Katrin pferdestark

Antaris

Mitglied
Hallo allerseits,

nachdem ich für die Einrichtung dieses Forums gestimmt habe und nachdem mein Rechner schon zwei Tage nicht mehr abgestürzt ist habe ich gewagt, diesen älteren Text hier reinzukopieren. Dies ist ein Krimi für pferdenärrische Mädchen etwa ab acht, und zum Am-Bildschirm-Lesen wahrscheinlich zu lang...aber mich würde interessieren, ob es in der LL Kiddies gibt, die den Text zu Ende lesen.

Katrin pferdestark

I. Die kluge Florifina

„Als nächste Reiterin begrüßen wir Katrin Meisner auf Prinz Pamino“, krächzten die Lautsprecher durch das Reitstadion und es wurde mucksmäuschenstill auf den Zuschauerrängen als Katrin mit dem beneidenswert eleganten Rapphengst auf den Springplatz ritt. Sie hielt vor dem Richterhäuschen, grüßte, und ließ Prinz Pamino einen großen Zirkel galoppieren. Er war ein bestechend schönes Pferd, jung und überaus talentiert. Ein bekanntes Reitponygestüt hatte ihn Katrin zur Verfügung gestellt damit er vor seinem Einsatz als Zuchthengst noch einige Sporterfolge erringen sollte. Ihre schärfste Konkurrentin, Julia Binder, hatte mit ihrem Pferd bereits einen Nullfehlerritt mit einer ausgezeichneten Zeit vorgegeben.Dies würde ihr schwerstes Springen werden.

Die Starterglocke bimmelte so schrill wie die Pausenglocke in Katrins Schule. Energisch zog Prinz Pamino das erste Hindernis an, einen einladenden Hochweitsprung, setzte geschmeidig wie eine Katze hinüber und schon ging es zum nächsten Hindernis, einem klobigen Oxer. Danach kam eine enge Wendung und schon rückte die zweifache Kombination näher. Wenn sie hier den Einsprung vor dem ersten Hindernis verpatzten fielen unweigerlich auch die Stangen am zweiten Hindernis, durchzuckte es Katrin.

Dann folgte nach einem weiten Bogen der Wassergraben. Hier mußte sie erst recht auf Tempo reiten, denn selbst ein so gutes Pferd wie Prinz Pamino konnte ihn nur mit einem flachen, besonders langen Galoppsprung überwinden. Gleich darauf mußte Katrin ihn aber energisch wieder aufnehmen, um nicht in den Steilsprung hineinzurasen, an dem bisher so viele Reiter gescheitert waren. Der Wall, der nun folgte, stellte dagegen kein größeres Problem dar und Katrin konnte sich gleich auf das letzte Hindernis konzentrieren, eine imponierend trutzige Mauer. Heute konnten sie Julia Binder schlagen...

„Katrin! Katrin Meisner!“ Dies war eindeutig kein jubelnder Zuruf von der Zuschauertribüne sondern die ungewohnt strenge Stimme von Herrn Ohlshausen, Katrins Lehrer für Geschichte und Religion, und Katrin saß auf ihrer alten Schulbank statt auf einem prächtigen schwarzen Hengst. „Nun, Katrin, kannst du auch etwas zu unserem Thema beisteuern?“ Katrin schüttelte zögerlich ihren Kopf. „In gut zehn Minuten ist Schluß für heute. Könnte sich bitte auch Fräulein Meisner bis dahin auf den Lehrstoff konzentrieren auch wenn wir wieder die sechste Stunde freitags erwischt haben?“

„Ja, klar,“ preßte Katrin hervor und Herr Ohlshausen begann wieder, über irgendwelche Habsburger Fürsten zu reden. Glücklicherweise war er kein besonders strenger Lehrer, ganz im Gegenteil. Seit vielen Jahren hatte es niemand fertiggebracht, schlechte Zeugnisnoten in seinen Fächern heimzubringen und Hausaufgaben gab er so gut wie nie auf. Er war schon unglaublich lange an der Schule, natürlich auch nicht mehr der Jüngste und seine Pensionierung war zu befürchten.

Herr Ohlshausen erzählte nun von einen Krieg zwischen Königen und Katrins Blicke schweiften durch das Klassenzimmer. An Julia Binders Platz blieben sie hängen. Er war leer. Am nächsten Montag würde sie wahrscheinlich eine Entschuldigung präsentieren und in den Pausen von eionem tollen Turnier schwärmen. Ein E - Springen zu reiten war sicher eine großartige Leistung. Katrin konnte höchstens auf einem Kirmespony reiten.

Endlich klingelte es. Wochenende! Die Schulbusse standen schon bereit und waren im Nu rappelvoll von lärmenden Schülern. Katrins Bus musste quer durch die Kleinstadt und natürlich wurden die Bahnschranken heruntergelassen als sie mitten im Ort waren. Binder Sanitärfachhandel stand über dem Geschäft am Straßenrand, vor dem der Bus wieder einmal zum Stehen kam. Wenn ich so ein Pferdchen wie Julias rassigen Braunen zum Reiten hätte würde ich bis an mein Lebensende Klos verkaufen, wenn es sein muss, dachte Katrin und betrachtete die Schaufenster während einige hundert Meter weiter ein Nahverkehrszug vorbeituckerte.

Der Bus verließ die Stadt. Bis zum Horizont glänzten Wiesen, Äcker Dörfer und Wälder in der Maisonne und Katrin begann von einem ganz anderen Pferd zu träumen. Mit einem richtig zuverlässigen Pferd die Gegend durchzukämmen, das wäre etwas! Ein Westernpferd wäre ideal, Reitponys sollen ja zuweilen ziemlich nervig sein im Gelände. Ein Schecke wäre prima, noch besser ein Appaloosa direkt aus Amerika, vorne braun und die Hinterhand weiß mit schwarzen Tupfen. Julias Pferd stand in einer Box in Reitverein, Katrin wollte ihr Pferd lieber in der Nähe ihrer Wohnung halten und selbst versorgen.

Da käme ihr eine Stute gerade recht, sie könnte ein Fohlen haben, vielleicht sogar von einem Mustanghengst. Wenn in Amerika nachts so ein Wildpferdehengst über die Zäune zu den Stuten hüpft und am nächsten Morgen wieder verschwunden ist, merkt das kein Mensch. Ob die Tierärzte an den Grenzen Flughäfen oder Quarantänestationen auch Stuten auf eine mögliche Trächtigkeit untersuchen? Wahrscheinlich nicht, nahm Katrin an. Die Überraschung würde sich wohl erst in Katrins Stall offenbaren. Das Fohlen wollte Katrin selbstverständlich behalten, alleine schon weil Pferde nicht alleine sein sollen und Katrins Pferd erst recht nicht.

Großziehen wollte sie das Fohlen, es später selbst einreiten und die schönsten Wanderritte unternehmen. Zum Wanderreiten war es besonders praktisch, zwei Pferde zu haben, eins zum reiten, und das andere sollte als Packpferd Zelt, Schlafsack, Proviant und was sonst noch auf solchen Ritten gebraucht wurde zu tragen.

An der vorletzten Haltestelle mußte Katrin aussteigen und bis zur Wohnung noch fünf Minuten laufen. Einen Stall hatte Katrin nicht, aber neben dem Haus, in dem sie mit ihrer Mutter seit einem Vierteljahr wohnten, gab es einen Schuppen, der sich sicher nicht schlecht als Pferdestall machen könnte. Die Wiese dahinter brauchte der Vermieter dann auch nicht mehr zu mähen. Leider wollte der Vermieter den Schuppen bald zu einer Garage umbauen.

Zuhause wärmte sie das Essen auf, kontrollierte den Briefkasten und nahm ihre Mathehausaufgaben in Angriff. Sie waren wieder ausgesprochen kniffelig, aber das war meistens so, wenn die Mathematiklehrerin von ein paar leichten Übungsaufgaben redete. Haareschneiden, dachte Katrin, als sie fertig war, das habe ich Mutter versprochen. Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und brauste los, denn der Frisiersalon, in dem ihre Mutter arbeitete, lag in einem anderen Dorf, in Köllbach.

„Oje, jetzt habe ich noch jede Menge Kundschaft bekommen,“ jammerte ihre Mutter als Katrin in den Frisiersalon eintrat. „Wenn du nur ein wenig früher gekommen wärst!“ „Die Matheaufgaben waren ziemlich happig.“ „Na, dann soll dir doch die Gabi die Haare schneiden. Die braucht sowiso noch viel Übung.“ Das fand Katrin zwar nicht, aber Gabi war Azubi, sie nahm ihre Arbeit sehr genau und wollte sich auf ihre Prüfung gut vorbereiten. Katrin hatte keine Lust mehr auf eine neue Frisur. „Kommt überhaupt nicht in Frage.“, konterte ihre Mutter. „Was sollen denn die Leute denken wenn die Tochter einer Friseurmeisterin so zottelig herumläuft wie du? Gabii!“

Gabi kam kaugummikauend mit einem Stapel Frisurenvorlagen unter dem Arm. „Na, was hältst du davon?“ Sie zeigte einige Fotos. „Cool, nicht?“ „Ne, überhaupt nicht,“ brummte Katrin, doch Gabi ließ nicht locker. „Und so eine Fönfrisur? Wie alt bist du jetzt?“ „Dreizehn und ich will keine Fönfrisur.“ „Wir können auch mal eine Dauerwelle machen. Mit dieser hier siehst du aus wie fünfzehn und kommst in jede Disco.“ „Keinen Bedarf. „ Gabi war im Grunde genommen sehr in Ordnung. Es ging ihr bloß nicht in den Verstand, dass nicht jeder wie eine Barbiepuppe herumlaufen wollte. „Schnippel mir einfach das Nötigste vom Kopf und fertig. Ich habe keine Lust, den ganzen Nachmittag hierzubleiben.“ Gabi zuckte mit den Schultern und gab sich an die Arbeit.

„Was? Schon fertig?“ rief Katrins Mutter gerade als Katrin den Frisiersaln verlassen wollte, „Dann kannst du ja noch die Geschäftspost zum Postamt bringen!“

Katrin flitzte auf ihrem Rad die Landstraße hinunter nach Thalau und fühlte sich wie ein Ponyexpressreiter im wilden Westen. Kölbach hatte kein Postamt, das in Hallerode war wegen einem Umbau geschlossen und das in Thalau machte freitags schon um halb vier zu. Wenigstens ging der ganze Weg bergab.

Der Rückweg war unangenehmer. Der Weg über die Dörfer zog sich ziemlich in die Länge, der über den Heubergbuckel war kurz und steil, er führte aber an jenem Bauernhof mit der Pferdepension vorbei. Während Katrin ihr Rad den Hang hinauf schob beobachtete sie die Pferde auf den Koppeln, dem Putz- und Sattelplatz und auf dem Reitplatz. Zwei dralle Haflinger wurden gerade vor eine Kutsche gespannt als sie an der Hofeinfahrt vorbeikam. Längst wußte sie, wieviel Miete eine Pferdebox auf diesem Hof kostete. Es war zwar deutlich weniger als im Reitvereinsstall, aber immernoch unerschwinglich viel Geld für ihre Verhältnisse. Sie hatte auch schon ein paar Mal nachgefragt, ab sie nicht dort bei der Pferdepflege helfen könne - ob sie einmal eine Runde auf einem Pferd reiten könnte hätte sie sich nie getraut zu fragen - aber die Leute dort wollten nur jemand, der schon etwas von Pferden verstand und vielleicht etwas älter war sei als Katrin. Dabei hätte sie zu gerne alles über Pferde gelernt! Es hatte wohl keinen Sinn, noch einmal zu fragen, so streichelte sie nur einen pummelien Dunkelbraunen, der am Zaun um ein Leckerli bettelte.

Hätte sie wenigstens ein ganz kleines Pferd! Ein Shetlandpony würde genügen, dachte sie als sie weiterging. Es sei zwar zu klein zum Reiten, aber es würde wenig fressen und kosten und es könnte einen kleinen Wagen ziehen. Vielleicht ginge der Bauer sogar mit der Stallmiete herunter für so eine halbe Portion Pferd. Schon in der Anschaffung sollen kleine Ponies unschlagbar billig sein. Vielleicht fände sie eins auf einem Pferdemarkt oder
könnte dem Schlachter eins vor der Nase wegkaufen. Es sollte sogar vorkommen, daß manche Leute alte Ponies einfach in gute Hände verschenkten. Einen besseren Platz als bei Katrin wäre sicher kaum zu finden. Wenn das Pony zu nichts mehr zu gebrauchen sei ginge sie eben mit ihm spazieren, auch wenn die Leute sie auslachten. Laßt sie lachen! Sie würde ein altes Pony genauso gut pflegen und versorgen wie ein junges.

Katrin schob ihr Rad an einem verwilderten Waldstück vorbei als es einige Meter neben ihr plötzlich raschelte. Angestrengt spähte sie durch das Gestrüpp. Die Zweige leuteten in allen Güntönen und schienen unentwirrbar dicht ineinander verwoben. Da raschelte es wieder und ein Zweig knackte laut. Ein Reh oder ein anderes Wildtier konnte unmöglich so viel Krach machen und Leute blieben normalerweise auf den Wegen, dachte sie, es seie denn... Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Es war höchste Zeit zu verschwinden falls sich tatsächlich Gauner dort im Gebüsch verschanzt hatten! Die besten Chancen ihnen zu entkommen hatte sie sicher, indem sie bergab radelte. Entschlossen packte sie die Lenkergriffe fester und riß ihr Rad eine Spur zu heftig herum. Es glitt ihr fast aus den Händen als das Hinterrad unerträglich laut über den Asphalt schepperte. Gleichzeitig krachte es heftig im Gebüsch und sie hörte ein Tappern und Schleifen, das sich rasch von ihr entfernte. Tief durchatmen, befahl sich Katrin. Kein Verbrecher rennt vor einem dreizehnjährigen Mädchen davon.

Nachdem sie nun überhaupt nichts mehr hörte hätte sie schon gerne gewußt, wer oder was sie erschreckt hatte. Womöglich war sie nur auf einen dummen Streich hereingefallen. Wieder versuchte sie durch das Dickicht zu spähen, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken. Sie fand auch keine Möglichkeit, sich durch das Grünzeug zu wühlen, erst einige Schritte weiter bergab gab es eine Lücke im Gebüsch. Vorsichtig hob sie ihr Fahrrad über die Brombeerranken.

Die Fichten standen dicht an dicht und das Licht war so schummerig daß sich ihre Augen erst daran gewöhnen mußten. Auf dem Waldbodenlag ein heilloses Durcheinander toter, moderiger Baumstämme. Was ist, wenn hier doch irgendwo versteckt ein Verbrecher auf mich wartet, fragte sie sich. Abhauen ist unmöglich, solange ich mein Fahrrad tragen muß. Sie blieb stehen und blickte sich vorsichtig um. Keine Seele war zu sehe, stellte sie erleichtert fest. Sie war allein.

Am anderen Ende des Waldstückes schimmerte das Sonnenlicht streifig durch das Geäst und Katrin stapfte dem Licht entgegen. Das Dickicht gab den Blick auf eine kleine Lichtung frei, sie sah eine Futterkrippe für Rehe, einen geschotterten Weg, einen Bach und - sie rieb sich die Augen, aber es war immernoch da - ein Pferd! Es war ziemlich groß, hatte ein kupferfarbenes Fell und weiße Hinterfüße. „Hallo, Pferd,“ sagte Katrin leise, aber das Pferd kümmerte sich nicht um sie. Es schnupperte nur lustlos an ein paar mageren Grasbüscheln und verscheuchte ein paar Fliegen mit seinem fuchsrotem Schweif.

Wo war bloß der Besitzer oder Reiter? Weit und breit war niemand zu sehen aber das Pferd mußte irgendwem gehören. Wildpferde gab es hier garantiert nicht und Wildpferde tragen auch kein Halfter. Dieses Pferd hatte eins aus leuchtend blauem Nylon. Katrin setzte sich auf den Waldboden und beobachtete das Pferd.


Streunende Hunde und Katzen kommen ins Tierheim, aber was geschieht mit streunenden Pferden, überlegte Katrin.Auf jeden Fall müßte das Pferd zunächst einmal eingefangen werden, bloß, wie fängt man ein freilaufendes Pferd ein? Lassowerfen funktioniert wahrscheinlich nicht in Mitteleuropa. Pferde lassen sich auch kaum vom Fahrrad aus einfangen, kombinierte sie. Aha, da gab es ein Schild am Wegrand, es wies auf ein Wasserschutzgebiet hin und war gewiß gut genug, um ein Fahrad daranzuketten. Das Halfter mußte sie zu fassen kriegen!

Katrin rupfte einige Grasbüschel ab, ging langsam auf das Pferd zu und hielt ihm ein Grasbüschel hin. Ihr war mulmig, denn das Pferd könnte schließlich auch bösartig sein, es könnte treten und beißen. Als Katrin vor ihm stand hob es nur seinen Kopf und beschnupperte Katrin. Der warme Atem kitzelte auf Katrins Händen und das Pferd begann vorsichtig an dem Grasbüschel zu kauen. Es fraß ein zweites und ein drittes Grasbüschel ehe Katrin sich getraute, das Halfter anzufassen. Als sie das Pferd endlich festhielt stand es nur da und schaute Katrin an. Der breite, strahlendweiße Stern leuchtete ebenmäßig von der Pferdestirn.

Ob das Pferd wohl zu der Pferdepension gehörte? Das Vernünftigste ist, es zur nächsten Polizeistation zu führen, sagte sie sich. Wenn dort der Besitzer auftaucht könnte sie ihn als Finderlohn um Reitstunden bitten. Vielleicht spendierte er sogar eine Woche Reiterferien. Falls sich der Besitzer nicht gleich ermitteln ließe musste sie sie wohl oder übel solange für das Pferd sorgen denn dazu war ein Polizeiposten wohl nicht in der Lage. Wenn eine Fundsache innerhalb von sechs Monaten abgeholt wird, gehört sie dem Finder, das wusste Katrin und dieser Gedanke verursachte ihr Magenkribbeln. Mit einer Hand kraulte sie zart den weißen Stern was sich das Pferd gerne gefallen ließ.

Jetzt wollte Katrin versuchen, das Pferd aus dem Wald herauszuführen. Sie zog ein wenig an dem Halfter und machte einen Schritt nach vorne, aber das Pferd rührte sich nicht. Dann zog sie etwas stärker. Plötzlich hob das Pferd seinen Kopf und Katrin mußte das Halfter loslassen. Das Pferd wieherte grell und klagend, wandte sich ab und trabte den Waldweg entlang bis es verschwand.

Der Waldweg verlief leicht berauf in einem endlos langgsstreckten Bogen. Der Boden war nicht mehr gschottert , die Erde war etwas feucht und so weich, dass die Hufabdrücke gut zu erkennen waren. Offenbar führte sie dieser Weg immer weiter weg von Thalau und der Pferdepension. Sie befürchtete schon, das Pferd verloren zu haben, da sah sie endlich das Pferd. Es nagte an den jungen Trieben in einer Schonung. Diesmal schnallte sie sich den Gürtel von der Hose, er war ohnehin zu lang. Wieder lockte sie das Pferd mit ein paar Grasbüscheln und als sie diesmal das Halfter zu fassen bekam schnallte sie schnell ihren Gürtel an das Halfter. Nun hatte sie einen Führstrick und das Pferd folgte ihr tatsächlich! Sie klopfte dem Pferd den Hals genauso wie sie es unzählige Male bei Pferdeleuten gesehen hatte und von Zeit zu Zeit rupfte sie etwas Gras vom Wegrand um das Pferd bei Laune zu halten.

Der Weg mündete in einen breiteren und verlief nun leicht bergab. Zwei Wanderer begegneten ihr. Mit ihren Kniebundhosen und leichten Rucksäcken sahen sie zwar nicht so aus, als ob ihnen ein Pferd abhanden gekommen war, aber fragen kostete schließlich nichts... Die beiden lachten. Nein, sie kannten niemand, dem gerade ein Pferd fehlte, aber sie sagten, daß dieser Weg direkt nach Grotingen führte. Das war die Kleinstadt, in der Katrins Schule lag und eine Polizeidienststelle gab es dort freilich auch. Weitere Spaziergänger begegneten ihr. Sie wunderten sich ein wenig über das Mädchen, daß ein Pferd gefunden hatte, aber niemandem von ihnen war ein Pferd abgängig.

Als ihr zwei Mädchen entgegenkamen stutzte sie. Das größere Mädchen kannte sie. „Alexandra!“ rief sie. „Katrin! Bist du das wirklich? Laß mal das Pferd anschauen. Ist das deins?“ „Schön wäre es. Ist mir zugelaufen.“ „Was du nicht sagst! Behälst du es ?“ „Das läßt sich wohl nicht machen. Ich muß es wohl in Grotingen bei der Polizei abgeben. Was machst du denn hier?“ „Gute Frage. Wir sind aus dem Spätaussiedlerheim ausgezogen und wohnen jetzt hier in der Nähe. Das ist meine Schwester Anja, und das,“ Alexandra wandte sich an das kleinere Mädchen, „das ist die Katrin, mit der ich bis letztes Jahr zusammen auf der Schule war.“

„Kommst du in deiner neuen Klasse gut zurecht,“ wollte Katrin wissen. „Muss ich wohl“, meinte Alexandra.„Ich will mich nicht nochmal zurückstufen lassen.“ „Richtig gut in der Schule ist er immernoch nicht.“, warf Anja ein. Alexandra zwickte ihre Schwester in die Hüfte. „Habt ihr noch den Ohlshausen? Das war der Beste. Der wollte nicht, daß ich aus der Klasse herauskam. Und an den Wandertag erinnere ich mich auch gut, als wir zu so einer Keltenfeltung gelaufen waren. Du wirst lachen, aber der Ohlshausen wohnt etwa zehn Minuten zu Fuß von unserem Haus entfernt. Der konnte vielleicht erzählen! Unsere neue Geschichtslehrerin hat nicht viel los.“

„Den Ohlshausen haben wir immernoch.“ Katrin grinste. „Der ist total in Ordnung, was man von Melanie Baldus, der bebrillten Ziege, die in unsere Klasse gekommen ist und nun auf deinem Platz sitzt, nicht behaupten kann. Das ist so eine superschlaue Streberin mit der niemand etwas anfangen kann. Sie trägt die doofsten Klamotten und erzählt tatsächlich überall herum, daß sie einmal Professorin werden will.“

„Tja... da ist wohl Hopfen und Malz verloren.“ Alexandra lächelte verschmitzt. „Wenn du schon ein Pferd hast warum setzt du dich nicht drauf?“ „Du machst wohl Witze. Kannst du etwa reiten?“ „In Kasachstan lernen alle reiten, naja, Anja kann nicht viel weil sie zu klein war als wir weggingen. Pferde hat auch fast jeder.“ „Und dort seit ihr weggegangen?“ Katrins Augen weiteten sich ungläubig. „Das haben unsere Eltern so entschieden. Zu essen gab es halt nichts und sonst auch nicht viel. Daß wir die Pferde nicht mitnehmen konnten, ist jammerschade. Soll ich dir zeigen wie das mit dem Reiten geht?“

Katrin nickte und Alexandra versuchte, die Mine einer Pferdeexpertin aufzusetzten. „Das ist ein braver Kerl. Der schmeißt einen nicht runter." Sie musterte das Pferd streng. „Ich wette aber daß der wenn es drauf ankommt rennen kann wie der Teufel. Ja, er sieht aus wie ein richtiges Rennpferd. Bestimmt ist der Hengst ziemlich wervoll. Hilf mir, Katrin.“ „Das will ich sehen wie du ohne Sattel und Zügel zurechtkommst.“ Sattel brauche ich für den keinen.“

Alexandra zog eine Schnur aus der Hosentasche und befestigte sie an der anderen Seite des Halfters. „Jetzt halte mein Bein fest.“ Schon saß Alexandra auf dem Pferderücken. „Halt mal, du Angeberin.“ Anja zupfte an Alexandras Hosenbein. „Ich will auch reiten.“

Alexandra kümmerte sich nicht um sie. „Hier ist das Gas,“ rief sie und klopfte mit den Fersen gegen den Pferdebauch. Das Pferd rollte mit den Augen und setzte sich unwillig in Bewegung. „Hat jemand ein Stöckchen für mich?“ Anja brach eine Rute aus einem Strauch und reichte sie Alexandra. Die zog an der Schnur und dem Gürtel und das Pferd blieb stehen. „Das ist die Bremse“, rief sie. Dann zog sie dem Pferd den Kopf einmal auf die eine und einmal auf die andere Seite. „So reitet man Kurven.“ Alexandras Großspurigkeit ging offenbar nicht nur Katrin auf die Nerven, denn als er mit dem Stöckchen kräftig Gas geben wollte, machte das Pferd einen großen, ungelenken Satz nach vorne, Alexandra kippte vornüber und purzelte herunter. Das Pferd blieb nach ein paar Metern stehen und blickte sich um. Es schien tatsächlich zu grinsen, falls es so etwas bei Pferden gab.

„Du verstehst garnichts von Pferden.“ Anja freute sich unverhohlen. „Wenn du nett bist zu dem Pferd läßt es dich auch reiten. Jetzt darfst du Angeberin nicht einmal heulen. Komm, laß mich mal rauf. Katrin, ich bin sicher, das ist ein liebes Pferd, aber man darf es nicht ärgern.“ Alexandra biß die Zähne zusammen und half Anja auf das Pferd. Die Schnur war längst zerrissen, also mußten sie das Pferd an Katrins Hosengürtel führen. Es folgte ihnen artig.

„Das ist ein richtiges Prachtpferd,“ meinte Anja nach einer Weile. „Können wir es nicht behalten, wenigstens so lange bis sich der Besitzer meldet. Was will schon die Polizei mit dem Pferd? Sollen sie es vielleicht als Ersatzpolizeipferd nehmen? Ich meine, es genügt, das Pferd bei der Polizei zu melden und dann können wir das Pferd so lange behalten,bis der Besitzer es abholt.“

„Du bist vielleicht lustig. Willst du das Pferd nachts mit ins Bett nehmen oder soll es in meinem Zimmer schlafen?“, moserte Alexandra. „Was mache ich, wenn es auch noch schnarcht? Nein, wir haben hier keinen Platz hier für ein Pferd. Katrin, hast du einen? Nein?“ Katrin schüttelte den Kopf.

„Ich habe da eine Idee.“ Anja tat geheimnisvoll. „Katrin, willst jetzt nicht reiten?“ Das Aufsitzen klappte nicht gleich beim ersten Versuch weil Katrin puddingweiche Knie bekam als sie auf das Pferd sollte, aber schließlich saß sie oben. Sie streichelte den Pferdehals und fühlte sich großartig. „Raus mit der Sprache,“ sagte sie dann. Was hast du vor, Anja?“

Anja strahlte. „In ein paar Minuten kommen wir aus dem Wald und dann kannst du schon unser Haus sehen. Wir haben eine wunderschöne große Garage, viel zu schön für ein Auto. Die räumen wir aus und quartieren das Pferdchen dort ein, nur über Nacht, versteht sich. Tagsüber kann es auf den Rasen. Dort ist zwar nicht viel Futter, aber ich denke, wir können es auch an die Nachbarn verleihen. Hej, wißt ihr was? Wenn das klappt braucht niemand mehr Rasen zu mähen. Vielleicht bekommen wir auch etwas dafür wenn wir das Pferd verleihen und davon kaufen wir mehr Futter. Zur Zeit liegt ein großer Beutel Möhren in unserem Kühlschrank. Den kann es schon mal zum Abendessen verputzen. Was meint ihr?“

„Gar nicht so dumm.“ Alexandra dachte angstrengt nach. „Ob das mit den Nachbarn hinhaut kann ich nicht sagen, aber das mit der Garage ist eine feine Idee.“ „Müßt ihr nicht zuerst eure Eltern fragen?“ wunderte sich Katrin. „Ja, schon. Unsere Eltern mögen Tiere und gehen sicher nicht gleich die Wände hoch bloß weil mal ein herrenloses Pferdchen in ihrer Garage übernachten soll. Vielleicht mault unser Vater ein wenig weil er sein Auto draußen abstellen muß. Er hat allerdings Spätschicht und kommt heute abend nicht vor halb elf.“, meinte Alexandra. „Bis dahin können wir in aller Ruhe die Garage ausräumen und das Pferd einquartieren. Dann heften wir einen Zettel an das Tor, damit er gewarnt ist und das Tor vorsichtig aufmacht.“

Schweigend hingen die drei ihren Gedanken nach. „Dort ist unser Haus!“ rief Anja als sie den Wald verließen. „Gleich das letzte Haus am Ende der Straße. Mit dem Pferd sollten wir besser da vorne auf der Streuobstwiese bleiben bis alles geritzt ist. Alexandra, es macht dir sicher nichts aus, alleine loszugehen und Mutter zu fragen.“

Alexandra kehrte schon wenig später mit einem Rucksack zurück. „Immer der gleiche Zores mit den Erwachsenen,“ schimpfte er als er sich zu den Mädchen ins Gras setzte. „Sie sagt, daß es alleine schon wegen dem Vermieter nicht geht.“ Anja zuckte mit den Achseln. „Vater will uns in ein paar Jahren ein Haus bauen.“ „So lange können wir nicht warten.“ meinte Katrin, „Was hast du in dem Rucksack, Alexandra?“ „Och, ich habe ein paar nützliche Sachen eingesackt für den Fall daß die Sache länger dauert und wir vielleicht sogar über Nacht fortbleiben müssen. Vor allem habe ich etwas zu essen dabei.“ Er zog einen Beutel angetrockneter Semmel aus dem Rucksack und reichte ihn den Mädchen.

„Glaubst du wirklich, daß sie uns einfach draußen bei dem Pferd übernachten lassen wenn sich die Erwachsen schon wegen der Garage so dämlich anstellen?“ Anja biß ein Stück von dem zähen Brötchen. „Ich glaube langsam daß Katrin recht hat und wir das Pferd bei der Polizei abgeben sollten.“

„Dafür ist er eigentlich zu schade. Wenn ihr einverstanden seit könnten wir versuchen, ihn woanders unterzubringen. Da gibt es einen Mann der mitten im Wald Pferde hat. Den können wir wenigstens fragen.Ein Pferd mehr dürfte ihm nichts ausmachen. Wir müssen nur den Weg, den wir gekommen sind, auf der anderen Seite weitergehen. Hier, damit du deinen Gürtel wiederkriegst.“ Alexandra zog einen Hanfstrick aus dem Rucksack und band ihn anstelle von Katrins Gürtel an das Pferdehalfter.

Das Pferd ließ sich nicht gerne von der Wiese wegführen, aber schließlich folgte es den Kindern artig zurück auf den Waldweg. Wieder ritten sie abwechselnd auf ihm. „Der Weg kommt mir bekannt vor.“ meinte Katrin plötzlich. „Richtig. Den Weg sind wir damals am Wandertag gegangen. Anja und ich sind seither ein paar Mal mit den Fahrrädern hierhergekommen.“ „An die Pferde auf der Lichtung erinnere ich mich auch noch. Kennt ihr den Mann, dem die Pferde gehören?“ „Nicht direkt,“ gab Alexandra zu.

„Alexandra wollte immer fragen, ob sie mal auf einem Pferd reiten durfte, hat sich dann aber doch nicht getraut.“ platzte Anja heraus, „Typisch!Und dann faselt meine große Schwester immer etwas von einer Keltenfestung, aber ich kann nichts entdecken wo sie angeblich sein soll. Die gibt es garnicht!“ „Gibt es wohl! “knurrte Alexandra. „Katrin weiß es auch und so bald wir das Pferd untergebracht haben werden wir es dir beweisen. Wenn ihr sowiso alles besser könnt dürft ihr ruhig schon vorlaufen und versuchen, die Sache mit dem Pferd zu regeln. Wir sind fast da, also runter vom Pferd, Schwesterherz!“

Tatsächlich sahen sie gleich vier Pferde auf der Waldwiese grasen. Dicht an den Waldrand gedrückt gab es einen flachen Pferdestall und ein kleiner grauhaariger Mann mistete die Pferdeboxen. Vor Lachen war er fast vom Misthaufen gekippt als Katrin ihm erzählte, wie sie das Pferd gefunden und eingefangen hatte und daß sie nun eine vorläufige Bleibe für das Pferd suchten.

„Das Pferd kann vorerst hierbleiben,“ meinte er, „und die Polizei könnt ihr auch von hier aus verständigen. Vielleicht können wir den Besitzer sogar selbst ausfindig machen.“ Er stieg vom Misthaufen um sich das Pferd genauer anzuschauen. „Wißt ihr, so arg viele Pferde gibt es nicht in der Gegend und diese Narbe erkennt wahrscheinlich ein Tierarzt oder Schmied wieder.“ Er zeigte auf einen bogenförmigen Haarkranz auf der Pferdebrust, wischte seine Finger an seiner ohnehin ziemlich schmutzigen Arbeitshose ab und zog ein Funktelefon aus der Hosentasche.

„Ein Brandzeichen vom Zuchtverband hat es auf dem Schenkel und eins auf dem Hals. Fragen kann man überall mal. Die wichtigsten Nummern habe ich einprogrammiert. Euer Findelpferd könnt ihr vorerst in eine Box bringen. Gebt ihm ruhig auch etwas Heu zum Knabbern.“

„Manchmal können Erwachsene ganz in Ordnung sein.“, wisperte Anja kaum hörbar als sie im Stall die Boxentür schlossen. Das Pferd begann zufrieden an dem Heu zu kauen.

Draußen telefonierte der Mann und beschrieb das Pferd. „...ein Goldfuchs mit einer faustgroßen, bogenförmigen Narbe auf der Brust. Dem Brand nach muß sie eine Hauptstutbuchstute sein...“

Eine Stute, eine Stute!“ Anja zwickte ihre Schwester in die Seite. „Da hast du deinen Hengst, du Expertin!“

Alexandras Gesicht lief tomatenrot an. Der Mann telefonierte weiter. „...nicht mehr ganz jung und die Beine sind zumindest vorne auch nicht mehr ganz klar...“ Nanu, konnten Pferdebeine etwa benebelt sein? Eine komische Ausdrucksweise war das. Sie beschlossen, ihn zu fragen. „Der Schmied weiß nichts.“, sagte der Mann, nachdem er das Telefongespräch beendet hatte. „Und wenn jemand sagt, daß ein Pferd keine klaren Beine hat heißt das nichts anderes als dass eine Krankheit oder Überanstrengung Spuren an den Pferdebeinen hinterlassen haben. Dieses Pferd hat sich vermutlich im Sport eine Sehnenerkrankung zugezogen und die Sehen an den Vorderbeinen sind etwas dicker geblieben als sie von Natur aus sein sollten.“

„Hurra, ein Turnierpferd!“ jubelte Katrin.

„Ein ehemaliges,“ schmunzelte der Mann. „die Zeiten scheinen für das Pferd vorbei zu sein. Der Besitzer hält es nun wahrscheinlich als Spazierreitpferd oder als Zuchtstute. Es gehört übrigens ziemlich Schneid dazu ein fremdes freilaufendes Pferd einzufangen.“

Siedendheiss fiel Katrin ein, dass sie sich noch nicht vorgestellt hatten, das holte sie nun nach. „Mich nennt man Werner den Scheich,“ erklärte der Mann dann, wegen der Araberpferde hier.“

Araberpferde! Die Kinder ließen ihre Blicke über die Rücken der auf der Wiese grasenden Pferde schweifen. Das waren also vier der berühmten Rassepferde aus dem Orient.

„Jetzt sollten wir mal bei den Tierärzten nachhören, ob sie unser Pferdchen kennen.“ Wieder wählte er eine Nummer. Die Frau am Telefon erklärte, daß der Tierarzt gerade mit einem Notfall beschäftigt sei und bat ihn, später nochmal anzurufen. „Macht nichts.“ murmelte Werner, als er das Gespäch beendet hatte. „Wir haben noch drei Großtierärzte in der näheren Umgebung.“ Schon wählte er die nächste Nummer und diesmal bekam er gleich die Tierärztin an den Apparat. Er beschrieb noch einmal das Pferd und dann wurde es still. „Scht!“ zischte er gerade als Alexandra etwas sagen wollte. „Hat jemand etwas zu schreiben?“ Alexandra kramte einen kurzen Bleistift und einen knitterigen kleinen Notitzblock aus seinem Rucksack und reichte beides Werner. Der notierte ungelenk einige Ziffern, bedankte sich und beendete das Gespräch. Im Stall wieherte das Pferd.

„Wahrscheinlich gehört das Pferd zwei jungen Damen die einen Stall am Rande des Grotinger Industriegebietes gepachtet haben. Da wollen wir gleich mal nachfragen.“ Die Kinder jubelten als Werner die Ziffern in sein Telefon tippte. Lange meldete sich niemand.

„Vielleicht sind sie nicht da weil sie ihr Pferd suchen müssen.“, wisperte Anja.

Schließlich begann Werner zu sprechen.“Hier sind drei Kinder, die ein herrenloses Pferd im Wald gefunden haben. Vermissen Sie eine Fuchsstute mit zwei weißen Hinterfüßen...“

„Jaaa!“, rief jemand durch das Telefon so laut, daß es die Kinder deutlich hören konnten. Werner beschrieb das Pferd genauer und wollte gerade den Weg zu seinem Stall beschreiben, als Katrin an seinem Ärmel zupfte. „Hier ist die junge Dame, die das Pferd eingefangen hat“ sagte er und gab Katrin das Telefon.

Zitternd vor Aufregung began Katrin zu sprechen. „Hallo, hier ist Katrin Meisner.“Ihr Herz klopfte bis zum Hals. „Ja, ich habe Ihr Pferd eingefangen und mit meinen Freunden hierher gebracht.“ Sie schluckte.“Wenn Sie nicht zu weit weg wohnen können wir das Pferd sicher auch zu Ihnen bringen.“

„Wunderbar!“ freute sich die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. „Wir würden es normalerweise sofort abholen, wissen aber nicht, wo und wie wir einen Pferdestall mitten im Wald finden sollen. Wahrscheinlich sind wir wirklich nicht weit weg, aber...“

„Natürlich bringen wir Ihnen Ihr Pferd.“ Katrin hüpfte vor Freude. „Sagen Sie mir nur, wie wir Sie finden.“

„Moment mal!“ Werner nahm Katrin den Hörer aus der Hand. „Die Kinder meinen es gut, aber das alles hat sicher Zeit bis morgen. In einer Stunde wird es dunkel und die Kinder sollen um diese Tageszeit nicht unbedingt alleine im Wald umherirren. Das Pferd kann hier ruhig über Nacht in der Box bleiben und morgen sehen wir weiter. Es scheint sich wohl hier zu fühlen.“

Wieder wieherte das Pferd und begann, mit den Hufen gegen die Boxentür zu klopfen. „Wir müssen nach dem Pferd schauen,“ flüsterte Anja, „vielleicht hat es irgendwas.“ Ehe jemand noch etwas sagen konnte, begann es im Stall zu rumpeln, die Boxentür quitschte und das Pferd schlenderte friedlich aus dem Stall heraus! Werner konnte das Telefonat kaum schnell genug beenden.

„Schnell! Das Hoftor zu sonst ist das Pferd weg!“ rief er und die Kinder stürzten zum Tor. Laut scheppernd fiel es zu, aber das Pferd wollte ohnehin nicht zum Tor laufen. Es trottete zur Weide, senkte seinen Kopf und begann zu grasen. „So ein schlaues Luder.“, brummte Werner, nahm ein paar Führstricke von einem Nagel an der Stallwand und warf jedem Kind einen Strick zu. „Kein Wunder, daß dieses Pferd alleine spazieren geht wenn es Boxentüren öffnen kann.“ Einen Strick behielt er und näherte sich langsam dem Pferd. „Mal sehen, wer nun das Pferd einfängt.“ Gerade als er nach dem Pferdehalfter greifen wollte trat es einen Schritt zur Seite, lief ein paar Meter in Alexandras Richtung und begann erneut zu grasen. Als Alexandra ihm zu nahe kam drehte es ihm die Kehrseite zu und lief weiter auf die Wiese.

Längst waren Werners Pferde neugierig geworden und kamen langsam näher. „Wir sollten die Pferde nicht zusammen lassen.“ meinte Werner. „Meine können recht unfreundlich zu fremden Pferden sein und wie sich dieses Pferd mit anderen verträgt weiß niemand. Auf jeden Fall müssen wir eine Prügelei unter den Pferden vermeiden.“ Er zog eine zusammengeknüllte Plastiktüte aus der Hosentasche und nahm ein Stück trockenes Brot heraus. Das Pferd spitzte die Ohren. „Versuchen wir es mal so.“ Werner hielt dem Pferd die Brotkrumme hin. Zögerlich hob es seinen Kopf, schnupperte an Werners Hand und ließ die Brotkrumme vorsichtig zwischen seinen Lippen verschwinden. Hast du noch eins, schien es zu fragen während es kaute. Flugs klinkte Werner den Strick an das Halfter, gab dem Pferd noch ein Stück Brot und führte es zum Stall.

„Jetzt haben wir ein Problem.“ meinte er. „An diese Boxentüren kann ich kein Schloß hängen und ich will nicht riskieren, die Pferde über Nacht einfach zusammen zu lassen.“

„ Wir müssen das Pferd also doch heute noch zurückbringen“, freute sich Katrin. „Normalerweise müßte ich meine Pferde zuerst in ihre Boxen bringen und versorgen, aber es ist besser, wenn wir das Tageslicht so gut wie möglich nutzen und uns gleich auf den Weg machen. Ich komme natürlich mit euch.“ Er gab Katrin den Führstrick und telefonierte noch einmal mit den Besitzern ehe sie aufbrachen. Das Pferd wendete noch einmal seinen Kopf und wieherte Werners Pferden zu ehe sie wieder in den Wald kamen, doch die anderen Pferde kümmerten sich nicht darum.

Es war gut, Werner bei sich zu haben auch wen er nicht zuließ, daß die Kinder wieder auf den Pferderücken kletterten. Er erklärte einige Tricks, auf die es beim Pferdeführen ankam, „... etwas Abstand halten...das Pferd nicht so weit vorlaufen lassen...und nie, nie den Strick um die Hand wickeln!“ Er hatte schon so viel mit Pferden und Menschen erlebt, daß sie vermutlich tagelang mit ihm unterwegs sein konnten ohne eine seiner Geschichten zweimal zu hören. Schnell voran kamen sie nicht weil Werner ein künstliches Hüftgelenk hatte, „Deswegen reite ich nicht mehr. Ich habe Glück, daß ich überhaupt wieder so beweglich geworden bin nach der Operation. Ich muß nicht reiten. Ich halte Araberpferde, weil sie für mich die schönsten Pferde der Welt sind. Das genügt.“

Werners Pferde waren wirklich schön, aber je länger Katrin darüber nachdachte, desto sicherer war sie, daß sie alle Pferde schön fand. Anja hatte trotz allem den Nerv, nach der Keltenfestung zu fragen obwohl es bereits dämmerte und das Licht im Wald besonders schnell schwand.

Als sie das Industriegebiet erreichten war es schon fast völlig dunkel. Die beiden Besitzerinnen, zwei quirlige Schwestern, liefen ihnen entgegen und Katrin mußte gleich noch einmal erzählen, wie sie das Pferd eingefangen hatte. „Ihr seht ziemlich jung aus.“, meinte Birgit Reichert, „am Telefon hast du älter geklungen. Wie alt seit ihr?“ „Dreizehn.“ antworteten Katrin und Alexandra fast gleichzeitig. „Ich werde nächsten Monat zehn!“ Anja hüpfte von einem Bein auf das andere. „Meine Schwester ist den ganzen Tag vergeblich in der Gegend herumgefahren seit wir wußten, daß Florifina abgehauen war und nun kommt ihr Kinder und habt sie eingefangen. Das ist wirklich allerhand.“

„Ich mag Pferde sehr,“ Katrins Herz klopfte plötzlich wieder bis zum Hals, „und am liebsten möchte ich selbst reiten können.“

„Ich auch! Ich auch!“ riefen Anja und Alexandra. „Na sowas! Wer Pferde einfangen kann soll auch reiten können.“ Birgit Reichert grinste schelmisch. "Da sollte sich wohl etwas machen lassen. Ob ihr nochmal wiederkommen wollt brauche ich wohl nicht zu fragen.“

„Wir sollten jetzt erst einmal den Eltern erklären, was ihre Kinder heute fertig gebracht haben und sie dann heimbringen.“ Wieder zückte Werner sein Telefon. „Florifina ist das liebste Pferd von der Welt!“ Anja kicherte und versuche Florifinas Hals zu umarmen.



II. Die Pferdesammlung

Mühsan versuche Katrin ihre Gedanken zu ordnen als sie auf der Landstraße nach Grotingen radelte. Seit sie Florifina im Wald gefunden hatte war genau eine Woche vergangen. Birgit und Sabine Reichert waren ausgesprochen nett. An jenem Abend waren sie alle noch mit zwei alten ausgebeulten Autos zu Werners Stall getuckert und hatten im Mondlicht Werners Pferde von der Weide geholt. Es gab keinen Strom in Werners Stall, also mußten sie die Pferde im Taschenlampenlicht versorgen. Katrins Mutter hatte sich bereits Sorgen gemacht und bedankte sich herzlich dafür, daß Katrin nach Hause gebracht wurde. „Keine Ursache,“ meinte Birgit, „dafür hat sie unser Pferd nach Hause gebracht.“

Dummerweise fragte Katrin ihre Mutter nicht gleich im Beisein der beiden Schwestern, ob sie reiten lernen durfte, sonst hätte ihre Mutter vielleicht anders reagiert. Als sie das Thema am Samstagmorgen anschnitt war ihre Mutter von der Idee nicht gerade begeistert. „Damit fangen wir gar nicht erst an. Reitstunden sind teuer und Pferdehaltung ist teuer, für uns bis auf weiteres zu teuer. Niemand hält Pferde um sie dann kleinen Mädchen zur Verfügung zu stellen. Wir können nocht erwarten, daß sie dich mehr ale ein oder zweimal ohne Bezahlung auf ein Pferd setzen. Dann ist die Enttäuschung umso größer wenn du aufhören mußt.“

Katrins Betteln nützte nichts. „Diesen Floh hat dir sicher diese Julia Binder ins Ohr gesetzt. Julia Binders Eltern haben ein Geschäft geerbt, da kommt ordentlich Geld zusammen. Dein Vater zieht es vor, in einer Kneipe auf Ibiza zu jobben und meldet sich bestenfalls zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Ich kann in dem Frisiersalon schuften wie ich will, für exklusive Hobbies ist einfach kein Geld drin.“ Katrins Mutter schloß ihre Tochter in die Arme. „Manchmal möchte ich mir auch etwas ganz besonderes leisten, aber es geht einfach nicht, obwohl ich immer wieder sehe, daß andere Frauen ihr Geld für die unsinnigsten Sachen scheinbar wie nichts aus dem Portemonaie schütteln. Es hilft nichts. Du wirst mit dem Reiten warten müssen bis du erwachsen bist und selbst Geld verdienst.“ Dabei hatten Birgit und Sabine den Kindern eingeschärft, daß ihre Eltern unbedingt einverstanden sein mußten wenn die Kinder öfters zum Stall kämen.

Katrin radelte am Montagnachmittag trotzdem zum Pferdestall. Sabine Meisner putzte gerade einen Sattel als Katrin eintraf..“Das muß auch erledigt werden und vieles andere mehr.“ meinte sie, legte aber ihr Arbeitszeug beiseite und ging mit Katrin zu den Pferden auf die Weide. Florifina graste unbeeindruckt von Katrins Besuch im hohen Gras. Ob sie sich an Katrin erinnerte ließ sie sich nicht anmerken. An ihrer Seite graste Joschi, ein älterer Norwegerwallach. „Joschi war unser erstes Pferd. Auf ihm haben wir reiten gelernt. Jetzt ist er sechsundzwanzig Jahre alt und wir haben ihn seit fast zehn Jahren.“ Joschi hob seinen Kopf und schnupperte an Silkes Hosentaschen. „Nein, keine Leckerli!“ Sie kraulte Joschis Stirn, er wackelte mit den Ohren und graste weiter. „Er versucht es immer wieder und oft genug bekommt er was er möchte. Florifina liebt er ganz verrückt.“

„Warum ist Florifina weggelaufen?“ Sabine hockte sich ins Gras. „Florifina sollte nächstes Jahr ein Fohlen bekommen.“ Ihre Stimme klang ein wenig verschwörerisch. „Deswegen haben wir sie letzten Donnerstagabend zum Hengsthalter gebracht und schon am Freitagmorgen kam ein Anruf daß Florifina ausgebüxt sei.“

„Hatte sie Heimweh nach Joschi?“

„Florifina büxt bei jeder Gelegenheit aus. Was dabei in ihrem Kopf vorgeht weiß kein Mensch. Die Leute am Hengststall haben wir angefleht darauf zu achten, daß alle Schlösser und Riegel gut verschlossen sein müssen, aber sie haben uns wohl nicht ernst genommen. Florifina war lange Jahre ein Springpferd und sie hat sich wahrscheinlich entsetzlich gelangweilt als sie in der Box stehen mußte. Viel Auslauf bekommen Turnierpferde in der Regel nicht, manche Turnierreiter lassen ihre Sportstars überhaupt nicht auf die Koppel weil sie befürchten daß sich ihre teueren Pferde dort verletzen können. Florifina hat jedenfalls gelernt, sich selbst möglichst viel Auslauf zu verschaffen. Sie ist auch die erste, die spitzkriegt wenn kein Strom auf dem Elektrozaun ist.“

„Schade daß es kein Fohlen von Florifina geben wird.“

„Wir werden versuchen, sie in ein paar Wochen nocheinmal zum Hengst zu bringen. Sie hat eine sehr gute Abstammung und war ziemlich erfolgreich bis irgendwann ihre Beine nicht mehr mitmachten. Wenn sie ein tolles Fohlen bekommt haben wir später hoffentlich einmal ein richtig gutes Pferd im Stall.“

„Das soll doch nicht heißen, daß die anderen Pferde nicht gut sind, oder? Das schwarzgetupfte Pferd drüben ist bestimmt ein Appaloosa. Ist sie nicht ein Superwesternpferd?“

„Joschi ist immer ein wunderbares Reitpferd gewesen, aber er ist inzwischen alt geworden. Die Tigerscheckstute heißt Stella. Sie ist ein Rummelplatzspony und hat uns leid getan, weil sie tagtäglich bei der lauten Musik im Kreis herumtrotten mußte. Deswegen haben wir den Karusellbesitzer gefragt, ob wir sie am Ende der Saison kaufen dürften. Tatsächlich durften wir sie gleich mitnehmen und sie besitzt sogar original dänische Knabstruperpapiere.“

„Das ist ja wie im Traum!“ Katrin legte sich ins Gras.

„Als Reitpferd ist sie weniger traumhaft.“ gestand Sabine. „Sie kann ziemlich eigensinnig sein, egal ob sie einen Westernsattel oder einen englischen Sattel trägt. Sie ist jetzt seit vier Jahren bei uns aber sie hat kaum etwas dazugelernt. Natürlich haben wir auch schon daran gedacht, mit ihr zu züchten, auch wenn wir befürchten, daß sie ihren Dickkopf an ihr Fohlen vererbt. Also haben wir vor zwei Jahren den besten und artigsten Hengst für sie ausgesucht, sind mit ihr Hunderte von Kilometern dorthin gefahren und dann vertrimmt das Luder ihren Kavalier, daß ihm jegliche Lust vergangen ist, sich mit ihr einzulassen. Dann haben wir es für einen Haufen Geld mit einer künstlichen Befruchtung von einem anderen Hengst versucht, aber es hat nicht funktioniert.“

„Schlimm.“

„Ganz so schlimm ist es nicht mit ihr. Immerhin können Birgit und ich zusammen ausreiten seit wir Stella haben und Joschis Kräfte lassen längst nach. Wir haben auch herausgefunden, daß sie ein prima Fahrpferd ist und für sie die Kutsche angeschaft, die du wahscheinlich schon neben der Futterkammer gesehen hast. Sie scheut auch niemals und ist ein absolut liebes Pferd beim Putzen oder beim Führen. Aus irgend einem Grund scheint sie es nicht sehr zu mögen wenn jemand auf ihrem Rücken sitzt und ihr sagen will, wo es lang geht, sonst ist sie das ideale Lehrpferd für jemand mit wenig Pferdeerfahrung.“ Sie schwiegen einen Augenblick lang.

Sabine seufzte. „Piroschka ist ganz anders.“ Gewiß meinte sie die prächtige Apfelschimmelstute, die neben Stella graste.“Ist sie nicht ein wunderbares Pferd?“ Katrin konnte keinen Makel an Piroschka entdecken. „Sie könnte ein wahres Traumpferd sein wenn sie nicht so unberechenbar ängstlich wäre. Sie scheut häufig, kann buckeln und fürchtet sich manchmal vor den unmöglichsten Sachen. Wenn jemand auf ihr sitzt sieht es manchmal so aus, als ob sie ihrem Reiter davonlaufen wolle.“

„Was ist los mit ihr?“

„Wir vermuten, daß sie mißhandelt worden ist, aber wir wissen nichts weil wir sie letztes Jahr vom Pferdemarkt haben. Der Händler behauptet, sie sei eine Mischung aus Araber und Trakehner, sonst wisse er nichts. Wr waren damals zwar auf der Suche nach einem Pferd für Markus, meinen Verlobten, wären aber niemals mit auf den Pferdemarkt gekommen wenn nicht Freunde dort ein Ponyhengstfohlen als Aufzuchtkamerad für ihr Haflingerhengstchen kaufen wollten und unseren Pferdeanhänger brauchten. Das Pony haben sie dann doch nicht genommen, aber wir haben Piroschka gleich eingeladen.“

„Wenige Tage später rief eine Frau bei uns an. Sie sagte, sie habe erfahren, daß wir ein braves Anfängerpferd suchten und behaupte, sie habe genau das Richtige für uns. Ich hätte ihr gleich absagen sollen, aber ich war zu neugierig. Es stellte sich heraus, daß diese Frau Bereiterin in einem kleinen, exklusiven Springstall war.“

„Und dann habt ihr Florifina bekommen, nicht wahr?“ Katrin grinste.

„So einfach war das nicht. Wir hatten keinen Platz für ein weiteres Pferd, und, obwohl wir damals schon die meiste Arbeit rund um die Pferde selbst erledigten, hatten wir auch nicht genug Geld um die Stallmiete für ein weiteres Pferd zu bezahlen. Der Bauer, in dessen Stall die Pferde damals noch standen meckerte zudem ständig an Piroschka herum, weil sie sich von ihm nicht einfangen ließ und weil er im Umgang mit ihr sowiso Schwierigkeiten hatte. Markus, Birgit und ich fuhren trotzdem heraus zu dem Springstall und Florifina gefiel uns auch gut, obwohl sie mit ihren kaputten Beinen wahrschenlich nur mehr für ruhige Spazierritte zu gebrauchen war, und ein paar Monate lang überhaupt nicht mehr geritten werden durfte. Es tat uns allen leid, als wir der Bereiterin sagten, daß wir Florifina nicht nehmen konnten, und sie war traurig, weil sie Florifina besonders in ihr Herz geschlossen hatte. Auf der Heimfahrt redeten wir zum ersten Mal über die Idee, selbst einen Stall und ein paar Wiesen zu pachten, aber wir würden mit Sicherheit nicht schnell genug einen geeigneten Stall finden, um Florifina noch aufnehmen zu können. Florifinas Besitzer drängte nämlich darauf, daß Florifina seinen Stall möglichst bald verlassen sollte weil er den Platz für ein neues turniertaugliches Pferd brauchte.“ Katrin hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie, Alexander und Anja einfach versucht hatten, Florifina zu reiten, ohne sich zu sorgen, ob sie dem Pferd vielleicht
Schaden zufügten, aber das konnte sie Sabine nicht beichten.

„Bei dem Bauern spitzte sich in den nächsten Tagen die Situration zu. Birgit beobachtete eines Nachmittags wie der Bauer Piroschka auf der Matschkloppel in eine Ecke trieb weil sie sich nicht von ihm ans Halfter fassen lassen wollte. Piroschka zitterte vor Furcht und in ihrer Not rannte sie den Bauern über den Haufen als er ihr zu nahe kam. Er hatte außer ein paar blauen Flecken nichts abbekommen, aber er war der Länge nach in den Matsch geflogen und das Erste, was er mir abends an den Kopf warf, war daß Piroschka gefälligst schellstens vom Hof zu verschwinden hätte, sonst wollte er uns alle bis zum Monatsende vor die Tür setzen.“ Sabins seufzte.

„Piroschka war auch ein denkbar ungeeignetes Reitpferd für einen wenig erfahrenen Reiter wie Markus. Er hatte sich damals bereits zweimal unfreiwillig von Piroschka getrennt und wir dachten zunächst daran, Piroschka zu verkaufen. Die Kaufinteressenten, sofern überhaupt welche auftauchten, lachten sich allerdings schlapp über Piroschka und natürlich wollte sie niemand haben, auch nicht für weniger als die Hälfte des Preises, den wir auf dem Pferdemarkt für sie bezahlt hatten. Da unsere Freunde immernoch kein Beistellpony gefunden hatten, überredete Birgit sie, wenigstens vorübergehend Piroschka bei sich aufzunehmen. Am gleichen Abend rief die Bereiterin aus dem Springstall noch einmal an und fragte verzweifelt, ob wir Florifina nicht doch nehmen wollten. Am Morgen danach brachten wir Piroschka zu unseren Freunden und am Abend holten wir Florifina.“

„Der Bauer war bestimmt glücklich als er Florifina im Stall hatte.“

„Anfangs ja. Der Spaß hörte für ihn aber auf als Florifina ihr Talent als Entfesselungskünstlerin offenbarte. Je sicherer wir den Stall und die Koppeln verrammelten desto unfreundlicher wurde er. Auch der Aufenthalt Piroschkas bei unseren Freunden war nur als Notlösung gedacht denn der kleine Hengst würde früher oder später herausfinden, wozu es Stuten gab. Wir waren also heilfroh, als wir erfuhren, daß wir den Stall hier zum Anfang dieses Jahres pachten konnten. Das hier einen Stall zu nennen war allerdings eine ziemliche Übetreibung, es war nichts weiter als eine alte Feldscheune. Wir mußten ein paar Wochen lang hämmern und basteln ehe die Pferde hier einziehen konnten.“

Katrin kam sonst nur selten durch das Grotinger Industriegebiet. Pferde hatte sie hier füher nie entdeckt. „Es ist längst noch nicht alles perfekt.“meinte Katrin und stand aus dem Gras auf. Es gibt noch keine Boxen für die Pferde, wann baut ihr welche?“

„Garnicht.“ Sabine schmunzelte als sie Katrins ungläubige Blicke bemerkte. „Das Tor bleibt auch ständig offen. Unsere Pferde wissen selbst, wann sie in den Stall möchten und wann nicht.“

„Auch im Winter?“

„ Auch im Winter. Wir wollem als nächstes eine Zisterne für das Regenwasser bauen und vor dem Stall einen wetterfesten Auslauf für den nächsten Winter anlegen. Und ich sollte endlich das Lederzeug putzen.“

„Bitte... zeigst du mir, wie das geht?“

Sabine grinste.

„Wann kommt Birgit, oder kommt sie heute nicht?“ wollte Katrin wissen während sie Joschis Trense mit Lederfett einrieb. Sabines Augen zwinkerten schelmisch. „Es wird auf jeden Fall spät bis Birgit hierher kommt.“ Sabine tat so, als sei das Thema abgetan und begann, ein Paar Steigbügelriemen einzuölen aber Katrin bemerkte, daß Sabine sie aus den Augenwinkeln beobachtete.

„Wahrscheinlich hältst du uns für verrückt, Katrin, aber wir brauchen unbedingt noch ein Pferd für Stefan, Birgits Freund. Die beiden sind unterwegs, um sich einen Friesenwallach anzuschauen.“ Natürlich mochte Katrin Friesen. Die Aussicht, bald einen dieser imposanten Rappen in diesem Stall kennenzulernen fand sie großartig. Sie schielte zum Pferdeanhänger. Er stand auf seinem Platz, den Friesen würden sie also frühestens am nächsten Tag holen können.

„Wir können uns natürlich nur einen Friesen ohne Papiere leisten.“ Sabine schnallte die Steigbügelriemen an Stellas Sattel. Sie war zwei Jahre jünger als Birgit,aber wie war größer und kräftiger als sie. Den Sattel hob sie ohne jedes Zeichen von Anstrengung auf seinen Platz und nahm Piroschkas Satttel herunter. Katrin hatte Joschis Sattel ein kurzes Stück getragen und war überrascht, wie schwer er auf ihrem Arm lag. „Ein Friese oder ein Andalusier wäre uns zwar am liebsten, aber diesmal wollen wir ganz bestimmt nur ein durch und durch gesundes und liebes Pferd anschaffen.“ Sabines Stimme klang entschlossen. „Wir lieben zwar alle unsere Pferde mit ihren Macken, aber nun möchten wir endlich einmal ein ganz normales, vernünftiges Pferd haben.“ Dann schwieg Sabine unerträglich lange. „Am Mitwoch kommen deine beiden Freunde mit ihren Eltern vorbei.“, sagte sie als sie mit ihrer Arbeit fast fertig waren, „Wie wäre es, wenn du auch kämst mit deiner Mutter?“ Katrin versprach, sie darum zu bitten.

Das tat sie, aber ihre Mutter blieb hart. Sie wollte nur wissen, welche Berufe Birgit und Sabine hatten. Katrin erzählte, daß die eine bei der Post und die andere im Büro einer Kunststoffabrik im Industriegebiet arbeitete. Ihre Mutter dachte wohl, daß beide irgendwelche tollen Berufe hätten, die ordentlich Geld einbrächten und schüttelte ungläubig ihren Kopf.

Als sie am Mittwoch zum Pferdestall kam, waren Anja und Alexandra bereits damit beschäftigt, Joschi und Stella zu putzen. Herr Adlers herber russischer Akzent war nicht zu überhören als er mit Sabine und den beiden jungen Männer über die Anlage der Zeisterne diskutierte. Frau Adler war eine zierliche, ruhige Person. Alexandra und Anja hatten ihre weichen braunen Haare von ihr geerbt. Sie hatte einen ungewöhnlich süßen Kuchen mitgebracht. Anja fand gleich den Führstrick, den Werner der Scheich an jenem Abend vegessen hatte, an dem sie Florifina nach Hause gebracht hatten. Herr Adler war größer als die beiden jungen Männer und er schien doppelt so kräftig zu sein. Als er einen Holzpfahl mit dem Vorschlaghammer einschlug tat er so als geschehe das ganz nebenbei. Anja und Alexander durften auf Joschi ein paar Runden am Führzügel reiten und schließlich durfte auch Katrin zwei Runden auf Joschi drehen. Katrin erklärte, ihre Mutter käme an einem anderen Tag vorbei.

Auf der Heimfahrt zermarterte sich Katrin den Kopf darüber, wie sie ihre Mutter doch noch zum Pferdestall bewegen könnte. Sie fand keine Lösung und beschloß, ihre Großmutter zu fragen, also radelte sie am Donnerstagnachmittag zu ihrer Großmutter. Überraschenderweise brauchte sie nicht lange zu reden, ihre Großmutter versprach, sich um Katrins Problem zu kümmern. Hoffentlich kommt sie wirklich, fieberte Katrin immer wieder während sie am Freitagnachmittag zum Pferdestall radelte.

Als sie dort um die Ecke bog, fand sie Großmutter bereits am Zaun. „Die Busverbindung von Grotingen hierher ist garnicht schlecht.“, meinte sie während sie Joschi kraulte. „Und da es hier sonst keine Pferde mehr gibt nehme ich an, daß ich den richtigen Stall gefunden habe. Nur von den beiden jungen Damen habe ich noch keine entdeckt. Dort mistet nur ein junger Mann gerade den Stall aus.“ Katrin hätte vor Freude Purzelbäume schlagen können weil ihre Großmutter ihr Versprechen eingehalten hatte. „Der junge Mann heißt Markus und ist Sabines Verlobter. Komm. ich zeige dir die Pferde!“

Es stand kein Friese im Stall. Markus erklärte, das Pferd sei für sie nicht das richtige gewesen und daß Sabine bald kommen sollte. Tatsächlich rumpelte Sabines altes Auto schon in die Hofeinfahrt während sie redeten. „Ich bin die Mutter von Katrins Mutter,“, sagte Großmutter als sie Sabine begrüßte, „und wenn ich meiner Enkelin erlaube, hierher zu kommen wird meine Tochter auch nichts anderes sagen. Sie haben es aber wirklich nett hier.“

„Es muß noch viel verbessert werden,“ meinte Sabine, „die Einfahrt muß zum Beispiel auch befestigt werden.“

Während Sabine und Katrin Großmutter die Pferde zeigten trafen auch Birgit und Stefan ein. Katrins Großmutter lachte leise als sie Birgit und Markus nebeneinander von hinten sah, denn beide hatten ungefähr die gleiche dunkelblonde Haarfarbe und die gleiche Länge, beide hatten ihre Haare mit einem Stoffband zusammengebunden.

Als Katrin sie nach dem Friesen fragte begann Birgit zu schimpfen. „Das soll ein Friese gewesen sein? Unglaublich was sich die Leute einbilden! Ein gewöhnlicher Ackergaul war das, schlecht gefüttert und bissig obendrein.“

„Unsere Mädels machen Fortschritte,“ meinte Markus. „sie sammeln nicht mehr jedes Pferd für unseren Stall.“

„Denkste!“ Birgit stemmte ihre Arme in die Hüften. „Demnächst wird es endlich ein brauchbares Reitpferd in diesem Stall geben!“ Das war das Stichwort für Großmutter um Birgit und Sabine darum zu bitten, Katrin einmal auf ein Pferd zu setzen. Stella wurde geputzt und gesattelt und als Katrin oben saß zog ihre Großmutter einen Fotoapparat aus der Handtasche. „Die lassen wir gleich entwickeln und dann bringst du sie deiner Mutter.“, sagte sie ehe sie auf den Auslöser drückte. Großmutter knipste auch die anderen Pferde, den Stall, die Weiden und die vier jungen Leute. Sie verabschiedete sich bald, weil sie ihren Bus nicht verpassen wollte.

Ehe Katrin ging fragte Birgit sie, ob sie nicht am Samstagnachmittag wiederkommen wollte. „Wenn es nicht gerade in Strömen regnet wollen wir Kutsche fahren.“,verriet sie, „Alexander und Anja kommen auch.“

Am Samstag konnte Katrin kaum das Ende des Mittagessens abwarten ehe sie sich wieder auf den Weg zum Pferdestall machte. Anja und Alexander waren schon dort und putzten Stella. Birgit zeigte ihnen, wie ein Kutschpferd angeschirrt und eingespannt werden sollte. Katrin fand das Lederzeug am Fahrgeschirr ziemlich verwirrend und umständlich, aber Birgit behauptete, daß jeder Riemen seinen Zweck habe und daß sich die Kinder bald an alles gewöhnten. Stella sah prächtig aus als Kutschpferd! Leider hatte die Kutsche nur zwei Plätze vorne und die Sitzbank hinter dem Kutschbock war ursprünglich auch nur für zwei Personen gedacht. Die Kinder zwängten sich auf die Sitzbank, und als Sabine Werners Führstrick vom Wandhaken nahm, ahnte Katrin, wohin die Fahrt gehen sollte. Sabine warf Alexandra eine Plastiktragetasche zu, sprang auf den freien Sitz vorne, Birgit nahm die Leinen auf und los ging die Fahrt.

Stella konnte wirklich gut ziehen. Der holperige Feldweg zum Wald verlief immer leicht bergauf, aber sie ließ sich nicht anmerken, daß der Wagen nun deutlich schwerer zu ziehen war als auf den asphaltierten Straßen in der Ebene. Alexandra schielte immer wieder in die Plastiktasche. Sie enthielt ein kleines Geschenkpäckchen, aber es war zu gut verpackt um zu verraten, was es enthielt. „Nun wollen wir einmal sehen, ob wir den Weg zu unserem hilfsbereiten Freund auch bei Tageslicht finden.“ Birgit hob die Fahrpeitsche ein wenig und Stella spitzte die Ohren, dann stapfte Stella durch die Pfütze auf dem Weg am Waldrand.

„Bis jetzt sind wir goldrichtig.“ Anja lehnte sich zurück. „Und wenn Katrin und meine Schwester oben auf dem Berg etwas von einer Keltenfestung faseln, glaubt ihnen nichts. Da gibt es nichts.“

„Wir hätten nichts gesagt wenn du nicht wieder davon angefangen hättest. Wir sind schließlich nicht deswegen unterwegs.“ Alexandra knüllte die Plastiktasche unter den Arm. „He, mach nichts kapputt. Das mit dieser dämlichen Festung ist bloß so eine von den blöden Geschichten, die die Großen erzählen um Kinder zu verulken. Ihr wißt doch, daß es dort nichts gibt, oder?“ Anja tippte an Birgits und Sabines Schultern. „Ich interessiere mich ohnehin nicht für alten Krempel.“, meinte Sabine nur und die anderen schwiegen.

„Ich habe schon von dem Dingsda auf dem Berg gehört.“, meinte Birgit schließlich. „Was spricht dagegen, dort oben nachher kurz Halt zu machen und uns einmal umzuschauen wenn wir nicht zu spät dran sind? Unsere Kids scheinen sich auszukennen.“ „Na also.“ Anja war zufrieden.

Bald erreichten sie Werners Stall. Werner beteuerte, daß er sich über den unverhofften Besuch sehr freute, aber er wirkte merkwürdig reserviert. Er bewunderte Stella und er zeigte ihnen seine Pferde. Die Chefin seiner kleinen Pferdefamilie war die alte Aysha, eine zierliche Fliegenschimmelstute. Sie war die Mutter von der Fuchsstute Lysia und von Amira, einer hochbeinigen hellbraunen Stute, die schon viele Preise auf Araberschauen gewonnen hatte. Die Jüngste war Amiras Tochter Zinaida, eine zweijährige kleine Rappstute. „Aus ihr wird wohl ein Schimmel“, meinte Werner und deutete auf die grauen Haare in Zinaidas Schweif. „Jedes Jahr wird ihr Fell mehr graue und weiße Haare bekommen und in einigen Jahren wird sie schneeweiß sein.“

Als Werner sich abwandte bemerkte Katrin Alexandras fragende Blicke. „Was ist heute mit ihm los?“, wisprte sie kaum hörbar.

Sabine gab Werner den Führstrick und das Geschenk. Er bedankte sich und hielt das Päckchen ein wenig ratlos in den Händen, dann faltete er vorsichtig das Papier auseinander. Zum Vorschein kam ein Kästchen mit dem chromglänzenden Relief eines Pferdekopfes. „Das ist für Ihr Auto gedacht.“ Sabine lächelte. „Hilfsbereitschaft ist leider nichts Selbstverständliches und wir freuen uns sehr, daß Florifina dank Ihrer Hilfe gut nach Hause gekommen ist.“

Werners Lippen bewegeten sich, dann drehte er sich um und brachte sein Geschenk zum Auto. „Ich habe mich wahrscheinlich getäuscht.“, meinte er, als er zurückkam.

„Warum?“

Er richtete sich auf. „Ich dachte, die Kinder hatten etwas damit zu tun. Als ich vorgestern morgen hierherkam, war die Haupttür aufgebrochen, sehen Sie?“ Er wies auf auf die Holztür. Einige derbe Kratzer waren an der Türkante zu erkennen. „Jemand hat das Schloß aufgehebelt und hat dann in der Sattelkammer gewütet.“

„Ist viel gestohlen worden?“ Birgit war sichtlich beunruhigt. „Glücklicherweise nein. Die Sättel sind noch alle da, die Trensen, das Elektrozaungerät und ein paar spezielle Sachen haben sie auch nicht angerührt. Komischerweise fehlt bloß eine Spitzhacke, ein paar Schaufeln und solcher Kram. Vielleicht habe ich auch nicht alles bemerkt, weil alles in der Sattelkammer so gründlich durcheinandergeschmissen war. Den ganzen Morgen habe ich zum Aufräumen gebraucht und dann habe ich auch ein neues, besseres Schloß eingebaut, aber ich fürchte, sie können es auch knacken. Wirklich, weil nicht viele Leute meinen Stall kennen dachte ich, die Russen stecken dahinter.“ Er schielte verlegen zu Anja und Alexandra, und als Katrin in Alexandras Gesicht blickte, fühlte sie, daß Werners Worte ihn wie Messerstiche trafen. Alexandra schwieg.

„Bei unserem Stall wohnt niemand in der Nähe.“ Sabine strich über das neue Türschloß. „Tagtäglich kommen an unserem Stall erheblich mehr Leute vorbei als hier in einer ganzen Woche. Was sagt denn die Polizei zu diesem Schlamassel?“

„Nicht viel,“ brummte Werner.

“Das können keine Pferdefreunde gewesen sein!“, platzte Anja heraus. „Pferdefreunde hätten sicher die Pferdesachen mitgenommen.“

„Die Leute hatten wahrscheinlich irgendetwas anderes in dem Gebäude vermutet, vielleicht Werkzeugmaschinen, die sie irgendwo verscherbeln wollten.“

Birgits Hände glitten über einen Sattel. „Die Kleine hat recht. Die Gauner kannten sich nicht mit Pferden aus sonst hätten sie so einen schönen Sattel bestimmt mitgenommen.“

„Die Sättel wären nicht hier wenn nicht meine Tochter von Zeit zu Zeit zum Reiten käme. Wahrscheinlich sollte ich sie besser zuhause aufbewahren, aber meine Frau mag den Geruch von Pferdeschweiß nicht in der Wohnung. Über die Einbrecher hat die Polizei auch so etwas ähnliches gesagt. Sie haben auch gesagt, daß ich versuchen soll, meinen Stall besser abzusichern. Dazu muß ich mir erst noch etwas einfallen lassen.“ Er seufzte. „Es tut mit wirklich leid, daß angenommen hatte, die Kinder hätten etwas mit dem Einbruch zu tun. Sie sind mir natürlich willkommen.“ Alexandra blickte zu Boden.

Auf der Heimfahrt blickte Katrin zurück ehe sie in den Wald hineinfuhren. Sie sah, wie Werner gerade einen Sattel in seinem Auto verstaute.

Niemand sagte ein Wort. Stellas rhythmischer Hufschlag klang dumpf auf dem Waldboden und die Holzräder ächzten. „Wollte nicht jemand uns zu dieser antiken Festung führen?“ Da Sabine vorhin noch behauptete, sich nicht für alten Krempel zu interessieren nahm Katrin an, daß Sabine die bedrückende Stimmung nicht mehr ertragen wollte.

„Wir sind schon zu weit.“, sagte Katrin. „Wir hätten vor ungefähr zehn Minuten abbiegen sollen um zun Keltenhügel zu kommen.“

Birgit gelang es mit Stella eine mustergültige Wendung auf einer breiteren Stelle des Waldweges zu fahren. Nach dem Abbiegen wurde der Weg ziemlich tief und ausgefahren. Stella begann zu schwitzen. „Wenn wir nicht bald da sind heißt es ausssteigen und zu Fuß gehen.“ Birgit drehte sich um. „Ich mag dem Pferd den schweren Boden nicht mehr lange zumuten.“

„Da oben ist es schon.“, sagte Alexandra tonlos.

„Habe ich nicht recht gehabt?“ Anja schien ihre gute Laune wieder zu finden. „Hier gibt es nichts. Die Großen können einen nach Strich und Faden vergackeiern.“

„Ich kann auch absolut nichts erkennen.“ Sabine blieb bei der Kutsche und hielt Stellas Fahrleinen.

„Was erwartet ihr? Das Dingsda soll vor mindestens zweitausend Jahren hier gestanden haben und nicht gestern. So habe ich es jedenfalls irgendwo gelesen.“ Suchend blickte Birgit sich um. Das Wetter war an jenem Tag trübe und die alten Bäume ließen ohnehin wenig Licht auf den Waldboden.

„Die Hubbel da drüben sollen die Reste von einem großen Schutzwall sein.“ Alexandra zeigte auf die Konturen einer breiten Bodenwölbung.

„Und wenn es hier nichts gäbe hätte niemand versucht, hier zu graben.“ Birgit stocherte mit ihren Stiefelspitzen im durchwühlten Waldboden.

„Kann nicht sein. Unser Geschichtslehrer hat gemeint, daß das Land absolut kein Geld für Ausgrabungen zur Verfügung stellen will.“ Alexander kickte einen Tannenzapfen von einem moderigen Baumstumpf. Katrin blickte auf den zerwühlten Waldboden. Sie konnte sich nicht recht auf die Diskussion ihrer Freunde konzentrieren. Sie fand das Gefühl widersinnig, aber sie fühlte sich beobachtet. Sie versuchte durch das Gewirr dicker Baumstämme zu blinzeln und stellte mit Erleichterung fest, daß sie sich offenbar getäuscht hatte. „Da oben waren sicher bloß die Wildsäu.“, rief Sabine. „Es wird Zeit für den Heimweg.“

Sie hatten Stella längst ausgespannt und abgeschirrt, die Wasserkübel für die Pferde waren aufgefüllt und die Hofeinfahrt gefegt. Sabine, Birgit und Markus kontrollierten den Zaun als Alexandra und Anja angeregt auf russisch diskutierten. Anja schrak regelrecht zusammen als sie Katrin neben sich bemerkte. „Das ist alles nicht gerecht.“ Alexandra redete nun deutsch. „In Rußland haben sie uns ewig gehänselt und uns Deutsche genannt als wäre das ein Schimpfwort. Hier sind wir bloß die Russen. Wenn irgendetwas schiefgeht, heißt es, die Russen sind schuld. Wenn etwas geklaut wird, heißt es, ach ja das waren die Russen. Und dann sollen wir möglichst noch auf Knien dankbar sein, daß hier sein und uns beschimpfen lassen dürfen. Ich sag dir was: In Kasachstan war mein Vater Ingenieur und hier ist er Fabrikarbeiter. Danke schön für alles. Von dem Typ mit den Araberstuten haben wir wirklich gedacht, er wäre anders.“

„Er kennt euch nicht!“

„Er kennt das blöde Geschwätz von den Leuten und dann glaubt er, daß er uns nicht zu kennen braucht. Er wird uns kennenlernen.“

„Um Himmels willen, was hast du vor?“ Alexandra kniff die Lippen zusammen. „Wir fangen den Einbrecher, und wehe, es ist keiner von uns Russen.“, zischte sie.

„Wie willst du das anstellen? Das ist zu gefährlich!“

Alexandra funkelte Katrin an. „Du sollst uns auch kennenlernen.“ Sie drehten sich um und verließen das Stallgelände. Das Hoftor ließen sie scheppernd zufallen. „Alexandra!“, rief Katrin. „Glaubst du daß ich so wie die anderen bin? Glaubst du, daß Birgit und Sabine so sind? Glaubst du, daß so nett zu uns sind weil sie Unterschiede zwischen Einheimischen und Spätaussiedlern machen?“

Alexandra blieb einen Moment stehen, dann gingen sie ohne sich noch einmal umzudrehen fort.



III. ...und noch ein Pferd

In der darauffolgenden Woche beschlossen die Geschwister Reichert, daß es für Katrin höchste Zeit sei reiten zu lernen. Sabine zeigte ihr, wie ein Pferd gersattelt wird und dann kam Joschi an die Longe. Auf seinem Rücken übte Katrin unter Sabines Anleitung den richtigen Reitersitz. Lange dauerte die Lektion nicht weil Joschi in seinen alten Tagen schnell ermüdete. Der Muskelkater, der Katrin daraufhin heimsuchte schmerzte als habe sie tagelang im Sattel gesessen. „Der Muskelkater muß weg und er darf nicht mehr wiederkommen,“ forderte Sabine. „Du kannst erst locker sitzen wenn du ihn los bist, also rauf aufs Pferd.“ Stellas Bewegungen waren etwas weicher zu sitzen als Joschis steifbeiniger Trab, dafür hatte sie mehr Ausdauer. Zu gerne wäre sie auch einmal auf Florifina geritten aber Sabine sagte, Longieren tauge nichts mehr für Florifinas Beine.Großmutter kam auch noch einmal zum Pferdestall und beobachtete Katrins Fortschritte. Katrin erfuhr, daß Alexandra und Anja einmal kurz zum Pferdestall gekommen waren an einem Tag, an dem Katrin nicht gekommen war. Sie hätte sich gerne mit den beiden noch einmal unterhalten. Katrins Mutter hatte die Abzüge der Fotos, die Großmutter am Pferdestall geknipst hatte scheinbar achtlos weggesteckt. Später ertappte Katrin sie, wie sie jedes Photo mit Muße betrachtete.

Manchmal redeten Birgit und Sabine von dem Pferd welches sie immer noch suchten. Die Pferde, die sie sich anschauten waren ihnen aber entweder zu teuer, oder sie gefielen ihnen nicht. Sabine hatte eines Tages die Idee, einmal zur Rennbahn in eine Großstadt zu fahren und dort nach Pferden zu fragen, die für den Rennbetrieb zu langsam seien. „Vollblüter sind groß und kräftig genug, um einen erwachsenen Mann zu tragen,“ argumentierte sie, „außerdem sind die Pferde aus dem Rennbetrieb noch ziemlich jung und bestimmt nicht zu teuer.“

„Das kannst du selbst machen,“ brummte Birgit. „wenn du unbedingt einen chronichen Durchgänger oder sonst ein verrücktes Pferd im Stall haben willst.Vollblüter sind mir zu nervig. Ich glaube nicht, daß man dort ein vernünftiges Pferd zu einem vernünftigen Preis bekommen kann, aber wenn du es versuchen willst denke dran, daß die Trainer dort morgens unheimlich früh anfangen und mittags zeitig fertig sind.“

„Nächsten Mittwoch habe ich frei,“ Sabine grinste schelmisch, „und vielleicht bin ich schon wieder zurück ehe du überhaupt aus dem Bett fällst.“

„Hoffentlich bindest du mir kein Pferd ans Bettgestell.“

Selbstverständlich war Katrin am Mittwochnachmittag am Pferdestall und wollte wissen, ob Sabine nun ein Pferd bekommen hatte. Sabines schelmisches Grinsen ließ sie bereits ahnen, daß ihre Suche erfolgreich war. „Wir bekommen ein Pferd,“ verriet sie, „aber keinen Gallopper und wir bekommen es unschlagbar billig.“

„Meine Schwester will uns weismachen daß jemand ein gesundes, artiges Pferd einfach verschenkt.“ Birgit las gerade Strohhalme aus Piroschkas Schweif. „Sowas kann mir keiner erzählen, aber bitte, wenn sie unbedingt will soll sie das Wunderpferd herholen. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen was für ein komisches Pferd du dir diesmal hast aufs Auge drücken lassen.“

„Das Pferd ist ein Traberwallach der nicht mehr auf Rennen starten darf weil er eine Altersgrenze überschritten hat, da ist alles. Ich soll einen Vertrag unterzeichnen, der mir verbietet, das Pferd weiterzuverkaufen oder es in einer Reitschule einzusetzen, und ich soll das Pferd möglichst bald abholen,“ verkündete Sabine feierlich.

„Letzteres wirst du sicher ungehend erledigen, Schwesterlein.“ „Morgen nachmittag hole ich das Pferd.“ „Kann man einen Traber auch reiten?“, wollte Katrin wissen. „Natürlich! Ich habe ihn schon geritten und er ist kreuzbrav.“ Sabine strahlte. „Er kann schneller traben als manche anderen Pferde galoppieren können, und er kann wunderbar galoppieren. “

Während Katrin am Donnerstagnachmittag auf das neue Pferd wartete versuchte sie ihre Hausaufgaben in der Sattelkammer zu erledigen. Sie mußte aufpassen, daß sie sich nicht ihre Hefte auf dem kleinen, staubigen Tisch verschmutzte und sie sollte sich auf ihre Hausaufgaben konzentrieren. Das fiel ihr schwer, denn immer wieder trabten und galoppierten edle Rennpferde durch ihre Träume und sie kam mit ihren Hausaufgaben schlecht voran und es dauerte recht lange, bis sie erledigt waren. Bis Sabines Auto mit dem Pferdeanhänger in die Einfahrt bog war es schon fast Abend.

Als die hintere Plane aufgerollt war, wurde immerhin eine muskulöse kastanienbraun glänzende Kruppe mit einem üppigen schwarzgewellten Schweifansatz sichtbar. Als die Hängerklappe endlich geöffnet wurde wendte das Pferd seinen Kopf und spielte mit seinen zierlichen Ohren. „Langsam, langsam.“, redete Sabine auf das Pferd ein, schlüpfte durch die kleine Tür vorne am Hänger und band das Pferd los. Birgit hob die hinteren Metallbügel aus ihrer Verankerung und Sabine dirigierte das Pferd Schritt für Schritt aus dem Hänger. „Brav, brav.“ Stolz kraulte sie kräftigen Hals des Braunen. „So muß es sein.“

„Nicht schlecht.“, hauchte Birgit als das Pferd endlich draußen stand. „ Ich habe ihn mir höchstens etwas größer vorgestellt. Er ist ja kaum größer als Joschi. Ich kann aber kaum fassen, daß jemand so ein Pferd einfach mir nichts dir nichts verschenkt.“

„Warum sollen wir nicht einmal richtig Glück haben?“, meinte Sabine. Der Braune wieherte und die anderen Pferde antworteten. „Er hat gerade gesagt daß er Galico The Great heißt. Ich bringe ihn wohl besser an seinen Platz.“

Der Neue sollte einige Tage getrennt von den anderen Pferden gehalten werden, damit er sich in Ruhe an seine neue Umgebung gewöhnen konnte. Sein neues Zuhause schien ihm zu behagen. Er schnupperte an dem frischen Stroh und begann, an seinem Heu zu nagen, genauso als stände er schon immer in diesem Stall. „Schade nur, daß Stefan garnicht hier ist.“, meinte Birgit versonnen.

„Na und?“ Sabine zuckte mit den Achseln. „Wenn ihm das Pferd nicht gefällt, muß er eben selbst sehen, wo er noch ein anderes herkriegt.“ Am Abend konnte Katrin kaum einschlafen. Der braune Traberwallach ging ihr nicht aus dem Sinn.

„Wann reitet ihr ihn?“ Katrin lehnte am Zaun und beobachtete Galico The Great. „Noch nicht. Gestern haben wir ihn erst hergebracht und er soll erst ein paar Tage seine Ruhe haben um sich hier richtig einzuleben.“ Birgit hielt eine Plastiktüte mit Pferdeleckerli in den Händen. Alle Pferde spitzten die Ohren als das Plastik raschelte, sogar Piroschka, nur Galico The Great graste unbeeindruckt weiter.

„Glico!“ rief Birgit, „Glico! Komm her, Glico!“ Glico tat so, als habe er nichts gehört. Die anderen Pferde waren bis zu dem Elektrozaun gekommen der ihn noch von den anderen Pferden trennte. „Der muß tatsächlich erst lernen, auf seinen Namen zu hören.“ murmelte Birgit. Warum nennst du ihn nicht bei seinem richtigen Namen?“

„Den scheint er auch nicht zu kennen und der ist auch viel zu lang. Soweit ich informiert bin ist das einzige, was ein Rennpferd wirklich können muß Rennen zu gewinnen. Alles andere ist mehr oder weniger egal. Sabine sagt, daß Glico zuletzt einer Gemeinschaft von acht Besitzern gehört hat.“

Sabine stieg durch den Zaun, ging zu Glico und hielt ihm ein Leckerli vor die Nüstern. Hast du noch mehr, schien Glico zu fragen währen er kaute. „Guter Glico,“ sagte Birgit, gab ihm noch ein Leckerli und kraulte seinen Mähnenkamm. Glico folgte ihr bis zum Zaun als sie zu Katrin zurückkam und bekam noch ein Leckerli. „Dumm ist der nicht.“ meinte Sabine. „Du würdest ihn gerne einmal reiten, nicht wahr?“ Katrin nickte. „Wir werden sehen, wie er sich macht. Wenn du heute noch reiten willst, solltest du langsam Stella oder Joschi fertigmachen.“

„Deine Freunde haben wohl wenig Ausdauer.“, bemerkte Sabine während Katrin Joschi putzte. „Sie kommen wohl nicht mehr. Dabei dachte ich, sie sind richtige Pferdenarren.“

„Sind sie auch.“ Sollte Katrin Sabine erzählen, was vorgefallen war? Würde sie über Alexandra lachen? Die Erwachsenen konnten schon komisch sein, das hatte Werner der Scheich bewiesen. Wenn sie nur noch einmal mit Alexander und Anja reden könnte wäre alles einfacher. Katrin begann, Alexandra und Anja zu vermissen.

„Konzentriere dich auf die Reiterei.“, tadelte Sabine sie als sie auf Joschi saß. „Absätze tief und lang das Bein...“

Katrin hätte sich die Sache einfach machen können und die beiden nach der Schule vor ihrer Wohnung abpassen können, aber sie entschloß sich, zuerst bei Werner dem Scheich nach ihnen zu forschen. „Ja,“ sagte er, „die beiden kleinen Russen waren schon ein paarmal hier.“ Er schmunzelte. „So wie es ausschaut habe ich meine eigenen Privatdetektive.“

„Warum nennen Sie Anja und Alexandra immer Russen?“, platzte Katrin heraus. Ein unsichtbares Fragezeichen schien sich in Werners Stirn zu graben. „Was wollen sie denn sonst sein? Kommen sie denn nicht aus Rußland?“ „Genauer gesagt aus Kasachstan. Es tut ihnen sehr weh, wenn sie jemand Russen nennt.“

Werner schüttelte seinen Kopf. „Das ist mir zu hoch.“, brummte er. „Ich bin ein einfacher Mann. Ich verstehe etwas vom Schweißen, meinem früheren Beruf, und ich verstehe etwas von Pferden. Alles kann ich nicht wissen. Wenn die beiden so empfindlich sind hätten sie ruhig etwas sagen können.“ „Bitte nennen Sie sie nicht mehr Russen!“ Er schwieg. „Ich will es versuchen.“, sagte er dann. „Ich mag die beiden. Sie kommen alle paar Tage hier vorbei.“

Ich werde auch noch öfter hier vorbeikommen, dachte Katrin als sie ihr Fahrrad anschob, und sie bemerkte den chromglänzenden Pferdekopf, den Werner an den Kühler seines Autos geschraubt hatte.

Als nächstes wollte Katrin am Keltenhügel nach dem Rechten schauen. Das trockene Wetter der letzten Tage hatte auch den Morast auf dem zerfahrenen Waldweg weitgehend verschwinden lassen aber ihr Fahrrad mußte sie trotzdem schieben. Eines Tages werde ich durch den Wald reiten, dachte sie, vielleicht auf Joschi, vielleicht auf Stella oder auf Florifina. Wenn ich Glück habe, werde ich bald auf Glico reiten. Sabine meint, daß ich die Longe bald nicht mehr brauche...

Oh, nein! Vor Überraschungen konnte Katrin wohl nirgends sicher sein. Da saß doch wirklich Melanie Baldus auf einem Baumstumpf an der Keltenfestung! Niemand sonst trug gleich fünf von diesen schreiend orangen Armreifen und fand sie auch noch totschick. Guter Geschmack läßt sich wohl nicht anlesen, dachte Katrin. Sie schien vertieft in ein viel zu dickes Buch zu sein, natürlich, wer so schlau tat wie sie konnte ohne Gedrucktes kaum aus dem Haus gehen ohne sich nackig vorzukommen. Da Katrin ihr auf keinen Fall begegnen wollte, wendete sie schnell ihr Rad und hoffte, daß Melanie Baldus ihr käsiges Brillengesicht nicht nicht aus den Buchseiten erhob. Während sie den Weg hinunter zum Pferdestall radelte, grübelte sie darüber nach, was ausgerechnet Melanie Baldus an diesem Ort zu suchen hatte. Oder hatte sie sich ganz zufällig auf diesen Baumstamm gesetzt?

An den folgenden Tagen goß es in Strömen.Entweder hatte Katrin einfach Pech oder Alexander ging ihr auf dem Schulhof aus dem Weg. Falls Melanie Baldus Katrin an dem Keltenhügel erkannt hatte ließ sie sich in der Schule nichts anmerken und alles ging seinen Gang. Birgit und Sabine überlegten, ob sie die Pferde nicht im Matschauslauf lassen und mit Heu füttern sollten solange der Regen den Boden auf den Weiden so stark aufweichte.

Schließlich vertrieb die Sonne die letzten Regenwolken und es wurde beschlossen, Glico als Reipferd auszuprobieren. Artig ließ er sich satteln und er trug Sabine eine Runde im Schritt über die Weide als sei das eine Selbstverständlichkeit. Sogar Stella, die sich gleich mit Glico angefreundet hatte, kam zum Zaun und beobachtete Glico. „Da könnt ihr euch alle an diesem braven, fleißigen Pferd ein Beispiel nehmen!“ rief Sabine zu den anderen Pferden herüber und ließ Glico antraben. Er trabte so selbstverständlich über die Wiese als ob er nie etwas anderes als ein Reitpferd gewesen sei. Das wollte auch Birgit probieren. „Er ist fast wie Joschi als er noch jünger war.“, rief sie als sie wieder von Glico stieg.

„Prima!“ freute sich Markus, der als nächstes auf Glico stieg. „Endlich haben wir ein Pferd ohne Unarten.“ Stefan sagte überhaupt nichts sondern gab Glico nur eine Extrakarotte nach dem Ritt und zuletzt führten sie Katrin eine Runde um die Weide.

„Auch wenn er heute nicht einmal eine halbe Stunde unter dem Sattel war hat sich Glico prächtig gehalten. Nicht jedes Pferd kann sich mal eben auf vier oder fünf verschiedene Reiter einstellen.“, meinte Birgit als sie sein Sattelzeug aufräumte. „Ich bin gespannt, wie er sich im Gelände benimmt. Morgen will Sabine mit ihm ausreiten.“Sabine war glücklich als sie von ihrem ersten Ausritt mit Glico zurückkehrte.

Katrins Großmutter kam zufällig genau an dem Nachmittag an den Stall, an dem Katrin zum ersten Mal ohne Longe reiten durfte, oder hatte sie das mit den Geschwistern Reichert abgesprochen? Sie hatte sogar ein Geschenk für Katrin dabei, eine Reitkappe, und sie paßte ihr genau. Katrin fand Kappen schlichtweg doof und wäre am liebsten ohne Kappe geritten, aber Birgit und Sabine bestanden auf einen Kopfschutz für jeden, der auch nur für kurze Zeit eins ihrer Pferde bestieg. „Wer bei uns keine Kappe tragen will muß so lange auf Piroschka reiten bis er seine Meinung ändert.“, drohten sie gelegentlich. Die geliehenen Kappen waren meist zu groß für Katrin.

„Schicke Kappe.“, bemerkte plötzlich eine bekannte Stimme hinter ihr. „Unsere Eltern haben uns auch Reitsachen versprochen wenn sie mit unseren Zeugnissen zufrieden sind.“

„Anja! Bist du alleine hier?“ „Alexander hat Zoff mit unseren Eltern. Mit den Reitsachen wird es bei ihm wohl nichts weil er zu viele Vierer ins Zeugnis kriegt. Außerdem muß er nun für ein paar Tage zuhause bleiben weil er versucht hat, im Wald zu übernachten.“

„Er sucht wohl immernoch nach den Einbrechern, nicht?“ Anja nickte.

„Hat er irgendetwas herausgefunden?“

„Herzlich wenig. Wir haben auf dem Forstamt, beim Jagdpächter und werweißwo sonst nachgefragt, ob irgendwer etwas weiß, aber niemand will etwas beobachtet haben. Die Leute scheinen sich für den Einbruch nicht einmal zu interessieren. Am wenigsten hat uns die Polizei geholfen. Sie haben uns einfach wieder weggeschickt.“

„Hast du schon das Schloß gesehen, das Markus an der Sattelkammer angebracht hat nachdem er von dem Einbruch erfahren hatte?“

„Ich habe ein neues braunes Pferd mit einer richtigen Lockenmähne auf der Weide gesehen.“

Katrin lockte Glico, der bereits gut auf seinen Namen hörte an den Zaun, Anja streichelte ihn und gab ihn eine Karotte. „Du bist vorhin ohne Longe auf Joschi geritten. Ich habe es gesehen. Ich möchte auch einmal ohne Longe reiten.“

„Warum kommt ihr nicht mehr hierher? Birgit und Sabine dachten schon, ihr wolltet überhaupt nicht mehr reiten.“ „Das liegt alles an Alexandra. Sie ist geradezu verrückt darauf, sich an die Spuren der Einbrecher zu heften und plötzlich ist der Nachmittag vorbei und die Zeit zum Reiten weg.“ Glico genoß es sichtlich, seinen Hals von Anja kraulen zu lassen. „Er ist lieb, nicht wahr?“ Anja kraulte Glico mit beiden Händen. „Hast du ihn schon einmal geputzt?“ Katrin nickte. „Ich möchte ihn auch einmal putzen. Das täte ich lieber als den Wald umgraben.“

„Wie bitte?“

„Alexandra hatte die fixe Idee, daß die Einbrecher aus irgendwelchen Gründen Werners Werkzeug an der Keltenfestung vergraben hatten und er hat den Boden dort, wo er so zerwühlt war, nocheinmal durchgegraben. Gefunden hat er überhaupt nichts. Trotzdem behauptet er daß dort irgendetwas vorgehen muß und um es herauszufinden wollte er dort übernachten.“

Katrin erinnerte sich an das merkwürdige Gefühl, daß sie beschlichen hatte als sie alle zusammen auf dem Keltenhügel waren. An Melanie Baldus wollte sie lieber nicht denken. Falls sie nicht zufällig dort gewesen war paßte sie überhaußt nicht in die ganze Geschichte. „Ich fürchte auch, daß wir nicht die einzigen sind, die sich für diesen Hügel interessieren,“ hörte sie sich sagen, „aber ob das alles etwas mit dem Einbruch in Werners Stall zu tun hat kann ich nicht sagen. Tut Alexandra das alles wegen Werners Gerede neulich?“

„Wenn wir jedes Mal ausflippen wollten, wenn jemand Russe zu uns sagt hätten wir den ganzen Tag nichts anderes zu tun.“, meinte Anja. „Wenn wir aber als Einbrecher verdächtigt werden, ist das etwas anderes. Alexandra hat zudem einen ausgeprägten Krimitick. Wenn unsere Eltern etwas wegen seiner Schulnoten sagen kontert er, daß ein Privatdetektiv keine besonders guten Schulnoten braucht. Dein Zeugnis wird sicher nicht schlecht ausfallen, oder?“ Katrin dachte mit einigem Unbehagen an ihr Zeugnis, aber das wollte sie Anja nicht auf die Nase binden. Der Tag der Wahrheit war nur noch knapp zwei Wochen entfernt. Sie schwor sich, im neuen Jahr mehr zu pauken und weniger von Pferden zu träumen. Schließlich gab es genug richtige Pferde hier.

Anja durfte am nächsten Tag Glico putzen ehe Sabine mit ihm ausritt. Anja und Katrin kamen später mit Stella an die Longe und als Katrin Birgit bat, sie ein wenig frei reiten zu lassen stellte sich Stella einfach in die Mitte der Wiese und tat überhaupt nichts. „Die ist zu dickköpfig um sich von Anfängern etwas vorschreiben zu lassen.“ vermutete Birgit. „Morgen nimmst du wieder Joschi.“

Mit Joschi klappte alles am besten. Manchmal glaubte Katrin sogar, Joschi wolle ihr einen Gefallen tun, denn obwohl sie ahnte, daß vieles noch nicht richtig machte, versuchte Joschi immer alles so gut wie möglich zu machen. Joschi ließ sich jedenfalls gerne loben, kraulen und mit Leckerli füttern. Sie steckten ein richtiges Reitviereck mit Elektrozaunstäben auf der Wiese ab und malten Buchstaben auf Sperrholztäfelchen. „Jetzt bekommen wir einen richtigen Dressurplatz.“ freute sich Anja. Markus wollte unbedingt noch ein paar Stangen weiß streichen und Hindernisständer bauen. Er ließ sich von seinem Vorhaben nur abbringen, weil es in diesem Stall absolut kein Pferd gab das springen konnte. „Wir können höchstens ein paar einzelne weiße Stangen für ein bischen Bodenarbeit brauchen.“ meinte Birgit.

Anja wurde nun oft von ihrer Mutter zum Stall gebracht und wieder abgeholt. „Ich bin so froh, daß meine Tochter hierher kommen darf,“ sagte Frau Adler einmal. „Unser Junge hat ganz andere Flausen im Kopf.“

Plötzlich war auch Alexandra wieder da. Sofort drückte er Katrin eine Visitenkarte in die Hand. Alexandra Adler stand darauf, Privatdetektivin. Ermittlungen in deutscher und russischer Sprache. „Hab ich auf unserem neuen Computer gemacht,“ sagte sie stolz.

„Die Einbrecher hast du noch nicht geschnappt,“ bemerkte Katrin, „nur den Wald hast du umgegraben.“

„Meine Schwester hat gequatscht, wie? Egal. das war nötig. Irgendwer buddelt öfters oben auf dem Keltenhügel herum und wir mußten sichergehen, daß das alles nichts mit dem Einbruch an Werners Stall zu tun hat.“

„Wie willst du den Einbruch noch aufklären?“

„Das wird schwierig. Bei Werners Stall sind keine fremden Fahrzeugspuren entdeckt worden obwohl der Boden dort fast überall weich und feucht war. Die Gauner sind also entweder mit einem Fahrzeug, daß die gleiche Bereifung wie Werners Auto hat oder zu Fuß angerückt. Fremde Fußspuren konnte ich zwei Tage nach dem Einbruch nicht mehr entdecken. Alles war schon zu sehr zerdappt. Da die Einbrecher auch nicht so viel mitgehen ließen neige ich zu der Ansicht, daß sie den sperrigen Krempel zu Fuß weggeschleppt haben und wahrscheinlich nicht weit gekommen sind. Entweder haben sie ihre Beute ziemlich bald in ein Auto verladen, oder...“ Sie legte eine Pause ein. „Ich finde es zwar bekloppt, aber als ich den frisch zerwühlten Boden an der Keltenfestung sah, hielt ich es immerhin für möglich, daß sie die Sachen einfach dort verscharrt hatten, so wie ein Hund einen Knochen vergräbt, den er gerade nicht braucht.“ Katrin grinste.

„Da wir niemanden ausfindig machen konnten, der eine oder mehrere mit Werkzeug bepackte und zur Unzeit durch den Wald schleichende Gestalten beobachtet hatte bleibt uns nur, die gestohlenen Sachen ausfindig zu machen.“, schloß Alexandra. „Das ist ein richtiges Problem auch wenn sie sich vielleicht hier ganz in der Nähe befinden. Der gute Werner hat die gestohlenen Sachen nämlich nicht gekennzeichnet, also könnten wir sie nicht identifizieren wenn wir sie finden.“

„Das war‘s dann wohl, oder?“ Katrin richtete sich auf. „Sieht im Moment wirklich nicht gut aus. Meine Eltern wollen auch absolut nicht, daß ich wieder zum Keltenberg gehe außer wenn ein Erwachsener mitkommt. Dabei möchte ich zu gerne wissen, wer dort herumbuddelt.“

„Ich werde gehen,“ sagte Katrin.

Bis zum Abend versuchten die Kinder, REICHERT mit wasserfester Farbe auf jeden Eimer, jeden Besenstiel und alle anderen Gerätschaften am Stall zu pinseln.



IV. Detektive brauchen auch Glück

„Es ist wirklich alles in Ordnung da oben.“ Katrin nahm Joschis Sattel vom Bock.

„Wirklich?“ Alexandra blickte ungläubig.

„Wenn ich es dir doch sage! Dreimal war ich diese Woche an der Keltenfestung und alles war genauso wie es sein sollte. Niemand buddelt dort oben herum. Nicht einmal Gespenster gibt es dort.“ Melanie Baldus war sie nicht wieder begegnet, aber von ihr wollte sie nicht gerne reden.

„Entweder du hast keine Lust oder du hast nicht das Zeug, eine ordentliche Detektivin zu sein.“

Das saß. Katrin warf Alexandra einen grimmigen Blick zu. „Heute will ich reiten.“, bestimmte sie. „Am Montag schaue ich dort noch einmal nach, aber ich kann auch nur dann etwas entdecken, wenn es dort etwas gibt. Und wenn es dir nicht paßt mußt du eben doch selbst hingehen.“

„Laß Anja den Joschi heute alleine satteln, sie muß das endlich selbst lernen.“ Sabine stand plötzlich vor dem offenen Fenster der Sattelkammer. „Mach du den Glico fertig, Katrin, er bekommt Piroschkas Sattel. Und Alexandra, die Stella muß noch besser geputzt werden, oder hast du nicht das Zeug zu einer ordentlichen Reiterin?“

Katrins Herz hüpfte vor Freude! Daß sie so bald richtig auf Glico reiten sollte hätte sie nicht vermutet. Mit Joschi kam sie in auf der Reitbahn im Schritt und im Trab bereits ganz gut zurecht, und mit Stella klappte es auch recht gut wenn sie ihren guten Tag hatte. Inzwischen durften auch Alexandra und Anja ein wenig frei reiten, nur zum Galoppieren kam noch jeder an die Longe. Glico hatte sie heute schon geputzt, weil sie annahm, daß Stefan mit ihm ausreiten wollte, aber der fand es wichtiger, den Holzzaun zu reparieren. Überhaupt rissen sich die beiden jungen Männer nicht gerade ums Reiten. Sabine und Birgit waren allerdings auch nicht mehr so scharf wie anfangs darauf, Glico zu reiten und Katrin wunderte sich darüber, denn alle beteuerten immer wieder, wie brav Glico sei.

Brav war Glico wirklich. Bestimmt hatte er längst herausgefunden, daß Katrin noch keine gute Reiterin war, aber statt ihre Schwächen auszunutzen tat er alles, was er sollte. „...und jetzt alle zügig durch das Stangen- U“ , kommandierte Sabine beispielsweise und Glico maschierte hindurch wie ein Musterschüler während Stella einfach quer über die Stangen tappte. Katrin fand Glicos Trab allerdings ausgesprochen hart. „Prima!“, rief Sabine. „So lernst du am schnellsten leichttraben.“

Nach dem Absatteln fragte Katrin, ob Glicos Trab Schuld daran sei, daß die Begeisterung über ihn als Reitpferd nachgelassen habe. „Im Prinzip ja.“ meinte Sabine. „Er galoppiert nämlich nicht.“

„Hast du nicht gesagt als du ihn geholt hast, daß er prima galoppieren kann?“

„Über die Koppel wetzt er ganz eindrucksvoll in jeder Gangart, aber sobald er geritten wird kann er nur noch Schritt und Trab.“

„Vielleicht fürchtet er sich auch davor, unter dem Reiter zu galoppieren,“ vermutete Birgit. „Immerhin war er sieben lange Jahre auf der Rennbahn und dort wird man ihm eingebimst haben, daß er für seine Menschen nicht galoppieren darf. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, ihm den Unterschied zwischen Reiten und Trabrenntraining klarzumachen, käme er sicher darauf, wie toll Galoppieren ist.“

„Ich habe bereits mit Glicos ehemaligem Trainer telefoniert.“ Sabine klang resigniert. „Auch er weiß keinen Rat. Einer seiner Pferdepfleger hat Glico regelmäßig geritten, aber nur im Schritt und Trab. Der Trainer meinte, wir könnten es höchstens mal mit Longieren versuchen. Das habe ich bereits ein paarmal probiert aber Glico trabt entweder wie ein Weltmeister oder er stürmt kopflos vorwärts. Galopp kann man das dann auch nicht gerade nennen.“

„Deswegen haben sie ihn also verschenkt.“ Birgit wandte sich ab. „Einen Traber, der weder für Rennen noch als Reitpferd taugt, kann man sich aufs Brot schmieren. Das ist die grausame Wahrheit.“, sagte sie im Weggehen. „So schnell geben wir nicht auf.“ flüsterte Katrin und umarmte Glicos Hals. Glico drehte sich um zu ihr als wolle er es bestätigen.

Katrin hatte wenig Lust, am Montagnachmittag zur Keltenfestung zu gehen, aber weil sie noch weniger Lust hatte, sich wieder von Alexandra verspotten zu lassen schob sie ihr Rad trotzdem den Keltenhügel hinauf. Zunächst schien alles so ruhig wie an den Tagen vorher zu sein, aber dann entdeckte sie eine Stelle, an der die Erde wieder frisch aufgewühlt war. Es sah ganz danach aus, als ob jemand erst in den Morgenstunden hier herumgegraben hatte oder bestenfalls am Abend vorher, fand sie. Der Waldweg war allerdings nicht mehr stärker zerfahren worden als damals. Sie schreckte zusammen. Einen Augenblick glaubte sie, Schritte gehört zu haben! Es gab nicht viele Laubbäume an der Keltenfestung und unter Nadelbäumen konnte sich jemand hervorragend anschleichen. Sie blickte sich um. Du spinnst, sagte sie sich leise als sie niemand entdeckte und ging zurück auf den Waldweg. Die Spuren dort stammten offenbar von gewöhnlichen Autos.

Gerade als sie nocheinmal zurück zu der Keltenfestung wollte packte sie von hinten eine kalte Hand. Eine zweite griff nach ihr und an diesem Handgelenk schepperten gleich fünf leuchtendorange Armreifen! Katrin zappelte wild und wäre um ein Haar freigekommen, aber ihre Angreiferin wechselte ihre Grifftechnik und Katrin konnte sich kaum noch bewegen. Diese Melanie Baldus schien nicht nur belesener sondern auch kräftiger als Katrin zu sein! Ob man sich solche Kräfte durch Bücherstemmen in den öffentlichen Büchereien antrainieren kann, fragte sich Katrin. Da gelang es ihr, sich ein wenig aus Melanies eisernem Griff herauszuwinden. Katrin stieß ihr so fest sie konnte ihre Ellebogen in die Rippen. Melanies Griff lockerte sich für Sekundenbruchteile und Katrin glaubte schon sie käme frei, als sie schmerzhaft spürte, daß Melanie ihr ein Bein gestellt hatte. Im Fallen nahm sie einen Stoffbeutel mit einem verwaschenen Kaufhauswerbeaufdruck wahr, der auf einem Baumstumpf lag, dann war Melanie über ihr und hatte sie genauso fest wie vorher im Griff.

„Und nun sagst du mir, was du mit diesem Gesocks zu tun hast.“, keuchte Melanie, griff in Katrins kurzen Haarschopf und drehte ihre Faust so heftig, daß Katrin am liebsten aufgeschrien hätte.

„Fair kämpfen ist wohl nicht dein Ding.“ preßte Katrin hervor.

Mit einem derben Ruck drückte Melanie Katrins Gesicht in den Waldboden. „Ich will wissen, was du hier verloren hast,“ kommandierte Melanie lauter, „und zwar möglichst heute noch.“

„Du hast längere Haare,“ keuchte Katrin, „paß auf, daß ich sie nicht einmal erwische.“ Katrin hatte ihren Mund noch nicht geschlossen als Melanie ihr Gesicht wieder in den Waldboden stieß. Er war hier zwar relativ trocken, aber die abgestorbenen Fichtennadeln schmeckten ihr nicht. Sie fand ihre momentane Lage ziemlich aussichtslos. Sie konnte höchstens hoffen, Zeit zu gewinnen und auf einen Fehler Melanies warten.

„Mit dir werde ich jederzeit fertig“, sagte Melanie ruhig, „ich habe vier Brüder, also raus mit der Sprache. Was hast du hier zu suchen?“

„Wahrscheinlich das Gleiche wie du.“

„Du gehörst also zu diesen Russen, die hier den Wald umgraben,das habe ich gesehen. Rede dich nicht heraus, ich habe dich auch gesehen, als du mit den Russen und zwei Frauen in der Kutsche mit dem getupften Pony hierhergekommen seit. Was haben die Russen denn bisher so gefunden?“

„Nichts,“ preßte Katrin hervor.

„Nichts? Lüg mich nicht an.“ Melanie zwirbelte einen Haarbüschel so fest zu, daß Katrin glaubte, sie risse ihn gleich aus.

„Sie haben das Werkzeug aus dem Einbruch hier nicht gefunden.“, stöhnte Katrin als Melanie ihren Griff wieder lockerte.

„Das wird ja immer schöner.“ zischte Melanie. „Klauen tut ihr also auch.“

Melanie wollte Katrins Gesicht mit einem besonders wütenden Stoß in den Waldboden drücken, aber ihre Hand rutschte aus, und in dem Moment, als Melanies Gleichgewicht ins Wanken geriet wand sich Katrin unter ihr hervor. Sie war bereits auf den Beinen als Melanies Gesicht auf den Waldboden fiel, schappte sich Melanies Stoffbeutel und rannte so schnell sie konnte zu ihrem Fahrrad. „Die Sachen kannst du dir im Pferdestall im Grotinger Industriegebiet zurückholen.“, rief sie während Melanie sich aufrappelte. „Das schwarzgetupfte Pony findest du schon.“

Da Melanie offensichtlich zu Fuß auf den Keltenhügel gelaufen war konnte Katrin recht gemütlich in Richtung Pferdestall radeln. Ein wenig bereute sie, daß sie den Stoffbeutel an sich genommen hatte. Bis zu den Sommerferien waren es noch genau drei Schultage an denen sich Melanie Baldus eine Gemeinheit für Katrin ausdenken konnte. Katrin wußte auch nicht so genau, was sie mit dem Stoffbeutel letztendlich anfangen sollte. Er enthielt Bücher, so viel war gewiß, aber bei Melanie war das wirklich keine Überraschung. Wenigstens wollte sie wissen, was für Bücher Melanie in der Weltgeschichte herumschleppte, also hielt sie an der Bushaltestelle im Industriegebiet und öffnete den Beutel. ,Das Volk der Kelten‘ hieß das erste Buch, das Katrin in den Händen hielt, ,Mitteleuropäische Ur- und Frühgeschichte‘ hieß ein kakaobefleckter Wälzer mit einem zerfledderten Einband, und das dritte Buch hieß ,Antike Grabungen in unserer Heimat‘. Die drei Bücher stammten aus der Schulbibliothek und das Ausleihedatum lief zum Wochenende ab, gerade ehe die Bücherei vor den Sommerferien schloß. ,Unsere Heimat im Luftbild‘ war ein altertümlich anmutender großformatiger Bildband aus der katholischen Bücherei und dann zog Katrin noch ,Das große Lexikon der Pferde für Kinder‘ aus der Stadtbücherei aus dem Stoffbeutel! Interessierte sich Melanie Baldus tatsächlich für Pferde? Katrin hielt inzwischen alles für möglich, auch daß Melanie irgendwo ein schickes Turnierpferd hatte und so phantastisch reiten konnte wie Julia Binder.

Katrin blätterte in dem Bildband. Er enthielt überwiegend Schwarzweißphotos aus ihrem Landkreis. Mitten im Buch lag ein Lesezeichen und Katrin war kaum erstaunt, eine Luftaufnahme des Keltenhügels zu erblicken als sie dorthin blätterte. Das Buch war fast vierzig Jahre alt und damals schien es deutlich mehr Laubbäume auf dem Keltenhügel zu geben. Vielleicht waren die Nadelbäume damals auch bloß mickeriger als heute. Das Foto jedenfalls war im Winterhalbjahr aufgenommen worden und zeigte die relieffartigen Konturen der Keltenfestung viel deutlicher als sie jemals vom Boden aus zu sehen waren.


Plötzlich durchglühte Katrin ein Gedanke wie ein Blitz. Melanie hatte sie für Raubgräber gehalten und es gab Raubgräber auf dem Keltenhügel. Entschlossen klappte sie das Buch zu, verstaute alles wieder in dem Beutel und machte sich schleunigst auf den Weg zum Stall. Diese Geschichte mußte sie schleunigst Anja und Alexandra erzählen!

V. Geheimnisse um Melanie

„Bist du sicher, daß das fremde Mädchen dich nicht verdroschen hat weil es nicht wollte, daß du ihre Tasche mopst?“ Birgit warf Katrin einen strengen Blick zu. Die Tragegriffe des Stoffbeutels ließ sie ungeduldig von einer Hand in die andere gleiten. Die Buchdeckel knirschten leise. Katrin schwieg. „Das ist jedenfalls eine komische Geschichte und ich bin ziemlich gespannt, was das Mädchen uns erzählt, wenn sie die Tasche abholen kommt.“ Birgit hängte den Stoffbeutel an den höchsten Nagel in der Sattelkammer. „Wenn sie nicht kommt, hoffe ich, daß unser Fräulein Meisner die Bücher rechtzeitig vor Ablauf der Leihfristen in den jeweiligen Büchereien verteilt.“ sagte sie im Hinausgehen.

„Immer das selbe mit den Erwachsenen!“ seufzte Alexandra als sie alleine waren. Katrins Vermutung hatte ihn und seine Schwester begeistert und Anja hatte ihr Erstaunen kaum verbergen können, als Katrin ihr das Luftbild von der Keltenfestung in dem alten Buch zeigten. Wer hätte nun gedacht, daß jemand an alldem zweifeln konnte! Die Geschwister Reichert schienen sich nicht sehr für den Keltenhügel zu interessieren.

„Wenn die Großen nicht so eine lange Leitung hätten wären die Raubgräber sicher schon im Knast,“ begann Anja, „und wir kriegen sie nie solange unsere Eltern uns nicht zu der Keltenfestung hinlassen. Katrin, darfst du dorthin?“

„Ich habe zuhause noch nicht nachgefragt deswegen.“ „Dann haben sie es dir wenigstens nicht verboten.“

„Verboten haben sie es uns auch nicht,“ brummte Alexandra. „Wir sollen bloß einen Erwachsenen mitnehmen.“

„Ich wüßte schon, wen wir darum bitten könnten.“ Gespannt blickten Anja und Alexandra zu Katrin. Katrin grinste. „Wir weihen den Ohlshausen ein.“

„Einen Pauker?“ Anja war zu erstaunt um ihren Mund zu schließen.

„Katrin hat recht.“ Alexandra schüttelte sich ein paar Strohhalme aus den Haaren. „Der Ohlshausen kennt sich bestens aus und ist gewiß daran interessiert, zu verhindern, daß jemand auf dem Keltenhügel Unfug treibt. Für einen Pauker ist er auch ziemlich in Ordnung.“

„Hey, kommt ihr überhaupt nicht mehr aus der Sattelkammer?“ Birgits Stimme klang eher amüsiert als ärgerlich von draußen herein. „Wenn ihr euere Pläne fertig geschmiedet habt könnte mir dann vielleicht jemand beim Elektrozaunbandaufwickeln helfen?“

Melanie Baldus kam nicht mehr zum Pferdestall an jenem Nachmittag und an den Nachmittagen darauf kam sie auch nicht. „Gib mir meine Bücher zurück!“, zischte sie bloß einmal am vorletzten Schultag als sie nach der großen Pause plötzlich hinter Katrin stand. „Hol sie dir gefälligst selbst, oder findest du Schlauberger unseren Pferdestall etwa nicht?“ Katrin ließ sich nicht beirren obwohl Melanies finsterer Blick sie mitten im Sommer frösteln ließ.

Katrin, Anja und Alexandra beschlossen, Herrn Ohlshausen gleich am Tag nach der Zeugnisausgabe aufzusuchen. Als er seine Haustür öffnete hätten die drei um ein Haar laut losgelacht, denn Herr Ohlshausen trug eine weiße Küchenschürze und hielt einen Kochlöffel in der Hand. „Verheiratet war der noch nie.“, wisperte Alexandra als Herr Ohlshausen sie für einen Moment nicht hören konnte. „Du bist ja bestens informiert, du Superdetektiv.“, wisperte Katrin zurück.

Gespannt hörte Herr Ohlshausen den Kindern zu. „Das ist ja unglaublich.“ murmelte er immer wieder, aber es klang nicht so als ob er den Erzählungen der Kinder tatsächlich nicht glaubte. Er kochte ein Paket Nudeln mehr, nahm noch etwas Extragemüse und schließlich aßen alle reichlich von Herrn Ohlshausens Spezialnudelauflauf. Als das Geschirr in der Spülmaschine verstaut war holte Herr Ohlshausen einige Bücher hervor. Ein Exemplar jenes alten Bildbandes war auch dabei. „Ich sollte mir wirklich einmal anschauen, was dort oben vorgeht. Euere beiden Pferdefreundinnen können ruhig mitkommen.“, schloß er und versprach, gleich am nächsten Tag zum Pferdestall zu kommen.

„Wenn wir uns ranhalten können wir noch eine schöne Runde reiten.“ Seit Sabine ein paar Tage vorher in Aussicht gestellt hatte, daß sie die Kinder auf ihre ersten kleinen Ausritte vorbereitete, war Anjas Eifer kaum zu bremsen. Die Sonne brannte heiß auf den Asphalt und die schwüle Luft ließ die Kinder schwitzen und keuchen während sie zum Industriegebiet radelten. Als sie fast am Pferdestall angekommen waren hob Katrin ihren Kopf und hielt abrupt an.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, rief sie. „Sieht so aus, als ob Sabine und Birgit Besuch haben.“ Auch Alexander hatte sein Rad angehalten.

„Das ist ja eine komische Figur, die sie gerade auf den Joschi gesetzt haben.“

„Das ist Melanie Baldus!“ Katrin wischte sich den Schweiß von der Stirn. Melanie konnte die drei noch nicht entdeckt haben, sie hatte ihnen den Rücken zugekehrt, ihr giftgrüner Schlabberrock war sorgsam über Joschis Rücken drapiert und ihre strähnigen aschblonden Haare wippten unter der geliehenen Reitkappe bei jedem Schritt den Joschi tat. Nur ihre Armreifen fehlten denn Birgit und Sabine erlaubten Reiterinnen keinen Schmuck, nur eine Armbanduhr.

„Eigentlich müßte sie im Damensitz reiten.“, bemerkte Anja als Joschi sich in Bewegung setzte.

„Eigentlich sollte sie hier überhaupt nicht reiten.“ Zorn stieg in Katrins Gesicht und ließ ihre Wangen wie Feuer glühen. „Eigentlich sollte sie sich ihre gammeligen Bücher schnappen und schleunigst verschwinden!“

Langsam schoben die drei ihre Fahrräder zum Pferdestall.

„Das ist ein richtig nettes Mädchen, die Melanie.“ Sabine lächelte während sie Joschi am Zügel zu den dreien führte. Melanie blickte stumm und ungewohnt verlegen auf Joschis Mähne. „Sie mag Pferde genauso gerne wie ihr und möchte auch regelmäßig zu uns an den Stall kommen.“ Prüfend blickte Sabine in die Gesichter der drei. „Das mit der Klopperei auf dem Keltenhügel tut ihr übrigens sehr leid.“ Nanu, flog da nicht ein weiterer Schatten von Verlegenheit über Melanies Gesicht?

„Welches Pferd soll sie denn bekommen wenn sie reiten will?“ platzte Alexandra heraus. „Pferde haben wir genug.“ Sabine streichelte Joschis Hals. „Wenn sie reiten lernen will kann sie genau wie ihr mit Stella, Glico oder Joschi an die Longe und später können wir sie auf Florifina setzen. Florifina wird sich mit einer Anfängerin kaum überanstrengen und weil die Melanie ziemlich groß und kräftig ist, wird sie mit mit ihr wohl gut zurechtkommen.“

Ausgerechnet Florifina! Mit ihr hatten sie schon so viel erlebt! „Das ist nicht in Ordnung!“, rutschte es Alexandra heraus.

„So? Warum denn nicht?“ Sabine tat ganz erstaunt. „Schau dir ruhig einmal an, wie unsere Melanie den Joschi geputzt hat. Es wäre wünschenswert, wenn die Frau Alexandra Adler ihr Pferd vor dem Reiten immer so gründlich putzte. Ihr könnt Stella und Glico zum Reiten fertigmachen da wir nun schon mal beim Thema Reiten sind.“ Sabine wendete Joschi um Melanie noch eine Runde über die Wiese zu führen.

„Das ist ja wohl die Höhe.“, brummte Alexandra als Sabine und Melanie außer Hörweite waren. „Da heißt es gleich am ersten Tag schon ,unsere Melanie‘. Schöne Bescherung. So wie es aussieht können wir von nun an auch nichts mehr unternehmen ohne daß Melanie Baldus Wind davon kriegt.“

Katrin putzte und sattelte Stella weil Alexandra schon lange darauf brannte, Glico einmal zu reiten. „Darf ich auch Florifina putzen?“ rief Melanie als sie von Joschi stieg und ihn Anja übergab. Sabine holte Florifina von der Weide während Anja Joschi noch ein wenig grasen ließ.

„Richtig so. Tauscht ruhig gelegentlich die Pferde wenn ihr wirklich etwas lernen wollt.“, bemerkte Sabine als Alexandra Glico in die Reitbahn führte. Glico trug einen nagelneuen Sattel. „Klasse.“, freute sich Alexandra als sich Glico unter ihm in Bewegung setzte. „Der sieht nicht nur aus wie ein Kasachenpferdchen, der ist auch mindestens so gut!“

Als Katrin in Stellas Sattel stieg hatte sie nicht damit gerechnet, daß Stella neuerdings ziemlich ungehalten werden konnte wenn sie nicht ständig hinter ihrem Liebling Glico hinterherlaufen durfte. Schließlich gelang es ihr sogar, Katrin abzusetzen.

„Das gehört auch dazu.“, rief Sabine als Katrin sich aus dem kurzen Gras aufrappelte. „Schnell wieder rauf aufs Pferd, oder nein, laß mich mal kurz rauf.“ Schon saß Sabine auf Stella, ließ sie aus dem Stand angaloppieren und drei Runden um die ganze Bahn vorbildhaft versammelt galoppieren. Stella wackelte nicht einmal mit den Ohren als sie Glico und die anderen Pferde überholte. Sabine parierte Stella durch und sie stand in der Reitbahn wie ein Denkmal, nur auf ihrem Fell bildeten sich Schweißflecken. „Na also, geht doch.“ Sabine ließ Stella noch drei Schritte rückwärts richten, klopfte ihren Hals und stieg ab.

Verstohlen blickte sich Katrin um als sie wieder auf Stellas Rücken kletterte. Glücklicherweise hatte Melanie nicht viel von Katrins Sturz mitbekommen. Sie war viel zu sehr darauf konzentriert, Florifina möglichst liebevoll und gründlich zu putzen. Als die Reitstunde beendet war, hatte sie Florifina geade erst von einer Seite geputzt. „Wenn es dunkel wird hat die ihr Pferd immernoch nicht fertig.“, bemerkte Alexandra als sie Glicos Trense abwusch.

„Ich bin gespannt,wie ihre Eltern so sind.“, meinte Anja. „Birgit und Sabine wollen sie natürlich kennenlernen, und Melanie will sie in den nächsten Tagen mitbringen.“

„Langsam sollten wir Birgit und Sabine erklären, was wir morgen vorhaben.“ Katrin hielt nun Stellas Gebiß ins Wasser. „Wetten, daß Melanie mit zum Keltenhügel kommen muß.“, meinte sie.

„Hoffentlich gibt es kein Gewitter.“ Alexandra wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „Der Regen würde die Spuren der Raubgräber gewiß verwischen.“

Am Abend brachte Melanie es fertig,nach einer Dusche zu fragen und Katrin bemerkte, wie sorgfältig Melanie jedes Pferdehaar von ihrer Kleidung entfernte ehe sie das Stallgelände verließ.

„Ich dachte, du interessierst dich nicht für so alte Sachen.“, flaxte Birgit am nächsten Tag, als Sabine fragte, wann Herr Ohlshausen denn endlich kommen wollte. Anja und Alexander hatten ihre Mutter mitgebracht und die hatte wieder ihren süßen Kuchen dabei. Sie hatte tatsächlich ihr Versprechen gehalten und ihren Kindern nach der Zeugnisausgabe Reitkappen, Gummireitstiefel und sogar Reithosen spendiert. Anja und Alexander schwitzten sehr in ihren Reithosen. Auch Markus war bereits zum Stall gekommen und wartete auf Herrn Ohlshausens Führung. „Langsam könnte er wirklich hier sein.“, meinte er.

Zunächst kam Melanie von der Bushaltestelle. Ihre orangen Armreifen klapperten an ihren Handgelenken, aber sie trug vernünftigerweise eine weite, ausgebeulte Jeans und festes Schuhwerk. „Meine Mutter ist heute verhindert.“,sagte sie und gab Birgit einen Brief.

Birgit zweckentfremdete einen gesäuberten Hufauskratzer zum Brieföffner und las die Schreibmaschinenschrift: „Ich gestatte meiner Tochter Melanie zum Stall von Birgit und Sabine Reichert zu kommen, dort Pferde zu pflegen und reiten zu lernen. Mit freundlichen Grüßen Angelika Baldus.“ Birgit ließ den Brief sinken und blickte zu Melanie. „Das geht dann wohl in Ordnung. Laß uns bitte für alle Fälle noch einen Zettel mit deiner Telefonnummer von zuhause da.“

Herr Ohlshausen kam von der Bushaltestelle her während Melanie noch im Stall war und er war in ein lebhaftes Gespräch vertieft mit Katrins Großmutter! „Ich dachte, ich schaue mal wieder vorbei, ich war schließlich schon eine Weile nicht mehr hier.“, sagte sie, „Daß ich so einen interessanten Gesprächspartner mit dem gleichen Ziel antreffe, habe ich nicht geahnt. Natürlich will ich auch mit zu dem Keltenhügel.“

„Kennt ihr euch denn?“ staunte Katrin und Herr Ohlshausens Augen funkelten schelmisch. „Ja, selbstverständlich, schon seit mindestens zwanzig Minuten. Wollen wir nun los?“

Zuerst mußten die Autotüren einige Minuten lang weit geöffnet werden um die unerträglich heiße Luft aus den Innenräumen zu vertreiben. Anja fand es sehr schade, daß Stella nicht wieder vor die Kutsche gespannt wurde. „Wer soll denn in der Kutsche fahren und wer soll mit dem Auto kommen?“ gab Sabine zu bedenken, kippte den Fahrersitz ihres Autos nach vorne und kurze Zeit später waren drei gutbesetzte Autos auf dem Weg zum Wald.

Markus fuhr zuächst an Werners Stall vorbei. Werner ließ sich nicht lange bitten, verschloß seinen Stall und stieg in Markus‘ Auto. Herr Ohlshausen freute sich über jeden, der sich für seinen Vortrag interessierte und legte gleich los. „Sieh an, sieh an.“ wisperte Anja während alle lauschten. „Plötzlich können sich die Großen auch für ganz vernünftige Sachen begeistern.“

„Du hast zuerst von allem am wenigsten geglaubt.“, wisperte Alexandra ein wenig zu laut, denn Herr Ohlshausen hielt einen Moment inne und blickte tadelnd auf Alexandra.

„Diese Bodenwölbung vor uns ist der Rest eines Schutzwalles, der diese Anlage ursprünglich umgab.“, fuhr Herr Ohlshausen dann fort. „Die Kelten hatten eine eigentümliche Technik zur Errichtung solcher Festungsmauern. Sie schichteten schwere Holzbalken horizontal übereinander und füllten die Zwischenräume mit Gesteinsbrocken auf. Die Holzbalken wurden mit einer großen Zahl spezieller Nägel zusammengehalten. Diese Festungsanlage scheint für damalige Verhältnisse übrigens recht groß gewesen zu sein. Wenn dann Feinde anrückten konnten sie sich hier mit Mann und Maus verschanzen.“

„Entschuldigen Sie,“ meldete sich Werner zögerlich, „wo ist eigentlich der Unterschied zwischen Kelten und Germanen?“ Alle Augen ruhten nun auf Werner.

„Was ist?“ wollte Sabine schließlich wissen. „Das täte mich auch mal interessieren.“

Herr Ohlshausen holte tief Luft. „Die Kelten beherrschten etwa fünfhundert Jahre lang Mitteleuropa ehe im ersten Jahrhundert vor Christus von Osten her die Germanen keltische Gebiete zu erobern begannen. Als sich dann noch von Südwesten her das römische Reich auszudehnen begann, war das Ende der Kelten in Mitteleuropa besiegelt.“

„Die Feinde brauchten vielleicht nur bis zum Sommer zu warten und an einem Tag, an dem es so trocken wie heute war, das Holz in Brand zu schießen.“, warf Alexandra ein. „Kluges Mädchen,“ meinte Herr Ohlshausen. „Leider weiß niemand, ob sie das tatsächlich getan haben. Die Kelten hatten leider noch keine Schrift, um ihre Geschichte für die Nachwelt aufzuzeichnen, daher wissen wir erschreckend wenig über sie. Die Germanen hätten ihre Geschichte aufschreiben können, aber sie haben ihr Runenalphabet fast nur für religiöse Zwecke benutzt, etwa um Zaubersprüche aufzuzeichen. Als die Römer mit ihrer schon recht aussagekräftigen Geschichtsschreibung keltische Gebiete zu erobern begannen, war die große Zeit der Kelten bekanntlich bereits vorbei und daher haben wir das meiste über ihr Volk von Ausgrabungen her erfahren. Vor etwa siebzieg Jahren hat es bereits erste Grabungen an diesem Ort gegeben, leider wurden sie zu bald wieder eingestellt. Wenn man damals nicht einige jener Nägel gefunden hätte, die die Kelten typischerweise für ihre Festungsanlagen verwendeten, wüßte heute niemand, daß es hier Kelten gab.“ Er hielt einen Moment lang inne und blickte zu Anjas und Alexandras Mutter. „Für mich ist es völlig verständlich, daß Ihre Kinder von diesem Ort hier fasziniert sind, Frau Adler. Bitte seien Sie nicht zu streng mit ihnen.“ Frau Adler nickte.

„Diesen Ort finde ich ebenfalls sehr faszinierend.“ Andächtig blickte sich Katrins Großmutter um. „Es fällt so ein geheimnisvoll gedämpftes Licht hier durch die Baumkronen und es ist so ruhig.“ Tatsächlich war es ziemlich finster, kaum ein Vogelzwitschern war zu hören und Katrin erinnerte sich an die unheimlichen Gefühle, die sie hier früher gelegentlich beschlichen hatten. Die ganze Zeit hatte Katrin darauf gewartet, daß Herr Ohlshausen etwas über Raubgrabungen sagte, aber er erwähnte sie mit keiner Silbe. Plötzlich begannen die Baumwipfel zu rauschen, eine kühle Windbö wehte um den Keltenhügel und verschwand genauso plötzlich wieder.

„Ein Gewitter!“, rief Anja. „Ab ins Auto und weg von hier ehe es richtig ungemütlich wird!“

Alle rannten zu den Autos. „Können Pferde wegen einem Gewitter durchgehen?“, wunderte sich Herr Ohlshausen.

„Sie können vom Blitz erschlagen werden wenn sie auf einer exponierten Weide stehen!“ Sabine schlug die Autotür zu, befestigte den Gurt und startete den Motor. „Unsere Pferde stehen gerade auf der Ostweide und die ist bei einem Gewitter nicht ungefährlich. Wir sollten sie so schnell wie möglich zurück zum Stallgelände bringen!“

Markus brachte Werner schnell zu seinem Stall zurück und dann brausten die Autos in Rekordzeit zum Pferdestall am Industriegebiet. Birgit, Sabine und die Kinder schnappten sich Führstricke und rannten zur Ostweide. Melanie gelang es tatsächlich, Florifina von der Koppel zu führen und alle erreichten gerade noch rechtzeitig das Stallgelände ehe die ersten dicken Regentropfen auf dem ausgedörrten Erdboden zerplatzten und schon prasselte ein gewaltiger Platzregen nieder.

Grelle Blitze zuckten über den rauchgrauen Himmel und immer wieder krachten heftige Donnerschläge durch die feuchte Luft. Die Pferde standen dösig im Stall und nagten gelegentlich lustlos an ein paar Heuhalmen. Anja, Alexander und Katrin hatten den Ausgang zum Auslauf vorsorglich mit der Absperrstange verriegelt und beobachteten nun das Gewitter. Plötzlich stand Herr Ohlshausen hinter ihnen und legte eine Hand auf Alexandras Schulter. „Deine Eltern kann ich gut verstehen. Sie machen sich gewiß Sorgen, daß euch etwas zustößt. Und dort oben treibt sich irgendwelches Gesinde herum, soviel ist gewiß. Die Grabspuren waren nicht zu übersehen und sie waren frisch. Ich schätze sie nicht älter als vierundzwanzig Stunden.“

Alexandra schaute ihn fragend an. „Damit wir uns nicht mißverstehen: Auch ich würde es mir nie verzeihen, wenn einem von euch etwas zustöße. Andererseits habe ich seit langem vergeblich darum gerungen, daß die Behörden Gelder für eine wissenschaftliche Grabung am Keltenhügel bereitstellt. Es ist, als ob ich gegen eine Wand anrenne. An der entscheidenden Stelle sitzt ein Herr namens Doktor Schallek. Der müßte längst erkannt haben, wie wichtig Grabungen an unserem Keltenhügel wären, aber er behauptet steif und fest, daß die Behörden kein Geld dafür hätten. Dabei kann er offenbar selbst nicht besonders gut mit Geld umgehen. Die Spatzen pfeifen schon fast von den Dächern, daß er privat vollkommen überschuldet ist.“

„Was glauben Sie werden die Raubgräber finden?“ Anja interessierte sich wie üblich für das Praktische.

„Nun... die Kelten konnten Bronze, Eisen und Gold recht geschickt bearbeiten. Mit einem guten Metallsuchgerät wird es kein Problem sein, solche Gegenstände aufzuspüren, auch wenn sie recht tief im Boden verborgen sind. Sicher werden sie ziemlich Nägel, oder vielmehr das, was davon übrig geblieben ist finden, aber das wird nicht sein, wonach sie suchen.“ Er seufzte und schwieg einen Augenblick lang. „Der Größe nach zu urteilen war diese Anlage wahrscheinlich mehr als eine Festung. Es ist anzunehmen, daß die hellen Flecken auf dem Luftbild in dem alten Buch auf Grabstätten hindeuten. Dort könnten sie durchaus Schmuck und Kunstgegenstände finden, die einmal als Grabbeigaben gedacht waren. Einen unförmigen rostigen Klumpen, der vielleicht erst unter dem Röntgengerät eines Museums seine ursprüngliche Gestalt verrät, werden sie sicher wegwerfen und sie werden unzählige Spuren, die uns Aufschluß über das Leben der Kelten geben könnten für immer zerstören. Ich bin ratlos, was man dagegen unternehmen kann.“

„Können wir denn nicht die Polizei einschalten?“, wollte Katrin wissen.

„Wir brauchen Beweise,“ meinte Herr Ohlshausen. „Ein wenig umgegrabener Waldboden wird ihnen nicht genügen. Bringt euch bloß nicht in Gefahr, Kinder. Das ist das Wichtigste überhaupt.“

Lange sagte niemand ein Wort. Das Gewitter schien sich langsam zu verziehen. Katrin dachte an die gestohlenen Geräte aus Werners Stall. Auch wenn sie ungefähr wußten, was die Einbrecher mitgenommen hatten, würden die Dinge wahrscheinlich nie wieder auftauchen. Ein Spaten sah schließlich aus wie der andere, und weil niemand wußte, was die Gauner vom Keltenhügel wegschleppten, konnten skrupellose Antiqutätenhändler die Sachen aus dem Keltenhügel verschachern, ohne selbst irgendwelche Risiken einzugehen. Selbst wenn die Kinder die Schurken auf frischer Tat ertappten, würden sie wohl leicht entkommen, ehe die Kinder die Polizei verständigten. Katrin grübelte noch nachts in ihrem Schlafzimmer über die Raubgräber nach.

Ärgerlicherweise war Melanie am nächsten Tag bereits vor den anderen am Pferdestall und hatte bereits Stella begonnen zu putzen. Als Anja und Alexandra am Stall ankamen nahm Sabine Katrin gerade mit Stella an die Longe. „Wir wollen gleich reiten, ehe es wieder heiß wird.“ rief Sabine. „Macht also Joschi und Glico fertig.“

Im Stall bemerkte Katrin gleich, daß jemand den Zettel mit Melanies Telefonnummer entfernt hatte. Am Abend zuvor hing er noch mitten unter den anderen Zetteln mit Telefonnummern neben der Stallapotheke.

Katrin wollte Glico gerade in die Reitbahn führen als Sabine rief: „Andere Richtung!“ Nanu, überlegte Katrin, dann kam Sabine mit der eilig gesattelten Piroschka aus dem Stall. Sie ritt gelegentlich Piroschka während sie die Kinder unterrichtete, aber heute führte sie Piroschka zur Hofeinfahrt und saß dort auf. „Anja, komm hierher!“ Sie winkte zur Reitbahn wo Anja mit Stella bereits ein paar gemütliche Runden im Schritt geritten hatte. „Wenn unsere Alexandra endlich fertig ist, können wir ins Gelände gehen.“

Katrins Herz hüpfte wild vor Freude. Heute sollte sie tatsächlich zum ersten Mal ausreiten! Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor bis Alexandra mit Joschi endlich erschien. „Joschi und Alexandra kommen ganz nach vorne.“ Sabine gab Piroschka eine energische Parade weil sie nicht ordentlich stehen bleiben wollte. „Glico und Katrin kommen als nächstes, dann Anja und Stella. Denkt daran, immer wenigstens eine Pferdelänge Abstand zu halten. Ich bleibe mit Piroschka hinten damit ich euch alle im Auge behalten kann. Überholt wird nicht, egal was kommt.“

Am liebsten wäre es Katrin gewesen wenn Melanie ihr neidisch hinterhergeblickt hätte aber die war zu sehr damit beschäftigt, Florifina zu putzen. Nicht einmal Stefan, der gerade versuchte, eine Solarleuchte über dem Stalleingang zu installieren, blickte auf, als sie losritten. Sie folgten zuächst dem grasbewachsenen Feldweg, der parallel zur Hauptstraße verlief, dann bogen sie ab und ritten auf eine kleine Kuppe zu.

„Glaubt ihr wir können bis dort oben hin traben?“ rief Sabine. Schon fielen die Pferde in einen frischen Trab und viel zu früh sollten die Pferde oben auf der Kuppe durchpariert werden. Katrin spürte, wie hinter ihr Piroschka unruhig hin und hertänzelte. Später, als Piroschka wieder ruhiger war trabten sie noch ein Stück. Als sie zum Stall zurückkehrten waren sie nicht einmal eine halbe Stunde unterwegs gewesen. Die Solarleuchte war immer noch nicht montiert.

„Was machen wir nun mit dem Keltenhügel?“ flüsterte Alexandra leise nachdem die Pferde abgsattelt und versorgt waren. Nur Piroschka wurde noch von Sabine auf dem Reitplatz geritten. Katrin spähte zu Melanie. Sie war zu weit weg um ihnen zuzuhören. „Ich habe keinen Plan.“ sagte Katrin. „Wir müssen wieder dorthin wenn wir irgendetwas unternehmen wollen.“ Alexandra wischte sich den Schweiß aus der Stirn. „Findest du das nicht gefährlich? Bekommst du keinen Ärger?“, wunderte sich Katrin.

„Alexandra will die Keltenfestung nach einem Zeitplan beobachten.“ Anja hüpfte auf einem Bein als sie versuchte, ihre Reitstiefel auszuziehen. „Halt den Stiefel fest, Schwesterherz.“

„Wir können natürlich nur tagsüber zu ganz normalen Zeiten die Keltenfestung observieren, sonst machen unsere Eltern wirklich Ärger. Wir tun so, als ob wir ganz normale Fußgänger oder Radfahrer sind.“ Alexandra faßte Anjas Stiefel an der Ferse und der Knöchelbiegung und Anja wäre fast auf den Hintern gefallen als ihr Fuß aus dem Stiefel rutschte. „Nächster Stiefel bitteschön.“, sagte sie und hielt ihm den anderen Stiefel hin.

„Nicht mal gescheite Stiefel können die Großen fabrizieren“, brummte sie, als sie den anderen Stiefel festhielt.Alexandra trug bereits Jeans und Straßenschuhe. „Meine lassen sich viel leichter ausziehen. Machst du mit, Katrin?“

„Klar.“ Katrin nickte. „Was machen wir, wenn die Gauner grundsätzlich nicht zu den Zeiten dort auftauchen zu denen wir dort sein können?“

„Das befürchte ich fast.“, brummte Alexandra. „Wenigstens sollten wir uns Notitzen über ihre Altivitäten machen. Hier.“ Sie zog ein kleines Notizbuch aus der Hosentasche und Katrin schlug es auf. Alexander hatte dort alle Beobachtungen mit Datum und Uhrzeit vermerkt.

„Jeder von uns sollte so ein Notizbuch führen. Falls wir sie doch auf frischer Tat ertappen flitzen wir eben schnellstens zu Werner an den Stall und bitten ihn, die Polizei anzurufen.“, ergänzte Anja.

Katrin sann einen Augenblich über den Plan ihrer Freunde nach. „Ich hätte zu gerne gewußt, ob Melanie Baldus mehr als wir darüber weiß, was am Keltenhügel vor sich geht.“, bemerkte sie.

„Die lassen wir lieber ganz aus dem Spiel.“ Alexandras Mine verfinsterte sich. „Mit der stimmt etwas nicht und ich werde herausfinden, was.“

Zunächst fand Alexandra überhaupt nichts heraus. Am Keltenhügel waren absolut keine neuen Grabspuren zu entdecken, auch wenn die drei ihren Beobachtungsplan während der ganzen Woche peinlich genau einhielten.

Melanie Baldus kam jeden Tag zum Pferdestall und Katrin bemerkte, daß Birgit, Sabine und sogar Florifina sie immer mehr mochten. Können sich Pferde eigentlich irren? Florifina hörte schon auf zu grasen und kam an den Zaun, um sich ein Leckerli abzuholen wenn Melanie durch die Hofeinfahrt kam.

Melanie war nicht nur einen guten halben Kopf größer als Alexandra und etwa einen Kopf größer als Katrin, sie drückte sich auch vor keiner Arbeit am Pferdestall. Einen vollen Wassereimer konnte sie ohne Mühe schleppen, sie beklagte sich nie, wenn die Pferdeäpfel von der Koppel gelesen werden mußten und als Birgit am Montagnachmittag sagte, sie habe Heu gekauft und fragte, wer beim Heuballenstapeln helfen wolle, war Melanie die erste, die begeistert zusagte. Heuballen stapeln konnte sie, das stellte sie zwei Tage später unter Beweis. Katrin beobachtete sie einmal, wie sie nach dem Reiten Anja den schweren Sattel abnahm und auf seinem Bock in der Sattelkammer verstaute, einfach so, ohne einen Dank dafür zu erwarten. Den dreien schien sie dennoch aus dem Weg zu gehen.

„Die Melanie ist wahrhaftig ein nettes Mädchen.“, sagte Sabine ein anderes Mal im Pferdestall. „Sie ist immer hilfsbereit und als Reiterin richtig talentiert. Sie hat so schnell den richtigen Sitz gelernt. Sie kann schon bald ohne Longe reiten. In den nächsten Tagen werde ich sie mal auf Florifina setzen. Hoffentlich bleibt sie recht lange bei uns am Stall.“

„Nett ist sie schon.“ fand Birgit. „Ich finde sie aber auch etwas komisch. Sie ist gewiß kein Typ, der viel redet, aber sie lacht auch auffallend selten. So ein ernstes Kind habe ich kaum je gesehen und daß sie mitten im Sommer so oft kalte Hände hat, ist auch ungewöhnlich.“

„Was kann sie dafür? Ich habe bloß mitbekommen, daß die anderen sie nicht besonders mögen...“ Mehr konnte Katrin nicht verstehen, weil Sabine Glico an der Longe zum Galoppieren üben herausführte.

Glicos Galoppierübungen nutzten bisher wenig. An der Longe stürmte er bestenfalls vorwärts im Karnickelgalopp, wie Sabine es nannte, und unter einem Reiter weigerte er sich strikt zu galoppieren. Stefan und Markus hatten sogar ein Hindernis gebastelt über das Glico springen lernen sollte, in der Hoffnung, daß er weitergaloppierte, wenn er das Hindernis überwunden hatte. Weil Sabine und Birgit aber keine routinierten Springreiterinnen waren wollte auch das nicht recht klappen. „Springreiten könnte so schön sein,“ meine Birgit, „wenn endlich jemand die Hindernisse abschaffen täte.“ Anja dagegen war von dem Hindernis begeistert und brannte darauf, Stella darüber zu reiten, obwohl sie am Anfang gleich dreimal hintereinander herunterpurzelte ehe ihr ein Sprung gelang.

Alexander wurde immer mißmutiger. Springen wollte sie auch nicht. Katrin vermutete, daß sie enttäuscht war, weil ihr sorgfältig ausgeklügelter Observationsplan für die Keltenfestung bisher keine Ergebnisse eingebracht hatte. Alexandras Zukunft als Detektivin sah wohl genauso düster aus wie das Wetter, das am Anfang der folgenden Woche herauf zog.

„Bei diesem Mistwetter können sie am Keltenhügel überhaupt nicht graben.“, versuchte Katrin zu erklären.

„Scht! Melanie...“ Alexandra legte einen Zeigefinger auf seine Lippen.

„Die kann uns nicht hören. Die sucht noch immer Florifinas Halfter auf der Apfelbaumweide. Hast du inzwischen etwas über sie herausgefunden?“

Alexandra grinste. „Sie wohnt in der Ziegeleisiedlung.“

„Na und?“ Katrin konnte nichts Besonderes daran finden.

„Sagt dir das nichts? Die Sozialblocks! Das Obdachlosenheim! Da hatten sie auch mal Wohncontainer für Asylbewerber aufgestellt, aber ich glaube, die sind schon vor einer Weile weggekommen. Ungefähr jeden zweiten Tag steht irgendwas von der Ziegeleisiedlung in der Zeitung weil es dort wieder Zores gegeben hat. Melanie wohnt am Nordring 4d, das ist einer von den weißgelben Betonklötzen aus den sechziger Jahren.“

„Das ist schon allerhand. Bei uns tut sie vornehm, klaubt sich abends ehe sie geht jeden Krümel Dreck von der Kleidung und kämmt sich ewig die Haare. Sie hat es sogar schon fertig gebracht, nach einer Dusche zu fragen.“

„Ich weiß.“

„Wie hast du das alles herausgefunden?“

„Ganz einfach.“ Alexandra lächelte überlegen. „Ich brauchte nur ihre Telefonnummer in den Computer zu geben und schon habe ich die richtige Adresse. Dort einmal kurz vorbei zu radeln ist eine Kleinigkeit. Der ganze Weg bis dorthin ist eben.“

„Hast du ihren Telefonnummernzettel vom Stall mitgenommen?“

„Den wird sie selbst wieder abgenommen haben. An ihrer Stelle wäre ich, gelinde gesagt, nicht daran interessiert, meinen Mitmenschen auf die Nase zu binden, wo ich wohne. Ich habe mir bloß ihre Nummer rechtzeitig gemerkt.“

Regentropfen begannen erst sanft, dann immer heftiger auf das Dach zu prasseln. Birgit und Anja rannten von der Hofeinfahrt in den Stall. „Sieht nicht gut aus mit dem Wetter.“, schnaufte Birgit. „Rundherum hat sich alles zugezogen. Melanie wird klatschnaß wenn sie nicht bald herkommt.“

„Da läuft sie, naß wie eine halbersoffene Katze!“, rief Anja und zeigte auf Melanie, die sich vergeblich vor dem Regen zu schützen versuchte. Florifinas Halfter hatte sie gefunden.

Birgit hüllte Melanie in eine alte Pferdedecke und gab ihr ein altes T-Shirt und eine verwaschene Jeans, die wohl Sabine früher getragen hatte. Katrin fröstelte an jenem kühlen Tag ohnehin ein wenig, aber Melanie zitterte nun richtig vor Kälte. „Wenn du dir nicht gerade eine heftige Erkältung einfängst haben wir es mit einem Wunder zu tun.“, sagte Birgit.

„B-b-bitte!“ schatterte Melanie. „M-meine Sachen müssen unbedingt trocken werden.!“

„Ausgeschlossen!“, beharrte Birgit. „Am besten fahre ich dich nachher auch nach Hause. Deine Sachen werden hier “

„Nein! Bitte nicht!“, rief Melanie laut. „Das geht doch nicht. Ich fahre mit dem Bus wie sonst auch.“ Birgit warf ihr einen fragenden Blick zu und ließ die Sache vorerst auf sich beruhen, aber sie dachte gewiß nicht daran, Melanie nachzugeben.

„Sie kommt mit dem Vierzehnerbus.“ wisperte Alexander. „Das ist eigentlich Unsinn. Der Bus fährt von hier aus im Zickzack zum Bahnof, da muß sie umsteigen in den Einunddreißiger, dann zum Sportplatz fast in die entgegengesetzte Richtung und es dauert eine Ewigkeit, bis er endlich an der Ziegeleisiedlung hält. Mit dem Fahrrad wäre sie viel flotter hier aber ich wette, sie hat keins. Womöglich kann sie nicht einmal Fahrrad fahren.“

„Was soll wer nicht können?“ Birgit hatte tatsächtlich etwas mitbekommen.

„Die Melanie kann vielleicht nicht Fahrrad fahren.“, gestand Alexander kleinlaut, aber deutlich genug für alle.

„Kann ich wohl!“ rief Melanie laut. „Mein Fahrrad ist bloß kaputt.“

„Und nun hast du keinen, der es repariert.“, vermutete Birgit.

„Das Fahrrad war gründlich kaputt." entgegnete Melanie trotzig. "Meine Eltern haben es schon entsorgt.“

Birgit blickte versonnen an die Stalldecke, als fielen Fahrräder vom Himmel. „Ich habe eine Idee.“, sagte sie dann, kletterte auf den Heuboden und ließ ein verstaubtes, weißes Hollandrad herunter.

„Wenn du willst, kannst du es haben.“, sagte sie so laut, daß es niemand überhören konnte. „Unsere Alexandra wird dir sicher helfen, es herzurichten.“

Und ob Melanie wollte! Ihre Augen glänzten und sie lächelte ein wenig. Das war schon ein richtiger Gefühlsausbruch für Melanie, fand Katrin. Etwas ängstlich blickte sie zu Alexandra. Die hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben und fühlte sich sichtlich überrumpelt.

„Ich verstehe auch etwas von Fahrrädern.“ hörte Katrin sich plötzlich sagen. „Wahrscheinlich sind bloß zwei Plattfüße zu reparieren und wenn wir Glück haben funktioniert sogar das Licht. Habt ihr Werkzeug?“

„Die Kerle könnten fast einen Baumarkt aufmachen.“ Birgit durchstöberte Markus’und Stefans Werkzeugkisten und fand schließlich auch Fahrradreifenflickzeug. Alexandra entschloß sich dann doch noch, mitzuhelfen und flickte den Hinterreifen während Katrin sich den Vorderreifen vornahm.

„Wenn wir jetzt das Rad in den Regen stellen brauchen wir es nicht mehr zu waschen.“ meinte Anja und sie schoben das Fahrrad in die Hofeinfahrt.

Der Regen ließ den Staub bald verschwinden, aber nun waren die Rostflecken zu deutlich zu sehen. Alexandra fand in der Sattelkammer ein altes Handtuch um das Fahrrad abzutrocknen, dann schmirgelten sie die Rostflecken mit Schleifpapier ab so gut es ging.

„Damit decken wir die Flecken ab.“ Birgit hielt eine rosa Sprühdose in den Händen. „Mit dem Lack werden sonst die Markierungspfähle auf Baustellen besprüht. Etwas Besseres finde ich gerade nicht.“

Jedes Mal wenn die Farbdose zischte, spitzten die Pferde die Ohren. Piroschka schien sich ein wenig zu fürchten. Bald war das Fahrrad gleichmäßig rosaweiß gescheckt. „Na, wie gefällt dir das Rad, Melanie?“ Birgit blickte sich um. „Melanie?“ Melanie war nicht zu sehen.

„Da läuft sie!“ Anja stand am Eingangstor und zeigte in Richtung Bushaltestelle. Die anderen sahen gerade noch, wie Melanie in den Bus stieg. „Letztendlich bestraft sie sich selbst.“ Birgits Ärger stand stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Am nächsten Tag nieste Melanie nur ein paarmal. „Donnerwetter.“ staunte Birgit. „Die kann was wegstecken.“ Melanie schien etwas gesprächiger zu werden, aber das lag vielleicht auch an Florifina. Auf Florifina durfte Melanie nun ohne Longe reiten und darüber war sie sehr glücklich. Katrin wußte auch, daß Melanie Florifina alle ihre Geheimnisse anvertraute wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Florifina konnte schweigen.

Über das Fahrrad freute sich Melanie auch riesig. „Niemand hat so ein Fahrrad.“ lachte sie. Zwischen zwei Regenschauern kurvte sie noch etwas linkisch um die Pfützen im Industriegebiet. Ihr Fahrrad mochte sie allerdings nicht mit nach Hause nehmen.

„Ihr seit auch auf der Jagt nach den Raubgräbern am Keltenhügel, nicht wahr?“ begann sie einige Tage später und Katrin war zunächst zu überrascht, um zu antworten. „Das neulich tut mir leid.“ Melanie wurde verlegen. „Ich will sagen, daß es mir leid tut, daß ich am Keltenhügel grob zu dir geworden bin weil ich dich verdächtigt habe.“

„Schon gut.“, sagte Katrin und dann schwiegen beide für einige quälend lange Augenblicke.

„Vielleicht kann ich euch helfen,“ sagte Melanie schließlich, „ich meine natürlich nur, wenn ihr mich mögt.“ Katrin holte tief Luft. „Hauptsache, den Schurken wird bald das Handwerk gelegt.“, sagte sie dann.

Kurze Zeit später sprach sie Anja und Alexander an wegen der Keltenfestung an. „Wenn wir gemeinsame Sache machen können wir die Raubgräber am ehesten erwischen.“, sagte sie. „Bestimmt kann ich euch helfen.Das Wetter soll bald besser werden, dann kommen sie sicher wieder. Wollen wir uns nicht zusammentun?“

Daß Alexandra es kaum erwarten konnte, zu erfahren, was Melanie über die Keltenfestung wußte, war ihm geradezu an der Nasenspitze abzulesen, aber ihr verflixter Stolz ließ nicht zu, daß sie Melanies Angebot einfach so annahm. „Laß uns bis morgen darüber nachdenken.“ hörte Katrin sie sagen. An diesem Abend machte sich Melanie zum ersten Mal mit ihrem rosaweißgescheckten Fahrrad auf den Heimweg.

Die Wolken hingen auch am nächsten Tag noch bleischwer am Himmel. Wenigstens regnete es nicht mehr und Katrin, Alexandra und Anja beschlossen, den Keltenhügel wieder zu beobachten. Melanies Mithilfe hatten sie diesmal in ihre Pläne einkalkuliert. Sie wunderten sich nur darüber, daß sie nicht kam. Sonst war sie wochentags immer zum Pferdestall gekommen seit dem Tag, an dem sie ihre Bücher abholte. Birgit und Sabine sagten zwar kein Wort, schienen sich aber ebenfalls zu fragen, warum Melanie nicht kam. Sogar Florifina hob von Zeit zu Zeit ihren Kopf aus dem hohen Gras und blickte in Richtung Bushaltestelle. Anja gab ihr schließlich ein Leckerli und putzte sie. Um Florifinas Rücken zu striegeln mußte Anja allerdings auf einen Strohballen steigen.

Der folgende Tag versprach endlich wieder ein warmer, sonniger Sommertag zu werden. Anja und Katrin waren früher als sonst am Pferdestall, nur Alexandra sollte etwas später kommen weil sie den Keltenhügel observieren sollte. Plötzlich bog ein fremdes Auto in die Hofeinfahrt. Katrin erkannte Melanie auf dem Rücksitz und die hochgewachsene, hagere Frau mit der Zigarette, die eilig ausstieg und die Fahrertür recht laut zuschlug war gewiß ihre Mutter. Sie wirkte ausgezehrt und nervös, unheilvoll dunkele Ringe lagen um ihre Augen. Katrin fühlte sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut als sie auf sie zu eilte. Das rosaweiße Fahrrad ragte halb aus dem Kofferaum hervor.

„Wer ist hier zuständig?“ blaffte die Frau ohne zu grüßen oder sich vorzustellen. Anja zeigte zum Stall auf Sabine, die gerade ein Brett festnagelte. „He, Sie! Hören Sie! Hat sich meine Tochter in letzter Zeit hier herumgetrieben?“

Völlig überrascht starrte Sabine die fremde Frau an. „Die Melanie...“ stammelte Sabine dann.

„Genau, die Melanie.“, schnarrte die Frau. „Äi!“ brüllte sie zum Auto hin. „Raus mit dir. Kofferraum ausladen!“

Melanie stieg umständlich aus dem Auto, löste die Paketschnur, die die Kofferraumklappe notdürftig sicherte, hob vorsichtig das Fahrrad heraus und schob es zu ihrer Mutter. „Wir sind davon ausgegangen, daß Sie damit einverstanden sind, daß Melanie hier reitet.“, meinte Sabine währenddessen.

„Davon weiß ich nichts. Reiten? Pah! Wir haben andere Sorgen. Die Reiterei ist uns auch zu gefährlich. Das ist nichts für uns. Wieviel kostet denn so eine Reitstunde bei Ihnen?“

„Wir verlangen kein Geld. Die Kinder...“ „Wollen Sie mir weismachen, das es auf der Welt etwas umsonst gibt? Alles dreht sich nur ums Geld und um anderer Leute Pferde zu füttern ist mir unser Geld zu schade.“, zischte die Frau.

„Was Sie mit Ihrem Geld machen ist mir egal. Ich will Ihr Geld nicht.“, sprach Sabine betont ruhig. „Die Kinder können hierherkommen und wenn sie reiten möchten, Pferde putzen oder sonstwas...“

„Da liegt also der Hund begraben!“ Die Frau triumphierte. „Wenn meine Tochter bei Ihnen Pferdeknecht spielen soll dann sollen Sie gefälligst auch dafür bezahlen. Ihren Schrott können Sie auch behalten. Die braucht ohnehin kein Fahrrad wenn sie sich ihres demolieren läßt.“ Sie ließ das rosaweiße Fahrrad vor Sabines Füßen so hart auf den Boden scheppern daß das Vorderlicht zerbrach. Die Splitter verstreuten sich zwischen den Schottersteinen.

Sabine schnappte nach Luft. Ihr Gesicht war zornesrot bis zu den Ohren. „Die Melanie hat doch gesagt...“ Sabine versuchte ihre Ruhe zu behalten.

„Die Melanie lügt sobald sie ihr Maul aufmacht. Die taugt nichts,“ giftete Melanies Mutter.

„Es reicht!“ Sabine wurde lauter. „Gehen Sie jetzt und kommen Sie nie, nie wieder!“

Die Frau faßte Melanies linkes Handgelenk und zerrte sie zum Auto. Die Armreifen klapperten. Melanie, blaß wie ein Laken, warf Katrin und Anja noch einen verzweifelten Bick zu, dann knallten die Autotüren zu und der Wagen brauste davon.

Fassungslos standen die drei da und blickten die Straße zur Stadt hinunter. Melanie hatte keine einzige Träne vergossen, aber Katrin stand das Wasser in den Augen und Anja schniefte. „Wer hätte das gedacht?“, hauchte Sabine tonlos.

Anja hob vorsichtig das Fahrrad auf und stellte es auf seine Stütze. „So eine Gemeinheit!“, schimpfte sie, als sie die Scherben aufzusammeln begann. Damit war alles gesagt, fand Katrin.



VI. Ein Mädchen verschwindet

Als ihre Großmutter an jenem Nachmittag am Pferdestall vorbeischaute, freute sich Katrin ganz besonders, daß wenigstens ihre Großmutter sie unterstützt. Beiläufig lobte Großmutter Herrn Ohlshausens Kochkünste. Nanu, hätte Katrin um ein Haar gefragt, woher weißt du denn das, Großmutter?

Alexandra kam unerwartet spät zum Pferdestall. „Die Raubgräber waren wieder da.“, platzte sie heraus. „Heute morgen müssen sie dort gewesen sein.“ Sie staunte nicht schlecht als er die Neuigkeiten von Melanie erfuhr.

„So ein Mist!“, schimpfte sie. „Gerade jetzt wo wir die Melanie so gut hätten brauchen können. Was machen wir nun morgen?“

„Wir gehen zurück zu unserem alten Plan und beobachten den Keltenhügel zu dritt.“, schlug Katrin vor.

„Ihr könnt zunächst machen was ihr wollt.“ Anja gab sich lässig. „Die Räuber kommen morgen und übermorgen bestimmt nicht. Sie sind noch nie samstags und sonntags gekommen. Am Wochenende ist ihnen wohl die Gefahr entdeckt zu werden zu groß. Bis nächste Woche fällt uns schon etwas ein.“

„Es geht nicht.“ Sabine blieb hart. Melanie stand traurig am Koppelzaun und streichelte Florifina, die hartnächig um ein weiteres Leckerli bettelte. Sabine legte eine Hand auf Melanies Schulter. „Du bist alt genug um das zu vertehen.“ Wenn die Erwachsenen diesen Satz aussprachen bedeutete das nichts Gutes, das wußte bestimmt auch Melanie. „Du hast den Brief an uns selbst geschrieben, nicht wahr?“

Melanie wich Sabines strengem Blich aus und antwortete nicht. „Wie können wir noch vertrauen nachdem du uns so gründlich getäuscht hast?“ Melanie blickte zum Boden.

„Was hätte ich sonst tun sollen?“, sagte sie leise. „Ich will doch gar nicht lügen. Ich mag Pferde genauso gerne wie ihr, das interessiert bloß meine Eltern nicht die Bohne. Mann, mann, ich hab mir doch die Eltern nicht ausgesucht.“

„Das ist mir schon klar.“ Sabine ließ ihre Hand sinken. „Die andere Sache ist daß wir ernsthafte Schwierigkeiten bekommen wenn dir bei uns etwas passiert. Stell dir vor du fällst vom Pferd und brichst dir die Knochen. Wir kommen in Teufels Küche wenn sich dann herausstellt, daß deine Eltern nicht einverstanden sind daß du an unserem Stall bist. Alleine schon deswegen kannst du nicht hier bleiben.“

„Willst du nicht das Fahrrad behalten?“ rief Birgit vom Misthaufen her. Melanie überlegte einen Augenblick.

„Wo soll ich denn hin damit?“ Melanie zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. „Ja dann...“

„Wir heben es dir auf jeden Fall auf.“, rief Birgit ihr hinterher. Melanie drehte sich noch einmal um. „Danke.“, sagte sie.

„Melanie! Warte!“ Alexander lief quer über die Koppeln. Auch Katrin näherte sich.

„Die Raubgräber waren da.“, keuchte Alexander als er Melanie erreichte. „Am Freitagmorgen müssen sie dort gewesen sein.“, sprudelte sie, „Gestern und heute waren sie nicht da, aber sie werden bestimmt bald wieder kommen.“

„Ich weiß.“, sagte sie. „Am Wochenende kommen sie nie.“, fügte sie hinzu als sie in Alexanders staunendes Gesicht blickte. „Ich weiß auch, daß sie frühmorgens kommen, nur heute waren sie nicht da. Gesehen habe ich sie noch nicht, aber ich werde die Verbrecher überführen und dann wird niemand mehr sagen, daß ich lüge oder nichts tauge.“

Katrin erinnerte sich an jenen Tag, an dem Alexander beschloß, den Einbruch an Werners Stall aufzuklären um zu beweisen, daß Spätaussiedler nicht unbedingt Diebe sein müssen.

„Willst du das alleine hinkriegen? Findest du das nicht gefährlich?“ Anjas Augen weiteten sich ungläubig. Melanies Blick war undurchdringlich.

„Hey, wollten wir nicht gemeinsame Sache machen? Mein Observationsplan ist doch in Ordnung, oder? Wir könnten uns ein oder zweimal pro Tag für eine Lagebesprechung treffen.“ Alexandra wurde unsicher.

Melanie warf Alexandra einen finsteren Blick zu. „Doch.“, sagte sie dann, „Machen wir gleich eine Lagebesprechung.“

„Deine Mutter hatte letzte Woche wohl einen starken Auftritt am Pferdestall.“, meinte Alexandra später.

„Für meine Eltern kann ich nichts.“ Melanies Blick wurde eisig. „Meine Mutter kann laut und unangenehm werden, das ist wahr, aber das ist auch schon alles. Sie schreit ein bißchen herum wenn sie sich aufregt, aber sie haut wenigstens nicht um sich. Mein Vater ist ruhiger, aber der schlägt auch mal zu wenn ihm was nicht paßt. Er ist aber nicht so oft zuhause. Seit mein ältester Bruder ihm mal eine zurückgepfeffert hat, ist er auch vorsichtiger geworden. Schlagen funktioniert nämlich nur Schwächeren gegenüber. Denken funktioniert immer, manchmal zwar nicht auf Anhieb, aber auf die Dauer funktioniert bloß Denken. Meine Eltern sind übrigens noch nicht auf den Trichter gekommen und sie lernen es wohl auch nicht mehr, das Denken. Deswegen will ich mal Professorin werden.“ Melanie tat so als habe sie gerade irgendeine Belanglosigkeit erzählt.

„Wie willst du denn das schaffen?“, staunte Anja . „Das ist doch sicher was für reiche Leute, und reich sind deine Eltern sicher nicht.“

„ Was meine Eltern wollen oder können ist mir in der Hinsicht egal. Es gibt Stipendien. Wer nicht doof ist und ordentlich ackert, kriegt eins.“ Sie schielte zu Katrin. „Vielleicht werde ich auch Tierärztin. Wenn Florifina und die anderen Pferde dann etwas haben behandele ich sie umsonst. Wenn überhaupt nichts klappt kann ich euch bloß versprechen, daß ich nie so werde wie meine Mutter oder mein Vater.“ So viel hatte Melanie kaum je gesprochen.

„Um Detektivin zu werden braucht man keine Universität.“ Alexandra legte sich ins Gras und grinste schelmisch. „Du brauchst nicht einmal Abitur, ich habe mich erkundigt. Bloß schlau genug mußt du sein und mutig. Das heißt, daß man sich den ganzen Streß mit den Noten weitgehend sparen kann und nur das Nötigste zu tun brauchst um nicht hängen zu bleiben. Hast du nicht Lust, Detektivin zu werden?“

Katrin und Melanie setzten sich ebenfalls ins Gras.

„Verdient ein Detektiv denn genug Geld?“ Melanie war skeptisch. „Die Fernsehdetektive sind meist chronisch pleite. Ich brauche später mal genug Geld für eine eigene Bude und einen Stall voll Pferde, so wie Sabine und Birgit einen haben.“

„Du willst schlau sein? Wenn du erwachsen bist brauchst du deine Alten nicht mehr zu fragen ob du zum Pferdestall darfst.“ Alexandra stöhnte gekünstelt. „So viel wie ein Professor kriegt ein Detektiv sicher nicht, aber es wird wohl reichen. Wenn du einen berüchtigten Verbrecher dingfest machst wirst du berühmt und kommst in die Zeitung. Als Professor mußt du schon einen Nobelpreis kriegen um in die Zeitung zu kommen.“

„Du brauchst keine Reden zu schwingen.“, meinte Katrin. „Wir kommen nicht weiter mit unserem Fall. Die Raubgräber sind nicht wieder aufgetaucht.“

„Richtig.“, rief Anja plötzlich „Ich weiß auch warum.“ Sie gab Alexandra einen kräftigen Schubs, so daß sie auf die Seite rollte. „Ich glaube, ich kann sogar sagen, wann sie wieder kommen.“ Flink zog sie Alexandras Notizbüchlein aus der Hosentasche.

„He, nimm dein eigenes.“, nörgelte sie als sie es aufschlug.

„Zuletzt waren sie letzte Woche freitag da. In den Tagen zuvor hat es ziemlich viel geregnet und in der Woche davor waren sie kein einziges Mal dort. Die vorhergehende Woche war die in der wir mit dem Ohlshausen auf dem Keltenhügel waren und wir haben zweimal notiert, daß die Gauner da waren. In der Woche davor waren sie wieder nicht da, nur in der Woche vorher, und so fort.“ Sie klappte das Büchlein zu und gab es ihrer Schwester zurück. „Wißt ihr was, ihr Penner? Die schichten. Das sind Schichtarbeiter wie unser Vater. Sie haben nur jede zweite Woche morgens frei und der Nachmittag wird ihnen zu riskant sein. Zu viele Leute sind nachmittags und abends unterwegs. Sie werden also frühestens Montagmorgen wieder auftauchen.“

Anja sonnte sich regelrecht in den bewundernden Blicken der drei Älteren. „Dann vertagen wir die nächste Lagebesprechung wohl besser auf den Sonntagabend.“ Alexandra steckte sein Büchlein zurück in die Hosentasche.

„Ich übernehme freiwillig den ersten Observationsgang am Montagmorgen.“ Melanie richtete sich auf. „Ich kann zeitig am Keltenhügel sein. Meine Eltern sagen nichts, wenn ich morgens ziemlich früh aus dem Haus gehe, deswegen kann ich bestimmt eher dort sein als einer von euch.“

„Wenn du das Fahrrad mitnimmst bist du schneller weg wenn es brenzlich wird.“ riet Anja. „Birgit und Sabine wollten es dir sowieso aufheben.“

Die nächsten Tage hätten Katrin, Alexandra und Anja ungestört am Pferdestall genießen können, aber es schien Katrin, als habe sich der Stall verändert. Die Sonne schien zwar wie sonst, die Pferde waren gesund,sie machten zusammen zwei schöne Ausritte und Glico galoppierte immer noch nicht unter einem Reiter, aber der Stall schien trauriger zu sein und er würde nie wieder wie vorher sein. Stefan schraubte ein anderes Licht an das rosaweiße Fahrrad und schob es unter die Überdachung für den Pferdeanhänger.

„Hast du schon mal erlebt, daß die Melanie mal unpünktlich war?“ Alexandra schaute auf seine Armbanduhr. Zwanzig Minuten vor drei zeigte sie, dabei war die Lagebesprechung für den Montag um zwei Uhr angesetzt worden und Melanie war immer noch nicht da.

„Normalerweise ist sie eher zu früh dran.“ Katrin fand diese Eigenart Melanies eher nervig.

„Das Fahrrad steht noch genauso da wie gestern.“, bemerkte Anja, „Sie hat es also nicht mitgenommen. Birgit hat sie nicht am Stall gesehen. Sie ist schon wieder weg weil sie und Sabine nachher zu einer Familienfeier wollen. Sie kommen heute später und wir sollen schon mal die Pferde versorgen.“

„Melanie ist bestimmt nicht hier gewesen.“ Ein ungutes Gefühl legte sich in Katrins Magengrube. „Am Keltenhügel war sie wahrscheinlich auch nicht. Möglicherweise ist ihre Rechnung nicht aufgegangen und sie hat Ärger mit ihren Eltern bekommen weil sie morgens so früh weg wollte.“, sagte sie. „Ich bin als nächstes dran mit einer Observationstour und am besten mache ich mich gleich auf die Socken.“

Daß die Raubgräber am Keltenhügel waren erkannte Katrin auf den ersten Blick. Sie zückte ihr Notizbuch und begann mit den Eintragungen. Zunächst sah sie sich nach Reifenspuren um, fand aber nichts Außergewöhnliches. Dann schritt sie die Spuren ab, die die Raubgräber hinterlassen hatten und versuchte, ihre Lage in dem Büchlein zu skizzieren. Prima, dachte sie als sie das Büchlein zuklappte, gleich bin ich wieder bei den Pferden.

Gerade wollte sie zu ihrem Fahrrad zurückkehren, da sah sie etwas Oranges auf dem Waldboden leuchten. Sieht so aus, als ob Melanie gewaltigen Ärger bekommen hat, dachte sie als sie den Plastiksplitter aufhob. Sie zerbricht sich schließlich nicht ohne weiteres ihre kostbaren Plastikarmreifen. Die Ganoven hatten Melanie erwischt!

So schnell sie konnte radelte sie zum Pferdestall. „Melanie ist etwas zugestoßen!“, rief sie als sie Anja und Alexandra sah. „Kommt mit! Schnell!“ Katrin zeigte ihren Fund und äußerte ihre Vermutung.

„So war das nicht gedacht.“ knurrte Alexandra als er die Sattelkammer verschloß, „Wir sollten die Gauner schnappen und nicht sie uns.“ Eilig wurde noch die Stalleingangstür verschlossen, dann strampelten sie den Weg zur Keltenfestung hinauf.

„Das sieht schon mal nicht gut aus.“ Alexandras Stirn runzelte sich beim Anbick des durchwühlten Erdreiches. „Die haben ziemlich was geschafft heute morgen.“ Sie schlug ihr Büchlein auf um ihre eigenen Notizen zu machen.

„Das Stück von dem Armreif habe ich weiter unten gefunden, hier etwa.“ Katrin zeigte auf den Waldboden, aber Alexandra blickte nur flüchtig aus seinem Büchlein auf.

„Hier ist noch was!“ Anja hob einen weiteren orangefarbenen Plastiksplitter auf. „Das ist ja fast wie im Märchen wo die Kinder Brotkrummen in den Wald streuen um den Heimweg zu markieren.“

Erstaunt blickte Alexandra auf. „Bloß daß die Vögel Plastikteile nicht so gerne wie Brot fressen.“, ergänzte sie und steckte ihr Büchlein in die Hosentasche. „Wahrscheinlich werden wir noch mehr finden. Nehmen wir uns die Ecke hier mal genauer vor.“

Zunächst fanden sie nichts so sehr sie auch suchten. „Ich habe noch was!“, rief Anja schließlich und hielt eine Mädchenarmbanduhr in die Höhe. „Sie geht sogar noch!“ Nur das billige gelbe Plastikarmband war zerrissen.

„Die Uhr hat etwas abseits von der nächsten Stelle gelegen an der die Gauner gegraben haben.“ Katrin wurde nachdenklich.

„Angenommen, sie hat von dort aus die Raubgräber beobachtet, dann ist sie womöglich dort von ihnen entdeckt und überwältigt worden.“, kombinierte Alexandra.

„Oder sie hat sich noch näher ran getraut, zu nahe um abzuhauen als sie entdeckt wurde.“, ergänzte Anja. „Als die Gauner sie entdeckten, konnte sie nicht weiter fliehen als bis dorthin, wo ich die Uhr gefunden habe.“

„Wir müssen herausfinden, wo die Gauner sie hingeschleppt haben.“, meinte Katrin. „Dann wird sie es uns hoffentlich bald erzählen. Schauen wir, ob wir auf dem Waldweg weitere Spuren finden.“

Spuren von Melanie fanden sie nicht mehr. „Komisch.“, sagte Anja und stocherte in einer tiefen Furche. „Auf diesem kleinen Weg scheint es ziemlich viel Verkehr zu geben.“

„Stimmt auffallend.“ Katrin gesellte sich zu ihr. „Der Weg ist bergauf bis zu der Kreuzung ziemlich ausgefahren. Dort geht es auf der einen Seite zu Werner und zum Industriegebiet. Der Weg wird dort wieder normal. Zur anderen Seite hin ist er wieder stärker ausgefahren. Bergab ist der Weg von der Keltenfestung auch nicht so stark zerfahren.“

„Ich glaube, wir können auf den Waldwegen garnichts finden weil sie Melanie in ein Auto gestopft haben und davongebraust sind.“ Alexandra wirkte mutlos. „Die Aussichten sie zu finden sind miserabel.“

„Wir könnten wenigstens dem Waldweg bergauf folgen, dann haben wir wahrscheinlich die ungefähre Richtung aus der die Gauner gekommen sind.“, schlug Katrin vor. „Wenn wir annehmen, daß die Raubgräber von irgendwo hier aus der Ungebung stammen, und daß sie ein entführtes Kind nicht überall verstecken können haben wir vielleicht eine Chance.“

Die Stimmung war bedrückend als die drei sich auf den Weg machten. Niemand sagte ein Wort, nur die Fahrräder klapperten leise. Den Weg, den sie an der Kreuzung einschlugen kannte niemand von ihnen so recht.

„Ich glaube, dieser Weg führt zu einem stillgelegten Steinbruch.“ meinte Alexandra schließlich. „Wir müssen bloß irgendwann rechts abbiegen, glaube ich.“

„Genauer weißt du nicht Bescheid, wie?“ Anja runzelte ihre Stirn. „Der nächste Weg kann es schon mal nicht sein. Der endet gleich da vorne wieder.“

Der nächste Weg war so zugewachsen, daß ihn gewiß seit Wochen niemand benutzt hatte. Der dritte Weg führte sie schon nach wenigen Minuten aus dem Wald heraus. Die Weizenfelder, die sich vor ihnen ausbreiteten waren kaum geeignet, ein Entführungsopfer zu verstecken.

Mißmutig kehrten sie zurück zum Waldweg. „Vielleicht hätten wir links abbiegen sollen.“, brummte Alexandra.

„Vielleicht! Vielleicht!“ maulte Anja. „Ich habe keinen passabelen Weg gesehen, der links wegging - außer vielleicht den nächsten da.“

Kurze Zeit später standen sie vor dem verlassenen Steinbruch. Sie sahen sich um, kletterten zwischen die Gesteinsbrocken und riefen von Zeit zu Zeit Melanies Namen.

„Was wir hier treiben ist eigentlich Quatsch.“, bemerkte Anja nach einer Weile. „Hierher hat sich schon lange keiner mehr verirrt. Gehen wir zurück zu unserem Weg.“

Der Weg führte sie schon bald wieder aus dem Wald heraus. „Das Kuhdorf vor muß Heisterfeld sein.“ Alexandras Enttäuschung war nicht zu übersehen. „Grob geschätzt dreimal so viele Rindviehcher als Einwohner haben die hier und nach meinem Ermessen keinen Platz um Melanie zu verstecken. Wir kehren wohl lieber um und überlegen uns etwas Besseres.“

Als sie sich wieder dem Wald zu kehrten fielen ihre Blicke auf ein ungepflegtes kleines Haus, das sich inmitten von wucherndem Dornengestrüpp an den Waldtrand drückte.

„Sieht aus wie eine verlassene Jagdhütte.“, meinte Alexandra. „Da war wohl schon lange niemand mehr da.“

„Heute ist aber jemand da.“ Anja legte einen Zeigefinger auf die Lippen. Schwach klang ein rhythmisches Poltern zu ihnen herüber. „Da hämmert wer.“

Um den verwilderten Garten der zu dem Haus gehörte hatte sich wahrscheinlich seit Jahren niemand mehr gekümmert. Die drei spähten durch die Fenster. Die Bäume und Sträucher waren so dicht gewachsen daß sie kaum Sonnenlicht durch die Fenster ins Erdgeschoß ließen. Das Poltern war verstummt. Die Zimmer waren leergeräumt soweit die Kinder etwas erkennen konnten, nur ein paar Papierfetzen waren auf dem staubigen Fußboden verstreut. Eine altmodische Küche gab es noch und die Kloschüssel war zerbrochen. Im Halbdunkel war nichts Genaues zu erkennen, aber es schien, als habe jemand die Treppe zum Obergeschoß herausgerissen. „Merkwürdig.“, flüsterte Katrin. Fenster und Außentüren waren fest verschlossen.

Das Poltern war wieder zu hören. „Das kommt von irgendwo hinterm Haus!“ Alexandra wollte Anjas Mund zuhalten, aber sie zwickte ihn schnell zwischen die Rippen. „Scht!“, flüsterte sie. „Wer weiß, wer diesen Krach macht!“

Vorsichtig schlichen die drei sich hinter das Haus. Neben dem vertrockneten Gartenteich gab es einen alten Schuppen aus angerostetem Stahlblech und von dort schienen die Geräusche zu kommen. Der Schuppen besaß nur ein einziges kleines Fenster direkt unter dem First. Die Tür war mit einem bulligen Vorhängeschloß versperrt. Das Poltern verstummte. Ein unheilvolles Gefühl drückte sich in Katrins Magengrube. Sie blickte sich um. „Schnell.“, wisperte sie, „Wir brauchen die Regentonne.“

Sie trugen die verbeulte Tonne so leise wie möglich herbei, drehten sie verkehrt herum und stellten sie unter das Fensterchen. Katrins Herz schlug als wolle es jeden Moment in ihre Hose rutschen als sie auf die Regentonne kletterte, doch merkwürdigerweise überraschte sie der Blick ins Innere des Blechschuppens kaum.

Die Ganoven hatten Melanie gefesselt und geknebelt auf dem nackten Betonboden der Hütte zurück gelassen. Sie konnte sich so kaum bewegen und erst recht nicht um Hilfe rufen. Die einzige Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen war mit den zusammengebundenen Füßen kräftig gegen eine Holzkiste zu treten. Katrin klopfte an die Fensterscheibe und Melanie hob ihren Kopf. Eine schmutzige Platzwunde verunzierte ihre Stirn.

„Laß mich auch mal rauf!“ Alexandra zupfte an Katrins Arm. „Wenn wir Glück haben ist das Fenster nicht verschlossen.“

Ihre Wangen glühten vor Aufregung als sie Katrins Platz einnahm und gegen das Fenster drückte. „Diese Dinger taugen meist nicht viel.“

Das Fenster gab nicht nach. „So einen Schrott gab es in Kasachstan auch manchmal...“ Alexandra rüttelte fester und hielt plötzlich das Fenster samt Rahmen in ihren Händen.

„Hey, Melanie!“, rief sie nach innen. „Wir sind jetzt da und holen dich raus!“

„Das Fenster ist reichlich eng.“ Nachdenklich kratzte sich Alexandra am Kopf. „Ich passe nicht durch. Das ist am ehesten etwas für dich, Schwesterlein. Den Gartenschlauch nehmen wir zum Abseilen.“

Mühelos glitt Anja durch die enge Fensteröffnung. „Wieviel Uhr ist es?“ wollte Melanie als erstes wissen nachdem Anja den Knebel entfernt hatte.

„Sonst hast du keine Sorgen, wie? Zehn nach vier. Mit den Gaunern brauchen wir nicht vor heute abend zu rechnen. Die malochen.“ Anja versuchte, die Schnur um Melanies Handgelenke zu lösen. „Das ist aber auch ein Mistknoten!“, schimpfte sie.

„Wartet, ich komme!“ Knoten lösen konnte Katrin gut, aber es gelang ihr kaum, durch das Fenster zu schlüpfen.

„Es ist ekelhaft kalt hier.“, flüsterte Melanie während Katrin und Anja die Fesseln lösten. Endlich stand Melanie wieder auf ihren Beinen.

„Lassen sich die Türbeschläge abschrauben oder aufstemmen?“ Alexandra reckte ihren Kopf so weit sie konnte durch die Fensteröffnung.

„Werkzeug gibt es auch in der einen odere anderen Kiste.“ meinte Melanie.

„Ich kann nichts Brauchbares erkennen,“ Katrin beäugte die Tür.

„Nein, losschrauben läst sich nichts, höchstens vielleicht von außen aufstemmen.“ Melanie hatte bereits eine Holzkiste geöffnet und durchwühlte sie hastig. „Nie hat ein Mannsbild das Werkzeug was gerade gebraucht wird.“ murmelte sie.

Manche Kisten waren fest verschlossen. Die erste Kiste, die Katrin öffnen konnte war leer, die zweite enthielt zerknülltes Papier, Lumpen und sonstigen unnützen Plunder. „Donnerwetter!“ rief sie als sie in die dritte Kiste blickte. Eine merkwürdige, sehr alt aussehende Steinfigur mit unförmig großen Ohren lag darin.

Melanie schielte zu ihr herüber. „Sie haben noch mehr Sachen von dem Keltenhügel in den anderen Kisten.“, meinte sie. „In der länglichen Kiste in der Ecke haben sie auch ein Metallsuchgerät. Wir sollten aber zuerst schauen, daß wir hier herauskommen. Später können wir uns darum kümmern.“

„Hier gibt es nichts zum Aufstemmen.“ rief Anja schließlich nach draußen.

„Ich habe hier auch nichts gefunden.“, rief Alexandra. „Werner hat bestimmt eine Brechstange und er wird auch die Polizei anrufen. Wir sollten schleunigst hin zu seinem Stall.“

„Alles wird gut, Melanie.“, sagte Anja und schlüpfte durch die Fensteröffnung. „Wir sind ruckzuck wieder zurück und dann bist du in Sicherheit.“

Für Katrin war es ungleich schwieriger, sich wieder durch die enge Öffnung zu zwängen. Sie hielt es kaum für möglich, aber sie schien nicht mehr durch die Fensteröffnung zu passen. Alexandra wollte sie an dem Gartenschlauch nach draußen ziehen, aber wenn Katrin ihre Muskeln anspannte, um den Schlauch festzuhalten, wollte ihr Körper nicht mehr durch die Fensteröffnung passen.

„Nicht zu fassen.“ Alexandra war ratlos.

„Ich muß wohl oder übel hierbleiben bis ihr die Sache geregelt habt.“ Katrin versuchte tapfer zu klingen. „Schnell!“ rief sie noch den Geschwistern hinterher. „Beeilt euch!“



VII. Gefangen

Katrin ließ die lädierte Uhr in Melanies Hände gleiten. Sie schienen noch kälter als sonst zu sein.Dann erzählte sie ihr, wie sie Melanie gefunden hatten. Melanies Armreifen fehlten. „Die habe ich verloren.“, begann sie. „Ich habe die Raubgräber eine ganze Weile beobachtet. Zwei Männer sind es gewesen. Sie waren mit einem alten grauen Kastenwagen da und so vertieft in ihre Machenschaften, daß sie mich wahrscheiblich nie bemerkt hätten. Plötzlich packte mich jemand von hinten. Es gelang mir, die Hand, die sich vor meinen Mund legte kräftig zu beißen, der Kerl ließ locker und ich wäre gewiß davongekommen, aber ich stolperte. Da kriegte mich der Kerl natürlich und hielt mich gleich so gut fest, daß ich nicht mehr kratzen, beißen oder treten konnte. Damit ich auch nicht schreien konnte bekam ich gleich einen Knebel in den Mund verpaßt. Die beiden anderen verschnürten mich wie ein Postpaket, schmissen mich auf die Ladefläche von dem Kastenwagen und verfrachteten mich gleich hierher.“

„Die Nummer von dem Auto hast du dir nicht zufällig gemerkt, oder?“

„Die habe ich mir als erstes aufgeschrieben.“ Melanie zeigte Katrin ihr Notizbüchlein. „Hier. Die beiden Raubgräber habe ich auch so genau wie möglich beschrieben.“

„Phantastisch!“ Staunend blätterte Katrin in Melanies Büchlein. Sie hatte es sogar fertig gebracht, die Ganoven zu zeichnen und Melanie konnte gut zeichen.

„Den dritten habe ich natürlich nicht gesehen, aber ich denke, ich werde seine Stimme wiedererkennen, wenn es drauf ankommt. Ich wette, das ist der Chef der Bande. Er gibt jedenfalls die Anweisungen“ ergänzte sie. „Ich kann von ihm sonst nur sagen, daß seine Hände sauber waren, nach Seife schmecken und daß er einen dicken Siegelring an einem Ringfinger trägt. Ich glaube, er ist älter als die anderen beiden. Und als sie mich zu dem Kastenwagen trugen habe ich sein Auto gesehen, es ist ein großer schwarzer Mercedes. Das Kennzeichen muß ich noch aufschreiben.“ Sie nahm ihren kurzen Bleistift aus der Hosentasche und kritzelte die Buchstaben und Ziffern in das Büchlein.

„Die beiden Autokennzeichen schreibe ich mir besser auch auf.“, meinte Katrin, „Sicher ist sicher.“

„Hast du keine Idee, wie wir hier herauskommen können?“ Melanie blickte Katrin hoffnungsvoll an.

Katrin seufzte. „Wenn wir stark genug wären um die Steinfigur hoch zu heben, könnten wir versuchen, die Tür zu rammen.“

„Die Figur würde wohl dabei zerbrechen.“

„Wir sind ohnehin nicht stark genug, sie auch nur aus der Kiste zu heben.“ Katrin seufzte noch einmal. „Sonst sehe ich keine Möglichkeit hier raus zu kommen ehe unsere Freunde zurück sind.“

„So eine merkwürdige Steinstatue habe ich noch nie gesehen.“ Melanie hatte die Kiste wieder geöffnet. „Er hat richtige Mickimausohren und er trägt ein Schwert. Es ist eine richtige Gemeinheit, daß sie solche Sachen einfach wegschaffen und verschachern wollen.“

„Es ist eine Gemeinheit, dich einfach hier einzusperren.“ , knurrte Katrin und Melanie schwieg für einen Augenblick.

„Katrin, weiß du, woher der ganze Schlamassel kommt?“ Melanies Mine verfinsterte sich.

„Hm?“ sagte Katrin nur. „Immer wen die falschen Leute Entscheidungen fällen dürfen kommt so ein Mist dabei heraus.“ Verwundert blickte Katrin auf Melanie die plötzlich redselig geworden schien.

„Ich will sagen daß wenn dieser Doktor Schallek, oder wie er hieß, auf dem Amt nicht entschieden hätte daß es kein Geld für Ausgrabungen am Keltenhügel gibt hätten die Raubgräber keine Chance gehabt und wir säßen hier auch nicht fest.“, meinte Melanie. „Vielleicht hat er einfach nicht nachgedacht, so wie meine Mutter kein bißchen nachgedacht hat, ehe sie so einen Krawall am Pferdestall gemacht hatte. Leute, die öfters so einen Blödsinn verzapfen sollte man keine wichtigen Entscheidungen mehr erlauben.“

„Wie soll das einer auseinander halten?“

„Ganz einfach.“ Melanie setzte sich auf eine verschlossene Holzkiste. „Immer wenn es offensichtlich wird, daß jemand nicht seinen Denkapparat nach besten Kräften bemüht hat ehe er erwas Wichtiges entschieden hat, wird er ohne Vorwarnung ersetzt durch jemand, der bisher nichts zu sagen hatte, und der darf bleiben, so lange er sich Mühe gibt. Wetten, daß die Putzfrauen im Bundestag besser regieren können als unsere Politiker?“

Ideen hatte diese Melanie! Daß sie ausgerechnet in so einer Situration damit herausrückte fand Katrin mehr als wunderlich. „Wetten, daß wir nicht alleine durch Denken hier herauskommen?“, meinte Katrin schließlich. „Die ganze Denkerei nützt nicht viel ehe unsere Freunde nicht anrücken und uns uns aus dieser Patsche herausholen.“

„Werner ist der kleine grauhaarige Mann der ein wenig hinkt, nicht wahr?“

„Genau.“, sagte Katrin. „Er wird uns helfen. Er hat einen Stall mit vier Pferden mitten im Wald in der Nähe der Keltenfestung.“

„Ich weiß.“, meinte Melanie ruhig. „Ich war im Auto als Markus ihn neulich abholte als wir alle zum Keltenhügel gefahren waren. Wenn wir heil hier rauskommen werde ich ihn fragen, ob ich ihm nicht bei seinen Pferden helfen kann.“ Melanie schien einen Moment lang in sich hineinzublicken.

„Wir sind hier nicht weit entfernt vom Keltenhügel und Werners Stall kann auch nicht weit weg sein.“ bemerkte sie dann. „ Anja und Alexandra müßten längst wieder zurück sein, selbst wenn sie ohne Fahrräder unterwegs wären. Nein, irgendetwas ist schief gelaufen.“

Schlagartig wurde Katrin klar, daß Melanie recht haben mußte. „Sie werden uns nicht im Stich lassen!“, rief sie obwohl ihr bei dem Gedanken regelrecht übel wurde, daß ihren Freunden etwas zugestoßen sein konnte.

„Pst!“ zischte Melanie. „War da nicht gerade ein Auto?“ Angestrengt horchten die beiden.

„Da kommt tatsächlich ein Auto hier herauf.“ wisperte Katrin. „Gleich werden sie uns hier rausholen.“ jubelte sie „Wir sind gerettet! Alles wird gut“

„Hast du den Verstand verloren?“ Melanie packte Katrin und schüttelte sie kräftig. „Halt bloß deine Klappe! Niemand wird uns retten. Niemand von unseren Freunden hat ein Auto mit einem Dieselmotor, Polizeistreifenwagen haben für gewöhnlich auch keine Dieselmotoren. Was da draußen rappelt ist aber einer!“

Melanies Worte waren wie eine eiskalte Dusche für Katrin. Entsetzt starrte sie auf Melanies Lippen. War das denn möglich? „Na los.“ forderte Melanie. „Fessele mich wieder und sieh zu daß du von der Bildfläche verschwindest.“

Viel zu schnell kam das Motorengeräusch näher. Hastig und mit zitterigen Fingern knotete Katrin die Schnur um Melanies Handgelenke und um ihre Füße. Das Motorengeräusch erstarb, Autotüren wurden geöffnet und Männerstimmen waren zunächst undeutlich zu hören.

Katrin stieg in die leere Holzkiste und zog den Deckel über ihren Kopf als der Schlüssel im Vorhängschloß knirschte. Sie hatte vergessen, Melanie zu knebeln und das Fenster war auch nicht wieder eingesetzt worden!

Glücklicherweise war die Kiste nicht sehr sorgfältig gezimmert und Katrin konnte durch die Fugen spähen. Viel erkennen konnte sie allerdings nicht.

Die Tür wurde mit Schwung aufgestoßen. Katrin sah zunächst nur vier schmutzige blaue Arbeitshosenbeine. „Was ist das für ein Lärm hier drinnen?“, moserte eine Männerstimme.

„Siehst du die Bescherung nicht?“ nörgelte eine andere Männerstimme. „Dieses Luder hat versucht, hier loszukommen und hat Rabatz gemacht. Irgendwie hat dieses verflixte Luder sogar das Fenster kaputt gekriegt.“

„Das wird unserem Boss nicht gefallen.“

„Er hat gleich gesagt, daß dies ein richtig hinterlistiges Biest ist. Wenn wir heute nicht krankgefeiert hätten wäre sie vielleicht bis zum Abend abgehauen. Los. Fesseln wir sie wieder richtig.“ Von Melanie war kein Ton zu hören.

„Das liegt alles an dir.“ sagte die eine Stimme. Sie gehörte zu einem jüngeren, etwas untersetzten Mann mit dunkelen Haaren. „Wenn du bei dem alten Knacker neulich ein paar richtige Pferdestricke mitgenommen hättest, könnten wir das kleine Miststück so vertäuen, daß es keinen Mucks tut.“

„Du kannst ja noch mal bei ihm einsteigen wenn dir danach ist. Dann haust du ihm am besten auch eins dafür in die Fresse daß er sich kein vernünftiges Werkzeug angeschafft hat. “ , sagte der andere Mann. Er war größer, schlanker und trug einen ungepflegten Vollbart.

Das hätte Katrin nicht erwartet. Ihre Wangen glühten. Sie redeten von dem Einbruch an Werners Stall!

„Zuerst müssen wir uns mit diesem Gör etwas einfallen lassen.“ knurrte der pummelige Mann. „Noch einen Tag feiere ich nicht krank wegen dieser häßlichen Kröte mit der Schnittlauchfrisur.“

„Brauchst du auch nicht.“ Der Dünne schien sich sehr sicher zu sein. „Die gibt bald keinen Mucks mehr von sich.“

„Was hast du vor?“ Der andere wurde nervös. „Willst du sie selbst beseitigen? Das ist eine Nummer zu groß für uns. Lassen wir den Boss entscheiden was aus ihr werden soll.“

„Sie weiß zu viel. Der Boss wird auch nichts anderes sagen und du glaubst ja wohl selber nicht, daß der sich selbst die Hände schmutzig macht. Wenn dieses Rotzbalg nur ein einziges Mal die Gelegenheit bekommt, den Mund aufzumachen werden wir alle im Knast verschimmeln.“ Der Dünne lächelte diabolisch. „Wir brauchen nichts weiter zu tun als sie in die ehemalige Zahnradfabrik zu bringen und gut zu verstecken. Was können wir dafür wenn sie den alten Kasten demnächst in die Luft jagen! Hilf mir.“ Er packte Melanie grob und und zog sie jäh vom Boden hoch. Melanie gab keinen Laut von sich.

„Der Chef wird als nächstes wollen, daß unsere Sachen hier wegkommen.“ Der Untersetzte schritt auf Katrins Kiste zu und verschloß den Deckel über Katrin.

„Das befürchte ich auch.“ knurrte der andere. „Wir können aber nur eins nach dem anderen erledigen, also laß die Kiste stehen. Die Sachen holen wir danach. Machen wir erst einmal, daß wir wegkommen.“Melanie gab keinen Laut von sich als die Gauner sie davonschleppten.

Die Tür wurde verschlossen und der Wagen fuhr davon. Katrin hätte sich gerne gerührt, aber die Kiste war zu eng um auch nur ihr Handgelenk so weit zu drehen daß sie auf die Uhr schauen konnte. Sie versuchte, mit den Schultern gegen den Deckel zu drücken aber der gab keinen Deut nach. Dazu war die Kiste nun doch zu gut gezimmert. Wenigstens drang genug Atemluft durch die Holzspalten zu Katrin, aber sie fühlte, wie langsam und unerbittlich die Kälte vom Betonboden zu ihr hochstieg und sich allmählich in ihr ausbreitete. Dabei war es noch längst nicht Nacht. Mitten im Sommer erfroren ist bis jetzt noch keiner, sagte sie sich. Ein Mensch kann über eine Woche ohne Nahrung auskommen und etwa drei Tage ohne zu trinken, überlegte sie. Das hat Ohlshausen einmal gesagt. So viel Zeit haben meine Freunde, um mich hier zu finden. Sonst weiß niemand, daß ich hier bin und so lange ich mich nicht rühren kann, kann ich auch niemand auf mich aufmerksam machen. Die Kiste ist eng wie ein Sarg.

Was werden die Gauner wohl tun wenn sie in der Zwischenzeit die Kiste öffnen? Katrin graute vor der Vorstellung, daß mit ihr zweifellos das gleiche wie mit Melanie geschehen würde, und jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte schien die Kiste zu schrumpfen. Du bist verloren, verloren, schienen die Blätter der Bäume draußen zu flüstern wenn der Wind die Zweige bewegte.

Ihre eingezwängten Gliedmaßen, die zunächst quälend schmerzten wurden bald taub und gefühllos. Es schien auch, als schwände das Tageslicht bereits aus dem trostlosen Blechschuppen. Katrin schloß die Augen und versuchte sich ihre Freunde vorzustellen. Vor ihrem inneren Auge sah sie Anja, Alexandra und Melanie, die Pferde, die sie alle so sehr liebten, Birgit, Sabine und die beiden jungen Männer, Großmutter und Herrn Ohlshausen, den hinkenden Werner und seine makellos schönen Araberpferde...

Aus der Ferne klang Hufgeklapper an Katrins Ohren. Was für ein merkwürdig schöner Traum, dachte sie. Das Geklapper kam näher, und Katrin fand es zu schön um wahr zu sein als sie Alexandras Stimme vor der Hütte erkannte. Sie hörte, wie jemand auf die Regentonne kletterte und dann vernahm sie Anjas Stimme. „Hier ist niemand.“ rief Anja.



VIII. Der Strich durch die Rechnung der Ganoven

„Hilfe!“ schrie Katrin so laut sie konnte. „Ich bin hier! Helft mir!“

„Katrin ist da!“, freute sich Anja. Katrin hörte, wie Anja durch die Fensteröffnung rutschte und im Nu war Katrins Kiste geöffnet. Katrin kletterte linkisch aus der Kiste. Ihre Beine waren zunächst so gefühllos, daß sie unter ihr nachgeben wollten, dann schienen unzählige Armeisen in ihnen zu erwachen. Kraftlos sank Katrin zu Boden.

„Wo ist Melanie?“ Anja schien Böses zu ahnen und Katrin erzählte von den Plänen der Ganoven.

„Schlimm.“, meinte Anja. „Wir konnten nicht schneller kommen. Werner war nicht da, also haben wir ihm eine Nachricht hinterlassen und sind gleich zurück zu unserem Stall gedüst.An der Telefonzelle neben der Bushaltestelle haben wir versucht, die Polizei anzurufen, aber die Dumpfbacke am Telefon hat uns kein Wort geglaubt. Birgit und Sabine waren auch noch nicht wieder da, nur Stefan. Der war zu sehr mit seinem Auto beschäftigt, um uns zuzuhören. Er meinte bloß, wir könnten die Pferde mitnehmen, wenn wir sie bräuchten, das ginge wohl in Ordnung. Also haben wir Stella und Glico mitgebracht.“

Katrin hörte die Pferde vor der Hütte grasen. Das Vorhängschloß klapperte. „Alexandra hat gerade einen Karabinerhaken eingehängt.“, erklärte Anja. „Gleich zieht die liebe Stella mal ordentlich und die Tür ist offen.“

Katrin sprang auf, stürzte zur Fensteröffnung und reckte sich so weit wie möglich nach draußen. Stella trug ihr Fahrgeschirr, das Stallhalfter und ein langer Stick ersetzten das Fahrhalfter und die Fahrleinen. Alexandra wollte Stella gerade dazu überreden, sich ins Geschirr zu legen aber sie wollte lieber zusammen mit Glico grasen. Warum hat bloß keiner von ihnen daran gedacht, sich das Kutschieren beibringen zu lassen, dachte Katrin. Plötzlich hatte sie eine Idee. „Anja! Sieh zu, daß du hier raus kommst, setz dich auf Glico und tu so, als ob du mit ihm davonreitest. Stella wird nicht alleine hier bleiben wollen.“

Stella hob ihren Kopf und wieherte als Anja Glico von ihr wegtrieb. Dann stemmte sie sich in ihr Geschirr. Bärenstark war sie! Das Metall um den Türriegel ächzte, das Material gab nach und laut scheppernd öffnete sich die Tür. Vor Schrecken tat Stella einen gewaltigen Satz nach vorne und raste los. Mit einem fürchterlichen Lärm flog die Tür aus den Angeln. Alexandra mußte Stella loslassen, dabei verfing sie sich mit den Füßen in dem Stick und wurde mitgeschleift. „Halt, Anja!“, schrie sie „Halt Glico an!“

Anja gelang es, Glico zum Halten zu bringen aber Stella fegte mit Alexandra im gestreckten Galopp an ihr und Glico vorbei. Die Tür schlug krachend gegen einen Baumstamm, das Blech knitterte und verbeulte sich und Stella verschwand mit Alexandra aus dem Blickfeld.

Von einem Augenblick zum anderen war alles ruhig, dann war vor dem Haus bruchstückhaft eine Männerstimme zu hören und diese Stimme kannten Anja und Katrin gut! „Werner!“ riefen sie fast gleichzeitig und rannten los.

„Kinder, Kinder!“ murmelte Werner. „Was habt ihr euch bloß gedacht?“

Er hielt Stella am Halfter. Sie schnaubte ängstlich, rollte mit den Augen und versuchte hinter sich zu dem unheimlichen Gegenstand zu schielen, der immernoch an ihrem Fahrgeschirr hing. Schreckensbleich aber bis auf ein paar Schrammen offensichtlich unverletzt befreite Alexandra sich von dem Strick und rappelte sich vom Boden auf.

„Es war ein Notfall.“ begann Anja. „Wir mußten Katrin befreien.“

„Was wäre noch alles passiert wenn ich noch länger beim Zahnarzt geblieben wäre.?“nuschelte er. Erst jetzt bemerkten die Kinder Werners unförmig geschwollenes Gesicht. „Da fehlt doch einer von euch.“, bemerkte er schließlich.

„Die Gauner haben Melanie mitgenommen!“ rief Katrin. „Bitte, Werner, du mußt die Polizei rufen!“

„Hab ich doch längst.“ nuschelte er. „Stand doch alles auf dem Papier.“

Mit einer Hand zog er eine Seite aus Alexanders Notizbuch aus der Hosentasche und entfaltete sie. Stella beruhigte sich langsam. „Hier steht doch genau, wo ich hinkommen sollte und das habe ich gesagt. Zuerst wollten sie mir nicht recht glauben, ich höre mich vielleicht nicht so vertrauenerweckend an nachdem mir gerade zwei Zähne gezogen worden sind, aber ich schätze, sie werden gleich hier sein. Die anderen Nummern auf dem Zettel habe ich auch angerufen. Bei den Geschwistern Reichert bin ich bloß auf dem Anrufbeantworter gelandet.“

„Was hat der Ohlshausen gesagt?“ Alexandra versuchte, den Schmutz aus ihrer Kleidung zu klopfen.

„Der will auch herkommen.“ Werner lächelte. „Er weiß nur noch nicht wie.“

„Werner, die Polizei muß Melanie so schnell wie möglich finden. Die Ganoven wollen ihr etwas antun!“ Katrin erzählte was sich in dem Schuppen ereignet hatte während Anja und Alexandra fort waren. Daß die beiden Schurken über den Einbruch in Werners Stall geredet hatten überraschte ihn sehr.

„Das ist ja eine richtig schlimme Geschichte!“ Werners Stirn kräuselte sich sorgenvoll. „Wir sollten zusehen, daß die Polizei sich möglichst bald die alte Zahnradfabrik anschaut. Mit den Pferden könnt ihr nicht dorthin, es ist zu weit. Ihr bringt sie besser zu mir und laßt sie in den Boxen.“

„Möchtest du nicht Glico reiten?“ Alexandra wirkte noch immer etwas mitgenommen. Katrin nickte.

Anja stieg auf Stella. „Schell, Katrin.“, rief sie „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Schon fegte sie mit Stella davon.

Glico trabte mit Riesenschritten. Seinen Trab fanden alle unbequem, aber im Trab war er ungefähr so schnell wie andere Pferde im flotten Galopp, und Anja ritt einen sehr flotten Galopp. Sie verkürzte das Tempo nicht einmal vor Wegbiegungen oder schwierigen Bodenverhältnissen, obwohl Sabine ihnen genau das eingeschärft hatte. Katrin wollte Anja gerade zurufen daß sie langsamer reiten sollte als sie auf eine besonders enge Wegbiegung zuritten, da passierte es. Der Weg dort war matschig, Glico kam ins Rutschen, er strauchelte und Katrin war schon darauf gefaßt, mit Glico zu stürzen. Wenn Pferd und Reiter stürzen gibt es die schlimmsten Unfälle! Sabines Stimme klang wie ein Echo in Katrins Ohren. Im letzten Moment fing sich Glico. Er kam wieder auf die Beine, griff weit aus und - galoppierte. „Braver Glico!“ Katrin wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Leider blickte sich Anja nicht ein einziges Mal um.

In Werners Stall versorgten sie eilig die Pferde und brachten sie in leeren Boxen unter. Zum Glück waren die Pferde nicht naß geschwitzt. Katrin und Anja verschlossen den Stall und machten sich im Laufschritt wieder auf dem Weg.

Vor dem Haus standen bereits zwei Streifenwagen als sie zurückkehrten. Einer hätte normalerweise genügt, aber Herr Ohlshausen hatte die Polizisten überredet, noch einen zweiten herzuschicken und ihn und Katrins Großmutter gleich mitzunehmen. „Unglaublich, unglaublich.“ murmelte Her Ohlshausen immer wieder als in dem Blechschuppen eine Holzkiste nach der anderen geöffnet wurde, nur als er zum ersten Mal einen Blick in die Kiste mit dem Steinmann warf sagte er nichts.

„Was ist das bloß für ein merkwürdiger Kerl mit seinen Mickymausohren?“, durchbrach Alexandra die Stille.

„Diese großen Ohren?“ Herr Ohlshausen blickte wie gebannt in die Kiste. „Das ist vermutlich eine Art Haube, die er da auf dem Kopf trägt. Das Schwert in seinen Händen ist sehr schön zu erkennen, obwohl die Figur noch nicht gereinigt ist.“ Er schüttelte fassunglos seinen Kopf. „Kinder! Was haben wir bloß für ein Glück daß wir diesen Fund noch rechtzeitig entdeckt haben, ehe er in den finsteren Kammern irgendeines reichen Privatsammlers verschwinden konnte. Solche keltischen Steinplastiken sind extrem selten. Wirklich unglaublich!“

„Hier ist das Mädchen, das die Gauner gesehen hat und deren Autonummer aufgeschrieben hat.“ rief Werner. „Bitte, Sie müssen schnell zur alten Zahnradfabrik und unsere Freundin retten!“ rief Katrin. „Die Mistkerle wollen sie in die Luft sprengen lassen.“

„Keine Panik, junge Frau.“ sagte ein Polizist. „darum kümmern sich die Kollegen bereits. Wir haben auch bereits Experten zur Sicherung der Beweisstücke hier angefordert. Selbstverständlich wird auch niemand die Fabrik abreißen ehe wir das Mädchen nicht gefunden haben. Wenn wir deine Aussage haben schnappen wir sicher auch bald die Bösewichte.“

Katrin erzählte ihre Geschichte noch einmal. „Ich habe sogar die Autonummer von dem Boss der Ganoven.“ Der Polizist lächelte breit und tippte die Autonummern gleich in seinen Computer. „Das erste Auto ist auf eine Firma zugelassen. Ob wir da jetzt noch jemand antreffen, mag ich bezweifeln, es ist schon viertel nach acht.“

„Die Gauner sind Schichtarbeiter. Heute feiern sie bloß krank.“ rief Alexandra und der Polizist blickte ihn staunend an. „Auf jeden Fall soll sich auch darum jemand kümmern. Du bist schon ein richtiger Detektiv, wie?“, meinte er, ehe er seine Nachricht durch das Funkgerät gab.

„Der andere Wagen ist auf einen Herren namens Doktor Gerhard Helmut Schallek zugelassen.“ sagte der Polizist ein wenig später.

„Diesen Herrn kenne ich!“ Die Kinder hatten Herrn Ohlshausen noch nie so aufgebracht erlebt. „Jetzt ist mir klar, warum es keine Ausgrabungen auf dem Keltenhügel geben durfte.“

Der Polizist blickte etwas verwirrt auf Herrn Ohlshausen und zückte wieder sein Funkgerät.

„Lassen Sie stecken.“, schimpfte Herr Ohlshausen. „Ich weiß, wo dieser Schurke zu finden ist. Dem muß gründlich die Meinung gegeigt werden!“

Kurze Zeit später brauste ein Streifenwagen mit Herrn Ohlshausen und Katrins Großmutter auf dem Rücksitz davon.

„Haben die anderen Melanie schon gefunden?“, fragte Katrin einen anderen Polizisten. Der schüttelte den Kopf.

„Das ist nicht so einfach. Das Gelände ist ziemlich groß, sie haben das Mädchen offenbar gut versteckt und dunkel wird es auch bald. Wir mußten Suchhunde anfordern. Sie kommen ohnehin nur langsam voran weil die Gebäude zum großen Teil einsturzgefährdet sind.“

„Wir sind hier soweit fertig.“, meinte sein Kollege. „Wir haben dann die Anweisung, zur alten Zahnradfabrik zu kommen. Das Gelände muß gegen Schaulustige abgeriegelt werden.“

„Wir müssen mit!“, riefen die drei fast gleichzeitig.

„Viel zu gefährlich.“, meinten die Polizisten.

„Ich fahre euch!“ Werner winkte zu seinem Auto. „Eines ist klar. “sagten die Polizisten ehe sie losfuhren. „Ihr bleibt alle außerhalb der Absperrung.“

„Wissen Birgit und Sabine wo ihre Pferde sind?“ wollte Anja im Auto wissen.

„Denen habe ich längst Bescheid gesagt.“ schmunzelte Werner. Die Telefonnummern eurer Eltern habe ich leider nicht, sonst hätte ich sie auch längst informiert.“

„Ich habe sogar die Telefonnummer von Melanies Eltern.“ Alexandra reichte Werner ihr Notizbüchlein. „Dort werde ich als erstes anrufen. Ich habe nicht mitbekommen, daß die Polizisten daran gedacht haben.“ „Sag ihnen, daß das alles nicht passiert wäre wenn Melanies Mutter Melanie nicht von den Pferden weggeholt hätte.“, bettelte Anja. Werner schien sich ein wenig zu wundern. „Ich muß zum Telefonieren sowieso zuerst anhalten.“, sagte er.

Was Werner tatsächlich sagte wußten die Kinder nicht. Als er parkte sprangen sie gleich aus dem Auto und liefen zu der Absperrung , die das Gelände der alten Zahnradfabrik umschloß. Immer mehr Menschen versammelten sich, um die Polizisten und die Rettungshundeführer der Feuerwehr zu beobachten. Das Tageslicht schwand und einige Polzisten schalteten bereits Taschenlampen ein.

Irgendwo weiter hinten glaubte Katrin, Birgit erkannt zu haben. Sie wollte gerade hin zu ihr als ihr jemand auf die Schulter tippte. Katrin drehte sich um und erkannte den Polizist mit dem sie an dem Haus im Wald zuerst gesprochen hatte. „Da ist ja endlich die junge Dame, die die Täter gesehen hat.“, sagte er. „Glaubst du, du erkennst sie wieder?“

„Ganz gewiß.“ Katrin nickte. „Wir haben nämlich ein Problem. Der junge Mann, dem der graue Kastenwagen gehört behauptet, daß er von der ganzen Sache nichts weiß.“ Katrin stieg in den Streifenwagen.

Auf der Wache betrachtete Katrin den jungen Mann mit den dunkelblonden Haaren und der Nickelbrille, der sehr verunsichert dreinblickte. „Der ist es nicht.“, sagte sie.

„Ganz sicher?“ Prüfend blickte der Polizist in Katrins Augen. „Absolut.“, sagte sie. „Wenn Sie mir nicht glauben, müssen wir eben warten bis Melanie gefunden wird. Sie wird Ihnen das gleiche sagen. Sie hat die Täter sogar gezeichent.“

„Schon gut.“ entgegnete der Polizist. „Der Verdächtige hat eine kleine Gartenbaufirma und behauptet, daß er seinen Wagen gelegentlich gefälligkeitshalber verleiht wenn er ihn selbst gerade nicht braucht. Daß er nur den Vornamen von dem Kerl wissen will, der sein Auto heute hatte, erschien uns recht fadenscheinig, aber manche Leute sind wohl so leichtsinnig, daß es an blanke Dummheit grenzt. Lassen wir ihn also fürs erste wieder laufen.“

„Haben Sie den Besitzer von dem anderen Auto?“ wollte Katrin wissen.

„Haben wir.“ Der Polizist schien nicht sehr zufrieden zu sein. „Der leugnet alles beharrlich und hat gleich nach seinem Anwalt telefoniert. Aus dem bekommen wir so schnell nichts heraus.“

„Wenn er so eine merkwürdige Wunde an einer Hand hat, wird er reden.“, meinte Katrin. „Die Melanie hat ihn nämlich kräftig gebissen, das habe ich schon gesagt. Davon ist wahrscheinlich noch etwas zu sehen.“

„Davon wissen die Kollegen noch nichts. Ich muß sie unbedingt darauf ansprechen. Sachen gibt es...“ Verwundert kratzte er sich den Kopf und zückte sein Funkgerät.

„Die Melanie hat wenigstens seine Hände gesehen. Er trug einen Siegelring. Vielleicht erkennt sie ihn daran wieder Seine Stimme wird die bestimmt wiedererkennen.“, ergänzte Katrin. „Es hilft alles nichts. Melanie muß gefunden werden. Gibt es denn gar nichts Neues von der alten Zahnradfabrik?“

„Das sieht ehrlich gesagt nicht gut aus.“, sorgte sich der Polizist. „Die Hunde müßten sie normalerweise längst gefunden haben wenn sie dort wäre. Die Einsatzleitung neigt inzwischen eher zu der Annahme, daß sich die Täter etwas anderes überlegt haben und sie anderswo versteckt haben können. Selbstverständlich brechen wir unsere Suche dort erst ab, wenn wir sicher sind, daß sie dort nicht ist.“ „Bitte bringen Sie mich sofort zurück zu der alten Zahnradfabrik.“

Inzwischen war es schon ziemlich dunkel geworde. Katrins Augen hielten Ausschau nach Werner, Anja, Alexandra oder sonst jemand, den sie kannte. Zunächst fiel ihr eine Frau auf, die neben einem Feuerwehrmann stand und zum Steinerweichen heulte, es war Melanies Mutter. Anja stand neben ihr und redete auf sie ein. „...das alles wäre wohl nicht passiert wenn Melanie bei uns am Pferdestall geblieben wäre...“ verstand Katrin ehe die Melanies Mutter noch lauter schluchzte und ihr Gesicht in einem Papiertaschentuch vergrub. Dann sah sie ihre übrigen Freunde. Sie standen alle beisammen neben einem Polizeiauto.

„Sie wollen uns nicht reinlassen.“ jammerte Alexandra. „Wenigstens hat die Polizei diesen Schallek mitgenommen.“

Herr Ohlshausen schien zufrieden. „Er wird schon noch auspacken.“

„Da tut sich was.“ Katrins Großmutter fieberte vor Aufregung als die Polizisten unruhig wurden. Ein ziemlich junger Polizist kam auf sie zu. „Sie haben die Melanie gefunden. Es geht ihr soweit ganz gut.“, verkündete er.

Katrin und ihre Freunde hätten Purzelbäume schlagen können vor Freude. Die Erwachsenen atmeten auf vor Erleichterung, nur Melanies Mutter weinte noch etwas lauter. „Die Täter hatten ihre Sache gründlich gemacht.“, sagte der junge Polizist. „Das Mädchen war gut versteckt in einem Kaminschacht. Von selbst wäre sie niemals da rausgekommen, auch wenn die Täter sie nicht so gut gefesselt hätten. Wenn unsere Leute Pech gehabt hätten, wären sie draußen noch ein paar Mal vorbeigerannt, ohne das Geringste zu ahnen.“

Melanie wirkte sehr erschöpft als sie ins Freie trat. Um die Wunde an ihrem Kopf hatte sich eine schmutzige dunkele Kruste gebildet. Ihre Mutter schluchzte zum Steinerweichen, rannte auf sie zu und schloß sie in ihre Arme. Sie drückte Melanie kräftig und hielt sie so lange fest, bis Melanie mit den Augen rollte. Ihre Blicke trafen Katrins Blicke und als ihre Mutter sie endlich losließ, kam sie gleich her.

Katrin wollte etwas sagen, fand aber nicht die passenden Worte. Melanie versuchte so zu tun, als habe sie gerade lediglich ein kleines Mißgeschick erlebt, aber ihre müden Augen verrieten die Anspannung der letzten Stunden. „Danke für alles.“ sagte sie völlig ruhig. „Danke dafür, daß ihr nicht locker gelassen habt.“ Plötzlich schämte sich Katrin unsäglich, daß sie Melanie noch vor kurzem gemieden und verachtet hatte.

„Glaubst du, daß du bereits wieder fit genug bist um deine Aussage für die Polizei zu machen?“, fragte sie dann. „Du kannst die beiden Gauner schließlich am besten beschreiben und du hast sie sogar gezeichnet. Außerdem bist du die einzige, die dem Bandenchef begegnet ist.“

„Klar kann ich.“ Ihre Stimme klang als sei Melanie gerade um eine belanglose Gefälligkeit gebeten worden. „Es wird Zeit, daß die Kerle eingelocht werden. Häßliche Kröte mit Schittlauchfrisur haben sie zu mir gesagt, als ob ich was dafür kann daß ich keine Engelslocken habe.“

„Willst du denn welche?“ Daß Melanie ausgerechnet jetzt an solche Dinge dachte! Katrin war wieder einmal verblüfft. „Wenn du sonst keine Sorgen hast habe ich einen Tip für dich.“, sagte sie. „Ich weiß jemand, der dir jede Frisur verpaßt die du möchtest und zwar umsonst.“

Melanie lächelte müde. „Darüber läßt sich reden. Zuerst sind die Ganoven fällig. Ich packe jetzt aus.“

Als sie mit den Polizisten wegging drehte sie sich noch einmal um. „Grüßt die Pferde von mir, besonders Florifina.“, sagte sie.

„Ehrenwort!“, rief Katrin. „Komm bald wieder zu uns.“

Am nächsten Morgen stand ein ausführlicher Artikel über die Festnahme Herrn Dr. Schalleks und seiner beiden Komplizen in der Kreiszeitung. Dr. Schallek hatte noch in der gleichen Nacht alles gestanden.













Inhalt


I. Die kluge Florifina S. 1

II. Die Pferdesammlung S. 12

III. ... und noch ein Pferd S. 21

IV. Detektive brauchen auch Glück S. 28

V. Geheimnisse um Melanie S. 31

VI. Ein Mädchen verschwindet S. 44

VII. Gefangen S. 51

VIII. Der Strich durch die Rechnung der Gauner S. 55
 
Hallo Antaris,
gerne hätte ich etwas zu deiner Geschichte geschrieben, denn der Anfang liest sich echt gut. Als ich jedoch nach einmaligem "Umblättern" immer noch kein Ende entdeckte, gab ich entmutigt auf. Zwei, allerhöchstens drei A 4 Seiten sind das Limit, längere Texte lese ich am PC nie.
So kann ich dir über den Inhalt leider nichts sagen, der Stil der ersten Sätze gefällt mir aber ausgezeichnet.
Es grüßt dich lieb
Willi
 

Antaris

Mitglied
arg lang

Hallo Willi,

danke für Deine netten Worte. Schön, dass Du Dich endlich zu einer meinen Geschichten verirrt hast.

Tatsächlich ist der Text viel zu lang um ihn am PC zu lesen. Ich habe ihn auch nicht für die Leselupe gemacht, sondern für die kleinen Mädchen, die ich vor ca. vier Jahren an diversen Pferdeställen angetroffen hatte. Die hatten ihren Spass an der Story, und ich hoffe, dass auch ein paar Kids hier den Text ausdrucken lassen und den gleichen Spass haben.

Dies ist einer meiner ältesten noch existierenden Texte. Fast alle anderen Texte habe ich vernichtet. Das würde ich heute nie wieder tun.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 
Hallo Antaris,
bin froh, dass du nicht böse bist, aber lange Texte am PC sind wirklich nicht meine Welt. Ich werde nun aber öfter in deinen Geschichten stöbern, denn gut schreiben kannst du ohne Frage.
Was lese ich da in deinem Profil. Maskenball! Da sind wir ja Kollegen, weil ich auch schon einige Mal dort veröffentlicht habe.
Es grüßt dich lieb
Willi

PS. Schreibst du mir auch etwas unter meine Texte hier?
Ich würde mich sehr darüber freuen.
 



 
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