Klaus und Lukas

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Vitelli

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Nun ist er da.
Verändert hat er sich. Alt ist er geworden. Aber da ist noch immer dieses Unstete in seinen Augen. Es hat irgendwas Listiges. So, als ob er hinter die Kulissen schauen könnte. Mich durschauen.
Er steht in der Tür, macht aber keine Anstalten einzutreten. Er lässt sich also bitten. Dieser arrogante Pisser.
Ich reagiere nicht.
Er lehnt sich lässig an den Türrahmen und betrachte teilnahmslos seine Fingernägel; er weiß, dass er die besseren Karten hat. Schließlich bitte ich ihn hinein.
Er wischt sich übertrieben gründlich die Schuhe an der „Willkommen“-Fußmatte ab.
Arschloch, denke ich. Und: Hab’s kapiert.
Im Vorbeigehen drückt er mir seine Jacke in die Hand; es ist die selbe alte Lederjacke, die er schon immer trug, und die seinem Alter nicht mehr angemessen ist; er weiß das.
Nachdem ich seine Jacke aufgehängt habe, schaue ich ihm dabei zu, wie er sich demonstrativ in meinem Wohnzimmer umschaut. „Schick-schick-schick“, sagt er mit einem Unterton, der mir nicht gefällt. Tief einatmend ergänzt er: „Das ist also der Geruch das Erfolgs … Hast es weit gebracht, alter Junge – gratuliere.“
Auf dem Weg zum Fenster greift er sich einen Apfel aus der dekorativ platzierten Obstschale. Zuerst schaut er den Apfel abschätzig an, dann mich: „Ernsthaft?“
Im Gehen wirft er den Apfel über die Schulter, und ich mache keinen Anstalten ihn zu fangen; er prallt von mir ab und kullert über den teuren Teppich.
Am Fenster angekommen reißt er die Gardinen zur Seite und schaut über die Stadt - ein Lichtermeer, das in der Abenddämmerung zu versinken droht. „Und hier wollte sie nicht bleiben? Bei dem Ausblick. Du musst ihr ja gehörig auf den Geist gegangen sein.“ Er dreht sich zu mir um und grinst.
Ich tue so, als hätte ich das überhört.
Sein Blick fällt auf meine Bücherregale und er geht schnurstracks drauf zu. Mit den Händen in den Hüften lässt er seinen Blick über die diversen Titel wandern. „Und die hast du alle gelesen? Sehen ziemlich neu aus. Ist wohl eher Deko, wa?“ Dann, mich über die Schulter anschauend: „Willst wohl vorgeben etwas zu sein, was du nicht bist, gelle.“
Leck mich, denke ich.
Er schaut zum Schreibtisch rüber, auf dem sich die Papiere stapeln. „Busy?“
„Homeoffice.“
„Ah, Corona, verstehe.“ Er schnalzt mit der Zunge. „Langsam vervollständigt sich das Bild.“
„Ach ja?“ Kaum hatte ich’s gesagt, da bereute ich’s auch schon.
„Sie ist weg, du kannst nicht zur Arbeit, hängst den ganzen Tag hier rum … Bist zum ersten Mal seit Jahren mit dir selbst konfrontiert, nicht wahr?“
Ich muss an Spinoza denken, der den freien Willen für eine Illusion hielt.
„Warum ist sie weg, hm? Wolltest du keine Kinder? Oder sie? Hast ihre beste Freundin gefickt? Das würde mir gefallen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sowas vorkommt, näää?“ Er brachte mich mit einer Geste zum Schweigen, noch bevor ich etwas sagen konnte. „Jaja, ich weiß – brauchst nichts zu sagen. Das war damals, als du noch ein anderer Mensch warst.“
Er lässt sich auf’s Sofa fallen und verschränkt die Arme hinterm Kopf. „Ach lass nur – in zwei, drei Stunden wirst du über nichts anderes mehr sprechen. Das wird ein Spaß.“
Ich sage nichts.
Er reckt den Kopf um mich ansehen zu können. „Fangen wir jetzt endlich an? Oder warum bin ich hier?“
Ich schaue auf die Jack-Daniels-Flasche und die kleine Schale mit Eiswürfeln, die daneben steht. Das kristallene Glas halte ich in der Hand.
„Ich mach doch nur Spaß, alter Junge. Wir werden uns ganz prächtig verstehen. Ich weiß es, und du weißt es. Es wird sein, als ob ich nie weggewesen wäre. Ich werde dir eine Welt zeigen, von der du gar nicht mehr wusstest, dass sie noch existiert. Ich werde dir zeigen, wie sinnlos“ – er macht eine ausladende Handbewegung – „das hier alles ist.“
Mit den Augen folge ich seiner Handbewegung.
„Und du musst keine Angst haben, dass ich länger bleibe; es ist nur für heute Abend – morgen früh bin ich verschwunden.“
Ich schaue ihn an; so gerne würde ich ihm glauben. Und ich glaube ihm.
Das Klirren der Eiswürfel im kristallenen Glas zaubert ihm ein Lächeln ins Gesicht – mit geschlossenen Augen liegt er da. Er muss nichts mehr tun, er hat seinen Dienst erfüllt.
 
Zuletzt bearbeitet:

York

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Hallo Vitelli -

ich finde, du hast die Geschichte anschaulich und gut beschrieben. Es gibt allerdings viele Klischees, deren Bruch ihr mir während des Lesens gewünscht hätte.
Aber vielleicht gibt es diesen Bruch und ich habe ihn nicht verstanden, denn das Ende der Geschichte verstehe ich leider nicht. Ich glaube, ich bräuchte hier noch einen Hinweis.

Gruß
York
 

Vitelli

Mitglied
Hallo York, hallo hein,

danke für eure Rückmeldungen.

Ich würde den Satz weglassen. Nach meiner Ansicht wäre der zweite Satz ein besserer Anfang.
Hm, keine schlechte Idee. Denke nochmal drüber nach.

Hier fehlt wohl "er"!
Korrekt. Danke für den Hinweis; habe ich korrigiert.


Es gibt allerdings viele Klischees, deren Bruch ihr mir während des Lesens gewünscht hätte.
Aber vielleicht gibt es diesen Bruch und ich habe ihn nicht verstanden, denn das Ende der Geschichte verstehe ich leider nicht. Ich glaube, ich bräuchte hier noch einen Hinweis.
York, die Geschichte ist bewusst klischiert geschrieben, und das hat auch mit dem Ende zu tun.

Ein Tipp bezüglich des Endes: Der Titel ist hinweisgebend ;)
 

York

Mitglied
Hallo Vitelli -

ja, ich habe mir gedacht, dass der Titel wichtig ist. Jetzt schreibst du, er ist "hinweisgebend".

Nun bin ich mit der christlichen Mythologie nicht wirklich gut vertraut, denke aber, dass der "Klaus" dem "Heiligen Nikolaus" zugeordnet werden kann und bei "Lukas" habe ich den Evangelisten im Kopf. Aber das bringt mich nicht weiter... Der Nikolaus von Myra hat etwa 300 Jahre nach Chrtistus gelebt, der Verfasser des Evangeliums etwa 250 Jahre früher. Gibt es dort eine Verbindung oder bin ich auf der ganz falschen Fährte??

Gruß
York
 

Vitelli

Mitglied
Moin York,

hui, du überschätzt meine Bildung aber gewaltig ;) Ne, ganz simpel: Der Titel ist ein Anagramm.

Bezogen auf die Geschichte: Die Protagonisten stellen nicht 2 Personen, sondern 2 Teile einer Persönlichkeit dar, daher auch die klischierte Beschreibung. Der Besucher ist also etwas, dass der Protagonist eigentlich dachte hinter sich gelassen zu haben; der Besucher ist sozusagen der personifizierte Alkohol - das wollte ich mit dem Ende ausdrücken.

Viele Grüße,
Vitelli
 

York

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Hallo Vitelli -

ja, mit dieser Erklärung wird es deutlich und die Geschichte richtig gut!

Wo für mich jetzt eine Unstimmigkeit ist: der Besucher (und damit das Verlangen nach Alkohol) kommt ja erst zu Beginn der Geschichte. Neben dem Jack Daniels steht aber schon eine Schale mit Eiswürfeln bereit. Vielleicht könnte an solchen Stellen deutlicher werden, dass der Protagonist erst durch den Besucher zum Alkohol verführt wird.

Übrigens finde ich jetzt - nach dem Verständnis der Geschichte - den Anfang "Nun ist er da" gut und wichtig (im Gegensatz zur Anmerkung von Hein).

Und: mir bleibt die Bedeutung des Anagramms für ein Lesen ohne deine Erklärung zu unklar. Gut, es sind die gleichen Buchstaben, aber daraus ein Anagramm zu lesen, ist schwierig. Vielleicht solltest du eine andere Überschrift überlegen? Etwa "Mein Alter" (wie Alter Ego) oder "Er kommt zurück" oder auch den Anfang "Nun ist er da". Es würde vielleicht etwas helfen?

Grüße
York
 

Vitelli

Mitglied
Hallo York,

freut mich, dass ich dich doch noch für meine Geschichte gewinnen konnte ;-)

Wo für mich jetzt eine Unstimmigkeit ist: der Besucher (und damit das Verlangen nach Alkohol) kommt ja erst zu Beginn der Geschichte. Neben dem Jack Daniels steht aber schon eine Schale mit Eiswürfeln bereit. Vielleicht könnte an solchen Stellen deutlicher werden, dass der Protagonist erst durch den Besucher zum Alkohol verführt wird.
Kann deinen Gedankengang nachvollziehen. Was ich versucht habe auszudrücken, ist, dass der Protagonist in einem Zwiespalt mit sich ist, ob er wieder trinken soll. Aber eigentlich hat er sich schon dafür entschieden: Der Whiskey und die Schale mit Eiswürfeln stehen bereit. Und daher die Spinoza-Anmerkung zum freien Willen: Hat er wirklich noch eine Wahl? Er weiß ganz genau, wem er da gleich Tür und Tor öffnen wird. Und deshalb hab ich den Besucher auch als arrogantes Arschloch beschrieben; der Protagonist weiß ja, was der Alkohol mit ihm anrichten wird. Und deshalb denke ich auch nicht, dass er "durch den Besucher zum Alkohol verführt wird". Der Besucher weiß eher, dass der Protagonist nicht widerstehen kann, der Besucher "die besseren Karten hat". Und er spielt das genüßlich aus. Und als dann die "Eiswürfel klirren", sprich der Prot. anfängt zu trinken, hat er den Besucher endgültig eingelassen.

Übrigens finde ich jetzt - nach dem Verständnis der Geschichte - den Anfang "Nun ist er da" gut und wichtig (im Gegensatz zur Anmerkung von Hein).
Ja, das sehe ich auch so.

Und: mir bleibt die Bedeutung des Anagramms für ein Lesen ohne deine Erklärung zu unklar. Gut, es sind die gleichen Buchstaben, aber daraus ein Anagramm zu lesen, ist schwierig. Vielleicht solltest du eine andere Überschrift überlegen? Etwa "Mein Alter" (wie Alter Ego) oder "Er kommt zurück" oder auch den Anfang "Nun ist er da". Es würde vielleicht etwas helfen?
"Nun ist er da" wäre sicherlich eine Option - gute Idee. Aber grundsätzlich mag ich es, wenn "Sachen" nicht so eindeutig sind und man - als Leser - etwas herausfinden / selbst beitragen muss. Aber ich muss mir eingestehen, dass ich es mit meiner Geschichte nicht geschafft habe den Titel zu erklären bzw. meine Geschichte verständlich zu machen.

Viele Grüße,
Vitelli
 

molly

Mitglied
Hallo Vitelli,

Den Titel mit dem Anagramm finde ich pfiffig. So bleibt der Schluss rätselhaft, bis man das Anagramm. auflöst. Dann ist alles klar.
Gern gelesen
molly
 



 
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