Klang

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich denke, lieber Franke,

über das "nach" nach.
Zeitlich genommen - und ich glaube, das ist das erste Verständnis der meisten Lesersterninnen: Eine Grille zirpt, dann folgt ein Gedicht (woher und warum auch immer), und in einer Art von Sprachebenensprung eine globale Wertung, daß alles "gesagt" sei. Aber warum folgt dem Zirpen der Grille ein Gedicht? Sind das nicht Worte zuviel? Ist nicht mit dem Zirpen der Grille schon alles gesagt?
Oder, Alternative: Ein Nachsetzen, Hint-an-setzen des Gedichtes nach dem Zirpen. Dann wäre es nicht das Gedicht, mit dem alles gesagt wäre, sondern die globale Wertung, die das Gedicht dem Zirpen nachordnet. Aber das ist gewiß nicht das erste Verständnis, das dem lesenden Sinn in den Sinn kommt, sondern ein verborgenes, untergründiges.
Es ist aber vielleicht stirnerunzlig, einem Haiku einen Untergrund unterzuschieben, und diesen auch noch aus einer reflektierenden Warte, die im Widerspruch dazu steht, "unmittelbar ins Herz zu zielen", also zum Zen-Charakter des Haikus.
Denke ich.
Das heißt: das Grillenzirpen müßte allein da stehen, es müßte damit alles gesagt sein, ohne daß das extra gesagt werden würde. Natürlich dürfte dem kein Gedicht noch nachfolgen, sondern das Zirpen selbst müßte in seiner allessagenden Poesie sich aussprechen. Wie das Wasserklatschen des Frosches und das Blütenabraufen des Pferdes usw.

(Deshalb bin ich ja auch bei meinen vier Haikus (hier in der Nähe) nicht sicher, ob sie "richtig" sind. Ich spiele ja mit symbolisch verstehbaren Metapherwörtern, schließe das reflektierende Verständnis also nicht so aus, wie es bei einem Haiku sein müßte. Aber wen interessiert das schon. Die Haiku-Diskussion findet sich da jedenfalls nicht. Seis drum.)

Auf jeden Fall "ist es haiku", mit dem Grillenzirpen "alles gesagt" sein zu lassen. Das würde ich hier nicht verlieren wollen.

grusz, hansz
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Hansz,

du hast genau den Finger auf die wunde Stelle gelegt. Auch ich war mir hier absolut unsicher, ob es richtig verstanden wird.
Meine Intention beim "nach" ist eine Aussage im Sinne von "Der Sohn kommt nach dem Vater".
Da dies aber hier nicht klar zum Ausdruck kommt, habe ich das Gedicht umgeschrieben.
Letztendlich ist es verflucht schwer in 5-7-5 eine stimmige Aussage hinzugekommen. Hoffentlich ist es mir jetzt besser gelungen.
Ich werde mir gleich mal deine Haikus ansehen.

Danke und liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja so, das geht in die Richtung. "Klärt sich" auf!

Ich bin gespannt, wie die anderen Lesersterninnen das sehen mit dem Reflexions-Sprachebenen-Bruch. Es wird ja im Gedicht gesagt, daß es ein Gedicht ist. Darf es einen Haiku über einen Haiku geben?

Würde mich sehr interessieren wie das andere sehen.
Wobei zu beachten ist, daß selbstbezügliche Gedichte ihren poetischen Reiz verstärken können, wie Musik, die sich auf Musik bezieht (z.B. die beiden gleichzeitigen Hochzeits- und Standesdifferenz-Tänze in der Schlußszene des ersten Akts von Mozarts Don Giovanni). Oder das öffentlich aufgeführte Lied über den Engel, der dem Adam Schuhe für den Lauf aus dem Paradies macht (Meistersinger, 2.Akt). Das könnte in einem so dicht konzentrierten Versgefüge, wie ein Haiku es ist, so eine Art von Selbstverstärkung der überraschenden Impression sein, wie ein Ausruf es ist, oder der Seufzer über das Nichtausdrücken können, oder die Verzweiflung des Poeten, der die Unangemessenheit seiner hingestammelten Worte bekennt. Also genau Ausdruck und Präsenz des "ohne Worte", das den Zen des Haiku ausmacht.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Ich verstehe Mondneins Kommentar (oder bilde es mir zumindest ein). Und doch ziehe ich die erste Version vor. Warum? Weil sie offener ist, mehr Interpretationen zulässt. Und was ist wichtiger als das für diese kurzen Dinger?
Ich habe deine Ursprungsversion gelesen, sie hat mich gepackt, aber ich wollte sie noch wirken lassen.
Deine neue Version ist direkter, vielleicht ist sie sogar mehr HAIKU. Aber mir ist sie zu bestimmend.

Ich mag deine erste, offene Version, die Raum für den Leser lässt.

LG
Cellist
 

HerbertH

Mitglied
Beide Versionen gefallen mir, auch die erste Version mit dem nach funktioniert für mich.

Herzliche Grüße

Herbert
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Herbert, hallo Cellist

Eure Anmerkungen zu meinem Gedicht bringen mich auf eine ganz neue Idee.
Mir ist hier wichtig, dass der Leser meine Intention erkennt. Andererseits möchte ich aber auch Raum für eigene Lesarten lassen.
Ich werde deshalb beide Versionen gleichberechtigt nebeneinander einstellen, sozusagen als Klang(variationen).

Liebe Grüße
Manfred
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
I.

Käme ein Gedicht
nach dem Gesang der Grille
alles wär gesagt



II.

Klänge ein Gedicht
wie der Gesang der Grille
alles wär gesagt
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ist auf jeden Fall praktischer: man braucht nicht irgendeine Klickstelle zu suchen und zwei Fenster übereinander zu legen.
 



 
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