir sind zu feig, uns dagegen zu wehren. So wichtig ist uns der kleine Freund aus der Nachbarschaft denn doch nicht."
Das wäre eine ehrliche Ansage gewesen, mit der sich etwas hätte anfangen lassen.

Wobei ich mir, wie schon gesagt, absolut sicher bin, dass es auch in dieser Wohnanlage mindestens eine Katze gibt. Sie lässt sich halt nur nicht bei dir blicken.

Gruß

aligaga
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Arno, ich mag die Geschichte sehr, sie ist gut erzählt. Vieles wird bewusst nicht thematisiert und dennoch mitgeteilt, zwischen den Zeilen, Chapeau! LG - herziblatti
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno, hier passiert mir zu wenig für eine echte Kurzgeschichte. Es gibt auch keinen unmittelbaren Beginn und kein offenes Ende. Ich verschiebe das Ganze in die Kurzprosa.

LG
Doc
 
Nun, Doc, es mag ja ein Grenzfall sein. Allerdings hatte ich mich vor dem Einstellen des Textes als Kurzgeschichte eigens noch einmal mit deinen allgemeinen Hinweisen vom 13.9.14 befasst und war zu einem anderen Ergebnis gekommen als du jetzt. Die dort als Merkmale aufgeführten Eigenschaften sollen ja gerade keinen exklusiven Charakter haben. Oder welche andere Bedeutung haben die dort wiederholt anzutreffenden Wörter bzw. Begriffe wie "häufig", "oft" oder "in der Regel"?

Dass dir im Text zu wenig passiert, kann ja sein - es kommt dabei wohl auf die Perspektive an. Immerhin erkunden zwei Tiere fremdes Terrain, eines stirbt und dann wird infolge eines Sturmes dem zweiten der Zugang verlegt. Und ist das Ende nicht doch ein wenig offen?

Damit wir uns recht verstehen: Die Einrangierung unter Kurzprosa stört mich nicht, sie geht schon in Ordnung. Problematisch finde ich allerdings, dass in allgemeinen Hinweisen zu einer Rubrik eine gewisse Großzügigkeit bezüglich formaler Kriterien angedeutet wird, die Praxis dann aber anders aussieht. Und lese ich mir durch, was z.B. Wikipedia oder wortwuchs.net zu den Merkmalen einer Kurzgeschichte schreiben, so ergibt sich auch aus deren Ausführungen eine gewisse Bandbreite und die Möglichkeit, in dieser oder jener Hinsicht vom Idealfall abzuweichen.

Schönen Abend noch
Arno
 



 
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