Kein schöner Land in dieser Zeit

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Kein schöner Land in dieser Zeit

„Oh, was für ein netter Hof!“, rief so mancher, der den Seniorenclub besuchte. Besonders im Mai, wenn der Blauregen seinen viele Meter langen Blütenstand über die Hauswand rieseln ließ und die beiden Rotdornbäumchen in voller Blüte standen. Der kurz nach der Wende gepflanzte Efeu hatte sich auch schon bis zur vierten Etage hoch gerankelt und überall standen Frühlings- und Sommerblumen. Der kleine Goldfischteich rundete die Sache ab.
Nun aber ist alles dahin. Das Haus wird rekonstruiert. Nein, umgebaut wäre das richtigere Wort. Es gibt einen neuen Verputz, generell neue Leitungen, es wird an das Fernwärmenetz angeschlossen und in manchen Wohnungen werden sogar die Fußböden erneuert. Außerdem werden Balkone angebaut und Fahrstühle installiert.
Da der Seniorenclub keine adäquate Ausweichwohnung im Kietz finden konnte, blieb er während der Umbauarbeiten mit vollem Programm in Betrieb. Montags trifft sich am frühen Nachmittag der Singekreis. Da wird so manches Mal gegen die Presslufthämmer angesungen! Ganz unverdrossen und wohlgemut „Kein schöner Land in dieser Zeit“.
Einzig die kulturellen Veranstaltungen am Donnerstag mussten woanders stattfinden. Man kann nicht Bingo spielen, wenn die Hämmer pochen und dröhnen und man kann keinem Künstler zumuten, in diesem Chaos aufzutreten. Nicht einmal den Kindern aus der nahe gelegenen Musikschule, die uns so oft mit ihren Darbietungen entzückten.
Nun, Berlin hat so viele schöne Ecken, die man besuchen kann. Es gab ein Picknick im Friedrichshain, einen Besuch im Botanischen Garten und im „Garten der Welt“ in Marzahn, wir unternahmen eine Dampferfahrt auf dem Wannsee, durchstreiften den Humboldthain und den Pankower Bürgerpark und besichtigten den Zoo. Das alljährliche Hoffest fand bei einer Seniorin statt, die auch auf einen gepflegten Hinterhof verweisen konnte und eine andere Seniorin lud alle in ihren Garten ein.
Interessant war auch der Besuch im Kiezgarten. Aber im nächsten Jahr, wenn der Umbau fertig ist, dann wird alles viel schöner sein. Das bereits unbewohnbare zweite Hinterhaus wird abgerissen, da haben wir mehr Luft und Sonne; und sicher können wir dann auch auf dem zweiten Hof sitzen, wo auch ein großes Kräuterbeet entstehen soll.


Da der Seniorenclub in den Räumen geblieben war, bekam er nur neue Rohre und zwei neue Heizkörper für seine fünfzehn Räume.
Zur Straßenseite wurde eine unnötige neue Tür eingesetzt und das eine Fenster verändert, damit das Haus genau so aussieht wie das Nachbarhaus.
Für die Bepflanzung des Hofes hatte der Club aufzukommen. Die beiden Rotdornbäumchen, die der Club nach der Wende gepflanzt hatte, waren während der Bauarbeiten eingegangen. Der Hauseigentümer wollte nur Rasen auf dem Hof haben.
Es wurde den Senioren untersagt, auf dem Hof zu singen oder zu spielen. Einzig die Handarbeitsgruppe am Dienstagvormittag wurde geduldet.
Der montägliche Singekreis musste bei geschlossenen Fenstern abgehalten werden, denn die Mittagsruhe ist gesetzlich verankert.
Kein schöner Land in dieser Zeit . . .
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

danke für den netten hinweis. das generell sollte ein zusätzlicher gag sein, denn der club bekam ja keine.
lg
 
hm...
der Kontrast war mir nicht klar geworden, auch beim zweiten Lesen nicht richtig. Finde das generell zu formell für den literarischen Text. Son Gefühl als ob der Satz um dieses Wort zu lang wär.

Aber vielleicht gehts nur mir so. Warte ab, vielleicht äußert sich jemand noch dazu.

Gruß
BL
 
Singe, wem Gesang gegeben!

Liebe flammarion,

ja, wo kommen wir denn dahin, wenn unseren Senioren jetzt auch noch das Singen an der frischen Luft untersagt wird. Sie waren es schließlich, die Berlin nach dem Zerfall des "Tausendjährigen Reichs" aus den Trümmern wieder aufbauten. Kann man denn da gar nichts machen? Ich meine protestieren, oder so? Ich hoffe für den Club, mit seinen fröhlichen, stimmgewaltigen Mitgliedern, dass sich da noch eine bessere Lösung findet.

LG
GFÜ
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
tja,

mach was gegen gesetze. zwischen 13 und 15 uhr ist mittagsruhe. und wenn wir die nicht einhalten, wird uns gekündigt. die räume könnten ja auch viel besser für eine gaststätte genutzt werden. es existieren ja in unmittelbarer nachbarschaft nur acht.
lg
 

Doska

Mitglied
Und wenn
die Senioren erst ab fünfzehn Uhr singen würden? Sehr gut geschriebene traurige Geschichte.Ach, man müsste auf die Barrikaden gehen!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ach,

um 15 uhr gibts kaffee und kuchen, danach wollen sie nach hause. und womit die zeit bis dahin füllen? sich unterhalten ist ja fast so laut wie singen. sind doch alle schwerhörig. nee, wir singen jetzt bei geschlossenen fenstern und türen. demnächst gehen wir zum lachen in den keller.
lg
 



 
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