Willi Corsten
Mitglied
Zehn war ich und mein Bruder, der Heinz, erst acht. Streiche verübten wir ohne Zahl, doch bestraft wurde immer nur ich, weil ich ja der ältere war. Aber diesmal kam es genau umgekehrt, diesmal sollte der Kleine schuld gewesen sein an der Verwüstung, die wir angerichtet hatten.
Unser Garten lag außerhalb des Dorfes, fast einen halben Kilometer vom Elternhaus entfernt. Wir spielten dort oft und bauten eifrig an einer Hütte, gleich neben den Johannisbeersträuchern. Das Material lieferte die Müllkippe drüben im Feld: halbvermoderte Bretter für die Wände, ausgefranste Teppiche für den Boden, Plastikfolie für das Fenster und ein rostiges Ofenrohr, das den Rauch unserer Friedenspfeife ins Freie leiten sollte. Das beste Stück der Sammlung war ein alter Linoleumläufer, den wir an Stelle von Büffelfellen aufs Dach nagelten.
Es gab nur einen Störenfried in dem kleinen Paradies: Männche, Männche, unser Nachbar. Der freundliche Herr kam zu den ungelegensten Zeiten in den Garten nebenan, arbeitete dort im Gemüsebeet und ruhte sich dann auf seiner Bank aus. Das ärgerte uns mächtig, denn nun konnten wir keine Bohnenstangen und Zaunpfähle mehr rauben, die ‚hilflos und verlassen‘ in der Gegend herum lagen. Männche, Männche musste also vertrieben werden, koste es, was es wolle.
Zuerst warf ich Steine in den Holunderstrauch, der neben der Bank stand, doch statt zu fliehen, suchte der Mann nun das vermeintliche Tier, das da geraschelt hatte. Am nächsten Tag raubten wir das Sitzbrett der Ruhebank, pinselten alte Farbe darüber und hängten es als Jagdtrophäe in unsere Hütte. Als Männche, Männche den Diebstahl bemerkte, schimpfte er wie ein Cowboy, dem man das Pferd gestohlen hatte, eilte nach Hause, schleppte ein neues Brett heran und schraubte es fachmännisch auf die beiden Stützpfähle fest.
Jetzt durfte mein Bruder sein handwerkliches Talent beweisen. Nicht weniger fachmännisch sägte er am nächsten Tag das Brett von unten her dreiviertel durch. Ohne Erfolg übrigens, denn selbst das letzte Viertel trug das Fliegengewicht des emsigen Mannes.
Kurz vor den Sommerferien war die Hütte endlich fertig, wir wähnten uns in Sicherheit. Doch halt, was passiert, wenn feindliche Indianer die Festung stürmen? Wie dumm von uns: wir hatten im Eifer des Gefechtes den unterirdischen Fluchttunnel vergessen. Nun war guter Rat teuer, denn im Erdereich wollte Heinz nicht buddeln, weil er Vaters Strafe fürchtete. Ich überlegte lange, womit ich den Kleinen umstimmen könnte, kam dann auf die verrückte Idee, sein Meerschweinchen ins Spiel zu bringen, denn für den weißbraunen Purzel würde Heinz bestimmt alles tun.
Am folgenden Tag war ich mit dem Meerschweinchen allein im Garten, mein Bruder wollte in einer Stunde nachkommen. Geschwind kramte ich unter dem Gerümpel eine Schublade hervor, packte das arme Tierchen hinein, legte eine Sperrholzplatte und einen Ziegelstein oben auf und trug die seltsame Haftanstalt hinter den Komposthaufen. Dann eilte ich in die Hütte und trieb einen schräg nach unten führenden Stollen in die Erde, der den Anfang des Tunnels bildete. Plötzlich klopfte jemand an die Tür, Heinz war gekommen.
„Alarm, Alarm!“ rief ich geistesgegenwärtig, „Purzel ist in Gefahr."
„Wo steckt das Meerschweinchen?"
„Hat sich dort in die Erde gebuddelt. Wir müssen es sofort ausgraben, sonst erstickt das hilflose Wesen. Du arbeitest hier drinnen weiter, ich grabe draußen und versuche, dem Ausreißer den Weg abzuschneiden."
Mein Plan war geglückt. Der Kleine schaufelte, als ginge es um Leben oder Tod. Wie ein Maulwurf wühlte er sich in die Unterwelt und förderte im Akkord Steine und Lehm ans Tageslicht. Derweil holte ich Purzel aus dem Versteck, wartete, bis mein Bruder den Durchbruch zu mir fast geschafft hatte und bugsierte das Tierchen in seine tastende Hand. Heinz war selig.
Wir legten ein Blech über den Ausgang der Höhle, streuten Erde und Laub darüber und beseitigten so die Spuren unserer Freveltat.
Kurz darauf schob Vater sein altes Fahrrad in den Garten. Als ich den Eimer sah, der an der Lenkstange baumelte, wurde mir heiß und kalt zugleich. In meinem Eifer hatte ich doch glatt vergessen, dass heute Johannisbeeren gepflückt werden sollten.
Es kam, wie es kommen musste. Vater lehnte das Rad an den Zaun, trabte zu den Johannesbeersträuchern, pflückte eine handvoll Beeren, warf sie in den Eimer, machte einen Schritt zur Seite - und war plötzlich fünfundsiebzig Zentimeter kleiner.
„Wer war das?" rief er zornig.
„Das Meerschweinchen..." stotterte Heinz. Weiter kam er nicht in seiner Erklärung, weil der Klaps auf den Allerwertesten ihm die Sprache verschlagen hatte. Dafür heulte mein Bruder nun wie ein Bleichgesicht am Marterpfahl. Doch so plötzlich, wie das klägliche Wehgeschrei begann, so plötzlich verstummte es auch wieder. Heinz zog schniefend die Nase hoch, wischte die Tränen aus dem Gesicht und spähte erwartungsvoll in den Nachbargarten. Dort schlurfte Männche, Männchens Frau den Pfad entlang, steuerte in diesem Augenblick zielstrebig die Ruhebank an.
Das angesägte Brett hatte Dutzende Male 130 Pfund getragen, und nie geklagt. Die nur einmal aufgesetzten 130 Kilogramm aber riefen zornigen Protest hervor. Ein berstendes Krrr...war der Beweis dafür.
Unser Garten lag außerhalb des Dorfes, fast einen halben Kilometer vom Elternhaus entfernt. Wir spielten dort oft und bauten eifrig an einer Hütte, gleich neben den Johannisbeersträuchern. Das Material lieferte die Müllkippe drüben im Feld: halbvermoderte Bretter für die Wände, ausgefranste Teppiche für den Boden, Plastikfolie für das Fenster und ein rostiges Ofenrohr, das den Rauch unserer Friedenspfeife ins Freie leiten sollte. Das beste Stück der Sammlung war ein alter Linoleumläufer, den wir an Stelle von Büffelfellen aufs Dach nagelten.
Es gab nur einen Störenfried in dem kleinen Paradies: Männche, Männche, unser Nachbar. Der freundliche Herr kam zu den ungelegensten Zeiten in den Garten nebenan, arbeitete dort im Gemüsebeet und ruhte sich dann auf seiner Bank aus. Das ärgerte uns mächtig, denn nun konnten wir keine Bohnenstangen und Zaunpfähle mehr rauben, die ‚hilflos und verlassen‘ in der Gegend herum lagen. Männche, Männche musste also vertrieben werden, koste es, was es wolle.
Zuerst warf ich Steine in den Holunderstrauch, der neben der Bank stand, doch statt zu fliehen, suchte der Mann nun das vermeintliche Tier, das da geraschelt hatte. Am nächsten Tag raubten wir das Sitzbrett der Ruhebank, pinselten alte Farbe darüber und hängten es als Jagdtrophäe in unsere Hütte. Als Männche, Männche den Diebstahl bemerkte, schimpfte er wie ein Cowboy, dem man das Pferd gestohlen hatte, eilte nach Hause, schleppte ein neues Brett heran und schraubte es fachmännisch auf die beiden Stützpfähle fest.
Jetzt durfte mein Bruder sein handwerkliches Talent beweisen. Nicht weniger fachmännisch sägte er am nächsten Tag das Brett von unten her dreiviertel durch. Ohne Erfolg übrigens, denn selbst das letzte Viertel trug das Fliegengewicht des emsigen Mannes.
Kurz vor den Sommerferien war die Hütte endlich fertig, wir wähnten uns in Sicherheit. Doch halt, was passiert, wenn feindliche Indianer die Festung stürmen? Wie dumm von uns: wir hatten im Eifer des Gefechtes den unterirdischen Fluchttunnel vergessen. Nun war guter Rat teuer, denn im Erdereich wollte Heinz nicht buddeln, weil er Vaters Strafe fürchtete. Ich überlegte lange, womit ich den Kleinen umstimmen könnte, kam dann auf die verrückte Idee, sein Meerschweinchen ins Spiel zu bringen, denn für den weißbraunen Purzel würde Heinz bestimmt alles tun.
Am folgenden Tag war ich mit dem Meerschweinchen allein im Garten, mein Bruder wollte in einer Stunde nachkommen. Geschwind kramte ich unter dem Gerümpel eine Schublade hervor, packte das arme Tierchen hinein, legte eine Sperrholzplatte und einen Ziegelstein oben auf und trug die seltsame Haftanstalt hinter den Komposthaufen. Dann eilte ich in die Hütte und trieb einen schräg nach unten führenden Stollen in die Erde, der den Anfang des Tunnels bildete. Plötzlich klopfte jemand an die Tür, Heinz war gekommen.
„Alarm, Alarm!“ rief ich geistesgegenwärtig, „Purzel ist in Gefahr."
„Wo steckt das Meerschweinchen?"
„Hat sich dort in die Erde gebuddelt. Wir müssen es sofort ausgraben, sonst erstickt das hilflose Wesen. Du arbeitest hier drinnen weiter, ich grabe draußen und versuche, dem Ausreißer den Weg abzuschneiden."
Mein Plan war geglückt. Der Kleine schaufelte, als ginge es um Leben oder Tod. Wie ein Maulwurf wühlte er sich in die Unterwelt und förderte im Akkord Steine und Lehm ans Tageslicht. Derweil holte ich Purzel aus dem Versteck, wartete, bis mein Bruder den Durchbruch zu mir fast geschafft hatte und bugsierte das Tierchen in seine tastende Hand. Heinz war selig.
Wir legten ein Blech über den Ausgang der Höhle, streuten Erde und Laub darüber und beseitigten so die Spuren unserer Freveltat.
Kurz darauf schob Vater sein altes Fahrrad in den Garten. Als ich den Eimer sah, der an der Lenkstange baumelte, wurde mir heiß und kalt zugleich. In meinem Eifer hatte ich doch glatt vergessen, dass heute Johannisbeeren gepflückt werden sollten.
Es kam, wie es kommen musste. Vater lehnte das Rad an den Zaun, trabte zu den Johannesbeersträuchern, pflückte eine handvoll Beeren, warf sie in den Eimer, machte einen Schritt zur Seite - und war plötzlich fünfundsiebzig Zentimeter kleiner.
„Wer war das?" rief er zornig.
„Das Meerschweinchen..." stotterte Heinz. Weiter kam er nicht in seiner Erklärung, weil der Klaps auf den Allerwertesten ihm die Sprache verschlagen hatte. Dafür heulte mein Bruder nun wie ein Bleichgesicht am Marterpfahl. Doch so plötzlich, wie das klägliche Wehgeschrei begann, so plötzlich verstummte es auch wieder. Heinz zog schniefend die Nase hoch, wischte die Tränen aus dem Gesicht und spähte erwartungsvoll in den Nachbargarten. Dort schlurfte Männche, Männchens Frau den Pfad entlang, steuerte in diesem Augenblick zielstrebig die Ruhebank an.
Das angesägte Brett hatte Dutzende Male 130 Pfund getragen, und nie geklagt. Die nur einmal aufgesetzten 130 Kilogramm aber riefen zornigen Protest hervor. Ein berstendes Krrr...war der Beweis dafür.