Kloster in der Nachbarschaft

3,80 Stern(e) 8 Bewertungen

Vera-Lena

Mitglied
Kloster in der Nachbarschaft
Eine Anekdote

Dort unten spricht die Klosterfrau
wortgenau
das Herzgebet
wie es auf dem Papiere steht.

Dich, Göttergleicher, bitte ich
flehentlich
um die Parabel:
Von Haar bis Fuß, dazwischen Nabel.

Dein Auge trinkt von meinem Mund.
Es bleibt kein Grund
für meine Bitte,
sie wird erhört von deiner Mitte.

Verräterisch dringt vom Balkon
ein seufzend Ton
ins Herzgebet.
Die Nonne ins Gemäuer geht.
 

rosste

Mitglied
Liebe Vera-Lena,
Der schöne Wunsch: "Von Haar bis Fuß, dazwischen Nabel." gefällt mir sehr gut.
Der ist reif, offen und modern sogar und steht nicht so in den dicken Gebetsbüchern.
"wie es nicht in der Bibel steht" finde ich daher passender als
"wie es auf dem Papiere steht."
Der Grund für die Bitte ist doch noch da, es gibt nur keinen Anlass mehr - sie wird erhöhrt.
Der letzte Vers zeigt sehr schön die Einsamkeit, Sehnsucht und Zwiespältigkeit der "Gottesdienerin".
seufzend soll es heiβen.
LG
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Stephan,

da hatte ich doch wieder einen Tippfehler drin. Na sowas! Danke:)

Das Herzgebet (ich bin nicht katholisch) habe ich aus dem Buch: " Aufrichtige Erzählungen eines Russischen Pilgers". Ich habe das Buch verschlungen.

Ich glaube nicht , dass der Text des Gebetes in der Bibel wörtlich steht. Wo er nun genau steht, weiß ich aber nicht.

Was die Nonne empfindet, zu interpretieren, steht jedem frei.

Ich habe absichtlich alles vermieden, was in die letzte Zeile eine Deutung hineinlegen könnte.

Wenn man das Ganze sehr großzügig betrachtet, so könnte man sagen, dass da zwei Formen der Verehrung nebeneinander berichtet werden.

Aber natürlich lässt sich auch eine Menge hinein interpretieren, das weiß ich schon auch.;)

Danke, dass Du wieder so sorgfältig gelesen hast und mir Deine Gedanken mitteilst. Grund und Anlass habe ich in diesem Falle gleich gesetzt. Der Grund ist natürlich ein immerwährender.

Ein wunderschönes Wochenende wünsche ich Dir.:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

San Martin

Mitglied
Gefällt mir gut, Vera-Lena. Die unterschiedliche Zeilenlänge verleiht dem Gedicht etwas von der eigenen und eigenwilligen Dynamik, die Brecht oder Rilke ihren Werken zu geben vermochten.

Nur diese Punkte stören mich: der Rhythmusbrecher "auf dem Papiere", das "seuzfend" und ganz besonders die Stellung des letzten "geht".

2 kleinere Vorschläge: Strophe 2 & 3 in Anführungszeichen setzen, und statt "Dein Auge trinkt schon meinen Mund" "Dein Auge trinkt von meinem Mund" - das würde vom Füllwort "schon" befreien.

Statt "auf dem Papiere" könnte ich mir "in den Büchern" vorstellen. "Seufzend" passt an der Stelle, wo es steht, inhaltlich hervorragend, weshalb ich keine adäquate Ersetzung anbieten kann.. "Seufzerton"? Zuallerletzt finde ich "Die Nonne ins Gemäuer geht" wegen der Satzstellung überarbeitungswürdig. "worauf sie ins Gemäuer geht" wäre eine schnelle Abhilfe, falls du dort etwas tun möchtest.

Martin
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Martin,

danke für Deine Anregungen! :)

"Auf dem Papiere" ist mir inhaltlich wichtig im Kontrast zu den beiden lebenden Personen auf dem Balkon. Nicht das ich sagen will, dass ein Gebet etwas "Papierenes" hätte, ganz im Gegenteil, wenn es gesprochen wird hat es eine große Kraft, aber eben nur dann.

Die Nonne verhilft diesem Text zum Leben, der für die meisten Menschen nur auf dem Papiere steht.

"Auf dem Papiere" verändert weder Rhythmus noch Silbenzahl, wenn ich das richtig sehe. Vielleicht überprüfst Du es noch einmal.

Dein Auge trinkt "von" meinem Mund, finde ich gut, weil das Auge ja die Bitte von den Lippen abliest. Das werde ich dankbar übernehmen.

Ein seufzen(der) Ton, solche Verkürzungen kann man in lyrischen Texten durchaus benutzen, denke ich.

Danke auch für Deine Überlegungen zur letzten Zeile.

Ich habe das extra so geschrieben. Warum die Nonne ins Gemäuer geht, diese Schlussfolgerung wollte ich unbedingt dem Leser überlassen.

Es gibt doch viele Gründe, warum sie gegangen sein könnte, es muss ja nicht wegen des Seufzens gewesen sein. Deswegen wollte ich die leicht ungewohnte Satzstellung gerne hinnehmen.

Danke für Deinen ausführliche Kommentar!

Dir noch einen schönen Abend. :)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

San Martin

Mitglied
Du hast recht mit der Silbenanzahl und dem Rhythmus bei "wie es auf dem Papiere steht". Die anderen 4. Zeilen sind auch jambisch. Ich habe es anders gelesen, weil ich in normaler, d.h. prosaischer Aussprache, das "wie" betont hätte statt des "es".
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Martin,

vielleicht erinnerst Du Dich, wir beide hatten schon einmal eine Unterhaltung unter einem meiner Texte wegen der Betonung. Auch hier ist es eigentlich wieder so, dass die ersten fünf Silben in der vierten Zeile der ersten Strophe gleichmässig betont werden können. Solche Dinge merkt man erst,wenn man den Text laut liest.

Danke für Deine nochmalige Rückmeldung!

Dir einen schönen Frühlingssonntag!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 



 
Oben Unten