Kleine Weihnacht

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Aufschreiber

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Knut Geroldsson ist ein besonderer Mensch. Er passt in keine der Schubladen, in die man fremde Leute gern hineinsteckt, kaum dass man ihnen begegnet ist. Und das liegt nicht daran, dass er vielleicht zu dick wäre. Das ist er nämlich nicht.
Nein, Knut ist ungefähr genau das, was man sich unter einem Märchenzwerg vorstellt. Er hat ein rundes Gesicht, freundliche Knopfaugen und eine Knubbelnase ...

„Na gut“, werdet Ihr vielleicht nun sagen, „das alles kann aber ein Riese auch haben.“
Wartet nur ab, denn meine Beschreibung ist ja noch nicht an ihrem Ende angelangt! Obwohl er erst beinahe Fünf und Fünfzig Jahre alt ist, hat er ganz weiße, lockige Haare und einen langen, buschigen weißen Bart.
Na, was sagt Ihr nun? Sehen nicht so die Zwerge aus, die ihr aus den Märchenbüchern kennt?

Da hinten schüttelt immer noch ein Kind den Kopf. Was fehlt denn noch, damit man den Knut für einen Zwerg ... Aaaaach, ich verstehe schon. Ja, natürlich, Zwerge sind ja ... klein. Und was meint Ihr, wie groß Knut ist?
Ganze neunundneunzig Zentimeter ist er lang, das heißt, dass er sich den Kopf an der Türklinke stößt, wenn er nicht aufpasst.
Und nun macht mal die Augen zu und stellt Euch den Knut vor! - Sieht er nicht genau wie so ein Märchenzwerg aus?

Und ZACK, haben wir alle versucht, den Knut in eine Schublade zu stecken, auf der steht: Märchenzwerg. Nun fehlt es nur noch, dass er mit seiner kleinen, niedlichen Spitzhacke in den Berg hinein wandert und dort nach Gold und Edelsteinen gräbt - oder?
Aber das tut er nicht, hat er nie gemacht.
Was er gemacht hat, ist eigentlich noch viel spannender, besonders für so einen kleinen Kerl ... Merkt Ihr was? Schon wieder die Schublade! - Wenn man nicht groß gewachsen ist, dann macht man manche Dinge eben nicht - und basta! - Oder doch?

Knud Geroldsson ist Fotograf gewesen, aber nicht einfach einer, der ein schönes Passbild von Euch macht, nein, er ist - so sagt er selbst - ein „Weltfotograf“ gewesen. Er ist auf hohe Berge geklettert und durch den Urwald gewandert. Er hat am Nordpol die Eisbären beobachtet und in Afrika die Löwen. Sogar in der Wüste ist er gewesen und hat eine Zeit lang bei den Nomaden gelebt.

Und nun? Nun ist ... die Luft raus. - Das sagt man so, wenn jemand eigentlich so gar keine Lust mehr zu etwas hat, das er zuvor doch gern tat. Knut hat so viel gesehen, so viel erlebt, er ist ein bisschen reisemüde. Also überlegt er, was man denn mit beinahe fünfundfünfzig Jahren noch neues beginnen könnte. Spannend soll es sein - und lustig. Mit seinen Fotoberichten und den vielen tollen Büchern, die er darüber geschrieben hat, hat er eine ganze Menge Geld verdient, so viel, dass er genau genommen gar nicht mehr arbeiten müsste. Aber kann man denn in seinem Alter schon im Schaukelstuhl sitzen und die Beine baumeln lassen?
Nein! - Das nicht!

Und wie Knut so vor sich hin denkt, hat er eine Idee. Er holt aus der Kiste auf dem Dachboden seine rote Zipfelmütze und macht ein cooles Selfie von sich, in seiner roten Felljacke, die er schon mit am Nordpol gehabt hat.
Das schickt er an eine Agentur, die ... Weihnachtsmänner vermietet. Also Männer, die dann im roten Kostüm bei den Kindern auftauchen, „HO HO HO“ rufen und Geschenke verteilen.

„Ho Ho Ho“, probiert er. Und er erschrickt selbst ein wenig, denn aus seinem kleinen Körper klingt ein dröhnender Bass.
Als das Foto weg ist, muss Knut ein bisschen lachen. Nach der Körpergröße hat ja niemand gefragt.
Und wie er so weiter drüber nachdenkt, da merkt er, dass „Weihnachtsmann sein“ schon ziemlich lange ein Traum gewesen ist, den er aber immer vor sich her geschoben hat, wegen der neunundneunzig Zentimeter und der fehlenden Zeit.
Aber wie macht er denn den Kindern klar, warum er kleiner ist, als manche von ihnen, wo sie doch auf so einen großen, dicken Kerl warten?

„Hmmmmm, hmmmmmm“, brummelt er vor sich hin und schaut sich nebenbei ein paar alte Aufnahmen an, aus ...
„Ich habs!“, ruft er und beginnt, wie ein Wilder durch seine Wohnung zu rennen, Dinge zusammen zu sammeln.
Am späten Nachmittag kommt eine Mail von der Agentur:
„Sehr geehrter Herr Geroldsson,
wir haben Ihre Bewerbung mit Freude erhalten und bestätigen hiermit, dass Sie in unser Prospekt aufgenommen werden. Mehr noch, da Ihr Aussehen sehr passend erscheint, denken wir darüber nach, Sie in Kinderheimen einzusetzen, was, wegen der vielen zu verteilenden Geschenke, mit einem Zuschlag vergütet wird.
Bitte füllen Sie baldigst das Formular auf unserer Website aus und senden Sie uns eine Kopie Ihres Personalausweises!
Mit freundlichen Grüßen,
Elvira Pinkerton, HR Managerin YourSanta AG“

Für einen Augenblick zweifelt Knut. Was, wenn die auf dem Ausweis lesen:

„Größe: 0,99 m“? Dann denken die bestimmt, er wolle sich nur einen Scherz erlauben. Sein ganzer Mut sinkt mit einem Mal auf Null herab - und nur ein schöner, frisch gebrühter Mbungawa Tee kann da noch helfen.
Den hat er von seinem Freund Huema aus Tansania bekommen, als Abschiedsgeschenk.
Knut setzt sich an den Computer und füllt das Vertragsformular aus. „Ach, wenn es nur klappt“, wünscht er sich, als er den „Absenden“ Button anklickt.
Danach hilft nur Warten.

Und wie schwer das ist, das wisst Ihr ja alle selbst. - So viel Mbungawa Tee kann selbst ein weltgewandter Kerl wie Knut nicht trinken, dass da nicht immer noch der kleine Zweifel bliebe.
Der erste Advent ist schon vorbei - und noch immer keine Meldung von der Agentur eingetroffen. Ob sie ihn vergessen haben oder - noch schlimmer - Weihnachtsmänner erst ab einhundert Zentimeter Körpergröße beschäftigen? - Ums Geld geht es ihm nicht, aber sein Traum...

Am Samstag vor dem zweiten Advent klingelt der Postbote an Knuts Tür.
„Einschreiben mit Rückschein“, sagt er und hält dem Empfänger einen großen, dicken Umschlag vor die Nase.
Ganz aufgeregt schnappt Knut sich das Ding und will schon nach drinnen eilen, da ruft der Postbote: „He, warten Sie mal! Erst noch unterschreiben!“

Knut kommt zurück und unterschreibt. Ganz krakelig, von der Aufregung.
Dann düst er in die Küche und öffnet den Umschlag. Es ist der Vertrag! - Ein Exemplar für ihn und eins für die Agentur, wie sich das gehört.
Diesmal nimmt er sich Zeit zum Unterschreiben. Eine richtig geschwungene Weihnachtsmann-Schrift zaubert er auf das Papier. Dann verpackt er ein Exemplar und bringt es zu Irmfried in den Kramladen, wo auch die Poststelle des Ortes ist.
Wieder kann er nur warten ... auf den 24. Dezember.

Endlich ist er da, der Tag!
Die Agentur hat ihm eine Adresse gesandt, die vom Kinderheim „Froher Mut“. - Ob der Name passt, wird er bald feststellen. In der Mail hat gestanden, dass dort kranke und arme Kinder wohnen.
Manche, konnten ihre Eltern sie ernähren oder sie hatten viele Probleme. Da war es vielleicht besser, die Kinder im Heim „Froher Mut“ unterzubringen.
Als Knut am Heim ankommt, sieht er schon die Erzieherinnen an der Tür stehen. Was die für Augen machen, als er - in einem viel zu großen Weihnachtsmann-Mantel - aus dem Fahrzeug klettert!

Ganz wohl scheint denen nicht zu sein, als da so ein Neunundneunzig Zentimeter Mann auf sie zu kommt.
Eine Frau, offenbar die Heimleiterin, begrüßt ihn mit den Worten: „Das ist aber jetzt nicht Ihr Ernst?“
Knut grinst breit.
„Doch“, kichert er und drängt sich zwischen den Damen hindurch.

Die Geschenke sind bereits geliefert worden und warten im Abstellraum. Knut schnappt sich den Schlitten mit den Rädern unter den Kufen, der schon seit Jahren zum Hereinbringen der Gaben dient. Bei so vielen Kindern reicht ein einziger Sack ja nicht. Aber Knut hat auch noch einen recht gewaltigen Rucksack auf dem Rücken.
Was da wohl drin sein mag?

Als er, den großen Schlitten ziehend, den geschmückten Speisesaal betritt, hört er schon die ersten Kinder kichern. - Aber das stört ihn nicht, sowas ist er gewohnt.
„HO HO HO!“, donnert er. - Da ist mit einem Mal große Stille im Saal, denn so eine Stimme hätte niemand von dem Zwerg erwartet.
Knut schaut in die Runde und sagt: „Von drauß’ im Walde ... Ach Quatsch! Ich komme direkt aus der Afrikanischen Wüste, wo es leider so heiß war, dass ich ein klein wenig“ Weiter kommt er nicht, denn alle Kinder lachen.
„Ihr glaubt mir nicht? Dann muss ich es Euch beweisen.“

Er kramt aus seinem Rucksack einen Projektor, den er auf eine weiße Wand richtet. Und nun beweist er den Kindern, dass er in Wüste und Dschungel gewesen ist. Die Geschenke hat er allerdings mit einem Grafikprogramm in die Bilder eingefügt.
Nun lacht niemand mehr, denn der gute Weihnachtsmann tut den Kindern ein bisschen leid, wo er doch nun so klein geschrumpft ist.
„Macht nichts!“, donnert Knut, „Um Euch die Geschenke zu verteilen, dafür reicht auch ein kleiner Mann.“
Das Ganze wird ein großer Erfolg. Die Erzieherinnen stehen mit offenen Mündern da und können gar nicht fassen, wie ernsthaft der Mini-Weihnachtsmann seine Arbeit tut.
Die Kinder singen mit ihm Weihnachtslieder und sagen Gedichte auf. Und es stört sie nicht, dass einige von ihnen auf den Weihnachtsmann hinab schauen, während sie das tun.

Als die Veranstaltung vorbei ist, verabschiedet sich Knut von den Mitarbeitern:
„Bis nächstes Jahr!“
Und alle stutzen, denken einen Moment nach und nicken dann.
Wer will schließlich den Kindern hier im Heim von nun an klar machen, dass der Weihnachtsmann wieder gewachsen sei?

Am Abend sitzt Knut bei einem Glas Glühwein auf seinem Lieblingssessel und brummelt fröhlich vor sich hin: „Ho ho ho.“
 
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molly

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Hallo Aufschreiber

In meiner Gegend kommt St. Nikaolaus zu den Kindern und am 24. Dez. beginnt Weihnachten. Aber viele KInder freuen sich auf den Weihnachtsmann.
Deine Geschichte gefällt mir. Knut ist ein besonders begabter Weihnachtsmann, zeigt den KIndern Fotos von seinen Arbeiten. Mit seinem Selbstvertrauen beweist er ihnen, dass auch kleine Menschen überall hinkommen, wenn sie wollen.

Ich kann mir vorstellen, dass Du Deine Geschichten erzählst und nicht vorliest. Du wirst das mit den Schubladen sicher genau erklären müssen.
Ich habe drei kleine Vorschläge, die Du aber nicht annehmen musst.

1.Obwohl er erst beinahe Fünf und Fünfzig Jahre alt ist, ich würde "Knut erst" schreiben.liest sich flüssiger

2.Ganze neunundneunzig Zentimeter ist er lang. Was ist 99 cm groß? Wie die Klinke an der Küchentüre, etwas größer als der Wolf

3.In der Mail hat gestanden, dass dort kranke und arme Kinder wohnen, welche, deren Eltern sie nicht ernähren konnten oder selbst so viele Probleme hatten, dass es besser war, die Kinder im Heim „Froher Mut“ unterzubringen.
Dieser Satz ist zu lang

Viele Grüße
molly
 



 
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