kein anfang ohne ende

wowa

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Kein Anfang ohne Ende



HP öffnet die Augen, schließt sie seufzend und verabschiedet sich von seinen Traumbildern. Er fühlt sich gut, optimistisch, obwohl der Körper noch schmerzt nach dem nächtlichen Desaster. Sein Gedächtnis hat einige Lücken, doch an das positive Grundgefühl am gestrigen Abend erinnert er sich gut. Die Party verlief harmonisch, geradezu entspannt nach der Vorgeschichte und dann diese plötzliche Prügelei und er mittendrin.
Vorsichtig steht er auf und tritt ans Fenster. Draußen auf dem Hof sieht es aus wie immer, die Tische, Bänke, der Grill sind verschwunden, sogar das abgenagte Skelett des Ochsen, wohl schon beim Schlachter, der wollte es haben.
HP nickt anerkennend.
Auf seine zwei Mitarbeiter ist Verlass, er überschreibt ihnen morgen zwei Kühe, der Gedanke kam ihm, kurz bevor er einschlief. So wie sie gestern Partei ergriffen und ihn rausgehauen haben, dass ging über ein gewöhnliches Angestelltenverhältnis schon etwas hinaus. Ohne sie läge er jetzt auf der Intensivstation.
HP schüttelt den Kopf und spürt einen stechenden Schmerz im Nacken, jäh explodieren Wut und Resignation.
Verdammt, würde das ewig so weiter gehen ? Und warum ? Die Situation hat Ähnlichkeit mit diesen albanischen Blutfehden, da sagen die Leute ja auch irgendwann, dass war schon immer so, dass wir uns umbringen.
Schlechter Vergleich, die Geschichte des Konflikts ist keineswegs vergessen, trotzdem ist der Abend gestern ein gelungener Versuch, die Vergangenheit zu begraben, wenn man mal von der Eskalation gegen Schluss absieht. Es ist möglich, ein Jahrzehnte langes verbittertes Schweigen zu brechen, vorausgesetzt, beide Parteien haben daran ein Interesse, sind einfach erschöpft, warten auf den ersten Schritt der Gegenseite.
HP nickt.
Er hat diesen ersten Schritt gemacht, zu dem sein Vater nicht in der Lage war, einerseits, weil das Denken damals auf beiden Seiten verhärtet war, andererseits, weil er dann tot war. Nachts allein auf gerader Strecke fährt er mit hundertzwanzig in den Straßengraben. Der Verdacht, er sei abgedrängt worden, ließ sich nie ganz ausräumen.
Das Problem mit der Bauernfamilie aus dem Nachbarort geht zurück auf die Bodenreform in den frühen siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Unklare Besitzverhältnisse und eine unfähige, korrupte Bürokratie führten damals zu teils massiven Landverlusten und der Vater ergriff die Gelegenheit und kaufte die freigewordenen Flächen günstig auf. Da gab es reichlich böses Blut in den Gemeinden.
Alles lange her und Zeit für einen Schnitt, findet HP. Er als Vertreter einer neuen Generation, die mit den alten Ressentiments Schluss machen will, bietet der Gegenseite Land an, nicht viel, eher eine Geste des guten Willens, eine Möglichkeit des gesichtswahrenden Ausstiegs aus der Spirale der Gewalt. Und er hat die Situation richtig eingeschätzt, die Gegenseite nimmt an.
Gestern Nachmittag unterschrieb man den Abtretungsvertrag und abends stieg auf seinem Hof das Versöhnungsfest. Man sprach wieder miteinander, die Männer vorsichtig, abwartend, die Frauen wesentlich eloquenter und besser gelaunt. Der Konflikt war wohl von Anfang an eher so ein Männerding.
HP reibt sich die Nasenwurzel.
Die ganze Geschichte hat natürlich auch einen finanziellen Aspekt. Das Stück Land, der Ochse, die beiden Kühe und nicht zu Letzt der Weinausschank, alles auf seine Rechnung. Aber in der Konsequenz gut angelegtes Geld, sich in einem historischen Moment kleinlich zu zeigen, wäre ein echter Fehler.
Das Telefon brummt, auf dem Display eine unbekannte Nummer. HP sagt: „Ja?“ - „Ah, schön, dass du dran bist,“ - sagt eine ihm irgendwie bekannte männliche Stimme,- „das ist das erste Telefongespräch seit fünfzig Jahren zwischen unseren Clans. Wie geht es dir ?“
HP reibt sich den Nacken.
„Im großen und ganzen gut. Mir tut zwar noch einiges weh, aber keine ernsthaften Verletzungen. Und du?“
„Ähnlich,“ sagt die Stimme, „ich wollte mich entschuldigen. Meine Jungs sind gestern Abend durchgedreht, da spielte wohl auch der Wein eine Rolle. Sind Hitzköpfe. Egal, ich muss sie besser im Griff haben. Tut mir leid.“
„Kommt vor,“ HP ist milde gestimmt, „wir waren ja selber mal jung. Aber sich von ein paar Kids die positive Entwicklung kaputt machen zu lassen, wäre dumm.“
„Seh ich auch so,“ sagt der Clanchef am andern Ende, „als ich sie heute Morgen zur Rede stellte, waren sie ganz zerknirscht und sahen ihren Fehler ein. Sie fühlten sich provoziert durch dein residierendes, dominantes Auftreten und die ironischen Kommentare, das war zu viel für sie.“
„Kann ich mich so gar nicht dran erinnern, kommt mir aber bekannt vor. Nach ein paar Gläsern Wein lasse ich die Situation gern eskalieren, nüchtern bin ich da vorsichtiger.“
„Schön, das wir den unglücklichen Verlauf der Party relativieren können und nicht in die alten resignativen Verhaltensmuster zurückfallen. Vielleicht sollten wir in Zukunft unseren Frauen die Regie eines solchen Abends überlassen, die denken in andern Kategorien.“
HP findet den Vorschlag gut und man trennt sich mit dem Vorsatz, in Kontakt zu bleiben.
Später, gut gelaunt beim Melken, denkt HP zurück an das Gespräch und ihm fällt die Wortwahl seines Jahrzehnte lang verhassten Kontrahenten auf: residierend, relativieren, resignativ etc.
„Schon erstaunlich, dass ein mäßig erfolgreicher Schweinezüchter ein dermaßen elaboriertes Vokabular drauf hat,“ murmelt er.


Zweifellos ein interessanter Mann.





HP = Hans-Peter
 
Zuletzt bearbeitet:

anbas

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Moin wowa,

alles in allem eine gefällige Geschichte. Nach all dem versöhnlichen Gerede war mir aber klar, dass da noch irgendwas in der Art kommen musste, wie es dann zum Schluss auch kam. Von daher gab es für mich jetzt nicht den Überraschungsmoment.

Noch ein paar weitere Anmerkungen:

Zweifellos ein interessanter Mann.
Würde ich streichen. Wirkt auf mich, wie ein Kommentar des Autors, der absolut unnötig ist.

Erklärungen dieser Art gehören aus meiner Sicht nicht in eine Kurzgeschichte. Entweder bei HP belassen, die Erklärung in den Text einbauen (z.B. "Hans-Peter, der von allen nur HP genannt wurde, öffnet die Augen...") oder den Namen stets ausschreiben - ich persönlich tendiere zu den beiden letzteren Vorschlägen.

Soweit mein Senf zu dieser Geschichte von Dir. Ich hoffe, Du kannst damit was anfangen.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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