Klimadioten (2/4)

Elso Damrow

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Als Bruchheim und Winkleer in ihrem Ersatzdienstwagen in Richtung Salvatorgasse unterwegs sind, denkt der Chefinspektor, ›Haben die diese Karre aus dem Industriemuseum? Ich muss mir irgendwann heute ein paar Minuten für den Beschaffungsantrag abknapsen. Wir arbeiten momentan quasi im Auftrag des Premierministers, das müsste diesen Bürokraten doch ein Ansporn sein.

»Sag mal Lars, findest Du es nicht auch seltsam, dass die ÖAF nicht will, dass die Presse erfährt, dass sie hinter der Entführung steckt? Ich meine, Terroristen wollen doch sonst immer, dass die Bevölkerung weiß, wer sie da warum beglückt.«, reißt Bruchheim Winkleer aus seinen Gedanken.

»Ja, da habe ich auch schon drüber nachgedacht. Eigentlich kann das nur bedeuten, dass man wirklich etwas erreichen will.«, wird ihr geantwortet.

»Wie darf ich das denn verstehen?«, fragt Bruchheim irritiert nach.

»Vater Staat erklärt bei jeder Gelegenheit, dass er sich nicht und schon gar nicht von Terroristen erpressen lässt, wenn die Sache also öffentlich wird, haben die gar keine Chance ihre Forderungen erfüllt zu bekommen.«, erwidert Winkleer.

»Stimmt, der öffentliche Druck wäre zu groß. Hmm, aber … deutet das dann nicht eher auf Pragmatismus als auf Ideologie hin?«, fragt Rhea.

»Diesen Gedanken sollten wir unbedingt im Hinterkopf behalten.«, murmelt der Chefinspektor nickend vor sich hin und fragt anschließend, »Bevor ich es vergesse, was hat eigentlich die süßholzraspelnde Befragung Deines computerversierten Verehrers ergeben?«

Rhea verzieht das Gesicht und antwortet, »Er sagt, es gäbe da wohl irgendeine Möglichkeit, irgendwas mit Content Management oder so ähnlich. Es wäre aber unwahrscheinlich, dass die Schule so etwas hätte.«

»Du sagst das so, als käme da noch etwas.«, hakt Winkleer nach, während er vor einer roten Ampel zum Stehen kommt.

»Ja er rät dazu, dass wir uns die komplette Datensicherung der Schule zu besorgen.«

»Gute Idee, das bringt uns schon mal einen Tag weiter.«, sagt Lars verstehend.

»Falsch, Minimum wären zwei Tage, es werden mindestens zwei Sicherungsmedien abwechselnd genutzt. Und es kommt noch besser, üblich wäre es, sieben bis zehn Medien zu verwenden, das wäre dann schon eine ganze Woche oder mehr.«, gibt Rhea ihr neu gewonnenes Wissen preis und fügt an, »Da vorne musst Du links …«

»Alle Achtung. Was Du so alles mit Deinem weiblichen Charme hervorkitzeln kannst … Ich rufe direkt Haarmann an, der soll den ganzen Kram beschlagnahmen.«, ruft Winkleer erfreut aus, während er den Blinker setzt, um der Routenplanung seiner Kollegin Folge zu leisten.

»Ach Lars, bevor Du aktiv wirst, habe ich das schon erledigt, Kollege Haarmann ist bereits unterwegs.«, sagt Bruchheim grinsend, während sie in die Salvatorgasse einbiegen.

Nachdem sie das Fahrzeug verlassen haben, blickt sich Winkleer um und denkt erstaunt, ›Citynähe und trotzdem gepflegt und ruhig. Als Wohnlage fast schon ein Geheimtipp.

Gemeinsam treten sie vor den Klingelblock, um nach dem Namen Seymen zu suchen, auch sie werden durch ein kleines Schild auf das Souterrain verwiesen.

Als sie die Treppe hinab zur Wohnungstür schreiten sagt Bruchheim alarmiert, »Lars, die Tür ist nicht verschlossen, die ist nur angelehnt.«

Der Chefinspektor nickt, beide ziehen ihre Dienstwaffe und betreten vorsichtig, sich gegenseitig Deckung gebend, die Wohnung.

Sie finden sich in einem relativ großen Wohnraum wieder, mehrere geschlossene Türen versperren den Blick in weitere Zimmer. Per Zeichensprache fordert Bruchheim ihren Kollegen auf, zu sichern, während sie die anderen Räume erkundet.

Winkleer nickt angespannt, seine Waffe hält er schussbereit.

Bruchheim nähert sich der ersten Tür und reißt diese, gleichzeitig beiseitetretend auf … Eine kleine Vorratskammer tut sich auf.

Die Inspektorin begibt sich zur nächsten Tür, und öffnet diese in gleicher routinierter Weise … Die Ermittler blicken in ein menschenleeres Schlafzimmer.

Abschließend tritt sie an die letzte Tür, Winkleer vermutet, dass diese das Badezimmer verbirgt. Findet sich auch dort niemand, so wissen sie sicher, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr droht.

Wieder legt sie ihre freie Hand auf die Klinke, atmet einmal tief durch und reißt dann auch die letzte Tür auf.

Winkleer stöhnt gequält auf, als sein Blick auf den baumelnden Leichnam der jungen Frau fällt.

Der Chefinspektor steckt seine Waffe wieder weg und geht vorsichtig ins Badezimmer, seine Kollegin macht, nachdem auch sie mehrfach schlucken musste, über ihr Mobiltelefon Meldung und fordert ein vollständiges Tatortteam an.

Nachdem er sich Untersuchungshandschuhe übergestreift hat, greift er kurz an Jales Handgelenk, eiskalt, kein Puls, ›Die hängt hier schon ein paar Stunden, Suizid? Soll zumindest so aussehen.‹, überlegt er skeptisch.

Jale starrt mit weit aufgerissenen Augen und verzerrtem Gesicht, fast schon anklagend, auf ihn hinab, die zwischen den leicht geöffneten Lippen hervorlugende Zunge wirkt fast schon surreal. Winkler wendet seinen Blick vom Gesicht des Opfers ab und begutachtet stattdessen Schlinge und Seil.

Bei genauem Hinsehen fallen ihm Farbanhaftungen an dem Seil auf. Er stutzt, die Farbpartikel haften nicht an der Seite des Rohres, an der die Leiche hängt, sondern an der gegenüberliegenden. Die Farbe entspricht exakt der des Rohres.

»Rhea, das hier ist alles aber garantiert kein Selbstmord.«, erklärt der Chefinspektor nüchtern.

»Stimmt, sehe ich genauso. Was ist es bei Dir?«, antwortet seine Kollegin.

»Das Seil wird über die Wasserleitung hier geführt, das Rohr ist lackiert. Wenn sich da jemand einen Galgen gebaut hätte, um sich in die Schlinge zu hängen, dann würde sich das Seil, ein wenig nach unten ziehen, und zwar auf seiner Seite des Rohres. Der Abrieb wäre dann auf dieser Seite.«, erklärt Winkleer.

»Ich verstehe schon, wenn die Schlinge um den Hals einer Leiche gelegt wird und das Ganze dann von der Gegenseite hochgezogen wird, dann ist der Abrieb auf der anderen Seite. Da will uns jemand verarschen.«, führt Bruchheim seinen Gedankengang fort.

Lars nickt und fragt, »Was war es bei Dir?«

»Ganz einfach, ein ausgedruckter Abschiedsbrief … Dummerweise gibt es hier keinen Drucker«, antwortet die Inspektorin.

»Lass und rausgehen und auf die Spurensicherung und die Kollegen warten.«, sagt der Chefinspektor.

Bruchheim nickt und fragt, »Die Wohnungstür stand offen, wieso stand die offen?«

»Ich tippe mal darauf, dass zwischen dem Täter und uns noch eine weitere Person hier war, die dann, nach dem Fund der Leiche, voller Panik hinausgelaufen ist. Wer könnte das gewesen sein? Ein Freund? Liebhaber? Und, wenn dem so ist, wieso hat er die Polizei nicht benachrichtigt?«, gibt Lars seine Gedanken preis.

*​

Zehn Minuten später trifft das Tatortteam ein, nach kurzer Einweisung nimmt sich die Gerichtsmedizin die Leiche, die Spurensicherung die Wohnung und die restlichen Kollegen das Umfeld vor. Absperrungen werden gezogen und die Befragung der Nachbarn läuft an.

Winkleer geht davon aus, dass morgen zum Dienstantritt die ersten Berichte vorliegen. Für eventuelle eigene Befragungen hat er einen Bilderrahmen mit einem aktuellen Foto von Jale mitgenommen. Momentan ist hier erst einmal alles geregelt.

Nach einem Blick auf die Uhr fragt er Bruchheim, »Sollen wir auf dem Weg ins Präsidium irgendwo ein Häppchen essen, trotz der Leiche habe ich Hunger.«

»Können wir machen, wo wir gerade dabei sind, für meine süßholzraspelnde Vernehmung von vorhin wolltest Du mir einen ausgeben, lass uns das Umsetzen, solange die Erinnerung daran noch frisch ist.«, sagt Rhea schmunzelnd.

»Wenn es denn sein muss.«, sagt Lars und nimmt sich vor, die nächste Pommesbude anzusteuern.

»Prima, ein Stückchen die Straße rauf habe ich vorhin ein kleines italienisches Restaurant gesehen, das machte einen guten Eindruck.«, sagt Bruchheim grinsend.

Tapfer sagt Winkleer, »Toll, ich liebe die italienische Küche.«, schlägt aber die Autotür übertrieben fest zu.

Rund fünf Minuten später sitzen sie in einem kleinen, aber schnuckeligen Restaurant mit dem Namen Luigi. Der flinke Kellner ist schnell mit den Speisekarten zur Hand und nimmt im Vorfeld die Getränkebestellung auf.

Während seine Kollegin auffällig lange für das Studieren der Speisekarte benötigt, wählt Winkleer der Einfachheit halber eine Pizza Salami.

Aus seiner Anzugjacke holt er den Bilderrahmen hervor, weil er diesem das Foto entnehmen will. Anschließend versucht er die Einzelteile wieder zusammensetzen, Jales Bild legt er derweil auf den Tisch.

Der Kellner bringt die Getränke, erblickt das Foto und sagt, »Ahh Bella Signorina, uns empfehlen, bene?«

Winkleer ist noch mit der Tücke des Objektes beschäftigt, blickt leicht irritiert auf, »Nein, wir sind zufällig hier.«

»Nein, nein Lars, ich glaube, er meint Jale.«, sagt Bruchheim und fragt beim Kellner nochmals nach, »Kennen Sie die Frau auf dem Bild?«

»Si, Signorina, gestern Abend hier, hat sich getroffen mit Signore.«, erklärt die Bedienung leicht irritiert.

Winkleer und Bruchheim sehen sich kurz an, der Chefinspektor steht auf, zieht einen weiteren Stuhl heran und bedeutet dem flinken Italiener sich zu setzten. Anfänglich ziert er sich ein wenig, der Dienstausweis der Inspektorin schafft jedoch Klarheit.

»Also noch mal, die Frau auf dem Bild hat sich gestern Abend hier mit einem Mann getroffen. Ist das so richtig«, hakt Bruchheim nach.

»Si, war erst triste, wie hier sagen … ahh traurig, dann später wieder fröhlich«, wird ihnen berichtet.

»Getroffen heißt, die beiden sind hier nicht zusammen hineingekommen.«, forscht die Inspektorin weiter.

»Si, Signore kommen zuerst, war komisch, Locale fast leer, setzen sich auf schlechten Platz in Ecke. Und setzen so, dass Gesicht nicht zu sehen.«, erklärt der Kellner, während er mit dem Finger auf einen etwas abseitsstehenden Tisch zeigt.

»Und die Frau hier hat sich dann gezielt an seinen Tisch gesetzt?«, schaltet sich Winkleer ein.

»Si, Signorina erst suchen, dann finden, dann gehen an Tisch und reden mit Signore. Essen beide Pizza, hier beste Pizza von Stadt.«, rühmt der Kellner die Speisen, während er mit dem Mund die Fingerspitzen seiner Hand küsst.

»Ohh, wir bestellen garantiert eine große Pizza und das Trinkgeld meines Kollegen wird fürstlich sein.«, sagt Bruchheim mit einem spöttischen Blick in Richtung ihres Kollegen.

»Wie ging es weiter?«, will Winkleer zähneknirschend wissen.

»Signorina und Signore essen alles auf, Signore zahlen Conto ähh wie ahh Rechnung bar und gehen beide zusammen.«

»Können Sie den Mann beschreiben?«, will Bruchheim abschließend wissen.

»Si, groß wie ich und schlank, dunkels Capello … ähhh Haare, Occhiali …«, hier zeigt er auf seine Augen.

»Brille?«, fragte Winkler.

»Si, Brille«, sagt der Keller bestätigend.

»Sonst noch irgendetwas?«, fragt die Inspektorin abschließend.

»No, hat gesessen mit Rücken zu Locale, nicht gut gesehen. Jetzt bestellen?«, fragt die Bedienung.

»Ohh Ja«, sagt Bruchheim, »Nur noch ihre Personalien, dann geht es los.«

*​

Nach einem schmackhaften Mahl erörtert man die neu gewonnenen Erkenntnisse.

»Vorbehaltlich der Ergebnisse der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung unterstelle ich jetzt mal, dass Frau Seymen ermordet wurde und der Täter versucht hat, dass mit einem Suizid zu tarnen. «, führt Winkleer aus.

»Ja, davon sollten wir ausgehen, ich gehe noch weiter, der Täter wird der Signore von gestern sein, warum sonst die Heimlichtuerei?«, stimmt Bruchheim ihm zu.

Der Chefinspektor nickt bestätigend, während er sagt, »Könnte natürlich auch ganz anders sein, ist aber ziemlich unwahrscheinlich. Und weil es so schön passt, sollten wir als Arbeitshypothese erst mal unterstellen, dass das Ganze etwas mit der Entführung zu tun hat.«

»Irgendeine unglückliche Beziehung zu einem verheirateten Mann oder Ähnliches könnte natürlich auch dahinterstecken, dann wird uns die Forensik aber wohl Hinweise liefern. Heiße Liebes-SMS oder Ähnliches.«, überlegt Rhea laut.

»Möglich ist alles, trotzdem sollten wir erst mal dem Schuldirektor auf die Füße treten, mich interessiert brennend, wer von den männlichen Lehrkräften dunkelhaarig, schlank und Brillenträger ist.«

10
An Doris Balmar nagt schon seit Längerem das schlechte Gewissen, die Gruppe ist ihr viel zu radikal geworden, nur widerwillig macht sie überhaupt noch mit und sucht schon lange nach einer Gelegenheit dort auszusteigen.

Als Kuhnert dann das, was er Strategiewechsel nannte, vorstellte, hätte sie am liebsten sofort alles hingeschmissen. Ihr war aber klar, dass man bereits so weit abgedriftet ist, dass das Ganze mit einem einfachen ›Auf Wiedersehen, das wars dann‹ nicht beendet werden kann. Also machte sie widerwillig weiter mit. Glücklicherweise brauchte sie nur mit dem Wechselfahrzeug an dem vereinbarten Treffpunkt zu warten.

Trotzdem hatte sie aktiv an einer Kindesentführung teilgenommen, seit diesem Zeitpunkt hatte sie quasi permanent einen dicken Kloß im Magen, des Nachts war an Schlaf praktisch nicht zu denken. Insbesondere der Hinweis, dass man sich des Opfers würde entledigen müssen, wenn der Staat nicht auf die Forderungen einginge, machte ihr besonders schwer zu schaffen.

Mehr und mehr breitete sich die Erkenntnis in ihr aus, dass ein Ausstieg nicht reicht, um wieder ins Gleichgewicht zukommen, sie wird der Entführung ein Ende setzen und dafür sorgen müssen, dass Melissa wieder zu ihrer Familie zurückkann.

Der Polizei einen Fingerzeig zu geben, an welchem Ort Melissa gefangen gehalten wurde, erschien ihr als der beste Weg, ihr Seelenheil zurückzugewinnen.

Einzig die Frage, ob dies anonym oder in Form eines offenen Bekennens geschehen sollte, galt es noch zu klären.

Nach längerem Hin und Her entschied sie sich für die Anonymität, weil ihr dies Gelegenheit bot, sich ins Ausland abzusetzen und dann von dort aus, die Information der Behörden vorzunehmen.

Ja klar, du hast doch diesem ganzen Wahnsinn sowieso nicht gewollt, wieso solltest du jetzt also dafür geradestehen?‹, belog Balmar sich selbst. Trotzdem verschaffte ihr die Festlegung auf eine Option erst einmal Erleichterung.

Als Nächstes kämpft Doris mit sich, ob sie ihrer besten Freundin Saskia von ihren Plänen berichten soll, auf der einen Seite ist es natürlich besser, wenn niemand weiß, was sie vorhat, trotzdem hat sie ihre Freundin dazu bewegt hier überhaupt erst mitzumachen. Schwer lastet die Bürde der Verantwortung auf ihren Schultern.

Die ganze Scheiße fing an, als der Kuhnert zu uns in die Gruppe kam. Immer mehr und immer spektakulärere Aktionen mussten es sein. Auch der Blödsinn mit der Leitungsebene, angeblich der besseren Koordination wegen … Alles Mist … Sollte das mit der Entführung in die Hose gehen und Saskia ins Gefängnis müssen, wäre ich letztlich schuld daran.‹, grübelt Doris.

Trotzdem, wenn die nicht die Klappe hält … Wer weiß, der Einsatz ist inzwischen ziemlich hoch, auch für sie.‹, hält sie sich im Geiste das Gegenargument vor.

Etliche Male wägt sie Für und Wider ab, schließlich kommt sie zu dem Ergebnis, dass sie das Gespräch Saskia einfach schuldig wäre.

*​

Kurze Zeit später stehen Saskia und Doris zusammen in einem ruhigen Nebenraum der Industriebrache.

»Hör mal Saskia, wie stehst Du eigentlich zu der ganzen Sache hier?«, beginnt Balmar vorsichtig tastend das Gespräch.

»Ist schon ziemlich heftig …«, antwortet Saskia mit einem lauernden Unterton.

»Mal unter uns beiden, meinst Du nicht, dass wir schon länger über das Ziel hinausschießen und mit dieser Sache hier endgültig jenseits von Gut und Böse sind?«, hakt Doris weiter nach.

»Ich verstehe, was Du meinst. Vorsichtig gesagt, habe ich schon ein blödes Gefühl bei der Sache.«, sagt ihre Freundin leise, während sie sich umschaut, ob sie auch wirklich allein sind.

»Saskia, kann ich Dir vertrauen?«, fragt Balmar, während sie ihrem Gegenüber eindringlich in die Augen schaut.

»Mensch Doris, wie lange kennen wir uns? Du kannst mir trauen wie deinem Beichtvater.«, lautet die empörte Antwort.

Taxierend blickt Doris ihre Freundin an und sagt, »Du hast recht, wenn ich Dir nicht trauen kann, wem sonst.«, nach einer kurzen Pause fährt sie fort, »Die Sache ist mir schon lange nicht mehr koscher, aber jetzt ist es mir eindeutig zu heiß geworden. Ich habe vor mich abzuseilen.«

Saskia reißt die Augen auf und ruft aus, »Du willst uns doch nicht etwa verpfeifen, oder was?«

»Nein, wo denkst Du hin, natürlich nicht. Ich will mich Dünne machen und irgendwo neu anfangen, weit weg von hier und eigentlich …«, beschwichtigt Balmar ihr Gegenüber schnell, während sie aber denkt, ›Die Polizei informieren kann ich später immer noch, vielleicht auch ohne, dass Saskia es bemerkt.

»Eigentlich? Das ist doch noch nicht alles«, hakt Saskia nach.

»Nun ja, ich wollte Dich fragen, ob Du nicht auch die Wanne verlassen willst, bevor jemand den Stöpsel zieht.«, lässt Doris endlich die Katze aus dem Sack.

»Du meinst, das fliegt uns um die Ohren und man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.«, murmelt Saskia nachdenklich, kramt eine Zigarette hervor, steckt sich diese an und nimmt einen tiefen Zug.

Als sie dem Glimmstängel wieder zum Mund führt, nickt sie zustimmend und sagt, »Du hast recht, das hier kann gar nicht gut gehen.«

Saskia schlägt vor, sich nach Paraguay abzusetzen, weil sie dort eine Schwester hätte, die ihnen erst mal Unterschlupf gewähren könnte, auch wäre die sich daraus ergebene Distanz zu den hiesigen Strafvollzugsbehörden mehr als wohltuend.

Kurz recherchiert sie mit ihrem Smartphone und bucht zwei Plätze für einen Flug am übernächsten Tag.

Man einigt sich darauf, die Zwischenzeit zu nutzen, um die Konten leer zu räumen. Mit leichtem Gepäck will man sich dann am übernächsten Tag kurz vor dem Einchecktermin in der obersten Etage des Flughafenparkhauses treffen.

Doris ist erleichtert, dieses Gespräch hat sich nun wirklich gelohnt, zum einen muss sie nicht allein fliehen und zum anderen ist die Möglichkeit bei Saskias Schwester unterzukriechen sehr vorteilhaft.

Die Tatsache, dass Saskia noch nie zuvor ein Wort über eine Schwester in Paraguay verloren hat, ignoriert sie tapfer.

11
Nach rund zwei Stunden trifft Franco Kieselmaier wieder an seinem Haus ein, seine Frau hat er bei den Schwiegereltern untergebracht. Nun gilt es sich eine Geschichte für die Polizei zurechtzulegen und dafür zu sorgen, dass das Fenster, zumindest provisorisch, repariert wird. Vorher will er sich aber im Haus noch einmal umschauen, nicht, dass da irgendetwas herumliegt, was die Polizei misstrauisch werden lassen könnte.

Seine Jacke hängt er an die Garderobe im Flur, langsam und bedächtig geht er ins Wohnzimmer und schaut sich sorgfältig um. Direkt fällt ihm auf, dass er den Stein, nach der Entfernung des Zettels, auf das Sideboard neben der Tür gelegt hatte.

Gut, dass ich so aufmerksam bin.‹, denkt er sich selbst lobend, als er den Stein wieder zurück in den Sessel legt, ›Da hätte die Polente wahrscheinlich direkt ein Haar in der Suppe gefunden.

Zufrieden will er gerade das Wohnzimmer verlassen, als ihm siedend heiß einfällt, dass er das Wurfgeschoss inzwischen zweimal in der Hand hatte, sich also seine Fingerabdrücke darauf finden würden. ›Das könnte man sicherlich irgendwie erklären, aber besser ist es, erst gar nichts erklären zu müssen.‹, denkt er.

Geschwind wendet er sich um, um aus der Küche ein Geschirrtuch zu holen, mit dem er den Stein dann sorgfältig abwischen will.

Gerade hat er die Schwelle zu seinem Ziel überschritten, da meint er rechterhand einen Schatten zu sehen. Bevor er sich noch erschrocken umwenden kann, spürt er einen brennenden, stechenden Schmerz im rechten Oberarm.

»Du Hurensohn, ich schneid’ dich in Scheiben, du Wichser«, hört er anschließend, während er zurück in den Flur taumelt.

»Wer sind Sie, ich habe ihnen nichts getan was wollen Sie von mir?«, ruft Kieselmaier panisch aus.

»Du hast meine Schwester umgebracht … Ich bin ihr Bruder Adis und ich schlitz dich auf …«, gibt sein Kontrahent bellend von sich und stößt nach.

Nur knapp kann Franco dem Angriff entgehen, hilflos jammert er panisch, »Nein, nein, ich war das nicht, ehrlich.« Sein rechter Arm hängt bewegungslos am Schultergelenk.

Erstmalig vermag Kieselmaier Jales Bruder etwas genauer zu betrachten. In leicht gebückter Haltung steht ihm ein vielleicht zwanzigjähriger junger Mann gegenüber, der in seiner rechten Hand ein Messer hält und ihm mit hasserfüllter Fratze entgegenblickt.

Plötzlich macht sein Gegenüber einen Ausfallschritt nach vorne, in der Bewegung schnellt der Arm mit der Klinge zielgerichtet auf seinen Unterleib zu.

Franco gelingt es nur knapp zurückzuweichen, der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Inzwischen ist er von dem aufschlitzenden Vorhaben seines Gegners mehr als überzeugt. Sein rechter Arm schmerzt höllisch, aus der Wunde rinnt Blut hinab und tropft von den Fingern hinunter auf den Boden.

Er weiß, er steht kurz vor der geschlossenen Kellertür, beim nächsten Angriff kann er nicht weiter zurückweichen.

Fieberhaft sucht er nach einem Ausweg, seine Möglichkeiten sind jedoch begrenzt. In seiner Not greift er sich den seitlich stehenden Blumenständer aus Metall, die sich darauf befindliche extravagante und vor allen Dingen sündhaft teure Vase mit den Kunstblumen fliegt in hohem Bogen umher und zerschellt schließlich am Boden. In seiner Verzweiflung hofft er, dieses fast schon filigran anmutende Kunstobjekt als Waffe nutzen zu können.

Schnaubend stürmt Adis nach vorn, tatsächlich trifft das Messer den vorgehaltenen Ständer und nicht sein eigentliches Ziel, trotzdem ist der Schwung des Angriffs so groß, dass Kieselmaier mit voller Wucht vor die Kellertür prallt. Da es sich nur um eine gewöhnliche Zimmertür handelt, hält diese der Belastung nicht stand und springt auf. Franco kann sich nicht halten und kullert die steile Kellertreppe hinab. Sein Kontrahent kommt zwar ins Straucheln, kann sich aber abfangen. Der Treppensturz bleibt ihm erspart.

Als Franco am Fuße der Treppe aufblickt, bemerkt er, dass ihm Blut in das linke Auge läuft, sein Brustkorb schmerzt, er vermutet eine gebrochene Rippe. Sein Gegner steht am anderen Ende der Treppe, das Messer blitzt im Flurlicht.

»Jetzt bist du dran du elender Wichser …«, gibt sein Kontrahent ihm diabolisch grinsend zu verstehen. Langsam und gemächlich steigt er Stufe für Stufe hinab.

Der Heizungskeller mit seiner massiven Feuerschutztür - meine einzige Chance, schaffe ich es da hinein, kann ich abschließen. Die Tür bekommt der nicht so ohne Weiteres auf.‹, schießt es Franco durch den Kopf, während er sich, so schnell es sein körperlicher Zustand zulässt, aufrappelt. Sein Ziel liegt direkt hinter ihm, er torkelt mehr, als er geht seiner vermeintlichen Rettung entgegen.

Das zielgerichtete Streben seines sichergeglaubten Opfers macht Adis misstrauisch, er beschleunigt seine Schritte.

Kieselmaier öffnet die Tür und schlüpft in den Heizungsraum, sein Gegner springt die letzten Stufen hinab und hechtet auf die sich schließende Tür zu.

Nur Zentimeter, bevor er sie erreicht schnappt das Schloss ein, bevor er die Klinke drücken kann, hat Franco von innen den Schlüssel gedreht.

Die Tür ist erst mal zu.

*​

Franco Kieselmaier lässt sich an der Wand hinab langsam auf den Boden gleiten, jeder Atemzug verursacht höllische Schmerzen, inzwischen geht er fest davon aus, sich bei seinem Treppensturz mindestens eine Rippe gebrochen zu haben. Sein rechter Arm blutet noch immer.

Ich muss versuchen, die Blutung irgendwie zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen.‹, überdenkt er seine Situation, also quält er sich allen Schmerzen zum Trotz aus seinem Hemd und verwendet es als provisorischen Verband.

Adis tritt und schlägt von außen mit aller Wucht vor die Tür, die massive Feuerschutztür hält jedoch allen Angriffen stand. Gedämpft dringen Ausrufe wie, »Mach auf du feiger Wichser …« oder »Ich fick dich, du Spast …«, an sein Ohr.

Mein Handy …‹, schießt es Kieselmaier durch den Kopf. Hektisch klopft er seine Taschen ab und atmet beruhigt auf, als er es ertasten kann. Erleichtert, dass es ihm nicht während seines Abgangs auf der Treppe aus der Tasche geglitten ist, zieht er es hervor.

Gerade will er die Nummer es Notrufs wählen, da denkt er, ›Moment, wenn ich da jetzt anrufe, dann kann ich mich auch direkt stellen … Hier kommt dieser Berserker erst mal nicht rein, vielleicht gibt der irgendwann auf und zieht ab, dann kann ich mir irgendeine Geschichte ausdenken und komme vielleicht doch noch mit einem blauen Auge raus aus der Nummer.

Also legt er sein Mobiltelefon erst einmal zur Seite. Sein Blick wandert an der gegenüberliegenden Wand hinauf zum Kellerfenster. Erschrocken überlegt er, ob sich sein Peiniger vielleicht auf diesem Wege Zugang zu ihm verschaffen könnte. Er gewinnt jedoch die Überzeugung, dass sich höchstens ein Kind durch diese schmale Öffnung quetschen könnte.

Plötzlich und unerwartet hören die Attacken gegen die Tür auf und es wird still.

Zieht der ab oder kommt da noch was …‹, denkt Franco lauernd.

*​

Adis tobt seine Wut darüber, dass sich sein sichergeglaubtes Opfer doch noch seiner Rache entziehen konnte, vergeblich an der stabilen Metalltür aus. Sein ganzes Treten, Schlagen, Schimpfen und Fluchen ist, von ein paar Kratzern abgesehen, fruchtlos.

Er zwingt sich zur Ruhe, um die Lage zu überdenken. Zunächst fällt ihm das Fenster ein, also verlässt er den Keller und begibt sich dahin, wo er die Fensteröffnung vermutet. Ernüchtert muss er feststellen, dass der Durchlass viel zu schmal für ihn ist, ›Scheiße, zu klein …‹, denkt er, seinem ängstlich hochblickenden Opfer signalisiert er durch die allseits bekannte Halsabschneider-Geste, dass er sein ursprüngliches Vorhaben auf jeden Fall erfolgreich zum Abschluss bringen will.

Werkzeug … Vielleicht hat der Pisser Werkzeug, mit dem ich die Tür aufbrechen kann.‹, kommt es ihm in den Sinn, also begibt er sich zurück ins Haus, um dort nach geeigneten Utensilien zu suchen. Leider ist auch dieses Ansinnen nicht von Erfolg gekrönt, Francos handwerkliche Fertigkeiten beschränken sich so ungefähr darauf, einen Nagel in die Wand zu treiben, dementsprechend ist seine Werkzeugsammlung auf einen kleinen Hammer und zwei Schraubendreher limitiert.

In einem Kellerraum entdeckt er einen alten Schlauch, für einen normalen Gartenschlauch ist der Durchmesser zu groß, ›Irgendein Ablaufschlauch … Diese verfickte Türe krieg ich damit aber auch nicht auf.‹, denkt er.

Gerade als er den Raum verlassen will, kommt ihm der coole Film von letzter Woche in den Sinn, handlungsarm, dafür aber aktionsgeladen. In einer der wenigen Szenen ohne Schusswechsel spielte genau ein solcher Schlauch eine tragende Rolle.

Er bleibt stehen und denkt, ›Was hatte der Spacken da gemacht … Ach ja, der hatte den Rauch vom Auspuff mit so einem Schlauch in das Auto gelenkt. Mensch, wenn das mit dem Auto geht, dann geht das auch mit 'nem Keller.

Kurzentschlossen greift er sich den Schlauch und steigt die Kellertreppe hinauf, anschließend klopft er im Flur die Taschen der Jacke an der Garderobe ab, schnell wird er fündig und hält den Fahrzeugschlüssel zu Kieselmaiers Wagen in der Hand.

Draußen blickt er sich vorsichtig um, ›Kein Schwein zu sehen‹, stellt er hocherfreut fest, während er das Fahrzeug öffnet und sich hinter das Steuer setzt, den Schlauch hat er zuvor bereits nahe dem Kellerfenster abgelegt. Da das Grundstück mit einer Hecke umwehrt ist, muss er das Auto durch die Pforte quetschen, was mit etwas Anlauf zwar problemlos funktioniert, jedoch aber deutliche Deformierungen an den Fahrzeugseiten hinterlässt.

Auch den Wagen stellt er unmittelbar vor dem Fenster ab. Sein ängstlich hinaufschauendes Opfer ignoriert er. Mit einem Tritt gegen das Fenster sorgt er für dessen Entglasung, den Schlauch hängt er durch die so entstandene Öffnung und steckt das andere Ende über den Auspuff.

›Korrekt, passt genau – Wie dafür gemacht.‹, stellt er hocherfreut fest.

Zufrieden beobachtet er, wie die Abgase des laufenden Motors in den Kellerraum umgeleitet werden.

Aus dem Keller schallt ein »Bitte nicht, ich habe Geld, ich kann Ihnen Geld geben, viel Geld.« zu ihm hinauf.

Dieses Angebot schlägt Adis mit dem Zeigen des Stinkefingers aus. Seine Schwester hatte viel für ihn getan und einiges für ihn aufgegeben. Er hat es ihr sicherlich nicht immer gut gedankt, das hier ist er ihr nun schuldig.

Mit Ernüchterung muss er allerdings feststellen, dass ein Großteil der Abgase, wegen der fehlenden Scheibe, direkt wieder nach draußen abzieht. ›Das muss ich dichtmachen, Alder.‹, erkennt er und geht zurück ins Haus, um etwas Geeignetes zu suchen.

Schon nach kurzer Zeit kommt er mit der samtig flauschigen, dezent gemusterten Wolldecke von der Wohnzimmercouch zurück und presst diese in die Öffnung. Zufrieden stellt er fest, dass nun kein Wölkchen mehr verloren geht, die Abgase also vollständig im Keller verbleiben.

Durch eine kleine Lücke an der Seite kann er sein Opfer weiterhin beobachten, sollte dieses die Türe öffnen, ist er zur Stelle.

*​

Mit Entsetzen stellt Franco Kieselmaier fest, dass sein Zufluchtsort beileibe nicht die Sicherheit bietet, die er erhofft hat. Seit dieser Unmensch da oben die Lieblingskuscheldecke seiner Frau in das Fenster gestopft hat, können die Abgase seines Autos nicht mehr abziehen, sondern sammeln sich im Heizungskeller an.

Immer öfter muss er husten, was ihm wegen der mutmaßlich gebrochenen Rippe besondere Qualen bereitet. Am rechten Rand des Fensters ist die Scheibe unversehrt, hämisch und mitleidlos blickt sein Peiniger auf ihn hinab. Fast sieht es aus, als würde er sich an seinem Leid ergötzen.

Was habe ich diesem Sadisten bloß getan, die Sache mit seiner Schwester, die hätten wir sicherlich irgendwie regeln können.‹, denkt er.

Wieder zeigt Adis ihm grinsend, die Halsabschneider-Geste.

Nach einem besonders heftigen Hustenanfall, der von rasenden, bisher nicht gekannten Schmerzen, begleitet wird, erkennt Kieselmaier, dass weiteres Ausharren seinen Tod bedeutet, schlaff ertastet er Brille und Handy und wählt die Nummer des Notrufs.

Von weiteren, in immer kürzeren Abständen auftretenden Hustenanfällen geschüttelt wartet er ab, die damit verbundenen Schmerzen rauben ihm fast den Verstand.

Nach einer ihm schier endlos erscheinenden Spanne hört er Sirenen, erst ganz leise, fast nur eine Ahnung, später jedoch dominierend, alles andere übertönend.

Als er das Schlagen von Fahrzeugtüren zu hören glaubt, rafft er seine letzten Kräfte zusammen, schleppt sich zur Tür und entriegelt diese, noch bevor er sie öffnen kann, bricht er besinnungslos zusammen.




12
Früher Abend im Krisenzentrum des Wirtschaftsministeriums …

Eine angespannte Stimmung liegt über den Anwesenden, jeder weiß, um was es geht, aber niemand hat einen blassen Schimmer, welcher Art die Forderungen der ÖAF sein werden.

Die technischen Voraussetzungen zur problemlosen Kontaktaufnahme hatte man erfüllt, ein Rechner, ausgestattet mit dem geforderten exotischen Chatprogramm, war empfangsbereit und wurde von einem Experten vom Geheimdienst bedient.

Ein Stab von Spezialisten würde unmittelbar nach der Kontaktaufnahme über die IP-Adresse des Absenders versuchen, seinen Standort zu ermitteln. Ein Einsatzkommando wartete startbereit auf Anweisungen, sollte die Lokalisierung gelingen, wäre man binnen kürzester Zeit vor Ort. Zumindest, wenn sich der Ort im eigenen Land befinden sollte.

Noch zwei Minuten bis zum Kontakttermin, alle Augen starren gebannt auf den großen Bildschirm an der Wand, der das Bild des Kontaktrechners widerspiegelt, nur der träge blinkende Cursor zeigt Aktivität.

Noch eine Minute bis zum angekündigten Kontakttermin, die Anspannung steigt, in wenigen Sekunden wird sich zeigen, ob die Technik in der Lage sein wird, die Entführer zu orten.

Plötzlich zeigt der Cursor auf dem Bildschirm, wie von Geisterhand geführt, Aktivität.

»Es geht los …«, bemerkt jemand überflüssigerweise.

Garbo>Hier ist Garbo, ich spreche für die Ökologische Armee Fraktion, habe ich Ihre Aufmerksamkeit?

User>Ja Garbo, Sie haben unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

Garbo> Ich bin beauftragt, Folgendes mitzuteilen:

Die Regierung von Prusan hat es in den letzten Jahren versäumt, die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um den Klimawandel zu stoppen.

Die Ökologische Armee Fraktion hat sich entschlossen, gegen diese Untätigkeit offen anzugehen.

Ab sofort werden wir nicht nur umweltschädliche Sachgüter vernichten, wir werden auch Maßnahmen ergreifen, um aktiv eine Haltungsänderung zu erzwingen.

Als erste Aktion haben wir die Tochter der Wirtschaftsministerin in unsere Gewalt gebracht.

Sie ist wohlbehalten. Damit es so bleibt, fordern wir, dass die Republik Prusan binnen eines Monats feste Verträge über den Erwerb von Anlagen zur regenerativen Energiegewinnung abschließt.

Der finanzielle Umfang wird für den Anfang auf 10 Milliarden unserer Währung angesetzt.

Sobald die Verträge besiegelt sind, wird die Geisel freigegeben.

Wir geben unserer Zukunft eine Chance.

ÖAF

User>Wir haben die Botschaft erhalten und werden uns damit befassen. Vorher benötigen wir einen Beweis dafür, dass Sie das Kind wirklich in Ihrer Gewalt haben und dass es unbeschadet ist.

Garbo>An was genau haben Sie gedacht?

User>Ein Foto von der Geisel und dem Titelbild einer aktuellen Tageszeitung.

Garbo>Ist das alles?

User>Täglich ein solches Bild, damit wir uns stets sicher sein können, dass es dem Kind gut geht.

Garbo>Wir versuchen es. Halten Sie sich täglich um die gleiche Zeit bereit. Ende

Der Cursor verfällt wieder in sein monotones Blinken, der Kontakt war abgerissen.

Die Technik meldet, dass die Verbindung über mindestens einen VPN-Server im Ausland gelaufen sei, man bliebe dran, könne aber keine großen Hoffnungen machen, dass die Absenderadresse ermittelt werden könnte.

Der Einsatzleiter hebt die Bereitschaft des wartenden Einsatzkommandos auf, begibt sich in sein Büro, um den Premierminister über den Verlauf und die Forderungen der Terroristen zu unterrichten.




13
Als die Sirenen näherkommen, zieht sich Adis Seymen doch noch von Kieselmaiers Haus zurück, ihm ist klar, dass er nach einer Festnahme garantiert keine Möglichkeit mehr haben würde, dieser Ratte den Hals umzudrehen.

Trotz seines Dranges sich möglichst weit von der Polizei zu entfernen, hält er sich in der Umgebung verborgen und beobachtet das weitere Geschehen am Tatort.

Zunächst erscheint ein Streifenwagen, kurz danach erstirbt der Motor des Autos, es werden also wohl keine weiteren Abgase mehr in den Keller geleitet. Garantiert hat man auch die Decke bereits aus der Fensteröffnung herausgezogen. Ein paar Minuten danach trifft dann ein Krankenwagen ein.

Eine etwas längere Zeitspanne später, tragen zwei Rettungssanitäter Kieselmaier auf einer Trage aus dem Haus. Offenkundig lebt er noch, eine Sauerstoffmaske setzt man keiner Leiche auf.

Scheiße, alles umsonst gewesen. Dieser Hurensohn lebt noch.‹, erkennt Adis voller Wut.

Jetzt bringen die den verfickten Spast ins Krankenhaus und machen diesen stinkenden Köter wieder gesund. Krankenhaus …? Eehhy Mann, im Krankenhaus von der Stadt kenn‘ ich mich aus, da hab‘ ich jede Menge Sozialstunden gemacht. Und Kollega von da hab‘ ich seitdem auch …‹, überlegt der Racheengel und greift zu seinem Handy, um mit seinem Bekannten aus dem Krankenhaus zu telefonieren.

Geraume Zeit später wird ihm dann in einem Rückruf mitgeteilt, dass Kieselmaier sich tatsächlich in den städtischen Kliniken befindet. Auch die Station und das Zimmer in der sein Opfer zu finden ist, erfährt er auf diesem Wege.

Die Information, dass ein Polizist vor dem Krankenzimmer sitzt und dass Kieselmaier bereits am übernächsten Tag verlegt werden soll, nimmt er mit Unmut zur Kenntnis. Bevor er das Gespräch beendet, bittet er noch um einige kleinere Gefälligkeiten. Danach schaltet er sein Mobiltelefon endgültig aus, vielleicht gelingt es ihm doch noch, seinen Rachedurst zu stillen.

14
Als Winkleer nach Hause kommt, hat er mal wieder die Faxen dicke, quasi schon im Feierabend stellte er noch den Beschaffungsantrag für ein neues Dienstfahrzeug. Bis dann der Wust an Formularen per Mail versandt war, hatte ihm der Dienst schon wieder eine Stunde seiner Lebenszeit geraubt.

Auf dem Weg nach Hause, stürzte er sich dann ins Getümmel der Lebensmitteldiscounter, absolut unerklärlich ist ihm, warum scheinbar alle Welt dies zeitgleich mit ihm erledigen musste. Unkoordiniert packte er in seinen Wagen, was ihm gerade in den Sinn kam, wie eigentlich immer nahm er sich ganz fest vor, sich das nächste Mal vorher eine Einkaufsliste machen.

Nachdem er dann seinen Einkauf verräumt hat, stellt er fest, dass er nunmehr stolzer Besitzer von neun Paketen Tiefkühl-Lasagne ist, sich dafür aber nur eine, schon leicht wellige, Scheibe Brot im Brotkasten findet.

Sein Kater Samson protestiert empört, zuerst ist sein Dosenöffner den ganzen Tag fort und wenn er dann endlich kommt, hat er keine Zeit für ihn. Tierfreund geht anders, schließlich hat er stundenlang auf sein Leckerli verzichtet.

»Ist ja schon gut, Du hast ja recht«, murmelt Winkleer vor sich hin, während er Samsons Lieblingssnacks aus dem Vorratsschrank holt.

Der Kater ist hellauf begeistert und vertilgt, dass ihm kredenzte schnurrend.

Wie kommt es eigentlich, dass ich Samsons Leckerli immer im Hause habe, während das Meinige häufiger mal zur Neige geht? Seltsam.‹, philosophiert Winkleer in Gedanken.

Am Ende aller Mühen will er sich nun selbst ein Leckerli in Form einer Flasche Bier aus dem Kühlschrank gönnen. Gerade als er den Öffner ansetzt, läutet es an seiner Tür.

Wer ist das denn jetzt?‹, denkt er mürrisch und schleicht leise zur Wohnungstür, um zunächst einmal durch den Türspion zu linsen, wer ihn da zu dieser Zeit zu stören gedenkt.

Nicht die Puchalski, nicht heute … Und überhaupt, was kann die wollen, habe ich die Kellerwoche verschwitzt, oder was?‹, denkt Winkleer. Frau Puchalski ist seine Nachbarin aus dem ersten Stock. Schon seit längerem herrscht zwischen ihnen eine Art Kleinkrieg, weil der Chefinspektor seiner unregelmäßigen Arbeitszeiten wegen, immer wieder seinen häuslichen Gemeinschaftspflichten erst verspätet nachkommt.

»Herr Winkleer, seien Sie nicht albern, machen Sie schon auf, ich kann doch sehen, dass Sie durch den Türspion gucken.«, ruft Frau Puchalski leicht entnervt.

»Ähhh ja, Moment, ich … ähhh … bin nicht komplett angezogen.«, stottert Winkleer ertappt, wartet kurz und öffnet dann die Türe.

»Guten Abend Herr Winkleer.«, grüßt ihn seine Nachbarin überraschend freundlich, unter ihrem linken Arm hat sie ein schmales Paket geklemmt.

»Guten Abend.«, sagt er bemüht neutral, merkt jedoch selbst, dass er sich unbewusst einer Tonlage bedient, mit der man eher einen lästigen Staubsaugervertreter begrüßt.

»Ich habe heute diese Sendung hier für Sie angenommen.«, sagt Frau Puchalski, während sie das Paket unter ihrem Arm hervorholt und ihm reicht.

»Hmm Danke.«, erwidert er und will die Türe wieder schließen.

»Haben Sie wieder so viel tun, ich habe bemerkt, dass Sie in den letzten Tagen morgens sehr früh aus dem Haus gehen und abends erst spät zurückkommen.«, sagt sein Gegenüber schnell.

»Ja, Ja stimmt schon.«, stimmt Winkleer leicht genervt zu, denkt aber, ›Jetzt kommt bestimmt, dass ich den Speicher nicht geputzt habe.

»Das ist bestimmt nicht gut für den Körper … und dann immer diese ungesunden Fertiggerichte …«, setzt Frau Puchalski ihren Redefluss fort.

Was will die? Und überhaupt, woher will die wissen, was ich esse?‹, fragt sich der Chefinspektor, also sagt er recht barsch, »Woher wollen Sie wissen, was ich esse? Wie Sie gerade selbst gesagt haben, es war ein langer Tag, vielen Dank für das Paket, gute Nacht.«

Abrupt schließt Winkleer die Tür.

In dem Paket findet sich eine lang gesuchte Schallplatte, welche in seiner Sammlung klassischer Rockmusik noch fehlte. Mit seinem Bier zieht er sich ins Wohnzimmer zurück, um seinem Kater die Neuerwerbung vorzuspielen.

Während der zweite Song gerade aus dem Lautsprecher knarzt, kommt ihm das Gespräch mit seiner Nachbarin in den Sinn. ›Eigentlich stand die mit einer rauchenden Friedenspfeife da, auch das mit dem Essen klang mehr besorgt als oberlehrerhaft. Kann natürlich sein, dass die zufällig gesehen hat, was in meinem Müll ist. Sind ja auch wirklich fast nur Verpackungen von Fertiggerichten.

Das schlechte Gewissen regt sich.

Und ich habe die abgebügelt und blöd stehen lassen … Das wollte ich so eigentlich nicht.

Das schlechte Gewissen wächst.

Das muss ich geradebiegen …‹, beschließt er spontan, schaltet den Plattenspieler aus, kramt im Küchenschrank die Flasche Wein hervor, die dort schon seit geraumer Zeit verstaubt und begibt sich in den ersten Stock.

Nachdem er bei seiner Nachbarin geklingelt hat, passiert erst mal eine Weile nichts, schließlich öffnet sich die Tür einen Spalt und er wird fragend angeschaut.

Winkleer räuspert sich »Ähh nun … also ich möchte mich für mein Verhalten von vorhin … Ähhh … entschuldigen, ich war nach einem langen Tag genervt und Sie haben mich auf dem falschen Fuße erwischt, es tut mir leid.«

Die Tür öffnet sich nun zur Gänze, und seine Nachbarin erwidert, »Nun ja, ich hätte das Paket auch einfach vor die Tür stellen können, ohne Ihren Feierabend zu stören.«

»Nein, nein, das war schon in Ordnung. Ich hätte nicht so abweisend reagieren sollen. Sie würden mir eine Freude machen, wenn ich Ihnen diese Flasche Wein als Wiedergutmachung überreichen dürfte.«, entgegnet Winkler und denkt, ›Oh Mann, was kann ich für einen Schmu labern.

»Ja gerne, dann müssen Sie aber ein Glas mittrinken.«, stimmt Frau Puchalski lächelnd zu.

Aus der Nummer kommt Winkleer jetzt nicht mehr raus, also sitzt er, ehe er sich versieht, im Wohnzimmer seiner Nachbarin.

Zunächst etwas befangen, entwickelt sich im Laufe der Zeit eine lebhafte Unterhaltung, aus einem Glas da werden zwei, kurze Zeit später ist man beim Du und er weiß, dass ihr Vorname Sigrid lautet.

Sie sei Witwe und ihr Mann habe wie er viel gearbeitet und ungesund gegessen, ein früher Herzinfarkt hat ihn dann zeitig aus dem Leben gerissen.

Obwohl sie es nicht sagt, merkt Winkleer genau, dass sie bei ihm einen ähnlichen Lebenswandel beobachtet.

Mit Hinweis auf die vorgerückte Stunde verabschiedet sich der Chefinspektor, um doch noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Bevor er, nach einem kurzen Besuch im Bad, langsam in den Schlaf hinübergleitet, denkt er, dass der Besuch von gerade seine beste Idee seit Langem war.




15
Freitag​

Am nächsten Morgen erwacht Winkleer, einer kurzen Nacht zum Trotz, schon vor dem Wecker. Nachdem er die inzwischen noch welligere Scheibe Brot mithilfe einer Tasse Kaffee vertilgt, seinen Kater versorgt und sich eine ordentliche Morgentoilette gegönnt hat, ist er auf dem Weg ins Präsidium.

Auf dem Parkplatz stellt er fest, dass seine Kollegin bereits vor Ort ist, seinen Dienstwagen parkt er neben Bruchheims platt gedrückter Flunder.

Nach einem kurzen Schwätzchen mit seinem Kollegen an der Pforte betritt er mit einem Liedchen auf den Lippen sein Büro.

»Morgen Lars, so gut gelaunt? Dagegen kann ich etwas tun … Maardam will uns sprechen.«, begrüßt ihn Rhea.

»Lass mich raten … Sofort?«, fragt der Chefinspektor ironisch.

»Besser gestern.«, antwortet Bruchheim.

Kurze Zeit später sitzt man schon vor Maardams Schreibtisch.

»Herr Winkleer, wie ich sehe, gibt es bescheidene Fortschritte.«, stellt die Abteilungsleiterin fest.

Wieso bescheiden, wir haben immerhin eine Personenbeschreibung …‹, denkt Winkleer missmutig, verkneift sich aber den Kommentar und nickt lediglich zustimmend.

»Wie gedenken Sie weiter vorzugehen?«, wird er gefragt.

»Wir fahren gleich in die Schule und beschlagnahmen die Personalakten der männlichen Lehrer, damit …«, antwortet der Chefinspektor.

»Falsch, genau das werden Sie nicht tun.«, unterbricht ihn Maardam resolut.

»Ich verstehe nic…«, setzt Winkleer mit fragendem Blick an.

»Die Schulaufsicht hat von jeder Akte eine digitale Kopie. Die habe ich bereits angefordert, wahrscheinlich finden sich die Dokumente bereits in ihrem Postfach.«

Respekt, da hat sie recht, geht schneller und vor allen Dingen muss in der Schule keiner wissen, wo wir gerade unsere Nase reinstecken … Wer weiß, wer da sonst noch drinhängt.‹, muss Winkleer in Gedanken anerkennend zugeben.

»Weiterhin gab es gestern den ersten Kontakt mit den Entführern. Man hat mich beauftragt Ihnen das Protokoll auszuhändigen.«, sagt die Abteilungsleiterin, während sie eine Mappe mit der Aufschrift ›Vertraulich‹ über den Tisch reicht.

»Wie Sie sehen werden, hat sich auch der Geheimdienst da reingehängt. Damit das klar ist, ich erwarte, dass wir den Fall lösen und den Schlapphüten zeigen, wo der Hammer hängt. War die Formulierung verständlich?«, fragt Maardam.

»Vollkommen.«, antwortet der Chefinspektor.

Mit einem »Sie haben zu tun« sind die Ermittler entlassen.

*​

Zurück im Büro macht sich Winkleer zunächst mit den Forderungen der ÖAF vertraut, ›Zehn Milliarden, eine Nummer kleiner geht es scheinbar nicht, die sind doch wahnsinnig.‹, resümiert er das Gelesene.

»Ich habe gerade die Bilder der Personalakten durchgesehen, sieben Personen kommen infrage, wenn man die Brille als veränderliches Kennzeichen weglässt, sind es siebzehn.«, gibt Bruchheim einen Zwischenstand.

»Druck die Bilder aus, wir gehen gleich bei Luigi einen Espresso trinken, bei der Gelegenheit soll sich der Kellner die Bilder mal anschauen, vielleicht landen wir einen Treffer.«, sagt der Chefinspektor, Rhea nickt, der Drucker fängt an zu arbeiten.

Gerade will er sich den ersten Bericht vornehmen, da läutet sein Telefon.

»Winkleer«

»Morgen Herr Winkleer, Haarmann hier.«

»Haarmann, was gibt es?«

»Ich habe gestern doch die Datensicherungsmedien der Schule beschlagnahmt.«

»Stimmt, und?«

»Nun, es sind insgesamt zehn Stück. Aus jedem dieser Medien habe ich die betreffende Datei herausgezogen und überprüft.«

»OK, und?«

»Tatsächlich wurde die Tabelle manipuliert, und zwar, von heute gerechnet, vor genau einer Woche. Melissas Eintrag wurde so verschoben, dass sie am Entführungstag erneut eingeteilt wurde.«

»Haarmann, wer hat die Datei geändert?«

»Der Eintrag lautet ›kieselmaierf‹, das ist ein Franco Kieselmaier. Das heißt aber nur, dass das der letzte war, der die Datei an diesem Tag gespeichert hat. Das muss also nicht zwangsläufig unser Mann sein.«

»Aber ein deutlicher Hinweis ist es schon, gute Arbeit.«

Winkleer legt auf und fragt seine Kollegin, »Schau doch bitte mal, ob Du einen Franco Kieselmaier unter Deinen Aspiranten hast.«

»Bingo.«, ruft Rhea nach kurzem Suchen aus.

»Na also, die Schlinge zieht sich zu, wenn der jetzt noch vom Kellner erkannt wird, dann wird es dünn für den Herrn. Vor dem Espresso sollten wir uns aber die restlichen Berichte noch durchschauen, wer weiß …«

Zunächst nimmt er sich den Bericht der Gerichtsmedizin vor, genau wie von ihm vermutet wurde, hat der oder die Täter versucht, die wahre Todesursache durch das Erhängen zu verschleiern. Jale wurde von hinten mit einem relativ schmalen Seil erdrosselt und erst anschließend über der Badewanne aufgehängt. Der Todeszeitpunkt liegt im Zeitbereich zwischen 20:30 und 21:30 Uhr.

Der Bericht der Spurensicherung zerlegt ebenfalls den Täuschungsversuch. Auf dem Abschiedsbrief befinden sich Jales Fingerabdrücke nur auf einer Seite, wenn man ein Blatt Papier in der Hand hält, werden sich diese immer auf beiden Seiten befinden. Auch ein aufgefundener USB-Stick mit ÖAF Material entpuppt sich als untergeschoben, dort finden sich Fingerspuren zwar auf dem Stick, nicht aber auf der Kappe. Kurz, da hat ein Dilettant versucht, besonders schlau zu sein.

Interessant ist, dass man in der Wohnung auch Fingerspuren gefunden hat, welche man einem Adis Seymen zuordnen konnte. Bei dem jungen Mann handelt es sich um den Bruder des Opfers. Da er bereits mehrfach auffällig wurde, sind seine Abdrücke im System.

Kurz setzt Winkleer seine Kollegin über den Bericht in Kenntnis und sagt anschließend, »Rhea, mir geht die offene Tür nicht aus dem Kopf … mal angenommen, der junge Mann hat einen Schlüssel und findet seine Schwester irgendwann in der Nacht oder am Morgen. Was würde er tun?«

»Selbst wenn er nicht unbedingt der beste Freund der Polizei ist, würde er wahrscheinlich uns anrufen.«, antwortet Bruchheim.

»Stimmt, nehme ich auch an. Das hat er aber nicht getan, sondern den Tatort Hals über Kopf verlassen, spontan denkt man an Panik, aber …«, führt Lars seinen Gedankengang weiter aus.

»… aber vielleicht sind es auch Rachegelüste oder die blinde Wut auf jemanden, die ihn kopflos haben herausstürmen lassen.«, setzt Rhea den Gedankengang fort.

»Genau, Panik hätte sich irgendwann gesetzt, Rachedurst hält an.«, stimmt der Chefinspektor zu.

»Wenn dieses Gedankenkonstrukt so stimmen sollte, dann müssen wir davon ausgehen, dass er etwas weiß, zum Beispiel, mit wem sich Jale treffen wollte. Ansonsten macht Rache keinen Sinn.«, sagt Bruchheim nachdenklich.

»Was dann bedeuten würde, dass diese Person unter Umständen in Lebensgefahr schwebt. Das könnte der Signore aus der Pizzeria sein. Und ich wette darauf, dass dieser Signore Franco Kieselmaier heißt. Wie weit bist Du mit dem Ausdrucken der Bilder?«, fragt der Chefinspektor.

»Gerade fertig«, lautet die Antwort.

Die Ermittler verlassen Büro und Präsidium, steigen in den Dienstwagen und fahren in Richtung des italienischen Restaurants Luigi.

Da Bruchheim am Steuer sitzt, erreichen sie ihr Ziel in Rekordzeit, müssen jedoch feststellen, dass die Taverne noch geschlossen hat.

»Die machen erst in einer Stunde auf.«, sagt Winkleer und zeigt auf das Schild neben dem Eingang.

»Ich schaue mal hinten, vielleicht gibt es einen Hintereingang zur Küche.«, schlägt seine Kollegin vor, der Chefinspektor nickt.

Nach kurzer Zeit hört er Rhea rufen, »Komm hier hinter das Haus, die sind schon da.«

Prima‹, denkt er, während auch er sich zum Hintereingang begibt, ›Irgendwie läuft es heute.‹

Nach kurzer Begrüßung begeben sich die Ermittler mit dem Kellner in den Schankraum, dort reihen sie die mitgebrachten Bilder der Einfachheit halber auf der Theke nebeneinander auf und bitten den Keller, diese Galerie in Augenschein zu nehmen.

»Trovato, das ist Signore«, ruft er schon nach einigen Sekunden, sein Finger tippt immer wieder auf das Bild von Franco Kieselmaier.

»Tja, Herr Kieselmaier, das war es dann wohl«, murmelt Winkleer vor sich hin.

Mit dem Versprechen, sich demnächst wieder die beste Pizza der Stadt servieren zu lassen, verabschiedet man sich und geht zu dem vor dem Haus abgestellten Dienstwagen.

»Den Knaben greifen wir uns, für eine Festnahme reicht das Material ohne Weiteres, auch ein Haftbefehl sollte damit problemlos zu erwirken sein.«, beschließt Winkleer, als er sich gerade auf dem Beifahrersitz niederlässt.

Nach einem Blick auf die Uhr, sagte seine Kollegin, »Um diese Zeit sollte der noch in der Schule sein, machen wir ihm eine Freude und verkürzen seine Arbeitszeit.«

*​

Nach einem Gespräch mit dem Direktor wissen die Ermittler, dass Kieselmaier von seiner Frau am Morgen krankgemeldet wurde. Nach einem Überfall läge er im Hospital.

Als man wieder im Wagen sitzt, sagt Winkleer, »Frage bitte mal im Präsidium wegen dem Überfall nach, nicht, dass das nur heiße Luft ist, und der Knabe sich absetzen will.«

Bruchheim nickt, holt ihr Mobiltelefon hervor, um das geforderte Gespräch zu führen.

Derweil denkt Winkleer, ›Wenn der wirklich im Krankenhaus liegen sollte, ist der hoffentlich vernehmungsfähig, sonst wäre das ein Pyrrhussieg. Nur seine Aussage kann uns zu dem Kind führen. Etwas anderes haben wir momentan nicht.

Bruchheim beendet ihr Telefonat und berichtet, dass Kieselmaier tatsächlich in seinem Haus überfallen worden wäre, neben umfangreichen Prellungen hat er zwei gebrochene Rippen und eine Stichverletzung am Oberarm davongetragen. Eine Kohlenmonoxid-Vergiftung hat er nur knapp überlebt. Seine Schilderungen zum Tathergang wären auffällig zurückhaltend gewesen. Momentan befindet er sich im städtischen Krankenhaus.

»Kohlenmonoxid Vergiftung?? Und was ist mit der Frau? War die nicht da?«, ruft Winkleer verwundert aus.

»Der Täter hat wohl Abgase in einen Raum geleitet, in dem Kieselmaier sich verkrochen hatte. Seine Frau war zu diesem Zeitpunkt bei ihren Eltern und wurde erst nachher informiert.«, erklärt seine Kollegin.

»Lass mich mal raten, man hat die Fingerabdrücke von Adis Seymen gefunden, stimmts.«, sagt der Chefinspektor.

»Du kannst einem wirklich jede Pointe versauen.«, sagt Bruchheim.

»Das Haus ist dem Überfall wegen sicherlich noch ein Tatort, da brauchen wir momentan keinen Durchsuchungsbeschluss, schicke da schnellstmöglich ein Team hin, die sollen die Hütte auf den Kopf stellen, vielleicht finden wir ja Spuren zu Jale oder zur ÖAF … Ach ja, und bitte Maardam darum, einen Haftbefehl für unseren Musterpädagogen zu beantragen.«

Und wir machen einen Krankenbesuch …‹, denkt Winkleer, während er den Motor startet.




16
Langsam erwacht Franco Kieselmaier und wird wieder Herr seiner Sinne, noch ist sein Blick getrübt, seine direkte Umgebung erfasst er nur verschwommen, mehrfach klappert er mit den Augenlidern, sukzessive peu à peu klärt sich sein Blick.

Er ist verwirrt und kann die ihm fremde Umgebung mit dem ersten Gedanken nicht einordnen. Die Erinnerung setzt ein und er realisiert, dass er sich im Krankenhaus befindet. Eine der gebrochenen Rippen hatte wohl irgendetwas in seinem Inneren punktiert, was genau, daran kann er sich jetzt nicht entsinnen, irgendwie war durch die Schmerzmittel alles ganz dumpf und vernebelt.

Zu seiner Rechten rückt eine Frau in seinen Wahrnehmungsfokus, sein erster Gedanke ist, dass seine Frau Elke, in ihrer rührselig fürsorglichen Art, besorgt an seiner Bettstatt gewacht hat. Der zweite Blick jedoch schafft Ernüchterung, weder ist es seine Frau, noch ist der Blick rührselig oder fürsorglich, mehr sieht es aus, als würde sie ein Insekt taxieren, welchem sie mittels Fliegenklatsche gleich den Garaus machen will.

Erschrocken wendet er den Kopf nach links, dort erblickt er einen Mann, der ihn ebenfalls mit deutlich vernehmbarem Missfallen betrachtet, hier jedoch erinnert ihn der Blick mehr an jemanden, der nach langen Mühen endlich der lästigen Ratte aus dem Keller habhaft geworden ist.

Mit Unbehagen wendet er sich auch von dieser Seite ab und starrt geradeaus.

»Herr Kieselmaier, ich bin Chefinspektor Winkleer und die freundlich dreinblickende Dame zu Ihrer Rechten, ist meine Kollegin Bruchheim.«

Obwohl seine Zunge am Gaumen klebt, will er diese beiden unangenehmen Polizisten nicht in seiner Nähe wissen, zumindest nicht jetzt, deshalb krächzt er, »Hören Sie, ich kann ja verstehen, dass sie wegen dem Überfall mit mir sprechen müssen. Momentan fühle ich mich dazu aber nicht in der Lage, kommen Sie doch bitte morgen wieder.«

»Herr Kieselmaier, entschuldigen Sie bitte, das ist ein Missverständnis, die Sache mit dem Überfall bearbeiten meine Kollegen, soweit ich weiß, ist dieser Fall bereits aufgeklärt, der Täter ist ermittelt und zur Fahndung ausgeschrieben. Wir sind wegen zwei anderer Sachen hier.«, stellt Winkleer ausgesprochen freundlich klar.

Unbehagen macht sich in Franco breit, vorsichtig will er wissen, »Ich verstehe nicht, um was handelt es sich?«

»Sollte es Ihnen entfallen sein? Kann vorkommen … Mord und Beihilfe zur Kindesentführung.«, führt der Chefinspektor erklärend aus.

»Und nebenbei, betrachten Sie sich ab jetzt als formal festgenommen, der Haftbefehl ist bereits in Arbeit, schon Morgen oder Übermorgen geht es ab ins Justizkrankenhaus.«, grätscht Bruchheim mit kalter schneidender Stimme dazwischen.

»Wie … Wie … Ähhh Ich … Ich … verstehe nicht …«, stottert Kieselmaier irritiert, das Unbehagen mutiert in Richtung Panik.

»Herr Kieselmaier, nicht so schüchtern, wir wissen, dass Sie vor einer Woche die Sportgerätedatei in der Schule manipuliert haben. Wir wissen, dass Sie mit Jale Seymen in einem Lokal waren und sie hinterher erdrosselt haben.«, erklärt Winkleer noch immer freundlich den Kenntnisstand der Polizei.

»Nein, weder war ich mit einer Jale Pizza essen, noch habe ich diese Frau umgebracht.«, gibt Franco panisch schrill von sich.

»Und woher wissen Sie dann, dass Pizza gegessen wurde?«, fragt Bruchheim leise drohend, während sie sich fast Nasenspitze an Nasenspitze über Franco beugt.

»Ähhh …«, gibt Kieselmaier hilflos von sich, während er versucht, sich tiefer in das Kissen zu drücken, um den Abstand zwischen sich und dieser wahnsinnigen Polizistin zu vergrößern.

»Rhea, Du ängstigst unseren Gesprächspartner.«, sagt Winkleer tadelnd und fährt fort, nachdem sich Bruchheim wieder zurückgezogen hat, »Der freundliche Kellner hat Sie trotz Ihrer, sagen wir mal, Zurückhaltung identifiziert. Weiterhin finden sich im Fußraum Ihres Autos auf der Beifahrerseite Striemen von den Jales Schuhen.«

»Momentan wird gerade Ihr Haus auseinandergenommen, vor zehn Minuten riefen die Kollegen an, dass sie in der Wäschetruhe in einer Hosentasche eine Schnur gefunden hätten. Man meint Anhaftungen von Hautpartikeln zu erkennen. Das wird vom Labor natürlich noch genau untersucht, auch ob es sich um Jales Haut handelt. Kann es sein, dass sie vergessen haben, die Taschen zu leeren?«, fragt Bruchheim.

»Ähhh, Ähhh … Ich … Ich sag jetzt gar nichts mehr und ähhh … ich will einen Anwalt.«, stottert Kieselmaier vor sich hin.

»Bei der Beweislage ist es völlig egal ob, Sie etwas sagen oder nicht. Man wird Sie einsperren und frühestens am Sankt Nimmerleinstag wieder entlassen.«, sagt Bruchheim kalt.

Franco reißt stöhnend die Augen auf, sagt aber nichts.

»Rhea, ganz so stimmt das nicht, wenn er uns zum Beispiel hilft, das Mädchen zu finden … Wer weiß vielleicht hat der Richter dann einen guten Tag.«, weist Winkler seine Kollegin gespielt zurecht.

»Und wenn er weiter schweigt?«, fragt Bruchheim vorgeschoben naiv.

»Vielleicht möchte Jales Bruder sich einmal mit Herrn Kieselmaier aussprechen? So quasi als Täter-Opfer-Ausgleich, wenn die Herren lange Zeit in einem Gefängnis zusammen sind, sollten sich doch Berührungspunkte ergeben.«, erklärt der Chefinspektor und fährt mit einem Blick auf seine Uhr fort, »Ohh, schon so spät, der Feierabend naht, lass uns gehen, der Herr will ja nicht mit uns reden.«

Gerade als man sich abwendet und die Hand auf die Türklinke legt, da ruft Franco, »Halt, bleiben Sie bitte, hören Sie, ich habe einen Namen, Edwin … Edwin Kuhnert. Wo der wohnt weiß ich nicht, der fährt aber so ein kleines Elektrofahrzeug und in meinem Handy finden Sie seine Telefonnummer unter Eddi. Aber bitte, nicht mit diesem Wahnsinnigen zusammen, bitte nicht.«

»Na sehen Sie, war doch gar nicht schwer, nebenbei – vor der Tür sitzt ein Kollege und passt gut auf sie auf, kommen Sie also nicht auf dumme Gedanken.«




17
Am Abend, kurz vor dem Schichtwechsel, hält sich Seymen, hinter einem Gebüsch versteckt, in unmittelbarer Nähe des Personaleingangs des Krankenhauses auf.

Möglichst unbemerkt, will er auf diesem Wege ins Innere des Gebäudes gelangen. Den Haupteingang meidet er des Pförtners wegen. Dazu muss er allerdings den richtigen Augenblick abpassen, nicht wenn die große Masse der Bediensteten nach Hause strebt, sondern wenn ein einzelner Nachzügler das Gebäude verlässt, ist der passende Zeitpunkt hineinzuschlüpfen.

Also wartet er geduldig ab und lässt den großen Wust untätig an sich vorüberziehen. Fast schon glaubt er, er hätte die Gelegenheit verpasst, da sieht er, durch die Glastüren, eine junge Frau ihrem Feierabend entgegengehen.

Wie als wäre es ein langersehnter Befreiungsakt, stößt sie die Türe weit auf und verschwindet eilig in Richtung Parkplatz. Geschwind, bevor der automatische Türschließer seine Chance zunichtemachen kann, verlässt er sein Versteck und schlüpft in letzter Sekunde ins Gebäude.

So schnell er kann und so vorsichtig wie möglich sucht er den Geräteraum auf, in dem seinerzeit sein Kollege und er, dem Rauchverbot zum Trotz, ihrem Verlangen nach einer Zigarette nachgegeben haben.

Wie versprochen findet er dort einen Satz weißer Kleidung, wie sie die Bediensteten des Krankenhauses üblicherweise tragen. Das gewünschte Namensschild liegt auf dem Wäschepaket. Flugs kleidet er sich um, als er einen Blick auf den Namen des Ansteckschildes wirft, denkt er verärgert, ›Wie Sonja? ist Kollega blöd? Ich bin doch keine Frau.

Schließlich versucht er, sich das Schild so anzuheften, dass der Vorname durch den Kragen verdeckt wird und hofft, dass diese Unstimmigkeit so nicht weiter auffällt.

Jetzt gilt es noch ein wenig geduldig abzuwarten, bis auch die Geschäftigkeit des Krankenhausbetriebes der späten Stunde wegen ein wenig mehr zur Ruhe kommt.

Als er die Zeit für gekommen hält, nimmt er auf dem Weg zu seinem Ziel so manchen Umweg in Kauf, je seltener er gesehen wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Mörder seiner Schwester in die Hölle schicken zu können.

Endlich erreicht er den Zugang zur Station, vorsichtig lugt er um die Ecke, um sich einen Überblick zu verschaffen. Alles ist ruhig, im hinteren Bereich sieht er einen uniformierten Polizisten auf dem Gang sitzen, so wie er es von hier sehen kann, scheint dieser sich lesend die Zeit zu vertreiben.

Ziemlich genau in der Mitte des Flures sieht er im Schwesternzimmer eine Krankenpflegerin in irgendwelchen Unterlagen blättern.

Während er noch krampfhaft überlegt, wie er die Krankenschwester unauffällig aus dem Weg bekommt, da läutet deren Telefon, nach kurzem Gespräch verlässt sie eilig die Station über die rückwärtige Tür.

Nun öffnet er die Tür und betritt die Station, der Polizist schaut auf und mustert ihn, also geht Adis zum Schein ins Schwesternzimmer, wuselt dort ein wenig herum, schnappt sich irgendeine Aktenmappe und geht geschäftig in Richtung des inzwischen wieder lesenden Polizisten. Genau auf dessen Höhe, fallen ihm wie durch Zufall einige Blätter aus der Aktenmappe zu Boden, der Beamte erahnt zwar noch, dass dieses Missgeschick eben kein Zufall ist, und will zur Waffe greifen, da wird er schon durch einen gezielten Schlag außer Gefecht gesetzt.

Damit ihn der auf dem Flur liegende bewusstlose Körper nicht verrät, wuchtet Adis diesen in die Besuchertoilette.

Nun ist sein Weg frei.

Noch einmal blickt er sich um, alles liegt in tiefster Ruhe. Vorsichtig öffnet er die Tür zum Krankenzimmer, in welchem sich Franco Kieselmaier befindet und schlüpft hinein. Erfreut stellt Adis fest, dass sein Opfer nicht an irgendwelche Geräte angeschlossen ist, denn er hat schon in vielen Krimis gesehen, dass dann der Tod des Patienten einen Alarm auslösen würde.

Obwohl Kieselmaier, wegen der jüngsten Ereignisse noch keinen Schlaf gefunden hat, schöpft er keinen Verdacht, als da mitten in der Nacht eine fremde Person sein Zimmer betritt. Wegen der Kleidung des Eintretenden und des Polizisten auf dem Flur geht er davon aus, dass es sich um den routinemäßigen Kontrollbesuch eines Krankenpflegers handelt.

Als er dann aber das Gesicht im Schein des Nachtlichtes erkennt, fährt seine Hand zur Notrufklingel, bevor er jedoch den Alarm auslösen kann, hat Adis ihm diese entrissen.

Mit hassverzerrtem Gesicht zieht ihm Jales Bruder das Kissen unter dem Kopf weg und drückt ihm dieses mit aller Kraft auf das Gesicht.

Franco tritt und schlägt in seiner Panik um sich, aber Adis ist ihm körperlich weit überlegen, die frisch genähte Stichwunde am Arm platzt wieder auf und tränkt das Bett mit Blut. Hilflos versucht Kieselmaier, noch Seymens Handgelenke zu greifen, um diese beiseite zu drücken.

Letztlich ist auch diese Gegenwehr vergeblich, die Kraft schwindet, seine Bewegungen werden langsamer, gehen in ein Zucken über und enden schließlich völlig.

Adis drückt das Kissen weiter auf das Gesicht, bis er sich völlig sicher ist, dass auch das letzte Lebenslichtlein in seinem Opfer für immer erloschen ist.

Schließlich lüftet er das Kissen vorsichtig und blickt in die schreckensweit geöffneten Augen von Franco Kieselmaier.

Das Kissen lässt er achtlos fallen. Wirft noch einen letzten verachtenden Blick auf die vor ihm liegende Leiche und verlässt das Krankenzimmer.

Gerade als er das Zimmer verlässt, stürmt der inzwischen wieder erwachte Polizist mit gezogener Waffe aus der Toilette, sieht Adis und brüllt, »Stehen bleiben, keine Bewegung.«

Adis denkt nicht daran, ihm diesen Gefallen zu tun und flieht in entgegengesetzter Richtung, dem Ausgang der Station entgegen.

Im Krankenhaus, insbesondere innerhalb einer voll besetzten Station, will der Polizist dann doch nicht von der Schusswaffe Gebrauch machen und rennt fluchend hinterher.

Die zwischenzeitlich ebenfalls zurückgekehrte Krankenschwester alarmiert den Sicherheitsdienst des Krankenhauses und rennt in Kieselmaiers Zimmer, um zu retten, was zu retten ist.

Inzwischen hat Adis die Treppen erreicht und hastet diese hinunter. Über sich hört er die Schritte des Polizisten, obwohl er deutlich jünger als sein Verfolger ist, vermag er diesen nicht abzuschütteln, im Gegenteil, meint er, dass ihm die Trittgeräusche des Beamten Stockwerk für Stockwerk näherkommen.

Im Erdgeschoss angekommen, brennen ihm die Lungen, trotzdem stürmt er auf die Außentüre zu, muss jedoch voller Panik erkennen, dass jemand vom Sicherheitsdienst des Krankenhauses vor der Tür Stellung bezogen hat, hektisch wendet er sich um, um einen anderweitigen Ausgang zu suchen, da verlässt der ihn verfolgende Polizist bereits das Treppenhaus. Adis ist in der Falle, resigniert hebt er die Hände, als der Beamte seine Waffe auf ihn richtet.

Die Flucht von Adis Seymen ist beendet.

18
Über die Telefonnummer in Kieselmaiers Handy hatte Winkleer sehr schnell die Wohnanschrift des Edwin Kuhnert herausgefunden. Gleichzeitig ermittelte Bruchheim über die Zulassungsstelle, dass auf eben diese Person tatsächlich ein kleiner Elektroflitzer zugelassen ist.

Die Ermittler konnten also davon ausgehen, herausgefunden zu haben, um wen es sich bei Kieselmaiers Kontaktperson zur ÖAF handelt.

Kurz wurde überlegt, ob man Kuhnert festnehmen oder zur Fahndung ausschreiben soll, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Observation vielleicht direkt zu Melissa führen könnte.

Der Versuch, die Zielperson über dessen Handy zu orten, schlug fehl, weil es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eingeschaltet war. Also organisierte man, bevor man Feierabend machte, noch die Überwachung seiner Wohnung.

An all dies muss Winkleer denken, als er im Treppenhaus die Stufen zu seiner Wohnung hinaufsteigt. ›Der Tag war ergiebig, wir sind einen satten Schritt weitergekommen.‹, denkt er zufrieden, während er den letzten Absatz erklimmt.

Vor seiner Wohnungstür, links neben der Fußmatte, steht ein Mikrowellengefäß, auf dem Deckel klebt ein signalgelber Post-it.

Guten Appetit

Sigrid


Ja, was ist das denn?‹, denkt Winkleer überrascht, während er seine Wohnung betritt.

Um sich in Ruhe der Gabe seiner Nachbarin widmen zu können, sorgt er zunächst dafür, dass Samsons Bedürfnisse befriedigt sind.

Um das ihm Angedachte zu begutachten, hebt er den Deckel an und denkt, ›Sieht gesund aus … Ob es auch so gesund schmeckt?

Da ihm nur der Selbstversuch Klarheit verschaffen kann, schiebt er die Portion in die Mikrowelle und deckt, in der Zeit bis zu deren Pling, den Tisch.

Den dampfenden Teller vor sich stehend, merkt er, dass allein der Duft ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Auch der Geschmack ist gegenüber der angedachten Tiefkühl-Lasagne ein echtes Plus. Rubbel die Katz hat er die Portion verschlungen.

Während er sich dem Abwasch widmet, überlegt er, wie er sich revanchieren kann, ein von ihm zubereitetes Mahl? Bei seiner Kochkunst würde das sich anbahnende gute nachbarschaftliche Verhältnis direkt auf eine harte Probe gestellt.

Hmm, vielleicht wäre Luigi und dessen ›beste Pizza der Stadt‹ eine Möglichkeit Auf der anderen Seite, nicht, dass die dann auf falsche Gedanken kommt. Kompliziert muss ich mal drüber nachdenken, auf jeden Fall erst mal bedanken.‹, geht es ihm beim Abtrocknen durch den Kopf.

Also greift er sich im Anschluss das Telefon, ruft seine Nachbarin an und bedankt sich höflich für das schmackhafte Mahl. Das weitere Gespräch verläuft von Höckschen nach Stöckchen und ehe er sich versieht, hat er dann doch eine Einladung zu Luigi und ›der besten Pizza der Stadt‹ ausgesprochen. Erfreut vernimmt er, dass Sigrid seine Einladung spontan annimmt. Schließlich verabschiedet man sich freundschaftlich.

Als er den Hörer zurück auf die Gabel legt, kann er sich gar nicht erklären, warum das Gespräch solch einen ungeplanten Verlauf genommen hat, stellt aber fest, dass ihm das Ergebnis absolut nicht unangenehm ist.

Zum Abschluss erinnert er sich daran, dass er seine gestrige Neuerwerbung noch gar nicht Ende gehört hat, also schaltet er den Plattenspieler ein und lässt sich mit seinem Kater Samson und einem Feierabendbierchen lauschend auf der Wohnzimmercouch nieder.

Nachdem die letzten Akkorde verklungen sind, beendet er den Tag und begibt sich zu Bett.


19
Früher Abend im Krisenzentrum des Wirtschaftsministeriums …​

Wieder hat sich das Krisenteam versammelt, gemeinsam hofft man gespannt darauf, heute zumindest einen Beweis für die Unversehrtheit von Melissa zu erhalten.

Die Techniker warten begierig darauf, dass die Entführer Kontakt aufnehmen, will man doch einen neuen Versuch unternehmen, die IP-Adresse ihres Gegenübers zu ermitteln.

Die Spannung im Raum ist fast schon mit den Händen greifbar, auf der großen Uhr bewegt sich der Sekundenzeiger träge.

Plötzlich erwacht Cursor auf dem großen Bildschirm zum Leben.

Garbo>Hier ist Garbo, ich spreche für die Ökologische Armee Fraktion, habe ich Ihre Aufmerksamkeit?

User>Ja Garbo, Sie haben unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

Garbo>Ich übermittele jetzt den von Ihnen geforderten Beweis für die Unversehrtheit unserer Geisel.

System>Receiving Data …

Garbo>Für die Meinungsfindung geben wir Ihnen bis Montag Zeit.

User>Wie können wir Sie kontaktieren?

Garbo>Negativ und Ende.

Auf dem Bildschirm ist nur noch das Bild der unglücklich dreinschauenden Melissa zu sehen, mit ihren Händen hält sie sich die Titelseite einer aktuellen Tageszeitung vor den Oberkörper.

Fragend richten sich die Blicke auf die Techniker, welche allerdings nur bedauernd mit dem Kopf schütteln.

Auch der zweite Versuch, die Adresse des Absenders herauszufinden, ist gescheitert.

20
Sieben Ebenen beherbergt das große Parkhaus am Flughafen, die beiden oberen Decks sind den Langzeitparkern vorbehalten.

Als Doris das Gebäude betritt, sticht ihr direkt ein Schild am Aufzug ins Auge.

Aufzug defekt!

Bitte Treppenhaus benutzen.


Was für ein Mist, erst bricht mir ein Nagel ab und jetzt sieben Etagen durchs Treppenhaus … mir bleibt wirklich nichts erspart.‹, geht es ihr aufstöhnend durch den Kopf.

Während sie notgedrungen Stufe für Stufe in dem engen Treppenhaus hinaufsteigt, fragt sie sich, ›Warum hat Saskia eigentlich ausgerechnet diesen Treffpunkt vorgeschlagen?

Als sie dann den nächsten Absatz erreicht, antwortet sie sich im Geiste, ›Na ja, vielleicht will sie einfach nur ihre Karre im Langzeitbereich abstellen, da dauert es sicherlich deutlich länger, bis ein herrenloses Fahrzeug auffällt.

Nickend setzt sie ihren Gedankengang fort, ›Das wird es sein, ganz schön raffiniert die Saskia.

Inzwischen hat sie sich in den sechsten Stock emporgekämpft, hier atmet sie einmal kurz durch und macht sich dann daran, auch das letzte Stückchen hinter sich zu bringen.

Als sie den letzten Absatz betritt, schaut sie sich zunächst einmal um, dort wo in den vorherigen Stockwerken der nächste Treppenaufgang zu suchen ist, steht hier, in einer von ihr aus, nur teilweise einsehbaren Nische, der Kassenautomat. Dem Gerät direkt gegenüber befindet sich die Durchgangstür zum Parkdeck.

Während Doris gerade diese Tür öffnet, tritt hinter ihr eine Person aus dem ihr verborgenen Teil der Nische hervor, und presst seinen Arm von hinten um ihren Hals.

»Wenn Du Zicken machst, zerquetsche ich dir den Kehlkopf.«, hört sie die Person hinter sich sagen. Vor Schreck entgleitet ihr die Reisetasche und fällt zu Boden.

Der Klang der Stimme und der üble Mundgeruch lassen sie spontan an Norbert denken. »Norbert, bist Du das? Was soll das? Willst Du etwa mit nach Paraguay?«, ruft sie aus.

»He, was für ‘n Guay … lächerlich … garantiert nicht … und jetzt, halt die Klappe, wir gehen langsam raus auf das Parkdeck. Und denk dran ein falsches Zucken und ich dreh dir die Luft ab.«, wird ihr geantwortet.

Nachdem sie sich ein paar Schritte von dem Treppenhaus entfernt haben, kann Doris sehen, dass sich hier höchstens zehn Fahrzeuge befinden. Aus einem linkerhand geparkten Wagen steigen zwei Personen aus.

Ihr bleibt fast das Herz stehen, als sie im Schein der aufflammenden Innenbeleuchtung ihre Freundin Saskia und Kuhnert erkennt.

Ihr erster Gedanke ist, dass sich auch Saskia in Kuhnerts Gewalt befände, als ihre beste Freundin dann allerdings aus ihrer rechten Jackentasche eine Pistole mit einem montierten Schalldämpfer hervorholt, da bricht für sie eine Welt zusammen.

»Saskia, was … was soll das? Wir wollten doch zu Deiner Schwester, was hast Du gemacht?«, fragt Doris verwirrt mit weinerlicher Stimme.

Ihre Freundin lächelt sie spöttisch an und sagt, »Doris, Doris … Was glaubst Du, was das soll? Nebenbei, ich bin Einzelkind. Ach ja, darf ich Dir meinen Verlobten vorstellen.«

Mit ihrer freien Hand zeigt sie auf Kuhnert.

»Ich … Ich … verstehe nicht … Seit … Seit wann?«, stottert Doris verstört.

»Schon kurz nachdem Eddi zu uns gestoßen ist. Tja Doris, leider bist Du nun quasi das fünfte Rad am Wagen.«, wird von ihrer Ex-Freundin geantwortet.

Du falsche Natter.‹, denkt Doris, sagt aber, während ihre freie Hand vorsichtig die Nagelfeile aus der Jackentasche zieht, mit der sie vorhin noch den abgebrochenen Nagel bearbeitet hat, »Aber … Aber … ich habe doch gesehen, wie Du die Flüge gebucht hast.«

»Mensch Du wirst peinlich, gebucht zwar, aber nie abgeschickt. Es wird Zeit für ein Arrivederci.«, gibt Saskia genervt von sich, während sie die Waffe langsam hebt.

Mit einer plötzlichen Bewegung rammt Doris die spitze Nagelfeile in Norberts Oberschenkel. Der heftige Schmerz führt dazu, dass Norbert unwillkürlich den Griff lockert, darauf hat Doris nur gewartet und lässt sich einfach nach unten wegsacken.

Saskia zieht den Abzug durch, da sich Doris jedoch bereits unterhalb der Schusslinie befindet, trifft die Kugel Norbert in die Brust.

Einen Moment blickt der Getroffene nur irritiert die Schützin an, dann öffnet er den Mund, so als wolle er einen milden Tadel aussprechen, etwas Blut schwappt zwischen Lippen heraus, schließlich verdreht er noch die Augen und bricht zusammen.

Während Saskia noch, ob ihres Fehlers, in einer Schockstarre verharrt, fasst sich Doris ein Herz und stürmt dem Treppenhaus entgegen.

Als sie die Tür aufreißt, verfehlt sie ein Schuss nur knapp und hinterlässt einen kleinen Krater im Beton. Bevor Saskia den Abzug erneut durchziehen kann, ist Doris bereits im Treppenhaus und somit außerhalb des Schussfeldes.

»Scheiße …«, ruft Edwin, »Die darf nicht entkommen, dann ist es aus. Du das Treppenhaus, ich fahre mit dem Wagen nach unten, dann kommt sie nicht mehr weg.«

Saskia nickt und stürmt Doris hinterher.

Mit quietschenden Reifen rast Kuhnert die Rampen des Parkhauses herunter und hofft, dass ihnen nicht zufällig irgendwelche anderen Passanten in die Quere kommen.

Gerade unten im Eingangsbereich kann das schnell passieren, da können wir jetzt aber keine Rücksicht drauf nehmen, eventuelle Zeugen müssen dann auch beseitigt werden.‹, denkt er wildentschlossen.

*​

Doris hastet die Treppenstufen hinunter, deutlich hört sie die Tritte ihrer Verfolgerin über ihr. Ihre Hoffnung, im Treppenhaus jemandem zu begegnen, der ihr Schutz gewähren könnte, erfüllt sich nicht, denn das Schild an der unteren Aufzugtüre hängt schon lange nicht mehr dort, das Treppenhaus nutzt also niemand.

Wenn ich es bis nach unten schaffe, habe ich eine ganz gute Chance.‹, denkt Doris, während sie den nächsten Absatz umrundet.

»Bleib doch stehen, das ist alles nur ein Missverständnis, wir sind doch Freundinnen.«, hört sie Saskia über sich rufen.

»Du kannst mich mal Du natterhafte Schlampe«, antwortet ihr Doris, inzwischen ziemlich atemlos.

Endlich erreicht sie das Erdgeschoss. Hoffnungsvoll reißt sie die Ausgangstüre auf und sieht voller Entsetzen, dass sich dahinter nicht ihre Rettung, sondern Kuhnert verbirgt, der sofort ein ähnliches Schussgerät wie ihre Freundin hervorholt.

Schnell schließt Doris wieder die Tür, von oben kommen Saskias Tritte immer näher.

Die Außentür öffnet sich, offenbar geht Kuhnert davon aus, dass Doris in ihrer Panik die Treppe wieder hinaufläuft, doch sie steht noch unten, und zwar direkt hinter der Tür.

Langsam öffnet er die Tür ein Stück und schiebt zunächst die Pistole durch den sich so ergebenen schmalen Spalt.

Vorsichtig erweitert er den Spalt, um sich dort dann hindurchzuschieben. Genau in dem Moment, als sich sein Kopf zwischen Tür und Rahmen befindet, wirft sich Doris mit voller Wucht von innen gegen das Türblatt.

Volltreffer, die zuschnellende Tür trifft Kuhnerts Kopf wie ein Hammerschlag, die Waffe entgleitet seiner Hand, benommen geht er zu Boden.

Mit einem triumphalen Lächeln bückt sich Doris und hebt die Pistole auf, noch bevor sie sich umblicken kann, um zu erkunden, wie weit ihre Verfolgerin inzwischen aufgeschlossen hat, da trifft ein von Saskia abgefeuertes Projektil ihren Hinterkopf, Doris ist tot, bevor sie zu Boden geht.

Kurz darauf öffnet Kuhnert die Tür und kommt leicht benommen hinein.

»Wie sieht es draußen aus?«, fragt Saskia ihren Verlobten.

»Wir haben Glück, momentan ist alles ruhig. Der Wagen steht direkt vor der Tür. Au Mann, was brummt mir der Schädel.«, wird ihr geantwortet.

»Stell Dich nicht so an Du Jammerlappen, mach den Kofferraum auf, die muss hier weg, bevor doch noch jemand kommt.«, sagt Saskia.

Kuhnert nickt mit leidendem Blick, geht hinaus, schaut sich nochmals um und öffnet den Kofferraum. Anschließend hievt er Doris mit Saskias Hilfe hinein.

»Gib mal Deine Jacke, ich muss da noch etwas Blut wegwischen.«, sagt Saskia.

»Muss das sein, die ist praktisch neu?«, entgegnet Edwin.

»Nee, natürlich nicht, wir können das auch die Putzfrau machen lassen, die sagt bestimmt nichts.«, wird ihm mit spöttischem Unterton geantwortet.

»Ist ja schon gut …«, murmelt Kuhnert, während die Jacke auszieht.

Gerade als Saskia wieder im Treppenhaus verschwunden ist, wird Edwin von hinten angesprochen, »Hallo Sie da, Sie können da nicht stehen bleiben.«

Kuhnert dreht sich um, erblickt einen Mann in uniformähnlicher Dienstkleidung und antwortet, »Ja, das ist schon klar, meine Frau meint nur etwas im Treppenhaus verloren zu haben und schaut eben mal nach. In einer Minute sind wir weg.«

»Aber wirklich nicht länger, der Eingangsbereich zum Treppenhaus muss frei bleiben, das ist ein Fluchtweg. Wenn die Karre da gleich noch steht, hole ich ‘nen Abschleppwagen. Sonst bekomme ich nämlich Ärger, nach meinem Rundgang muss alles in Ordnung sein.«, sagt der Wachmann.

»Kein Problem, ist praktisch schon erledigt, müssen Sie jetzt wirklich das ganze Parkhaus kontrollieren?«, fragt Edwin gespielt interessiert.

»Na klar, wer sonst? Also weg mit der Karre, es sind genügend Parkplätze frei«, wird barsch geantwortet.

Kaum hat sich der Wächter abgewandt, da öffnet Saskia die Tür und sagt, »Hab alles mitbekommen, wir müssen oben sein, bevor der über Norberts Leiche stolpert.«

Also fahren beide hoch zum siebten Parkdeck und stellen erleichtert fest, dass Norbert offensichtlich noch nicht entdeckt wurde. In einer gemeinschaftlichen Kraftanstrengung legen sie Norbert zu Doris in den Kofferraum.

»Ein schönes Paar«, sagt Saskia.

»Bei so vielen Gemeinsamkeiten werden sie bestens miteinander harmonisieren.«, steuert Kuhnert bei.

Saskia nickt und fragt, »Was sagen wir den anderen?«

»Die beiden wären von der Leitungsebene mit einer Sondermission betraut worden.«, antwortet Eddi, während er vorsichtig seinen Kopf betastet.

Abschließend wird der Wagen auf einen der hinteren Parkplätze abgestellt. Über Spuren, Fingerabdrücke und dergleichen machen sich die beiden keine Gedanken, wenn der Wagen sein Geheimnis preisgibt, dann werden sie schon lange nicht mehr im Land sein.

Gerade wollen sie den Ort des Geschehens verlassen, da sagt Saskia, »Moment mal, wäre schade drum …«

Zielstrebig geht sie in das Treppenhaus und greift sich Doris Reisetasche.

»Da wird ihr abgehobenes Geld drin sein, sollte für einen netten Abend reichen …«, verkündet Saskia spöttisch grinsend.

Fünfzehn Minuten später inspizierte der Wachmann das siebte Deck, ohne eine Besonderheit zu bemerken.

Zeit für ihn Feierabend zu machen.



>Fortsetzung folgt<
 



 
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