Kinderspiele - damals (Bericht)

5,00 Stern(e) 1 Stimme

Haget

Mitglied
Dieses schrieb ich weniger als Erzählung, sondern als Bericht, um vieles vom Damals nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. - Hätte es in KINDERGESCHICHTEN gesollt? - Die ,,notwendigen‘‘ norddeutschen Begriffe erkläre ich gleich mit im Text. – Ich bin bis Anfang September wohl nicht online und werde somit auf Antworten/Tipps spät reagieren.

Einige Kinderspiele – damals

Von Computern ahnten wir 1940-50 noch nichts - erst etwa 1970 kamen nicht-mechanische Rechner in die Büros, deren Nachfolger - Jahre später - auch Spiele waren. - Von Fernsehen war für uns noch nichts zu ,,sehen‘‘ und im Radio gab’s nur sonntags eine Märchenstunde.

Als 12jähriger hatte ich einen Tischtennis-, Tennis- oder Fußball noch nicht einmal gesehen.

Es blieb uns Kindern also die pure Langeweile? - Denkste!

Wir hatten viele ,,kleine Arbeiten‘‘ zu tun, die heute nicht oder kaum noch (für Kinder!) anfallen, wie Erntehilfen beim Bauern und im Garten, Holz und Tannenzapfen sammeln als Heizmaterial, Holzhacken (normal auch für 8jährige), Holz und Kohlen stapeln oder nachfüllen, Ähren und Kartoffeln auf abgeernteten Feldern nach-sammeln usw. Diese Arbeiten waren damals eben nötig, wur-den nicht gerade gern, oft aber auch spielerisch mit anderen Kindern zusammen getan.
Und es blieb meistens genug Zeit für Spiele, die heute teils schon vergessen sind. Die heutige möglichst pausenlose Elternaufsicht über ,,schon‘‘ 7 bis 8 Jährige war zumindest auf dem Lande keine Regel; wir stromerten in kleinen Gruppen überall im Dorfe umher und auch 3-4 km entfernt in den Feldern und im Wald. Wir waren vermutlich wesentlich geübter darin, auf Bäume zu klettern und konnten wohl auch mit der Gefahr des ,,Kippel-Kappel‘‘ um-gehen. Jeder Junge hatte ein Taschenmesser und brauchte es auch; ich habe es nie als Waffe oder Drohmittel untereinander erlebt!

Das Versteckspielen war damals natürlich wesentlich interessanter; auf den Dörfern standen viel mehr Schuppen, Holz- und Torfhaufen, Stroh- oder Heudiemen als Verstecke und die Bebauung war auch insgesamt wesentlich lockerer. - Dafür und auch fürs Tick-Spiel (Fangen) sind die Regeln wohl noch bekannt.

Wer aber weiß heute noch, was (auf platt!) ,,Lööper‘‘ sind , kennt einen ,,Bozer‘‘ oder ,,Pickpohl“‘‘? Oder kennt die Regeln des damals überall be-liebten Spieles ,,Kippel-Kappel (Tippel-Tappel)‘‘?

Unsere ,,Lööper‘‘ sind - oder waren? – Murmeln (auch ,,Marmeln‘‘, abgeleitet von Marmor), diese kleinen und meist bunten Tonkugeln. Eine besonders große aus (innen buntem) Glas oder Metall war der ,,Bozer‘‘ (abgeleitet aus Boser, Boßel!), der nicht bei allen Marmel-Spielen gebraucht wurde.

Auf festem Erdreich (Hofplätze waren weder asphaltiert noch gepflastert) wurde mit einem Stöckchen ein Kreis gezeichnet (andere Variante: Einer drehte sich auf dem Schuhabsatz und machte so ein Loch) und 3-5 m entfernt davon eine Startlinie. Erst warf jeder vom Kreis aus eine Murmel zur Linie - wer am dichtesten dran war, durfte anfangen:
Von der Linie aus wurden einhändig mit einem Wurf z. B. 5 Murmeln Rich-tung Kreis (Loch) geworfen. Wer die meisten drin hatte, durfte als Erster weitermachen, nämlich (beliebige!) außerhalb liegende Murmeln mit dem gebogenen Zeigefinger reinkicken. Nach einem Fehlkick kam der Gegner dran. Wer die letzte Murmel ,,einpütete‘‘ bekam den ganzen Topf und hatte als Sieger beim nächsten Spiel den ersten Wurf.

Dieses Spiel (nur beim Kreis!) konnte auch verlängert werden: Waren alle Murmelm im Kreis, durfte der letzte Kicker als Erster von der Linie aus seinen Bozer durch den Kreis werfen - und die heraus rollenden Murmeln behalten. Blieb ein Bozer im Kreis liegen, war er verloren und konnte nur gegen z. B. 20 Murmeln zurückgetauscht werden.
Man durfte auch auf des Gegners Bozer zielen und nach einem Treffer den noch vorhandenen Kreisinhalt abkassieren. -
In Läden käuflich waren Murmeln erst wieder ab etwa 1948; vorher spielten wir mit ,,Vorkriegsware‘‘; es waren meistens ,,gebrauchte‘‘ von einstmals erfolgreichen Eltern.

Besser in die Zeit passte das Pickpahl-Spiel! Wir mussten nichts kaufen, da man sich die notwendigen etwa 40 bis 60 cm langen und 3-5 cm dicken Stöcke aus dem geschlagenen Knick-Buschholz holen konnte; diese Stöcke wurden an einem Ende angespitzt .

Gespielt wurde von 2 bis etwa 5 „Einzelkämpfern“ (bei nur zwei benutzte jeder 2 oder 3 solcher Pickpahle = Pickpfähle).
Mit ausholender Bewegung, als wolle man von oben zuschlagen, wurde der Pickpahl nach unten geschlagen und dann im richtigen Moment losgelassen, so dass er in der Erde steckte (Wiese, fester Teil des Garten usw.). Der nächste Spieler versuchte dann, dass bei seinem Pick ein gegnerischer Pickpahl umfiel. Es gab dazu verschiedene Tricks, sei es durch Schräg-wurf unter den schon schräg ste-henden Gegner-Pickpahl oder genau an dessen Spitze, um hier den Halt wegzunehmen. Ein korrekt umgeworfener Pickpahl war Beute.
Dickere Stöcke hatten mehr Wumm und brachten leichter Erfolg. Etwas festerer Boden ließ sie aber auch nicht so tief eindringen und daher selbst leichter umfallen. Man brauchte also schon ein Sortiment unterschiedlicher Längen und Stärken.

Selbstversorger waren wir auch beim notwendigen Zubehör für das Kippel-Kappel (einige sagten auch Tippel-Tappel!):

Zwei Stöcke mit etwa 60 bzw. 15 cm Länge; dazu wurde auf irgend einem Hofplatz oder Feldweg eine 20 cm lange „Rinne“, etwa je 5 cm breit und tief eingekratzt.
Es spielten 2 Kinder (oder auch 2 Mannschaften) gegeneinander. Die Art der Punkte-Rechnung wurde vorher abgesprochen und war in jedem Dorf wieder anders; ich nenne nur Beispiele!
Der Heimspieler stand an der Rinne, der Feldspieler ihm gegenüber, Abstand mindestens 3 m, meistens mehr! Es folgten 3 Spielstufen:

1. Der Kurzstock (das ,,Holz‘‘) wurde quer über die Rinne gelegt; die längere Gerte (der ,,Stock‘‘) mit einem Ende darunter gehalten und dann das Holz hoch-weg-geschleudert. Konnte der Feldspieler das Holz fangen, er-hielt er 10 Punkte (- dieses auch bei 2. und 3.!)
Er durfte nun versuchen - egal ob gefangen oder nicht -, das Holz so zurückzuwerfen, dass es in die Rinne fiel - bei Erfolg wurde er Heimspieler.

2. Jetzt kam ein Abschlag. Der Heimspieler hielt das Holz in der einen Hand und schlug es mit dem Stock weg. Danach legte der Heimspieler den Stock quer über die Rinne; konnte der Feldspieler den Stock beim Rückwurf treffen, wurde er Heimspieler, Traf er gar in die Rinne, erhielt er außerdem noch 10 Punkte.

3. Nun der Doppelschlag und die Chance für den Heimspieler, selbst Punkte zu machen. Ein Schlag schlug das Holz aus der Hand hoch, der zweite das fliegende Holz weit weg. Die Entfernung wurde mit dem Stock abgemessen - je Stocklänge 1 Punkt. Misslang der Doppelschlag, wurde der Heimspieler abgelöst. Auch, wenn das Holz beim Rückwurf näher als eine Holz-länge bei der Rinne landete - jetzt allerdings durfte der Heimspieler dieses durch Abwehr mit dem Stock verhindern! - - Danach wieder ab 1.!

Eine Variante war ein an den Enden gespitztes Holz, welches die Eltern allerdings wegen größerer Unfallgefahr nicht gerne sahen. Dabei musste man beim Doppelschlag auf eine Spitze des liegenden Holzes schlagen und das dann hochfliegende Holz möglichst weit wegschlagen.

Als - inzwischen - Großvater schlage ich vor, dass Kinder doch lieber kein Kippel-Kappel spielen sollten. Nach heutigen Gesichtspunkten: Viel zu gefährlich. ...damals ,,passte‘‘ es! Kinder waren auf andere Gefahren vorbereitet – dafür wären sie dem heutigen Autoverkehr nie gewachsen gewesen.
 

bosbach46

Mitglied
Erinnerung

hallo Haget,
gegen das Vergessen zu arbeiten heißt für mich Alltagsgeschichte festzuhalten. Das ist Dir gelungen. Mir fiel eine Ergänzung zu deinem Bericht ein: Vielleicht kennst Du das geheime Kinderspielbuch von Joachim Ringelnatz. Es erschien 1924 und wurde vom damaligen Potsdamer Polizeipräsidenten für Kinder verboten. Ich bin mir beinahe sicher, dieses kleine Büchlein würde dir Freude bereiten. Gruß J.B.
 



 
Oben Unten