Vitelli
Mitglied
Nun ist er da.
Verändert hat er sich. Alt ist er geworden. Aber da ist noch immer dieses Unstete in seinen Augen. Es hat irgendwas Listiges. So, als ob er hinter die Kulissen schauen könnte. Mich durschauen.
Er steht in der Tür, macht aber keine Anstalten einzutreten. Er lässt sich also bitten. Dieser arrogante Pisser.
Ich reagiere nicht.
Er lehnt sich lässig an den Türrahmen und betrachte teilnahmslos seine Fingernägel; er weiß, dass er die besseren Karten hat. Schließlich bitte ich ihn hinein.
Er wischt sich übertrieben gründlich die Schuhe an der „Willkommen“-Fußmatte ab.
Arschloch, denke ich. Und: Hab’s kapiert.
Im Vorbeigehen drückt er mir seine Jacke in die Hand; es ist die selbe alte Lederjacke, die er schon immer trug, und die seinem Alter nicht mehr angemessen ist; er weiß das.
Nachdem ich seine Jacke aufgehängt habe, schaue ich ihm dabei zu, wie er sich demonstrativ in meinem Wohnzimmer umschaut. „Schick-schick-schick“, sagt er mit einem Unterton, der mir nicht gefällt. Tief einatmend ergänzt er: „Das ist also der Geruch das Erfolgs … Hast es weit gebracht, alter Junge – gratuliere.“
Auf dem Weg zum Fenster greift er sich einen Apfel aus der dekorativ platzierten Obstschale. Zuerst schaut er den Apfel abschätzig an, dann mich: „Ernsthaft?“
Im Gehen wirft er den Apfel über die Schulter, und ich mache keinen Anstalten ihn zu fangen; er prallt von mir ab und kullert über den teuren Teppich.
Am Fenster angekommen reißt er die Gardinen zur Seite und schaut über die Stadt - ein Lichtermeer, das in der Abenddämmerung zu versinken droht. „Und hier wollte sie nicht bleiben? Bei dem Ausblick. Du musst ihr ja gehörig auf den Geist gegangen sein.“ Er dreht sich zu mir um und grinst.
Ich tue so, als hätte ich das überhört.
Sein Blick fällt auf meine Bücherregale und er geht schnurstracks drauf zu. Mit den Händen in den Hüften lässt er seinen Blick über die diversen Titel wandern. „Und die hast du alle gelesen? Sehen ziemlich neu aus. Ist wohl eher Deko, wa?“ Dann, mich über die Schulter anschauend: „Willst wohl vorgeben etwas zu sein, was du nicht bist, gelle.“
Leck mich, denke ich.
Er schaut zum Schreibtisch rüber, auf dem sich die Papiere stapeln. „Busy?“
„Homeoffice.“
„Ah, Corona, verstehe.“ Er schnalzt mit der Zunge. „Langsam vervollständigt sich das Bild.“
„Ach ja?“ Kaum hatte ich’s gesagt, da bereute ich’s auch schon.
„Sie ist weg, du kannst nicht zur Arbeit, hängst den ganzen Tag hier rum … Bist zum ersten Mal seit Jahren mit dir selbst konfrontiert, nicht wahr?“
Ich muss an Spinoza denken, der den freien Willen für eine Illusion hielt.
„Warum ist sie weg, hm? Wolltest du keine Kinder? Oder sie? Hast ihre beste Freundin gefickt? Das würde mir gefallen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sowas vorkommt, näää?“ Er brachte mich mit einer Geste zum Schweigen, noch bevor ich etwas sagen konnte. „Jaja, ich weiß – brauchst nichts zu sagen. Das war damals, als du noch ein anderer Mensch warst.“
Er lässt sich auf’s Sofa fallen und verschränkt die Arme hinterm Kopf. „Ach lass nur – in zwei, drei Stunden wirst du über nichts anderes mehr sprechen. Das wird ein Spaß.“
Ich sage nichts.
Er reckt den Kopf um mich ansehen zu können. „Fangen wir jetzt endlich an? Oder warum bin ich hier?“
Ich schaue auf die Jack-Daniels-Flasche und die kleine Schale mit Eiswürfeln, die daneben steht. Das kristallene Glas halte ich in der Hand.
„Ich mach doch nur Spaß, alter Junge. Wir werden uns ganz prächtig verstehen. Ich weiß es, und du weißt es. Es wird sein, als ob ich nie weggewesen wäre. Ich werde dir eine Welt zeigen, von der du gar nicht mehr wusstest, dass sie noch existiert. Ich werde dir zeigen, wie sinnlos“ – er macht eine ausladende Handbewegung – „das hier alles ist.“
Mit den Augen folge ich seiner Handbewegung.
„Und du musst keine Angst haben, dass ich länger bleibe; es ist nur für heute Abend – morgen früh bin ich verschwunden.“
Ich schaue ihn an; so gerne würde ich ihm glauben. Und ich glaube ihm.
Das Klirren der Eiswürfel im kristallenen Glas zaubert ihm ein Lächeln ins Gesicht – mit geschlossenen Augen liegt er da. Er muss nichts mehr tun, er hat seinen Dienst erfüllt.
Verändert hat er sich. Alt ist er geworden. Aber da ist noch immer dieses Unstete in seinen Augen. Es hat irgendwas Listiges. So, als ob er hinter die Kulissen schauen könnte. Mich durschauen.
Er steht in der Tür, macht aber keine Anstalten einzutreten. Er lässt sich also bitten. Dieser arrogante Pisser.
Ich reagiere nicht.
Er lehnt sich lässig an den Türrahmen und betrachte teilnahmslos seine Fingernägel; er weiß, dass er die besseren Karten hat. Schließlich bitte ich ihn hinein.
Er wischt sich übertrieben gründlich die Schuhe an der „Willkommen“-Fußmatte ab.
Arschloch, denke ich. Und: Hab’s kapiert.
Im Vorbeigehen drückt er mir seine Jacke in die Hand; es ist die selbe alte Lederjacke, die er schon immer trug, und die seinem Alter nicht mehr angemessen ist; er weiß das.
Nachdem ich seine Jacke aufgehängt habe, schaue ich ihm dabei zu, wie er sich demonstrativ in meinem Wohnzimmer umschaut. „Schick-schick-schick“, sagt er mit einem Unterton, der mir nicht gefällt. Tief einatmend ergänzt er: „Das ist also der Geruch das Erfolgs … Hast es weit gebracht, alter Junge – gratuliere.“
Auf dem Weg zum Fenster greift er sich einen Apfel aus der dekorativ platzierten Obstschale. Zuerst schaut er den Apfel abschätzig an, dann mich: „Ernsthaft?“
Im Gehen wirft er den Apfel über die Schulter, und ich mache keinen Anstalten ihn zu fangen; er prallt von mir ab und kullert über den teuren Teppich.
Am Fenster angekommen reißt er die Gardinen zur Seite und schaut über die Stadt - ein Lichtermeer, das in der Abenddämmerung zu versinken droht. „Und hier wollte sie nicht bleiben? Bei dem Ausblick. Du musst ihr ja gehörig auf den Geist gegangen sein.“ Er dreht sich zu mir um und grinst.
Ich tue so, als hätte ich das überhört.
Sein Blick fällt auf meine Bücherregale und er geht schnurstracks drauf zu. Mit den Händen in den Hüften lässt er seinen Blick über die diversen Titel wandern. „Und die hast du alle gelesen? Sehen ziemlich neu aus. Ist wohl eher Deko, wa?“ Dann, mich über die Schulter anschauend: „Willst wohl vorgeben etwas zu sein, was du nicht bist, gelle.“
Leck mich, denke ich.
Er schaut zum Schreibtisch rüber, auf dem sich die Papiere stapeln. „Busy?“
„Homeoffice.“
„Ah, Corona, verstehe.“ Er schnalzt mit der Zunge. „Langsam vervollständigt sich das Bild.“
„Ach ja?“ Kaum hatte ich’s gesagt, da bereute ich’s auch schon.
„Sie ist weg, du kannst nicht zur Arbeit, hängst den ganzen Tag hier rum … Bist zum ersten Mal seit Jahren mit dir selbst konfrontiert, nicht wahr?“
Ich muss an Spinoza denken, der den freien Willen für eine Illusion hielt.
„Warum ist sie weg, hm? Wolltest du keine Kinder? Oder sie? Hast ihre beste Freundin gefickt? Das würde mir gefallen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sowas vorkommt, näää?“ Er brachte mich mit einer Geste zum Schweigen, noch bevor ich etwas sagen konnte. „Jaja, ich weiß – brauchst nichts zu sagen. Das war damals, als du noch ein anderer Mensch warst.“
Er lässt sich auf’s Sofa fallen und verschränkt die Arme hinterm Kopf. „Ach lass nur – in zwei, drei Stunden wirst du über nichts anderes mehr sprechen. Das wird ein Spaß.“
Ich sage nichts.
Er reckt den Kopf um mich ansehen zu können. „Fangen wir jetzt endlich an? Oder warum bin ich hier?“
Ich schaue auf die Jack-Daniels-Flasche und die kleine Schale mit Eiswürfeln, die daneben steht. Das kristallene Glas halte ich in der Hand.
„Ich mach doch nur Spaß, alter Junge. Wir werden uns ganz prächtig verstehen. Ich weiß es, und du weißt es. Es wird sein, als ob ich nie weggewesen wäre. Ich werde dir eine Welt zeigen, von der du gar nicht mehr wusstest, dass sie noch existiert. Ich werde dir zeigen, wie sinnlos“ – er macht eine ausladende Handbewegung – „das hier alles ist.“
Mit den Augen folge ich seiner Handbewegung.
„Und du musst keine Angst haben, dass ich länger bleibe; es ist nur für heute Abend – morgen früh bin ich verschwunden.“
Ich schaue ihn an; so gerne würde ich ihm glauben. Und ich glaube ihm.
Das Klirren der Eiswürfel im kristallenen Glas zaubert ihm ein Lächeln ins Gesicht – mit geschlossenen Augen liegt er da. Er muss nichts mehr tun, er hat seinen Dienst erfüllt.
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