Kleine Prisen

tessa_zwei

Mitglied
Kleine Prisen

Vor meinen Augen sehe ich einen Teller mit frisch gekochtem Grießbrei und einer Prise Zimt obendrauf. Ich kann es förmlich riechen und fühle mich sofort heimelig. Erinnerungen werden wach: An meine Kindheit und die Mutter, die den Brei für uns Kinder gekocht hat. Meistens aßen wir selbst eingekochtes Kompott dazu.
Muskat verwendete sie auch, unsere Mutter, aber das wussten wir damals noch nicht. Deshalb war diese Prise für uns unsichtbar.

Eine Messerspitze Zimt und ein Hauch Muskatnuss, sie würzen nicht nur unsere Speisen, wir haben sie förmlich gedanklich in der Nase, fühlen uns gewärmt und denken mit sehr großer Wahrscheinlichkeit an bestimmte Lieblingsgerichte. Sie sind ein Schlüssel und öffnen die Wohlfühlpforte! Kleine Prisen mit großer Wirkung. Erstaunlich!

Allerlei weitere Bilder gehen mir durch den Kopf: Sichtbar contra versteckt als Prisen, süß gegen herzhaft in den meisten Gerichten, glattes langes Rehbraun im Vergleich zu rundem Graubraun als Ganzes.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wir könnten leben ohne diese Gewürze; aber es ist schön, dass wir sie haben.

Wenn ich mir wieder ein wenig Nähe und Zärtlichkeit von meinem Mann wünsche, kredenze ich ihm eine heiße Schokolade mit etwas Zimt und Muskatnuss. Da wird uns bestimmt bald warm! Zwei Prisen preiswertes und verfügbares Aphrodisiakum, das ist noch besser als erstaunlich. Möglicherweise stellen die Unterstützer dieser fruchtbar schönen Angelegenheit dies nicht nur durch ihre Wirkstoffe, sondern auch durch ihre Gestalt dar. Wer weiß das schon?
 
Zuletzt bearbeitet:

Aniella

Mitglied
Hallo Tessa_zwei,

auch wenn ich Muskatnuss selten verwende, Zimt allerdings zu meinen Lieblingsgewürzen gehört, konnte ich in Deinem kurzen Text alles »mitriechen«, was für Dich und deine Zeilen spricht.
In meiner Kinderzeit gab es solche Gewürze kaum im Hausgebrauch, aber ja, bei meiner Oma gab es das schon eher.
Die Betonung auf die »kleinen Prisen« ist Dir gut gelungen, auch den Titel hast Du gut gewählt. Woher die Gewürze hergekommen sind (und wie teuer sie sind), hat ein Kind tatsächlich nicht gejuckt, aber es gibt für alles eine Zeit.
Den Wechsel über die Wohlfühlpforte (der Begriff hat mir gut gefallen) zu der persönlichen Seite funktionierte prima. iebe geht bekanntlich durch den Magen und da ist wirklich etwas dran.
Was mir nicht so gut gefallen hat (obwohl ich das selbst manchmal mache) ist der Absatz und Satzbeginn mit einem »Und«, der leider ziemlich auffällig hervorsticht und meiner Meinung nach nicht notwendig ist. Ich würde das einfach weglassen.
»Möglicherweise« würde ich zusammenschreiben.
Über Deine Abschlussfrage denke ich noch nach. ;)
Gern gelesen.

LG Aniella


 

jon

Mitglied
Meiner Meinung nach braucht der Text noch eine Menge Verdichtungsarbeit - sowohl sprachlich als auch inhaltlich.

Inhaltlich:

Der Anfang ist ja schonmal recht schön, aber ab dem Satz "Ich denke: Sichtbar und gut duftend im Vergleich zu versteckt und geheimnisvoll, süß gegen herzhaft, glattes langes Rehbraun contra rundes Graubraun." wird es irgendwie … fasrig.

Beim ersten Satz über Muskat denkt man noch: Aha, es geht um Sichtbares und Unsichtbares, vielleicht auch, dass Sichtbarkeit nicht identisch ist mit Wichtigkeit! Dann kommen aber erstmal mehr oder weniger oberflächliche (im Sinne: Nicht das Wesen, sondern die Optik und Offenbares Betreffendes) Sachen - und nichts davon hab mit sichtbar/unsichbar zu tun. Womit hat es statt dessen zu tun? Ich weiß es nicht, es sind ja nur Beschreibungen für Zimt und Muskat.

Dann steht da was von Unterschieden. Geht es im Text darum? Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten (und in der Quintessenz dann wieder um Wichtigkeit/Bedeutung)? Dazu sind die Unterschiede zu marginal, die Gemeinsamkeit zu beliebig (und die Quintessenz fehlt).

Dann kommt der Zirkelschluss zum Heimat-Gefühl - das funktioniert (auch wenn das Zwischenstück, wie Zimt und Muskat auf eigene Weise dazu beitragen, fehlt). Leider hängt dann aber dieses Männlich-Weiblich-Ding noch am Text (bei dem ich auch gar nicht verstehe, wie man von Zimt & Muskat zu Mann & Frau kommt).

Sprachlich:

Der Anfang ist ja schon einigermaßen auf den Punkt geschrieben – aber dann wird es zunehmend breiter geräumt und es gibt sogar Füllwörter.

Ich schaue gleich mal detaillierter auf den Text und versuche zu zeigen, was ich mit dieser Grobanalyse meine …
 

jon

Mitglied
Vor meinen Augen sehe ich einen Teller mit frisch gekochtem Grießbrei und einer Prise Zimt obendrauf. Ich kann das Gericht mit dem Gewürz förmlich riechen und fühle mich sofort heimelig. Erinnerungen werden wach: An meine Kindheit und die Mutter, die den Brei für uns Kinder gekocht hat. Meistens aßen wir selbst eingekochtes Kompott dazu.
  • Schön. Man kann es sehen und nachfühlen.
  • Meinst du „Vor meinen inneren Augen"?
  • Sprachliche Verdichtungsoptionen:
    Aus „Ich kann das Gericht mit dem Gewürz förmlich riechen und fühle mich sofort heimelig.“ kann man machen (steigender Verdichtungsgrad:
    Ich kann das Gericht förmlich riechen und fühle mich sofort heimelig.
    Ich kann es förmlich riechen und fühle mich sofort heimelig.

Muskat verwendete sie auch, unsere Mutter. Aber – das Kochen an sich hat uns Kinder überhaupt nicht interessiert und so war die Prise Muskatnuss quasi unsichtbar.
  • Schön. Vor allem der erste Satz – nichts Überflüssiges oder Drumgeredetes drin.
  • Der zweite Satz wird dann aber schon sperrig. Was soll er sagen? „Aber das wussten wir damals noch nicht, die Prise Muskatnuss war für uns unsichtbar." Also schreib das doch auch.
  • Füllwörter sind rot markiert.
  • Die Zeitform „hat nicht interessiert“ ist in Sachen Klang unglücklich gewählt (zu "breit") und passt auch grammatisch nicht zu "war".


Ich denke: Sichtbar und gut duftend im Vergleich zu versteckt und geheimnisvoll, süß gegen herzhaft, glattes langes Rehbraun contra rundes Graubraun. Eine Zimtstange, vom Aussehen her fast ein unscheinbares trockenes Zweiglein, welche als Ganzes, gut durchfeuchtet den Weinachtspunsch aufpepptKOMMA und eine Muskatnuss, ähnlich einem grauen Stein, die nur fein gerieben das Aroma entfaltet.
  • Der „ich denke“-Satz wirkt merkwürdig: Wieso denkt LyrIch das, was hat das womit zu tun? Formuliere am besten etwas ohne „ich denke“.
  • Davon abgesehen: Das ist logisch und sachlich nicht rund
    • „gut duftend“ und „geheimnisvoll“ sind keine Unterschiede, gehören nichtmal in die selbe Sinn-Kategorie
    • Zimt ist nicht süß – der Zucker im Zimt-Zucker, der auf Grießbrei gestreut wird, ist süß
    • Muskat ist auch nicht herzhaft (und Muskat duftet auch - das ist also auch kein Unterschied zu Zimt, nur wie es duftet, ist verschieden)
    • Wieso plötzlich der Sprung zu Zimtstange und Muskatnuss – das hat doch mit der Würzwirkung gar nichts zu tun.
    • Nein, eine Zimtstange sieht ganz und gar nicht wie ein Zweiglein aus – sie ist erstens in sich gerollt und zweitens viel dicker.
    • Das logische Pendant zu „Punsch aufpeppen“ fehlt – da ist nur „im Ganzen“ und „gerieben" gegenübergestellt. (Wobei im Eingangsbild Zimt ja durchaus „gerieben" zum Einsatz kommt - das ist also nicht mal ein wesentlicher Unterschied.)

Trotz all dieser Unterschiede haben Zimt und Muskatnuss, abgesehen davon, dass sie beide im Gewürzregal stehen, eine weitere Gemeinsamkeit: Wir könnten leben ohne sie und haben es eine lange Zeit so vermocht. Genau genommen sind diese Gewürze deshalb ein Luxusprodukt, auch wenn wir es so nicht mehr empfinden. Es ist nämlich sehr selbstverständlich für uns geworden, dass wir sie haben. Das, obwohl wir natürlich wissen, dass sie aus fernen Landen kommen und zu früheren Zeiten eine teure Handelsware darstellten.
Das Unterstrichene ist zu sperrig und überflüssig.
Das „weitere“ ist an dieser Stelle falsch - es ist davor nur von Unterschieden die Rede und dass es beides Gewürze sind, davon wird ja laut Nebensatz ausdrücklich abgesehen.
Der Ausflug mit dem Luxusprodukt und der Historie ist g irrelevant. Relevant für das Gefühl, das der Brei auslöst, ist höchstens, dass man ohne Zimt und Muskatnuss leben kann.
Alles in allem ist es sperrig …

Eine Messerspitze Zimt und ein Hauch Muskatnuss, sie würzen nicht nur unsere Speisen, wir haben sie förmlich gedanklich in der Nase, fühlen uns gewärmt und denken mit sehr großer Wahrscheinlichkeit an ganz bestimmte Lieblingsgerichte. Sie sind ein Schlüssel und öffnen die Wohlfühlpforte! Kleine Prisen mit großer Wirkung. Erstaunlich!
  • Extrem sperrig. Der erste Satz ist zu lang, der zweite (der mit dem Schlüssel) wirkt überdreht, passt stilistisch nicht zum Rest.
  • „förmlich“ und „gedanklich“ sind in diesem Kontext doppelt gemoppelt
  • Schade dass nach dem wunderschönen "und fühlen uns gewärmt" so ein sperriger Teil kommt, der sich zudem selbst nicht traut und sich "mit sehr großer Wahrscheinlichkeit" selbst relativiert und entkräftet.
  • Eigentlich ist mit „Eine Messerspitze Zimt und ein Hauch Muskat und wir fühlen uns gewärmt.“ alles Wichtige dieses Absatzes gesagt.

Wenn ich mir wieder ein wenig Nähe und Zärtlichkeit von meinem Mann wünsche, kredenze ich ihm eine heiße Schokolade mit etwas Zimt und Muskatnuss. Da wird uns bestimmt bald warm! Zwei Prisen preiswertes und verfügbares Aphrodisiakum, das ist noch besser als erstaunlich.
  • Der erste Satz ist prima. Das mit dem „bestimmt bald warm“ wirkt … relativierend, abschwächend. Lass es doch offen bzw. tu so, als würde dieses Mittel quasi immer wirken.
  • Ich empfinde es als unglücklich, das heimelige Gefühl von Geborgenheit bei der Mutter hier so ausdrücklich in den Bereich von Sex zu drehen.

Da drängt sich mir ein weiterer Gedanke auf: Männlich und weiblich verbinden sich: Das unscheinbare Zweiglein und der graue Stein! Möglicherweise stellen die Unterstützer dieser fruchtbar schönen Angelegenheit dies nicht nur durch ihre Wirkstoffe, sondern auch durch ihre Gestalt dar. Wer weiß das schon?
  • Das ist – wie ich oben schon schrieb - eine störende Wendung.
  • Die Wirkstoffe von Zimt und Muskat können sinnbildlich für Mann und Frau stehen? Was für was?
  • Zimtstange = Zweiglein als Mann - okay, wenn er spärlich ausgestattet ist. Aber Muskatnuss = Stein als Frau? Das Bild/die Metapher funktioniert nicht.


Alles in allem:
Die Grundidee, Zimt und Muskat als zwar nicht lebensnotwendige aber liebenswerte/schöne Sachen zu würdigen, finde ich schön. Nicht nur, weil ich als Gern-Kocher und -Esser eine gewisse Affinität zu diesen Gewürzen habe. Der Text zerredet das allerdings. Weniger ist mehr – vor allem in der Kurzprosa.
 

tessa_zwei

Mitglied
Hallo Jon, velen Dank schon einmal für Deine detaillierten Ausführungen, auch dass Du ganz konkret wirst. Ich muss mir das alles in Ruhe ansehen... lg
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe tessa_zwei,

mir ist beim Lesen auch der Twist in Richtung Mann und Frau ein bisschen gewollt vorgekommen. Ich fänd' die beiden letzten Absätze tasächlich überflüssig. Das liegt daran, dass ich bis dahin im Raum der Gewürze war und dann in eine andere Sphäre geschubst wurde. Besser kann ich es nicht ausdrücken.

Aber bis dahin gerne gelesen.

Liebe Grüße
Petra
 

tessa_zwei

Mitglied
Liebe Petra,
Im Grunde irritiert Dich auch das Mann-Frau-Ding. So hat es jon bereits ausgedrückt. Ich finde das sehr interessant (weil es ein anderer Blickwinkel ist), dennoch weiß ich nocht nicht, ob ich es weglassen möchte. Den Text schaue ich mir auf jeden Fall nochmals an.
Herzliche Grüße
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe tessa_zwei,

am Ende des Tages ist es Deine Geschichte - und Dein gutes Recht, sie so stehen zu lassen.
Es ist ja nur eine andere Perspektive, der man sich anschließen mag, oder nicht.
Ich habe jetzt jons Kommentar nicht komplett gelesen, aber in der Regel ist das immer ein gutes Zeichen, wenn sie sich die Mühe macht und man kann jede Menge damit anfangen.
Ob es dann mitunter auch in eine Geschmacksfrage münden kann, der man nicht folgen mag, ist Deine Entscheidung.

Aus meiner Sicht sollen die Kommentare hier den Autor bereichern, das gelint mal mehr, mal weniger.

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

Mitglied
Jons Kritik ist streng, aber völlig zutreffend. Ich will oben gemachte Anmerkungen nicht wiederholen, nur ein Wort zu dem Stange-Nuss-Bild: Was die Zimtstange angeht, wäre ein sehr weit gefasster Vergleich gerade noch zulässig, aber die pickelharte Muskatnuss hat mit Empfindsamkeit, weiblicher Psyche und Anatomie (Scherz) nun überhaupt nichts zu tun. Die Symbolik stimmt hier einfach nicht.
 

tessa_zwei

Mitglied
Guten Abend an Bo-ehd,
Ja, Jons Kritik war sehr angebracht und ich konnte einiges ändern, weil Sie mir auch detaillierte Beispiele genannt hat. Das war sehr hilfreich für mich, weil ich ein absoluter Laie bin. Dass einiges im Ursprungstext "unlogisch" war, ist mir erst nach ihren Anmerkungen aufgefallen.
Ich möchte aber doch noch einmal etwas zu meinem Stange-Nuss-Bild (vorletzter Satz...Möglicherweise ....) anmerken: Meines Erachtens entschärfe ich durch die Formulierung des vorletzten Satzes mit der anschließenden letzten Frage die Symbolik. Ich sehe es nicht ganz so streng.
Aber - wie schon gesagt - ich bin Laie und kann sehr gut damit umgehen, wenn es andere Meinungen zu meinem Stange-Nuss-Bild gibt.
Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Grüße Tessa
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo tessa zwei,
alles klar. Ich sehe das auch nicht so verbissen, wie es vielleicht rübergekommen ist.
Gruß Bo-ehd
 



 
Oben Unten