Klimadioten (4/4)

Elso Damrow

Mitglied
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Montag​

Direkt nach Dienstbeginn begeben sich Winkleer und Bruchheim zu Maardam ins Büro.

Erstmalig können sie von dem vermuteten Drahtzieher hinter Kuhnert berichten, ohne Winkleers Besuch, in dessen Wohnung offenbaren zu müssen.

»Sie meinen also, die gesamte Aktion hat überhaupt nichts mit Klimaschutzaktivismus zu tun?«, fragt Maardam überlegend.

»Doch, doch, bei der Gruppe schon. Ab Kuhnert aufwärts jedoch nicht. Wir gehen davon aus, dass unser Freund Edwin diese Klimaschützer sukzessive peu à peu durch immer schwerere Straftaten auf Kurs gebracht und schließlich übernommen hat.«, erklärt Bruchheim.

»Dazu passen dann auch die Aussagen unserer beiden Gefangenen.«, resümiert Maardam nickend und fährt fort, »Wenn das so stimmen sollte, dann haben wir es mit einer langfristigen, raffiniert ausgearbeiteten Strategie zu tun … Wer und was könnte dahinterstecken?«

»Bei dem ›Wer‹ tappen wir noch im Dunkeln, das ›Was‹ ist meist schlicht und einfach der schnöde Mammon.«, sagt Winkleer spröde.

»Gut, führen Sie die Ermittlungen in dieser Richtung weiter. Die Öffentlichkeitsfahndung nach Kuhnert habe ich bereits gestoppt. Ach so, bevor ich es vergesse … Ich habe meinem Bekannten im Innenministerium gebeten, Ihren Antrag auf ein neues Dienstfahrzeug mit Wohlwollen zu begleiten. Viel Erfolg …«, schließt Maardam das Gespräch ab.

Nachdem sich die Inspektoren mit einem Kaffee versorgt haben, sitzt man sich am Schreibtisch gegenüber, an seiner Tasse nippend, fährt Winkleer seinen Rechner hoch.

Während er mit verzogenem Gesicht darüber nachdenkt, ob diese koffeinhaltige Brühe vielleicht nur den Sinn und Zweck hat, künftige Pensionszahlungen zu schmälern, ist sein Computer so weit einsatzbereit, ihm die erste E-Mail anzeigen zu können.

Als er kurz den Inhalt überflogen hat, sagt er zu seiner Kollegin, »Hör mal, das ist für dich weitaus interessanter als für mich.«

»Ahh, Du willst mir mitteilen, dass meine Beförderungsstelle endlich bewilligt wurde, stimmts«, fragt die Inspektorin mit zuckersüßer Stimme.

»Nah dran, aber nur fast richtig. Ich kann dir als unserer Autoenthusiastin mitteilen, dass uns endlich ein neuer Dienstwagen zugeteilt wird.«, sagt Winkleer.

»Echt, ein neuer Wagen … Super … Was ist es denn für einer? Bestimmt so ein acht Zylinder PS-Bolide, wie ihn die Kollegen von der Autobahnpolizei haben … Natürlich in Zivil.«, fragt Bruchheim mit einem glitzern in den Augen.

»Nein, nicht ganz. Ein kleiner Tipp, die Mail kommt von der ›Projektgruppe Umwelt‹.«, konkretisiert er mit unschuldigem Gesichtsausdruck.

»›Projektgruppe Umwelt‹ … Das sind doch die mit dem Slogan ›Ihre Polizei – wir schützen Sie UND die Umwelt‹«, bemerkt die Polizistin überlegend, »Ahh ich weiß, wir bekommen einen dieser amerikanischen Langstreckenelektroflitzer, Allrad mit zwei Motoren und über 300 PS, das Dingen geht ab wie Schmidts-Katze.«

Das Glitzern in Bruchheims Augen ist inzwischen in ein ausgeprägtes Leuchten umgeschlagen. Winkleer wird etwas mulmig zumute, weiß er doch zu gut, wie man sich als Beifahrer fühlt, wenn Rhea das Gaspedal der Ölwanne näherbringt.

»Hmm … Ähhh … Du vergisst, die Richtlinie des Wirtschaftsministeriums, nach der vorrangig Produkte der heimischen Wirtschaft zu verwenden sind.«, versucht Winkleer vorsichtig seine Kollegin einzubremsen.

»Hier wird doch nur dieser ökologische Leistungslegastheniker mit einer Reichweite von gerade Mal zweihundert Kilometern gefertigt.«, sagt sie mit zusammengekniffenen Augen. »Willst Du mir wirklich sagen, man erdreistet sich, uns diesen überdachten Krankenrollstuhl zuzuweisen.«

»Ähh nun ja, doch, scheint so zu sein. Zumindest billigt man uns vier Türen und ein Navi zu.«, trägt der Chefinspektor diplomatisch vor.

Bruchheim schnaubt, »Und wann will man uns dieses leistungstechnische Armutszeugnis unterjubeln?«

»Schon im Laufe dieser Woche.«, antwortet Winkleer.

Während seine Kollegin still vor sich hin schmollt, wendet sich Lars der zweiten Mail zu.

In dieser teilt das Rechercheteam mit, dass das Gelände der Industriebrache, mit samt, den sich darauf befindlichen Gebäuden, vor rund einem Jahr den Besitzer gewechselt hat.

Laut Grundbuch ist das Ganze nun Eigentum der Wentho-Werke.

Gerade will er sich der nächsten Mail zuwenden, da stutzt er und sagt, »Rhea, wer war noch mal der Arbeitgeber von diesem Kuhnert?«

Seine Kollegin blickt auf und sagt, »Moment …«, suchend blättert sie in der Ermittlungsakte, schließlich tippt sie mit dem Finger auf eine Textstelle und ruft aus, »Der war Vorarbeiter bei den Wentho-Werken.«

Winkleer nickt, und sagt, »Und jetzt rate mal, wem die Industriebrache gehört, in der man Melissa gefangen hielt.«

Erstaunt blickt Bruchheim auf, »Den Wentho-Werken? Moment … Kuhnerts letzte Worte, der kann sehr gut ›Wentho‹ gesagt haben.«

»Dreimal Wentho, das ist kein Zufall mehr …«, bemerkt Winkleer.

»Vielleicht sollten wir noch einmal mit unserem Kollegen Jan Torben aus dem Wirtschaftsdezernat in Rickis Bar einen Kaffee trinken gehen.«, schlägt Rhea vor.

»Gute Idee, diesmal zahlt aber er, nach der Rassa-Sache ist der nämlich befördert worden.«, stimmt Lars zu.




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Obwohl die Öffentlichkeitsfahndung nach Kuhnert schon wieder eingestellt ist, stapeln sich in Haarmanns E-Mail-Postfach die Hinweise aus der Bevölkerung, darüber hinaus liegen noch die Akten von Saskia Atzke und diesem Ralf Säger auf seinem Schreibtisch.

Kurz überlegt er, ob man die ganzen Nachrichten nicht einfach beiseitelegen könne, schließlich hat sich die Fahndung ja erledigt, er kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass man zumindest den konkreten Meldungen Aufmerksamkeit würde schenken müssen.

Nachdem er alle Mails, welche offensichtlich falsch oder sehr unwahrscheinlich waren, aussortiert hatte, klärte sich das Bild deutlich. Als Nächstes verwirft er alles, was lediglich Bekanntes bestätigt, also zum Beispiel Hinweise auf den Wohnort oder den Arbeitsplatz der Zielperson.

Aus den verbleibenden Nachrichten sticht die eines Wachmannes heraus. Dieser will Kuhnert am Freitag im Parkhaus des Flughafens gesehen und angesprochen haben, weil der mit seinem Wagen im absoluten Halteverbot stand.

Zur Dokumentation hat er mit seinem Handy ein Foto gemacht und dieses Bild der Mail angefügt. Als Haarmann den Anhang öffnet, staunt er nicht schlecht, obwohl offensichtlich das Kennzeichen aufgenommen werden sollte, ist am rechten Bildrand ganz eindeutig Kuhnert zu erkennen.

Die Kennzeichenüberprüfung ist schnell erledigt und fördert zutage, dass es sich um einen gestohlenen Firmenwagen der Wentho-Werke handelt.

»Sieh mal einer an, was wollte der denn am Flughafen?«, murmelt Haarmann vor sich hin und greift zum Telefon, um den Absender der E-Mail zu kontaktieren.

Ungefähr fünfundvierzig Minuten und eine Fahrt zum Flughafen später, steht er dem Wachmann gegenüber, welcher sich als Jörg Ostmann vorstellt.

»Am Freitag war ich auf meinem üblichen Kontrollgang durch das Parkhaus unterwegs. Unten im Erdgeschoss hatte dieser Knilch seinen Wagen direkt vor der Treppenhaustür abgestellt. Das ist ein Fluchtweg, also absolutes Halteverbot.«, berichtet Ostmann.

»Warum haben Sie das fotografiert?«, fragt Haarmann nach.

»Ist doch logisch, wenn es Ärger gibt, dann hat natürlich keiner falsch geparkt, die behaupten dann ich hätte falsch geguckt. So etwas passiert mir nur einmal.«, erklärt Jörg.

»Verstehe, dieser Kuhnert ist dann aber direkt weggefahren?«, möchte es der junge Polizist genau wissen.

»Nee nee, seine Frau hätte angeblich was im Treppenhaus verloren, die wollte aber sofort zurückkommen. Ich habe dem dann gesagt, dass ich die Karre abschleppen lasse, wenn die da, nach meinem Rundgang noch immer stünde.«, antwortet der Wachmann.

»Als sie dann zurückkamen, war der Wagen aber weg, richtig?«, hakt Haarmann nach.

»Nee, das muss schon vorher passiert sein, ich habe den Wagen nämlich hinterher oben bei den Langzeitparkplätzen stehen sehen. War aber trotzdem komisch.«, sagte Ostmann.

»Komisch? Wieso komisch?«, fragt der Ermittler sofort nach.

»Das obere Deck war fast leer, trotzdem stand die Karre ganz hinten in der Ecke, warum sollte man das machen? Normalerweise stellten die Leute ihren Wagen möglichst in der Nähe der Tür ab. Übrigens steht der noch immer da.«, sagt Jörg.

»Das will ich sehen …«, verlangt Haarmann.

*​

Nachdem sich Haarmann überzeugt hatte, dass es sich wirklich um das gestohlene Fahrzeug handelt, ruft er die Spurensicherung hinzu.

Als diese sich dann, im Rahmen ihrer Tätigkeit, Zugang zum Wagen verschafft und den Kofferraumdeckel von innen entriegelt, bereut Haarmann, die Tatsache, dass er sich die Wartezeit mit einer Currywurst verkürzt hat. Der Anblick der beiden Leichen und der Geruch, den diese inzwischen verströmen, zwingen ihn mit einer deutlichen Blässe im Gesicht erst einmal den Blick abzuwenden.

Nachdem er kräftig durchgeatmet und geschluckt hat, reißt er sich zusammen und schaut sich erneut dieses makabre Ensemble im Kofferraum an.

Spontan geht er davon aus, zu wissen, welchen Spezialauftrag Doris Balmar und Norbert Lohmann haben.




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Als Oberinspektor Jan Torben vom Wirtschaftsdezernat Rickis Bar betritt, sitzen Bruchheim und Winkleer bereits an einem der hinteren Tische. Wie immer nach dem abteilungsinternen Dresscode gekleidet, wirkt es, als komme er direkt aus der Vorstandssitzung eines börsennotierten Großunternehmens. Anzug, Weste und Krawatte gehören in dieser Abteilung einfach zum guten Ton.

Winkleer ist klar, dass dies nicht Ausdruck eines elitären Standesdünkels ist, sondern man sich auch in diesem Dezernat auf seine Kundschaft einstellen muss. Mit ausgelatschten Schuhen und Flickenjeans würde man in deren Kreisen nicht ernst genommen.

Nach kurzer Begrüßung sagt Torben, »Habt ihr wieder so eine heiße Nummer für mich auf Lager wie die Rassa Sache.«

»Von deiner Warte aus betrachtet, wohl eher nicht.«, schränkt Winkleer direkt ein.

»Schade, das war schon eine Riesennummer und hat mich eine Sprosse auf der Karriereleiter nach oben gebracht, vielen Dank noch mal für die Vorlage.«, sagt Jan.

»Du zahlst heute den Kaffee und wir reden nicht mehr drüber.«, schlägt Bruchheim vor, während sie per Handzeichen drei Kaffee bestellt.

»Das ist ein Wort, also wie kann ich helfen?«, fragt der Anzugträger.

»Wir sind momentan mit der Entführung der Tochter der Wirtschaftsministerin befasst, in dem Zusammenhang tauchen die Wentho-Werke dem Namen nach immer mal wieder am Rande auf. Habt ihr da vielleicht Ermittlungen laufen, oder ist da ansonsten irgendetwas nicht koscher?«, fragt der Chefinspektor.

»Die Wentho-Werke? Die gehören Petros Wentho, das soll ein Visionär und begnadeter Ingenieur sein. Nein, gegen die ermitteln wir nicht. Nach dem, was man hört, wäre das dann auch fast schon Leichenfledderei.«, antwortet Torben.

Winkleer wartet, während der Kaffee serviert wird und fragt anschließend, »Was heißt hier Leichenfledderei, stehen die kurz vor einer Pleite?«

»Tja, das sind natürlich nur Gerüchte, auch bin ich nicht beim Finanzamt, kenne also deren Bilanzen nicht. Man munkelt aber, dass die vor der letzten Wahl auf das falsche Pferd gesetzt haben und jetzt nicht mehr absteigen können.«, erklärt Jan.

»Wie sollen wir das Verstehen?«, fragt Bruchheim skeptisch mit krausgezogener Stirn.

»Na ja, die Wentho-Werke sind ein inhabergeführtes Unternehmen, der Eigentümer hat wohl, allen Warnungen zum Trotz, vor der Wahl voll auf die Produktion von Windrädern, Sonnenkollektoren usw. gesetzt und Millionen in Produktionsanlagen investiert. Ihr kennt die Wahlergebnisse, man denkt jetzt pragmatisch und setzt auf Kernenergie.«, führt Torben aus.

»Das würde bedeuten, dass der heimische Markt für ihn mit einem Schlag fast völlig weggebrochen ist und er Millionen in den Sand gesetzt hat.«, resümiert Rhea.

»Wohl wahr, und im Exportgeschäft ist er nur einer von vielen, hier bei uns, soll die öffentliche Hand heimische Produkte bevorzugen, da er der einzige Hersteller ist, wäre das eine Lizenz zum Gelddrucken gewesen. So jedoch …«, stimmt Jan der Inspektorin zu.

Winkleer trinkt einen Schluck Kaffee und sagt dann, »Also fassen wir mal zusammen, da haben wir einen visionären Firmeninhaber, der sich mächtig verspekuliert hat und wahrscheinlich kurz vor der Pleite steht. Ein Wechsel in der Energiepolitik wäre seine letzte Chance. Korrekt?«

Torben nickt bestätigend.

»Wenn jetzt die Regierung ein Zehnmilliarden-Programm für regenerative Energien auflegen würde, könnte ihn dieser Umstand also retten?«, hakt der Chefinspektor nach.

»Davon ist auszugehen, als Unternehmen einer Zukunftsbranche ist er dann sofort wieder kreditwürdig und die Kuh wäre vom Eis.«, wird ihm vom wirtschaftsaffinen Kollegen zugestimmt.

»Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt …«, fragt Bruchheim skeptisch.

»Vielleicht passt aber alles wunderbar zusammen, oder hast Du eine bessere Idee?«, entgegnet Winkleer.

Bruchheim schüttelt nur nachdenklich den Kopf.




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Am Nachmittag geht Haarmann mit seinen Neuigkeiten hinüber in das Büro von Bruchheim und Winkleer.

Kurz berichtet er vom Wachmann, dem Parkhaus und den beiden Leichen im Kofferraum.

»Scheiße.«, beschreibt der Chefinspektor die Lage treffend.

»Gibt es schon eine Bestätigung, dass es sich bei den Toten wirklich um Balmar und Lohmann handelt?«, fragt Bruchheim.

»Die Balmar hatte ihren Reisepass in der Tasche, die ist also sicher. Vom Aussehen her, handelt es sich bei der anderen Leiche um Lohmann, zur Sicherheit vergleicht man gerade das Zahnschema, ich denke wir können aber davon ausgehen, dass er es ist.«

Winkleer nickt und fragt, »Hat die Spurensicherung schon etwas?«

»Tja, das ist ein Firmenwagen, da werden also jede Menge verschiedene Fingerabdrücke zu finden sein. Man hat sich zunächst auf Lenkrad, Schaltknüppel und Türgriffe beschränkt und wurde fündig …«, erklärt Haarmann triumphierend.

»Mensch mach es nicht spannend, was hat man gefunden?«, drängelt Bruchheim.

»Wie erwartet natürlich die Abdrücke von Kuhnert, auf der Beifahrerseite aber auch die von Saskia Atzke.«, lässt der junge Polizist die Katze aus dem Sack.

»Sieh mal einer an, das ist aber interessant. Ich habe doch direkt gesagt, dass die viel mehr Dreck am Stecken hat.«, ruft Rhea aus.

»Vorsicht, das beweist lediglich, dass sie in einem gestohlenen Auto gesessen hat und nicht, dass sie etwas mit den Leichen im Kofferraum zu tun hat. «, warnt Winkleer seine Kollegin.

»Stimmt, …«, sagt Haarmann, » … aber die Projektile, die die Gerichtsmedizin aus den Leichen gesichert hat, können eventuell ihrer Waffe zugeordnet werden, das Kaliber stimmt schon mal. Die Ballistik legt eine Nachtschicht ein, morgen früh bekommen wir den Bericht.«

»Sehr gute Arbeit, Haarmann. Atzke weiß nicht, dass die Ballistik noch nicht geliefert hat, setzen Sie diese Klimaamazone gehörig unter Druck, vielleicht bricht sie ja zusammen. Die hat garantiert auch damit etwas zu tun.«, ordnet der Chefinspektor an.

*​

Nachdem sich Haarmann verabschiedet hat, sagt Bruchheim, »Mal vorausgesetzt, dass unser visionärer Erfinder wirklich dahinterstecken sollte, dann sehe ich momentan keine Möglichkeit wie wir diesem Wentho auf die Pelle rücken können.«

»Du hast schon recht, mit normalen polizeilichen Mitteln werden wir dem nicht beikommen, alle Beweise enden bei Kuhnert und dem können wir kein Feuer mehr unter dem Hintern machen.«, stimmt ihr Winkleer zu.

»Das war es dann also … der Typ kommt davon?«, fragt Rhea resignierend.

»Ich redete von normalen polizeilichen Maßnahmen, mir spukt da so eine Idee im Kopf herum. Die Atzke hat doch angegeben, sie wäre die Verlobte vom Kuhnert gewesen, stimmts?«, will Lars wissen.

»Richtig, genau das hat sie ausgesagt«, wird ihm geantwortet.

»Turtelnde Liebespaare haben doch keine Geheimnisse voreinander … Was wäre, wenn …«, trägt der Chefinspektor seinen Gedankengang vor. Rhea ist schnell überzeugt, die nächste Stunde und diverse Tassen Kaffee später, wandelt sich das vage Vorhaben zu einem konkreten Plan.

Zum Abschluss begeben sich die Ermittler zu Maardam und tragen dieser vor, was sie ausgeheckt haben.

Zunächst ist die Abteilungsleiterin äußerst skeptisch, kennt sie Wentho doch als Stütze der Gesellschaft. Letztlich lässt sie sich dann aber doch überzeugen und beruft für den nächsten Tag eine Pressekonferenz ein.

*​

Der späte Nachmittag ist überraschend lau und angenehm, spontan beschließt Winkleer auf seinem endlich einmal pünktlichen Weg in den Feierabend, Sigrid zu fragen, ob sie mit ihm im Eiscafé an der Ecke noch ein Eis essen wolle.

Also fährt er kurz rechts ran und kramt sein Mobiltelefon hervor. Nur drei Minuten später hat er ein Date. Voller Vorfreude setzt er seinen Weg fort.

Als er dann im Lokal eintrifft, sieht er seine Nachbarin an einem, etwas seitlich gelegenen Tisch sitzen.

Während man jeweils einen Krokantbecher verspeist, berichtet Winkleer von der pittoresken Altstadt vom Krullstadt. Sigrid erzählt von einem, Jahre zurückliegenden Urlaub in, der Nähe eben dieses Ortes.

Zum Abschluss des angenehmen Beieinanderseins schlägt seine Nachbarin vor, eine Runde durch das nahe liegende Pärkchen zu unternehmen, damit sich die Kalorien des Eisbechers nicht ganz so gnadenlos auf den Hüften niederschlagen werden.

Ein Vorhaben, welches Lars nur unterstützen kann, also flaniert man über die Wege der nahe liegenden Grünanlage.

Nach einigen Metern hakt sich Sigrid bei ihm unter, Winkleer weiß nicht recht wie ihm geschieht, stellt jedoch fest, dass ihm dies sehr genehm ist.




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Dienstag​

Langsam, aber stetig hebt sich das Außentor der Fahrzeugschleuse des Zentralgefängnisses. Ein eventueller Beobachter dieses Schauspiels würde zunächst lediglich die Reifen, dann zusätzlich den Kühler und schließlich den vollständigen Rettungswagen mit seinem blinkenden Blaulicht erblicken.

Kaum hat sich das Tor weit genug angehoben, da braust das Fahrzeug auch schon mit zugeschalteter Sirene und hoher Geschwindigkeit den städtischen Krankenanstalten entgegen.

Nur Minuten später, wiederholt sich die Szene erneut, nur ist es diesmal nicht ein Rettungswagen, der davonbraust, sondern eine Minna, welche gemächlich aus der Schleuse rollt.

*​

Der große Saal des Präsidiums ist mit Reportern wohlgefüllt, selbst ein Kamerateam der Hauptnachrichtensendung hat ihre Gerätschaften im hinteren Teil des Raumes aufgebaut.

Noch ist das Pult im vorderen Bereich verwaist, dumpfes Gemurmel wabert beständig durch den Raum.

Schließlich öffnet sich eine Tür in der hinteren Wand und Maardam betritt mit ernster Miene den Saal. Nachdem sie hinter dem Pult steht, klopft dreimal vor das Mikrofon und beginnt zu sprechen.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Presse, lassen sie mich zunächst für ihr zahlreiches Erscheinen danken und sie im Namen der Polizei willkommen heißen.

Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass der Anlass zu dieser Veranstaltung aktuell nicht mehr gegeben ist. Wegen der kurzen Zeitspanne war es uns nicht mehr möglich, die Pressekonferenz abzusagen.

Wie Sie bereits wissen, konnte unlängst die entführte Tochter der Wirtschaftsministerin befreit werden. Bis gestern Abend war die Aufklärung dieses Verbrechens so weit gediehen, dass ich hoffen konnte, ihnen die Festnahme des Drahtziehers mitteilen zu können.

Die ebenfalls festgenommene Verlobte des Haupttäters wurde von ihrem Lebenspartner über die Hintergründe in Kenntnis gesetzt und wollte dieses Wissen heute Morgen mit den Ermittlungsbehörden teilen.

Unglücklicherweise hat Saskia A. in der Haftanstalt einen Unfall erlitten und ist momentan nicht aussagefähig. Es handelt sich ausdrücklich nicht um einen Anschlag, sondern zweifelsfrei um einen Unfall.

Als wichtige Zeugin befindet sie sich zurzeit unter Bewachung im städtischen Krankenhaus und kann frühestens morgen vernommen werden.

Ich bedauere es außerordentlich, sie vergeblich bemüht zu haben über einen Ersatztermin werden sie zu gegebener Zeit benachrichtigt.

Vielen Dank für ihr Verständnis.


Maardam wendet sich ab und verlässt den Saal. Die sofort einsetzende journalistische Kakofonie missachtet sie schnöde.

*​

Ernüchtert schaltet Petros Wentho das Fernsehgerät aus. Ging er noch vor der Nachrichtensendung fest davon aus, dass es keinen Beweis gäbe, der ihn mit der Aktion in Verbindung bringen würde, musste er nunmehr feststellen, dass dies wohl ein Irrglaube war.

Was muss sich dieser Idiot auch mit der blöden Schnepfe einlassen.‹, denkt er zornig.

Petros zwingt sich zur Ruhe, geht an die Hausbar und setzt sich mit einem Glas Whisky in seinen Lieblingssessel, obwohl alt und zerschlissen, steht das gute Stück, sehr zum Verdruss seiner Gattin, inmitten des ansonsten verschwenderisch ausgestatteten Wohnzimmers.

Viele seiner berühmten Geistesblitze hat er genau in diesem Sessel gehabt, so manche geniale Erfindung hat hier ihren Anfang genommen.

Den drohenden Konkurs seines Unternehmens im Hinterkopf, wenden sich seine Gedanken zunächst in Richtung Flucht, ausreichende Mittel hat er rechtzeitig beiseitegeschafft. Weiterhin findet der Gedanke sich auf diese Weise problemlos von seiner in die Jahre gekommenen Gattin trennen zu können, durchaus seinen Anklang. Allerdings befürchtet er, dass Kindesentführer auch in Ausland nicht wohl gelitten sind.

Nein, das ist keine sinnvolle Option.‹, verwirft er diesen Gedanken, während er das inzwischen leere Glas wieder auffüllt.

Viel besser wäre es doch, wenn diese Saskia erst gar nicht aussagt … Wie sagte die alte Schreckschraube von der Polizei doch noch, zurzeit ist die im Krankenhaus. Nach einem Unfall … Die wird also irgendwie verletzt sein, dann wird die sicherlich auch nicht so streng bewacht …‹, reifen seine Überlegungen heran.

Was solls, ich schaue mir das mal an, sollte es unmöglich sein, kann ich ja immer noch verschwinden.‹, schließt er seine Überlegungen zufrieden ab.

Aus seiner Schreibtischschublade kramt er den kurzläufigen Revolver hervor, weil der so gut in die Tasche seiner Jacke passt. Gerade will er die Wohnung verlassen, da stutzt er, geht zurück, um das Springmesser mit dem schicken Perlmuttgriff ebenfalls seiner Ausrüstung hinzuzufügen.

So ausstaffiert steigt er in sein Auto und fährt in Richtung des städtischen Klinikums. Da er dort zur Hauptbesuchszeit ankommt, muss er mehrere Runden drehen, bevor er einen Parkplatz ergattern kann.

Im Blumenladen vor dem Hauptgebäude kauft er irgendeinen bunten Strauß, das Geschäft nebenan versorgt ihn mit einer Schachtel Pralinen. Nun legt er sich noch einen besorgten Gesichtsausdruck zu und betritt das Krankenhaus.

Unten in der Halle geht im auf, dass er gar nicht weiß, wo diese Saskia untergebracht ist.

Na ja, die Proktologie wird es wohl nicht sein.‹, überlegt er und macht sich im Geiste eine Liste mit den infrage kommenden Stationen.

Anschließend durchstreift er das Gebäude, so als würde er einen seiner Lieben suchen. Im obersten Stockwerk wird er dann fündig. Während er den Flur entlang geht, öffnet sich vor ihm die Toilettentür, ein uniformierter Justizbediensteter kommt hervor und setzt sich auf einen im Flur bereitstehenden Stuhl. Gelangweilt blättert er in einem Hochglanzmagazin.

›Hier bin ich richtig. Die Wache muss ich loswerden, aber wie?‹, geht es ihm grübelnd durch den Kopf, während er an dem Beamten vorbeigeht.

Er als genialer Erfinder hat sich natürlich im Nu einen narrensicheren Plan zurechtgelegt.

Zunächst verlässt er die Station und ruft mit seinem Handy die Nummer des Krankenhauses an. Nachdem das Gespräch angenommen wurde, lässt sich mit der Station verbinden, auf der sich Saskia befindet. Es meldet sich die Stimme einer jungen Frau …

»Unfallstation …«

»Hallo, Wachleiter Müller vom Zentralgefängnis hier.«

»Ja bitte.«

»Spreche ich mit der Station, auf der sich einer unserer Beamten befindet?«

»Ja, da sind sie richtig.«

»Es tut mir leid, sie behelligen zu müssen, aber könnten sie bitte meinen Kollegen ans Telefon rufen. Es ist äußerst wichtig.«

»Moment …«





»Ja, mit wem spreche ich?«

»Hier spricht der Direktor, hören Sie genau zu, es gibt Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden Befreiungsversuch. Die Polizei übernimmt die Bewachung. Haben Sie das verstanden?«

»Ja, ich habe verstanden, ein bevorstehender Befreiungsversuch, Polizei übernimmt.«

»Sehr gut, Sie werden es noch weit bringen, beziehen Sie wieder ihren Posten, in Kürze geht ein Mann in Zivil mit Blumen und irgendeinem Konfekt an Ihnen vorbei. Er wird sich mit dem Codewort ›Wachablösung‹ ausweisen. Sie räumen dann die Stellung und beziehen vor den Aufzügen Position. Haben Sie auch das verstanden?«

»Ja, Zivilist mit Blumen und Konfekt, Codewort ›Wachablösung‹, vor den Aufzügen postieren.«

»Guter Mann, eine Belobigung ist Ihnen sicher.«

Ohh Mann was für ein Schwachkopf, das war ja fast schon zu einfach …‹, denkt er triumphierend, während er wieder die Station betritt, als er an dem Beamten vorbeigeht, raunt er ihm »Wachablösung« zu.

Der Mann steht auf und geht in Richtung der Aufzüge, als er die Abteilung verlassen hat und außer Sicht ist, schaut sich Petros noch einmal um und betritt dann das Krankenzimmer.




35
Das Zimmer liegt im Zwielicht, trotz des hellen Tages sind die Vorhänge zugezogen, alles ist ruhig.

Petros Wentho wartet einen kurzen Moment ab, um seinen Augen die Gelegenheit zu geben, sich auf die neuen Lichtverhältnisse einzustellen, langsam schärft sich sein Blick, immer mehr Einzelheiten treten aus dem Dämmerlicht hervor. Vor ihm steht ein Krankenbett, in diesem liegt regungslos mit bandagierten Kopf eine offensichtlich besinnungslose Person. Auf einem Schild am Fußteil meint er, den dämmrigen Verhältnissen zum Trotz, so eben noch, den Namen Saskia Atzke entziffern zu können. Seine letzten verbliebenen Zweifel lösen sich endgültig in Wohlgefallen auf. Hier ist er richtig.

Als er näher kommt, dringt ein leises gleichmäßiges Atemgeräusch an sein Ohr.

Seine Hand greift in die Tasche und zieht das Springmesser hervor, mit einem klackenden Geräusch fährt die Klinge blitzartig aus dem Perlmuttgriff hervor.

Langsam geht er, das Messer vor sich haltend, um das Bett herum. Er will seinem Opfer die Kehle durchschneiden. Nur so kann er sich sicher sein, dass der Tod lautlos ohne störende Schmerzensschreie eintritt.

Um das Messer zu führen, beugt er sich über das Bett, gerade will er ansetzen, da hört er die vermeidlich Bewusstlose sagen, »Eine falsche Bewegung und ich puste dir ein Loch in den Bauch.«

Gleichzeitig spürt er den festen Druck eines harten Gegenstandes auf seiner Bauchdecke, erschrocken verharrt Pertros mitten in der Bewegung.

Fast schon synchron betreten Winkleer aus dem angegliederten Bad und Haarmann in Justizuniform durch die Zimmertür den Raum. Beide halten ihre Waffen auf Wentho gerichtet.

»Das Messer langsam beiseitelegen, eine falsche Zuckung und das Loch im Bauch ist nicht die einzige neue Körperöffnung.«, sagt Winkleer drohend mit scharfer Stimme.

Petros öffnet die Hand und das Messer fällt hinab auf die Bettdecke. Vorsichtig richtet er sich auf, während er gleichzeitig die Arme hebt, um zu signalisieren, dass er sich ergibt.

»Alles klar, Rhea?«, fragt der Chefinspektor.

»Danke der Nachfrage, es ging mir selten besser.«, antwortet seine Kollegin.

Winkleer und Wentho stehen auf verschiedenen Seiten des Bettes, deshalb geht Haarmann langsam von seiner Position aus auf Petros zu, um diesen zu durchsuchen und zu fesseln.

Kurz bevor er sein Ziel erreicht hat, verpasst Wentho dem rollengelagerten Beistelltischchen solch einen kräftigen Tritt, dass dieses mit Karacho vor Haarmanns Beine schlägt und den Polizisten zu Fall bringt. Anschließend hechtet er mit einem langen Satz über das am Boden liegende Knäuel aus Tisch und Mensch. Winkleer zieht den Abzug durch, trifft aber lediglich das bereitstehende EKG-Gerät. Bruchheim will ihre Waffe heben, verheddert sich jedoch in der Bettdecke.

Inzwischen hat Wentho den keinem Revolver aus seiner Jackentasche hervorgeholt und gibt seinerseits einen ungezielten Schuss in Richtung des Chefinspektors ab. Fluchend wirft Winkleer sich zu Boden und versucht, unter dem Bett hindurch feuernd vergeblich die Beine des Flüchtenden zu treffen.

Petros erreicht den Flur und rennt hektisch in Richtung Treppenhaus davon. Rings um ihn herum bringen sich unbeteiligte Pflegekräfte und Patienten kreischend in umliegenden Zimmern in Sicherheit.

Inzwischen hat sich Bruchheim von der Bettdecke befreit und ist die erste die nachsetzt. Haarmann und Winkleer folgen knapp.

Der Verfolgte erreicht das Treppenhaus und will die Stufen nach unten stürzen, da sieht er einen ganzen Trupp, heftig miteinander diskutierender Ärzte die Treppe hinaufsteigen, von hinten hört er schon diese schreckliche Polizistin mit Kopfverband, Krankenhemd und Pistole etwas von ›stehen bleiben‹ rufen.

Spontan entscheidet er sich also für die Treppe nach oben, denn dort scheint die Strecke frei zu sein.

Nach einem Treppenabsatz steht er jedoch schon vor der verschlossenen Tür zum Flachdach des Krankenhauses, panisch rüttelt er an der Klinke, der Ausgang ist jedoch fest verriegelt.

Von unten hört er diese impertinente Polizistin brüllen, »Polizei, wo ist der Kerl hin?«

Angsterfüllt wird ihr vielstimmig geantwortet, »Nach oben, die Treppe hinauf.«

Seinen Revolver richtet er auf das vor ihm liegende Türschloss und drückt ab, bereits nach einem Schuss gelingt es ihm, die Tür zu öffnen und auf das Dach hinauszustürmen.

*​

Inzwischen haben Winkleer und Haarmann zu Bruchheim aufgeschlossen, gemeinsam steigen sie vorsichtig die Stufen zum Dachausgang empor.

Oben angekommen, sagt der Chefinspektor, »Haarmann, Sie sichern den Ausgang, nicht das der Knabe hier wieder herunterrennt während wir, den irgendwo hinten suchen. Und vor allen Dingen, Verstärkung rufen.«

Als Winkleer aus der Türöffnung herauslugt, muss er ernüchtert feststellen, dass sich die Dachfläche nicht wie erwartet flach und eben vor ihnen ausbreitet, sondern mit zahlreichen Lichtkuppeln, Aufbauten und anderen Treppenhausausgängen nur so gespickt ist. Hinter jedem dieser Hindernisse könnte Wentho im Hinterhalt lauern.

Gebückt läuft der Chefinspektor auf die erste Lichtkuppel zu, während Bruchheim ihm Rückendeckung gibt. Seine Kollegin schließt auf, erneut lassen sie den Blick vorsichtig über das Dach schweifen, gerade will Winkleer die nächste Deckung ansteuern, da zupft Rhea ihm am Ärmel und zeigt mit der anderen Hand auf den Rand des Daches. Deutlich sichtbar flattert ein Stück Soff im Wind. Die Farbe lässt Winkleer spontan an Wenthos Jacke denken.

Kurz überlegt er, an dieser Seite befindet sich ein Vorbau, welcher wahrscheinlich die Verwaltung beherbergt. Dieser Gebäudeteil ist nicht so hoch wie das eigentliche Bettenhaus.

Winkleer vermutet, dass man über eine Leiter auf das Dach des Vorbaus hinabsteigen kann.

Vorsichtig schleicht der Chefinspektor auf das flatternde Stück Stoff zu. Bruchheim hält die Augen auf und gibt Rückendeckung.

Als er die Stelle erreicht hat, beugt er sich leicht über den Rand, um zu erkunden, ob er mit seiner Vermutung richtig gelegen hat.

Geschätzte drei Meter unter ihm liegt das Dach des Vorbaus, von einer Leiter ist jedoch nichts zu sehen. Gerade als Winkleer realisiert, dass das Ganze eine Falle ist, in die er hineingetappt ist, da springt Wentho hinter einem Lichtschacht hervor und stößt ihn so kräftig in den Rücken, dass der Chefinspektor das Gleichgewicht verliert, kurz strauchelt, sich jedoch nicht halten kann und über den Rand des Daches hinausstürzt.

Bevor Bruchheim einen Treffer landen kann, ist Petros bereits wieder in Deckung gegangen.

Hämisch hört die Inspektorin, »Und da war sie plötzlich ganz allein.«

»Wentho geben Sie auf, Verstärkung ist unterwegs, sie haben keine Chance.«, ruft Bruchheim ihm zu.

»Ich bin Petros Wentho, mich bekommt ihr nie, ich bin unbesiegbar.«, schreit ihr Kontrahent schrill, offenkundig nicht zur Gänze Herr seiner Sinne.

»Waffe weg oder ich schieße«, hört die Inspektorin plötzlich Haarmann ausrufen.

Wentho kommt aus seiner Deckung hervor, macht eine elegante Drehung und richtet seinen Revolver auf den neu aufgetauchten Gegner, bevor er den Abzug betätigen kann, ziehen Bruchheim und Haarmann die ihren fast gleichzeitig durch. Von zwei Kugeln getroffen, entgleitet dem visionären Erfinder seine Waffe, nach zwei wankenden Schritten bricht er dann zusammen.

Während Haarmann die Waffe des Getroffenen sichert, rennt Bruchheim voller Sorge zu der Stelle, an der Winkleer in die Tiefe stürzte.

Voller böser Vorahnungen blickt sie über den Rand des Daches in die Tiefe. Ungefähr drei Meter unter ihr liegt Lars bewegungslos auf dem Dach des Anbaus.

»Lars, Mensch mach keinen Mist …«, ruft sie nach unten.

»Ich mach jetzt erst mal gar nichts, mir tun alle Knochen weh und ich glaube, mir ein Bein gebrochen zu haben. Habt ihr den Drecksack erwischt?«, wird ihr geantwortet.




36
Mittwoch​

Mit eingegipstem Bein und etlichen Prellungen liegt Winkleer nun im Krankenhaus, zwar gestaltete sich seine Bergung vom Dach etwas umständlich, dafür war der Krankentransport dann umso kürzer.

Schon am gestrigen Abend war ihr Team in allen Nachrichtensendungen vertreten gewesen, Sigrid hatte es sich nicht nehmen lassen, ihm, trotz vorgerückter Stunde, noch einen Kurzbesuch abzustatten und anzubieten, Samson zu versorgen. Ein Angebot, welches er gerne annahm.

Gerade wollte er seine Genesung durch das Abhalten eines Nickerchens fördern, da klopft es an der Tür. Seine Kollegen Bruchheim und Haarmann statten ihm einen Besuch ab.

Der junge Polizist berichtet stolz, dass Saskia Atzke inzwischen voll geständig sei, zunächst hätte sie noch versucht, die Morde an Lohmann und Balmar ihrem Verlobten in die Schuhe zu schieben. Nach dem Hinweis auf die Ballistik wäre sie jedoch zusammengebrochen und hätte unter Tränen zugegeben, dass sowohl Lohmann als auch ihre Freundin Doris durch ihre Hand ums Leben gekommen wären.

Zum Abschluss will Haarmann noch wissen, warum Winkleer einen leeren Krankenwagen mit großem Getöse aus dem Zentralgefängnis hat ausfahren lassen und wieso die Atzke für die Zeit im Polizeigewahrsam untergebracht worden sei.

»Eine Sicherheitsmaßnahme, wir wussten nicht, über welche Verbindungen Wentho verfügt. Der wäre sicherlich misstrauisch geworden, wenn er durch irgendwelche Mittelsmänner erfahren hätte, dass die angeblich verunfallte Saskia in Wirklichkeit quietschfidel im Zentralgefängnis sitzt oder sich niemand an einen Krankenwagen erinnern kann.«, erklärt Winkleer.

Haarmann nickt verstehend, Rhea öffnet schelmisch grinsend die mitgebrachte Tasche und zieht eine, zwar kunstvoll in Geschenkpapier eingeschlagene, aber dennoch eindeutig als eine solche erkennbare, Krücke hervor.

»Die Kollegen haben für Dich zusammengelegt, selbst Maardam hat sich beteiligt.«, sagt sie, während sie das Krankengeschenk überreicht.

Zum Abschluss wird noch ein wenig geklönt, und man gibt die eine oder andere vergnügliche Anekdote wieder. Schließlich verabschieden sich seine Kollegen, die Berichte müssten noch gefertigt werden, damit die Staatsanwaltschaft endlich Anklage erheben kann.

*​

Nachdem sein Besuch das Zimmer verlassen hat, unternimmt Winkleer den nächsten Versuch, ein kleines Schläfchen abzuhalten.

Kaum hat der Augen geschlossen, da klopft es erneut und Sigrid betritt das Krankenzimmer.

Schwer beladen mit Kuchenform und Isolierflasche, meint sie, dass er sicherlich einer Stärkung bedürfe, um wieder auf die Beine zu kommen.

Warum Schokoladenkuchen den Heilungsprozess bei einem Knochenbruch positiv beeinflusst, erschließt sich dem Chefinspektor spontan nicht. Was ihn jedoch nicht davon abhält, sich ein zweites Stück des köstlichen Gebäcks einzuverleiben.

Sigrid bedauert es außerordentlich, dass der Ausflug an den See im Naherholungsgebiet nun wohl leider nicht stattfinden kann, wo doch das Wetter am Wochenende so schön werden soll.

Winkleer schlägt vor, stattdessen, sobald es sein Gesundheitszustand zulässt, zusammen einen Kurzurlaub in der malerischen Altstadt von Krullstadt zu verbringen.

Wieder ist er hocherfreut, als Sigrid begeistert zustimmt.

>ENDE<
 



 
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