Katzen

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van Geoffrey

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Katzen

Hört, ich war ein Spitzbube und Filou gewesen. Ein alberner Genießer und Geck von Natur.
Aus Genuss wurde Trunksucht, und die hatte mich bald fest im Griff.
Was für ein elendes Leben das war, fühlt‘ ich nicht, noch war mir bewusst, was für eine höchst lächerliche Figur ich abgab.
Zeitig, wenn sich die ehrbare Welt an ihren Broterwerb machte, eilte ich ins Wirtshaus, und war unter den Letzten, die sich erhoben, um mit unsicherem Schritt heimwärts zu gehen. Bald hatte ich mein Haus an das Laster verloren, und begann ein unstetes Wanderleben immer nach jenen Gegenden, wo man mir Arbeit bot. Es fiel mir nicht ein, mich zu besinnen und das Erworbene für einen ehrbaren Unterhalt zu verwenden, sondern abends regierte ich wie ein Herzog über Gläser und Kannen, so lange der Segen reichen mochte, alles ausgegeben war und Wirt und Wirtin ihre Dienstbarkeit verloren hatten.
Selten stand ich vom Wirtstisch auf, ehe das letzte Geld ausgegeben war.
Bei all dem blieb aber mein Herz wunderbar bewahrt vor anderen Lastern, sodass ich königlich zufrieden unter einem Baum mein Lager zurecht machte, wenn die letzte Schenke ihre Pforten geschlossen hatte. Ich sage euch: Kinder in ihrer Unschuld haben keinen sanfteren Schlummer, als ich armer Sünder damals hatte. Denn, wisst ihr: ich stahl nicht, hasste nicht, log wohl manchmal aus Verlegenheit, was ich mir aber großmütig verzieh, hatte aber sonst kein Begehr nach meines Nächsten Weib und Gut. Was sollte denn also meinen Schlaf stören?
In kühlen Nächten zog ich 2 Decken aus meinem Rucksack, wenn ich eine geeignete Schlafstatt gefunden hatte. Eine legte ich zusammengelegt als Kissen unter mein Haupt, während mich die andere deckte und vor der Kälte schützte.
Da, ehe ich einschlief, schien mir oft, ich sei ein erzraffinierter Bursche, welcher der Welt vormachte, was nobles und gutes Leben sei.
Ich fühlte mich bald als Graf der Landstraße, bald als Herzog der Waldschenken. Mein Talent für Witze und lustige Geschichten nutzte mir bald hier und bald da, und ich unterhielt Wirt und Gäste mit allerlei Possen, was mir in der Münze der Gastfreundschaft mit Speise und Trank oft großzügig vergolten wurde.

Hört nun die Ereignisse, die mich jäh und endgültig dem lasterhaften Leben entreißen sollten.
Einmal hatte ich nach längerem Fasten zu viel getrunken und war zu früh – das heißt, nach meinem damaligen Begreifen: mit Geld in der Tasche – aufgebrochen. Bange war ich durch den Wald geirrt, ehe ich mich für ein gemütliches Plätzchen unter einer Eiche entschied. Ich war sanft eingeschlummert, als mich nächtlicher Lärm weckte. Es klang von weither, wie ausgelassenes Feiern und Singen. „Böse Zecher.“ knurrte ich. „Wollt ihr wohl still sein.“ Da besann ich mich, und mein klares Denken kehrte wieder. Ich fühlte mich durch den Schlaf einigermaßen gestärkt, und meinte nun: „Viel besser, als hier schlaflos liegen, ist es doch, sich anzuschließen und bei einem guten Wein mit den Nachbarn Frieden schließen.“
Ich verstaute die Decken rasch in meinem Rucksack, und machte mich so eilig, als es im Dunkeln gehen mochte, immer dem Lärm nach, tapsend und über Äste stolpernd auf den Weg.
Der liebe Mond spendete sein Licht.
In der frischen Abendluft verflog meine Schlaftrunkenheit rasch und nach etlichen kleinen Umwegen, die mich zuweilen in die stachlige Umarmung von Gestrüpp und Dornen brachten, gelangte ich endlich zu einem kleinen Häuschen.
Wirklich war’s eine kleine Wirtsstube, in welcher es hoch her ging. Puh, das waren bärtige Gesellen, die polterten laut und vergnügten sich beim Karten- und Würfelspiel. Rasch, dachte ich, werd‘ ich gut Freund mit diesen lieben Mitbürgern, und trat ein.
Einer der Bärtigen wies mir einen Platz an. Jetzt wollte ich meine Brille aus dem Rucksack holen, um die Zecher in Augenschein zu nehmen. Da war die Reihe aber schon an mir, die Karten zu geben.
„Lustig geht’s her.“ Dachte ich, zwinkerte die Augen zusammen, und glich auf diese Weise das Fehlen meiner Brille aus. Die mochte im Rucksack bleiben. Jetzt sollten erst einmal die Karten sprechen.
Gewann ich, war’s still, mäuschenstill, und meine Kumpane glotzten mich an. Gewann ein anderer, schlugen sie mit den Fäusten auf die Tische und brüllten „Hurra!“ dass sämtliche Fenster zitterten.
„Ruhe, ihr Trunkenbolde!“ rief ich dann ärgerlich, und wollte ein Spiel ums andere.
Bärtige, buschige Gesellen waren das. Ich zwinkerte, und meinte, in die Gesichter großer Kater zu blicken. Da begriff ich, dass dies der Säuferwahnsinn sein musste, der dem Verstand zuweilen kleines Getier wie Mäuse vorgaukelt. Ich musste schon fortgeschritten sein auf meinem Weg des Verfalls, dachte ich, dass sich für mein Auge die Zecher in derart bizarres Getier verwandelten.
Und doch – so oft ich zwinkerte, musste ich die ausgesprochen realistische Täuschung meiner Augen begaffen: große, gelbe Katzenaugen, stattliche Schnurrbarthaare und Pfoten. Unmöglich konnte ich dies meiner bloßen Einbildungskraft zuschreiben. Zu klar war dieses erlesen schreckliche Bild.
„Da bist du in eine feine Gesellschaft geraten.“ Dachte ich, und mühte mich, den Spitzbuben ein Geständnis ihrer Natur abzuringen.
„Unrasierte Gesellen!“ rief ich etwa mit gespielter Herzlichkeit, wenn ich ein gutes Blatt in der Hand hatte. Die Antwort meiner Kumpane war nur starres Glotzen, wie ich es von Katzen kannte, wenn sie auf Beute lauern, und sich zum Sprung bereit machen.
Ich mochte für diese Gesellen nicht mehr als ein Vöglein und eine absonderliche aber willkommene Beute sein.
Musste ich niesen, so machte ich: „Kaa-tzn!!“
„Gesundheit!“ kam die Antwort aus der Runde, und wieder folgte das atemlose, starre Glotzen.
Dann wieder murmelte ich vor mich hin: „Minz und Maunz, die Katzen, erheben ihre Tatzen. Sie drohen mit den Pfoten; Die Mutter hat’s verboten.“ Und murmelnd, als hätten sie darauf gewartet, stimmten die trinkfreudigen Gesellen in den letzten Satz ein.
Die haarige Bande musste im Falschspielen geübt sein, denn ich verlor mehr als alle anderen und musste Runde um Runde bezahlen. Zum Verlieren gehört, seinen Ärger zu übertreiben und den glücklicheren Kontrahenten Titel wie „Glückskinder“ und „Beutelschneider“ zu verleihen, was mit Gelächter und scherzenden Erwiderungen beantwortet wurde. Wieder und wieder musste ich Münzen hervorholen, klopfte sie mit teils gespielter und teils echter Empörung auf den Tisch und rief nach dem Wirt, den ich einen Träumer nannte, welcher in seiner Seele kein Empfinden für den Durst seines Nächsten kannte.
Dann wollte es mir gefallen, die ausgelassenen Grobheiten zu erwidern und schlug einem so kräftig auf die Pfote, dass er auffuhr. „Miau! Wollen euer Durchlaucht geruhen, die arme Dienerschaft nicht zu Tode zu prügeln.“ „Wer“, antwortete ich keck, „würde mir sonst aufwarten und mich unterhalten, wenn nicht mein aller-faulpelzigstes Gesinde.“
Während ich trank hielt ich Ausschau nach einem Schlupfloch, das mir erlauben würde mit einem Satz aus dem Kreis der Zecher ins Freie zu fliehen. Doch da stand mir der dickste Kater im Weg, und ich verwarf meine Gedanken an Flucht.
Mir wurde immer unwohler, die Gesellschaft dagegen immer ausgelassener. Sie rissen mich burschikos am Arm. Immer wilder wurden die kumpelhaften Herzlichkeiten, wenn ich mich über ein schlechtes Blatt beschwerte, bis sie mir gar den Ärmel abrissen. „Jetzt hab ich aber genug.“ rief ich, indem ich abrupt aufstand.
Seit jeher hatte es zu meinen Gewohnheiten gehört, Gefahren, wo sie mir begegneten, ins Gesicht zu sehen. Jetzt aber sträubten sich mir die Nackenhaare vor Entsetzen. Nach einigen Sekunden des wechselseitigen Starrens fasste ich mir ein Herz, und rief: „Ich sehe deutlich, dass ihr keine ehrenwerten Zecher, sondern nichts and’res als große Miezekatzen und deshalb kein Umgang für mich seid. Ich denke wahrhaftig, dass heute Nacht ein Tor der Hölle für euren Ausgang entriegelt worden ist. Da die Sitten so verwahrlosen, kann ein Gentleman nicht bleiben. Dringende Geschäfte rufen mich dorthin, wo ihr nicht sein könnt. Deshalb: gebt den Weg frei!“
„Pfchchch!“ pfauchte da der vielstimmige Chor. Einer ergriff das Wort: „Entlarvt hast du uns, armes Menschenkind, denn du siehst, was du siehst, und bist nicht wie die andern alle, die nur sehen, was sie zu sehen gewohnt sind. Du wirst uns arme Zecher aber nicht verraten, denn jetzt … ist dein Lebensfädlein vollends abgewickelt.“
„In der Falle“ dachte ich bei mir, „wie eine Maus, die in der Ecke sitzt und von der Katze bedrängt wird.“ So verstrich wohl eine Minute, in welcher keine der Parteien einen Vorstoß wagte. Zwischen mir und der Tür waren die Miezekatzen. Ich lachte grimmig, um dem Gegner Mut vorzuspielen.
In der Gefahr arbeitet mein Verstand rasch. Meine Trunkenheit war vollkommener geistiger und leiblicher Anspannung gewichen.
Jetzt frisch drauf! Mit grimmigem Wutgebrüll drang ich auf den dicksten Kater ein, den schweren Kerzenständer wie eine Ramme gebrauchend. Der Dicke wich überrascht zur Seite. Türe und Freiheit waren gewonnen. Ich stolperte mit schlotternden Knien schnaufend durch den Wald. Jedes Geräusch ließ mich zusammenfahren und hinter mich blicken. Lange und bang irrte ich weiter, bis ich mit klopfendem Herzen gewahrte, dass ich dem Spuk glücklich entkommen war.
Da war ich nun endlich allein im tiefen Dunkel und Schweigen des Waldes. Ich war gerettet.
Diese Schrecken liegen nun viele Jahre zurück. War’s Täuschung der Sinne im Trinkerwahn, oder ein Spuk aus der Hölle? Ich weiß es nicht, bis auf den heutigen Tag.
Seither blieb ich den Wegen des Lasters fern, denn dies alles ließ ich mir zur Warnung gereichen. Dies war die Ohrfeige gewesen, die mich zur Umkehr bewegen sollte. Denn entweder hatte mich der lotterhafte Lebenswandel derart zerrüttet, dass mein Verstand Wahngebilde von erschreckender Lebendigkeit erfand, oder aber die Wege der Haltlosigkeit hatten mich in die Gesellschaft solcher wahrhaft höllischer Gestalten gebracht. Ich nahm die Medizin mit Dank – und werde wohl nie erfahren, wem ich dafür zu danken habe.
So wich ich – gemahnt – seither alkoholischen Getränken und liederlichen Zerstreuungen aus. Das wurde mir zum Segen. Ich heiratete eine Frau, zu kostbar, um sie mit dürren Worten zu beschreiben. Und seht nur, wie sehr beschenkt und glücklich muss ich armer Sünder über diese Schar lieber Kinder sein.
 

TaugeniX

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Wie ich Dich um die Sprachbeherrschung beneide, lieber Kollege!

Eine herrliche kleine Antiquität, - die Sprache ganz passend zur Moral und dem Ablauf der Geschichte.
 

herziblatti

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Hallo van Geoffrey, die Geschichte vom Trunkenbold, der einen Riesen-Kater hat, oder gleich mehrere :) den rechten Ton getroffen, Punktlandung.
Lediglich der Schluss ist mir fast zu dürr in der Sprache.
Das wurde mir zum Segen. Ich heiratete eine Frau, zu kostbar, um sie mit dürren Worten zu beschreiben.
Vorschlag, in etwa: Das wurd' zum Segen mir. Ich fand ein Weib, zu kostbar, in Worten zu beschreiben etc.
Gern gelesen. LG - herziblatti
 

van Geoffrey

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Danke!

Hallo, Taugenix!
So viel Lob! Ich habe bei dem Text wirklich ordentlich die Schrauben angezogen.
Die angestaubte Sprache ist mir gewissermaßen zugeflogen, sie ergab sich aus dem Thema und hat einen entscheidenden Vorteil: sie versetzt das Geschehen in einen zeitlosen Rahmen.
Ich sehe einige Schwächen und bin mit dem Schluß nicht ganz zufrieden, muß das aber alles so stehen lassen, bis ich Klarheit darüber habe, was ich verändern will, oder ob ich alles so lasse, wie's ist.
 

van Geoffrey

Mitglied
Danke!

Hallo, Herziblatti!
Danke für die Kritik und das Lob. Ja, die "dürren Worte" habe ich zögernd stehen gelassen, weil mir die Formulierung gefiel, ohne dass ich belegen könnte, ob das eine erlaubte, aus der Mode gekommene Wendung oder eine sprachliche Lausbüberei meinerseits ist. "Dürre Worte" = kraftlose, trockene Worte.
Bin mir selber unschlüssig.
Mit einiger Verspätung wünsche ich euch allen noch frohe und gesegnete Weihnachten.
 

van Geoffrey

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Stilfragen

Hallo, Taugenix!

Da haben wir ja einen Meister des Wortes par excellence. Wenn ich auch nicht seiner Lehre folge, kann man sich mit Gewinn an seinem Stil erbauen.

LG
 



 
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