...mein Name ist Legion;
denn wir sind viele.
Markus 5, 1-20
Tom, Will und Duck.
Mick, Bon und Brian.
Sie fuhren mit ihren Motorrädern durch die nächtliche Stadt, kamen aus ihrem Revier der Perros und wollten in den feiner gepinkelten Stadtteil der Zuhälter, dem Callgirlring.
Duck schliff einen Sarg hinter sich her. Funken stieben.
In ihrem Revier brach die Konkurrenz ein, jetzt schliffen sie die Quittung über den Asphalt. Die ganze Strecke bis hinter die Linien des Feindes.
Ihnen war klar, sie würden einen starken Gegner noch wütender machen, sobald sie den toten Luden in der Kiste hinter ihnen ablieferten.
Der Sarg schlingerte über die Strasse, schlug an den Bordstein und wurde zurück geworfen, doch das war egal, dem Toten würde das nicht mehr stören. Will hatte ihn abgeknallt, es war eigentlich seine Beute, doch Duck war dermaßen außer sich vor Freude über den erlegten Zuhälter, daß Will zugunsten seines jungen Kumpels darauf verzichtete, seine Trophäe selbst abzuschleppen. Der Ermordete konnte sich freuen, wenn er noch könnte, daß sie ihm die Eier nach seinem Einzug in Walhalla abschnitten.
Angelangt an ihr Ziel stellten sie den Sarg mitten in einem stillen Gewerbegebiet ab, dann öffnete Duck noch einmal mit Bon zusammen den Deckel.
> Du stopfst ihm jetzt seinen Schwanz ins Maul! <
> Ich faß sein Ding nicht an, Will! <
> Quatsch nicht. Du sollst dem Kerl ja keinen blasen. Er soll es selbst tun! <
Will, der älteste unter ihnen trat einen Schritt vor und stemmte die Hände in die Hüften. Er mochte es, daß ihr Neuzugang seit kurzem aufbegehrte. Der Junge war auf dem richtigen Weg. Aber noch war es nicht soweit, noch nicht, fand Will.
Duck gab dem Blick Wills nach und zog die Lederhandschuhe aus, nahm einen Putzlappen. Damit faßte er in den Sarg und holte das blutige Geschlechtsteil hervor. Mit der anderen Hand bog er dem toten Luden das Kinn herunter und steckte ihm das Glied zwischen die Zähne. Dann schlossen sie den Deckel, ein Zettel war obenauf befestigt: „Ruby Tuesday wilderte das letzte Mal in unserem Revier“ stand darauf zu lesen.
> Gut so <, sagte Will, > kommt, hauen wir ab und gehen einen drauf trinken. Wir sind schon viel zu lange in der Gegend. <
Es herrschte Krieg zwischen den Perros und dem Callgirlring der Stadt.
Die Auseinandersetzungen eskalierten und fanden ihren bisherigen Höhepunkt in dieser letzten Aktion.
Die Männer drehten auf, die Horde rollte über den Asphalt, vorbei an einer verrohrten Industriekulisse, dessen wie in der Luft hängenden Pipelines mit kaltem, blauem Licht angestrahlt wurde. Sie hatten den Befehl ihres Präsidenten erfolgreich ausgeführt, ihre und somit seine Ehre wieder hergestellt. Nun wollten sie den Erfolg feiern. Sie dachten jetzt nicht an Mord und das Will vor kurzem einen Menschen tötete. Im Moment genossen sie es, mit ihren Motorrädern durch die Nacht zu fahren, kein Gedanke an strafrechtlicher Verfolgung oder Vergeltung von der Seite ihres Gegners.
Vielmehr hatten sie sich heute vorgenommen, Duck, den jüngsten in der kleinen Abordnung der Hunde nach einem Jahr der Probe als vollwertiges Mitglied aufzunehmen.
Für diese Weihe fuhren sie einen bestimmten Ort an. Es war wildes Land, von allen vergessen, das Buschland schloß an seiner gegenüber liegenden Seite ihr Wohnviertel auf zwei Seiten ein, in dem sie alle aufgewachsen waren.
Sie fuhren einen schmalen Trampelpfad entlang, der zwischen Büschen und Dornhecken hindurch führte, dann parkten sie ihre Chopper. Die Motoren verstummten, zu Fuß gingen sie die letzten Meter, um an den gesuchten Ort zu gelangen.
Das Ritual der Aufnahme war festgelegt und erforderte bestimmte Tätigkeiten und Handlungen.
Tom holte eine nagelneue Jeansweste, die „Kutte“ aus einem mitgeführten Plastikbeutel. Die Weste aus grauen Jeansstoff war vorn an den Aufschlägen mit einigen Aufnähern verziert. Sie zeigten die üblichen Motive: Chopper, Totenköpfe und die Namen bekannter Motorradhersteller. Auf dem Rückenteil aber glänzten große silberne Adlerschwingen, deren gefiederte Rücken nachtblau schimmerten. Über den Schwingen aus dickem Stoff war der Name ihrer alten, ursprünglichen Gang eingestickt: Eagles.
So nannten sie sich, bevor sie sich dem mächtigen Clan der Hunde – den Perros anschlossen.
Will nahm Tom die Kutte aus der Hand, > die riecht viel zu neu, findet ihr nicht? < Will sprach zu der Gang, alle nickten zustimmend außer Duke. Er stand mit Tom etwas abseits und wartete die Dinge ab, die da kommen sollten.
Als nächstes warf Will die Weste in den Dreck, eine Handvoll Regen hatte den Untergrund zuvor aufgeweicht. Das Kleidungsstück verfärbte sich dunkel, Pflanzenreste blieben daran hängen und auch der Kot eines wilden Tieres. Danach beschlossen sie, die Kutte reinzuwaschen, in dem sie sich im Kreis aufstellten, die Hosenschlitze öffneten, um auf die am Boden liegende Weste in ihrer Mitte zu pissen. Endlich konnte Duck das Symbol der Zugehörigkeit aufnehmen und in einem Tümpel in der Nähe einweichen. Bei den anderen kreisten Bierdosen und Dope, die Weihe war gelungen.
Tom hatte nach dem ersten Bier von der Feier genug. Er wandte sich von den anderen ab und ging zurück zu seiner Maschine. In seinem Kopf kreisten Gedanken, die er allein und ungestört abklären wollte. Mit einem Tuch und etwas Chrompolitur bearbeitete er trotz des spärlichen Lichts der ersten Dämmerung Felgen und Speichen seiner Knucklehead. Der Mord an den Luden würde nicht ohne Folgen bleiben, das war ihm bewußt. Reaktion, Gegenreaktion. Jedesmal härter auf beiden Seiten.
Ruff, ihr Präsident bot ihnen Geld, viel Geld, wenn seine besten Leute halfen, die Brutalität zu schüren. Tom zweifelte schon längere Zeit daran, ob das noch mit ihren damals gefaßten Grundsätzen über ein möglichst freies Leben zusammenpaßte. Was sie taten, besaß nichts mehr von der Freeway – Rider Romantik einer großen, breiten Strasse, die mitten in den Sonnenaufgang führte. Das war es doch gewesen, was sie immer wollten: den endlos langen Highway Richtung Süden nehmen, raus aus dem Muff ihres sozial schwachen Abbruchviertels und den Rest der Welt zeigen – es gibt uns!
Tom fand, bevor ihr Stern richtig aufging, ging er auch schon wieder unter und der letzte Rest seines kümmerlichen, sterbenden Lichts leuchtete direkt in das Auge Satans, der persönlich am Tor seines dunklen Reiches wartete, um für sie die Höllenpforte aufzustoßen.
Bei seiner Beschäftigung schweiften seine Gedanken ab in die Vergangenheit. Ein Stück weit bis zu seiner Jugend in ihrem Viertel.
> Asoziales Pack! < Das schrieen sie ihnen hinterher.
Die Jungs wuchsen gemeinsam auf. Das Teehüttenviertel war ihre Heimat.
Asoziales Pack und die ganze Liste anderer Beschimpfungen von der Schule an bis zu dem Tag, an dem sie ihren Club gründeten, die Kutte mit dem Emblem des Adlers anzogen und in der Rotte auf den ersten günstig erworbenen Maschinen auf Tour gingen.
Für ihre Motorräder und deren Unterhalt arbeiteten sie. Überall, am Bau, im Hafen als Tagelöhner.
Die vier beeindruckten die anderen Jungs im Viertel mit den röhrenden Sound und dem Chrom ihrer Maschinen, den Westen mit den vielen Patches und den Adlerschwingen auf dem Rücken. Und sie hingen in ihren Clubs und Kneipen ab, spielten Billard, richteten Kicker- und Flipperturniere aus, lernten Gleichgesinnte kennen.
Sie waren gemeinsam stark und in der Gemeinschaft konnten sie ihre Probleme besser bewältigen. Und es war cool, zu Thin Lizzy’s Song „The Boys are back in Town“ die Maschinen zu starten und der Welt außerhalb ihres Reviers in einer starken Clique zu begegnen; die für sie eine allgemeine Bezeichnung hatte: Rocker!
Tom bemerkte nicht, das Will gekommen war und ihn beobachtete.
> Wenn dir was nicht paßt, dann sag es! < Wills Schatten fiel auf ihn, Tom hockte immer noch vor seiner Maschine und polierte hastig und mit energischen Bewegungen den Chrom. Er warf den Lappen neben den Vorderreifen und stand auf. Er sah Will fest in die Augen und sagte, > Duck’s Weihe ist eine Lüge! <
Will, sein Begleiter seit ihrer Kindheit nahm einen letzten Schluck aus seiner mitgebrachten Dose, zerknüllte das Blech und warf sie achtlos zur Seite.
> Das ganze Leben ist eine Lüge, wir werden belogen von dem Irren da oben, der unsere Story schreibt, also, was willst du? < Will wurde bei jedem Wort seines Satzes lauter, die Männer bekamen das von ihrem Platz aus mit und gingen zu den beiden Streitenden.
> Ich bin nicht ein Outlaw geworden, um nun der lange Arm eines alten, gewaltgeilen Diktators zu werden und für seine Geschäfte auch noch meinen Kopf hinhalten zu müssen. <
Tom hatte gesprochen und sah einen nach dem anderen aus der Gruppe an.
> Tom... , Tom <, Will hob beschwichtigend beide Hände, > wir werden unseren Clan nicht verraten. Wir werden zu ihm halten < Toms Augen weiteten sich, dann tippte er Will hart mit dem Finger auf’s Revers.
> Ich will dir mal was sagen Will. Der Clan hat uns verraten! Als wir die ersten Mädchen auf den Strich schickten und begannen, Kindern Drogen auf Schulhöfen zu verkaufen, an dem Tag spuckten wir unser Wappen mitten ins edle Antlitz. An dem Tag, als wir das erste Geschäft für irgendeinen Gangsterperron abkassierten und arme Teufel von Ladenbesitzern zusammen schlugen, an dem Tag faltete unser Adler gedemütigt seine Flügel zusammen und verschwand in irgendeinem verstaubten Schrank! <
Blitzschnell schlug Will zu. Unter anderen Umständen hätte er es nie gewagt, Tom zu schlagen. Tom war kleiner als er, aber dafür drahtig und immer noch kräftig. Will wußte, was sein Kumpel aushalten konnte und das war eine Menge. Von der Wucht des Uppercuts getroffen stürzte Tom zu Boden. Aber er war nicht benommen, auf den Steinen sitzend zeigte er von unten mit dem Finger auf Will. > Wo ist dein Adler Will, wo hast du ihn versteckt. Na komm, sag schon oder schämst du dich etwa? <
Tom hatte einen Stein in den See geworfen, in dem Will lange schon eine Menge unterdrückte. Gedanken, die unter dunklem Wasser schwelten. Aber an der Oberfläche begann es jetzt zu brodeln. Er wollte es nicht zeigen, wollte erneut auf Tom losgehen. > Jetzt ist es genug <, der hünenhafte Brian stellte sich zwischen die beiden Kontrahenten.
Will stoppte in der Bewegung, für die anderen sah es erst aus, als wolle er etwas sagen. Doch dann schnaubte er nur, drehte sich um und ging.
Während Stille innerhalb der Gruppe einkehrte, sahen sie sich nur an. Bon half Tom auf die Beine, der volle Mond sendete letztes, blasses Licht zwischen den Bäumen auf die Ledernacken und ein Betrachter hätte die Szene als idyllisch einstufen können. Will war zu seinem abseits ruhenden Motorrad gegangen und nestelte irgendwas aus einer der Packtaschen hervor. Sie sahen es von weiten und warteten gespannt ab, als er langsam zu ihnen zurück kam.
Es war etwas unförmiges in Mattschwarz. > Du hast sie die ganze Zeit mitgeführt? < Brian fragte. > Ja! < Will faltete die reichlich zerknitterte Jacke auseinander und drehte sie so, das alle das Wappen sehen konnten, den Adler mit seinen gelb leuchtenden Augen und den weit ausgebreiteten Flügeln. Ihr Wappen.
> Na, was meint ihr. Für die Freiheit? <
> Für die Freiheit <, kam es im Chor zurück.
Tom kam einen Schritt auf ihn zu, > laß mich es machen. Ich will sie dir anziehen! < Bereitwillig gab ihm Will die Lederjacke. Tom legte sie ihm über den Nacken herum, ergriff erst den einen Arm, dann den anderen und streifte Will die Jacke über. Das eingenähte Wappen lag jetzt straff über Will’s Rücken und die Flügel des Adlers breiteten sich aus von Schulter zu Schulter.
Die Männer lachten, > so gefällst du uns schon viel besser! <
> He, Will! <
> Hmm? < Will drehte sich zu Tom herum. Er sah die Faust kommen, aber zu spät. Mit einer schnellen Drehung um sich selbst ging er in den Staub.
> Jetzt sind wir quitt! < Als Gefühle in Will’s Kinnlade zurückkehrten, lachte er mit den Männern mit.
Toms linke Faust hatte getroffen, auf dessen Fingerknöcheln das Wort L – O – V – E tätowiert war, auf jeden Knöchel ein Buchstabe. Auf der rechten Faust aber stand das Wort H – A – T – E.
> Zugriff! <
Die Stimme kam mechanisch und verrauscht aus dem Funkgerät.
Die Polizisten der Sondereinheit entsicherten fast gleichzeitig ihre Maschinenpistolen und schritten vor. Sie waren in Tarnoveralls gekleidet, dazu Schutzweste, Helm mit Helmvisier.
Ruff’s Zugeständnis an seine Männer war ein Clubhaus am Rande der Stadt.
Die Polizei griff am Morgen nach dem Leichenfund zu, sie wollten die Perros im Schlaf überraschen, die gerade eine harte Fete hinter sich gebracht hatten.
Aus Sicherheitsgründen parkte die Gang ihre Motorräder hinter dem Gebäude. Das Feld vor den Polizisten war also frei.
Das Haus war rundum von bewaffneten Polizeikräften gesichert. Sechs Mann stürmten die Tür und schwangen einen Rammbock, beim dritten Stoss gab das stabile Holz nach. Der Rammbock wurde fallen gelassen, die sechs Mann sprangen zur Seite und suchten Deckung an der Hauswand. Ein Stosstrupp von jeweils zwei Mann stürmten das Innere des Clubhauses, links und rechts sprangen sie hinter die Türöffnung und hielten ihre vollautomatischen Waffen im Anschlag, zielten auf die gerade erwachenden Menschen.
Ohne Wachposten hatten die Perros nicht den Hauch einer Chance, bevor sie richtig wach waren, klickten bereits die Handschellen. Als die Handschellen ausgingen, benutzte die Polizei Stripes.
> Gefesselt und entwaffnet, zum Abtransport bereit <, wurde dem Einsatzleiter gemeldet.
Ein großer, hagerer Mann mittleren Alters fuhr eine schwarze Limousine in eine Tiefgarage, die unter einer modernen Villa lag. Bevor er ausstieg, löste er die Verkleidung der Fahrertür und nahm ein Gewehr aus seiner Verankerung. Dabei achtete der Mann darauf, nicht einen seiner wohl gerundeten und gefeilten Fingernägel zu ruinieren. Mit der Waffe in der Hand mühte er sich redlich ab, die Kellertreppe hinauf zu gehen, die direkt in einen parkähnlichen Garten führte. Langsam ging er einen schmalen, plattierten Gang entlang, der an beiden Seiten von Rosenbüschen flankiert war. Bei jedem Schritt zog er sein rechtes Bein nach. Der Hinkende wechselte die Waffe von der einen in die andere Hand, um vorsichtig mit den Fingern der freien Hand eine große, burgunderrote Blüte zu unterfassen. Er roch andächtig daran. Einige Pollen setzten sich vom lauen Wind getrieben auf seinen dunkelblauen Anzug, er nahm die Schirmmütze ab und wischte sie vorsichtig damit fort.
Weiter ging sein mühevoller Weg durch eine Hintertür in eine Garage. Innen näherte er sich einem Ziel. Unter einem weißen Tuch war nur ein Stück eines metallenen Rohres zu sehen, dessen Ende förmlich in einem dickwolligen, roten Teppich steckte.
Die dünnen Lippen des Mannes verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, als er das Tuch beiseite zog. Darunter stand sie dann: eine extrem gepflegte, chromblinkende Rennmaschine, eine Braker.
Er streichelte liebevoll über eines der verchromten Endrohre, die bis hoch zur Sitzbank reichten. Für ihn war die Maschine etwas ganz besonderes, verlieh sie ihm doch die Mobilität, die ihm zu Fuß seit Jahren fehlte. Saß er einmal auf diesem Motorrad und gab Gas, bemerkte niemand mehr sein Handicap.
Der hagere Mann schloß den Tankrucksack auf, schraubte den Lauf vom übrigen Teil des mitgeführten Gewehrs, legte beides in einem Tuch gewickelt in den Sack zu der bereits verpackten Munition und einer Skorpion.
Er zog seinen dunklen Dienstanzug umständlich aus, holte statt dessen eine sauber verpackte Lederkombination aus einem Spind hervor. Seine Gedanken gingen dabei zu den letzten Stunden und wieder in die Zukunft.
Der Hinkende zog seinen dunklen Anzug umständlich aus, faltete ihn und verstaute ihn in dem Schrank. Zuletzt setzte er den Helm auf und beschloß, ein Fast Food anzufahren und bei einer Tasse Cappuccino noch einmal im Geiste seinen Plan durchzugehen.
denn wir sind viele.
Markus 5, 1-20
Tom, Will und Duck.
Mick, Bon und Brian.
Sie fuhren mit ihren Motorrädern durch die nächtliche Stadt, kamen aus ihrem Revier der Perros und wollten in den feiner gepinkelten Stadtteil der Zuhälter, dem Callgirlring.
Duck schliff einen Sarg hinter sich her. Funken stieben.
In ihrem Revier brach die Konkurrenz ein, jetzt schliffen sie die Quittung über den Asphalt. Die ganze Strecke bis hinter die Linien des Feindes.
Ihnen war klar, sie würden einen starken Gegner noch wütender machen, sobald sie den toten Luden in der Kiste hinter ihnen ablieferten.
Der Sarg schlingerte über die Strasse, schlug an den Bordstein und wurde zurück geworfen, doch das war egal, dem Toten würde das nicht mehr stören. Will hatte ihn abgeknallt, es war eigentlich seine Beute, doch Duck war dermaßen außer sich vor Freude über den erlegten Zuhälter, daß Will zugunsten seines jungen Kumpels darauf verzichtete, seine Trophäe selbst abzuschleppen. Der Ermordete konnte sich freuen, wenn er noch könnte, daß sie ihm die Eier nach seinem Einzug in Walhalla abschnitten.
Angelangt an ihr Ziel stellten sie den Sarg mitten in einem stillen Gewerbegebiet ab, dann öffnete Duck noch einmal mit Bon zusammen den Deckel.
> Du stopfst ihm jetzt seinen Schwanz ins Maul! <
> Ich faß sein Ding nicht an, Will! <
> Quatsch nicht. Du sollst dem Kerl ja keinen blasen. Er soll es selbst tun! <
Will, der älteste unter ihnen trat einen Schritt vor und stemmte die Hände in die Hüften. Er mochte es, daß ihr Neuzugang seit kurzem aufbegehrte. Der Junge war auf dem richtigen Weg. Aber noch war es nicht soweit, noch nicht, fand Will.
Duck gab dem Blick Wills nach und zog die Lederhandschuhe aus, nahm einen Putzlappen. Damit faßte er in den Sarg und holte das blutige Geschlechtsteil hervor. Mit der anderen Hand bog er dem toten Luden das Kinn herunter und steckte ihm das Glied zwischen die Zähne. Dann schlossen sie den Deckel, ein Zettel war obenauf befestigt: „Ruby Tuesday wilderte das letzte Mal in unserem Revier“ stand darauf zu lesen.
> Gut so <, sagte Will, > kommt, hauen wir ab und gehen einen drauf trinken. Wir sind schon viel zu lange in der Gegend. <
Es herrschte Krieg zwischen den Perros und dem Callgirlring der Stadt.
Die Auseinandersetzungen eskalierten und fanden ihren bisherigen Höhepunkt in dieser letzten Aktion.
Die Männer drehten auf, die Horde rollte über den Asphalt, vorbei an einer verrohrten Industriekulisse, dessen wie in der Luft hängenden Pipelines mit kaltem, blauem Licht angestrahlt wurde. Sie hatten den Befehl ihres Präsidenten erfolgreich ausgeführt, ihre und somit seine Ehre wieder hergestellt. Nun wollten sie den Erfolg feiern. Sie dachten jetzt nicht an Mord und das Will vor kurzem einen Menschen tötete. Im Moment genossen sie es, mit ihren Motorrädern durch die Nacht zu fahren, kein Gedanke an strafrechtlicher Verfolgung oder Vergeltung von der Seite ihres Gegners.
Vielmehr hatten sie sich heute vorgenommen, Duck, den jüngsten in der kleinen Abordnung der Hunde nach einem Jahr der Probe als vollwertiges Mitglied aufzunehmen.
Für diese Weihe fuhren sie einen bestimmten Ort an. Es war wildes Land, von allen vergessen, das Buschland schloß an seiner gegenüber liegenden Seite ihr Wohnviertel auf zwei Seiten ein, in dem sie alle aufgewachsen waren.
Sie fuhren einen schmalen Trampelpfad entlang, der zwischen Büschen und Dornhecken hindurch führte, dann parkten sie ihre Chopper. Die Motoren verstummten, zu Fuß gingen sie die letzten Meter, um an den gesuchten Ort zu gelangen.
Das Ritual der Aufnahme war festgelegt und erforderte bestimmte Tätigkeiten und Handlungen.
Tom holte eine nagelneue Jeansweste, die „Kutte“ aus einem mitgeführten Plastikbeutel. Die Weste aus grauen Jeansstoff war vorn an den Aufschlägen mit einigen Aufnähern verziert. Sie zeigten die üblichen Motive: Chopper, Totenköpfe und die Namen bekannter Motorradhersteller. Auf dem Rückenteil aber glänzten große silberne Adlerschwingen, deren gefiederte Rücken nachtblau schimmerten. Über den Schwingen aus dickem Stoff war der Name ihrer alten, ursprünglichen Gang eingestickt: Eagles.
So nannten sie sich, bevor sie sich dem mächtigen Clan der Hunde – den Perros anschlossen.
Will nahm Tom die Kutte aus der Hand, > die riecht viel zu neu, findet ihr nicht? < Will sprach zu der Gang, alle nickten zustimmend außer Duke. Er stand mit Tom etwas abseits und wartete die Dinge ab, die da kommen sollten.
Als nächstes warf Will die Weste in den Dreck, eine Handvoll Regen hatte den Untergrund zuvor aufgeweicht. Das Kleidungsstück verfärbte sich dunkel, Pflanzenreste blieben daran hängen und auch der Kot eines wilden Tieres. Danach beschlossen sie, die Kutte reinzuwaschen, in dem sie sich im Kreis aufstellten, die Hosenschlitze öffneten, um auf die am Boden liegende Weste in ihrer Mitte zu pissen. Endlich konnte Duck das Symbol der Zugehörigkeit aufnehmen und in einem Tümpel in der Nähe einweichen. Bei den anderen kreisten Bierdosen und Dope, die Weihe war gelungen.
Tom hatte nach dem ersten Bier von der Feier genug. Er wandte sich von den anderen ab und ging zurück zu seiner Maschine. In seinem Kopf kreisten Gedanken, die er allein und ungestört abklären wollte. Mit einem Tuch und etwas Chrompolitur bearbeitete er trotz des spärlichen Lichts der ersten Dämmerung Felgen und Speichen seiner Knucklehead. Der Mord an den Luden würde nicht ohne Folgen bleiben, das war ihm bewußt. Reaktion, Gegenreaktion. Jedesmal härter auf beiden Seiten.
Ruff, ihr Präsident bot ihnen Geld, viel Geld, wenn seine besten Leute halfen, die Brutalität zu schüren. Tom zweifelte schon längere Zeit daran, ob das noch mit ihren damals gefaßten Grundsätzen über ein möglichst freies Leben zusammenpaßte. Was sie taten, besaß nichts mehr von der Freeway – Rider Romantik einer großen, breiten Strasse, die mitten in den Sonnenaufgang führte. Das war es doch gewesen, was sie immer wollten: den endlos langen Highway Richtung Süden nehmen, raus aus dem Muff ihres sozial schwachen Abbruchviertels und den Rest der Welt zeigen – es gibt uns!
Tom fand, bevor ihr Stern richtig aufging, ging er auch schon wieder unter und der letzte Rest seines kümmerlichen, sterbenden Lichts leuchtete direkt in das Auge Satans, der persönlich am Tor seines dunklen Reiches wartete, um für sie die Höllenpforte aufzustoßen.
Bei seiner Beschäftigung schweiften seine Gedanken ab in die Vergangenheit. Ein Stück weit bis zu seiner Jugend in ihrem Viertel.
> Asoziales Pack! < Das schrieen sie ihnen hinterher.
Die Jungs wuchsen gemeinsam auf. Das Teehüttenviertel war ihre Heimat.
Asoziales Pack und die ganze Liste anderer Beschimpfungen von der Schule an bis zu dem Tag, an dem sie ihren Club gründeten, die Kutte mit dem Emblem des Adlers anzogen und in der Rotte auf den ersten günstig erworbenen Maschinen auf Tour gingen.
Für ihre Motorräder und deren Unterhalt arbeiteten sie. Überall, am Bau, im Hafen als Tagelöhner.
Die vier beeindruckten die anderen Jungs im Viertel mit den röhrenden Sound und dem Chrom ihrer Maschinen, den Westen mit den vielen Patches und den Adlerschwingen auf dem Rücken. Und sie hingen in ihren Clubs und Kneipen ab, spielten Billard, richteten Kicker- und Flipperturniere aus, lernten Gleichgesinnte kennen.
Sie waren gemeinsam stark und in der Gemeinschaft konnten sie ihre Probleme besser bewältigen. Und es war cool, zu Thin Lizzy’s Song „The Boys are back in Town“ die Maschinen zu starten und der Welt außerhalb ihres Reviers in einer starken Clique zu begegnen; die für sie eine allgemeine Bezeichnung hatte: Rocker!
Tom bemerkte nicht, das Will gekommen war und ihn beobachtete.
> Wenn dir was nicht paßt, dann sag es! < Wills Schatten fiel auf ihn, Tom hockte immer noch vor seiner Maschine und polierte hastig und mit energischen Bewegungen den Chrom. Er warf den Lappen neben den Vorderreifen und stand auf. Er sah Will fest in die Augen und sagte, > Duck’s Weihe ist eine Lüge! <
Will, sein Begleiter seit ihrer Kindheit nahm einen letzten Schluck aus seiner mitgebrachten Dose, zerknüllte das Blech und warf sie achtlos zur Seite.
> Das ganze Leben ist eine Lüge, wir werden belogen von dem Irren da oben, der unsere Story schreibt, also, was willst du? < Will wurde bei jedem Wort seines Satzes lauter, die Männer bekamen das von ihrem Platz aus mit und gingen zu den beiden Streitenden.
> Ich bin nicht ein Outlaw geworden, um nun der lange Arm eines alten, gewaltgeilen Diktators zu werden und für seine Geschäfte auch noch meinen Kopf hinhalten zu müssen. <
Tom hatte gesprochen und sah einen nach dem anderen aus der Gruppe an.
> Tom... , Tom <, Will hob beschwichtigend beide Hände, > wir werden unseren Clan nicht verraten. Wir werden zu ihm halten < Toms Augen weiteten sich, dann tippte er Will hart mit dem Finger auf’s Revers.
> Ich will dir mal was sagen Will. Der Clan hat uns verraten! Als wir die ersten Mädchen auf den Strich schickten und begannen, Kindern Drogen auf Schulhöfen zu verkaufen, an dem Tag spuckten wir unser Wappen mitten ins edle Antlitz. An dem Tag, als wir das erste Geschäft für irgendeinen Gangsterperron abkassierten und arme Teufel von Ladenbesitzern zusammen schlugen, an dem Tag faltete unser Adler gedemütigt seine Flügel zusammen und verschwand in irgendeinem verstaubten Schrank! <
Blitzschnell schlug Will zu. Unter anderen Umständen hätte er es nie gewagt, Tom zu schlagen. Tom war kleiner als er, aber dafür drahtig und immer noch kräftig. Will wußte, was sein Kumpel aushalten konnte und das war eine Menge. Von der Wucht des Uppercuts getroffen stürzte Tom zu Boden. Aber er war nicht benommen, auf den Steinen sitzend zeigte er von unten mit dem Finger auf Will. > Wo ist dein Adler Will, wo hast du ihn versteckt. Na komm, sag schon oder schämst du dich etwa? <
Tom hatte einen Stein in den See geworfen, in dem Will lange schon eine Menge unterdrückte. Gedanken, die unter dunklem Wasser schwelten. Aber an der Oberfläche begann es jetzt zu brodeln. Er wollte es nicht zeigen, wollte erneut auf Tom losgehen. > Jetzt ist es genug <, der hünenhafte Brian stellte sich zwischen die beiden Kontrahenten.
Will stoppte in der Bewegung, für die anderen sah es erst aus, als wolle er etwas sagen. Doch dann schnaubte er nur, drehte sich um und ging.
Während Stille innerhalb der Gruppe einkehrte, sahen sie sich nur an. Bon half Tom auf die Beine, der volle Mond sendete letztes, blasses Licht zwischen den Bäumen auf die Ledernacken und ein Betrachter hätte die Szene als idyllisch einstufen können. Will war zu seinem abseits ruhenden Motorrad gegangen und nestelte irgendwas aus einer der Packtaschen hervor. Sie sahen es von weiten und warteten gespannt ab, als er langsam zu ihnen zurück kam.
Es war etwas unförmiges in Mattschwarz. > Du hast sie die ganze Zeit mitgeführt? < Brian fragte. > Ja! < Will faltete die reichlich zerknitterte Jacke auseinander und drehte sie so, das alle das Wappen sehen konnten, den Adler mit seinen gelb leuchtenden Augen und den weit ausgebreiteten Flügeln. Ihr Wappen.
> Na, was meint ihr. Für die Freiheit? <
> Für die Freiheit <, kam es im Chor zurück.
Tom kam einen Schritt auf ihn zu, > laß mich es machen. Ich will sie dir anziehen! < Bereitwillig gab ihm Will die Lederjacke. Tom legte sie ihm über den Nacken herum, ergriff erst den einen Arm, dann den anderen und streifte Will die Jacke über. Das eingenähte Wappen lag jetzt straff über Will’s Rücken und die Flügel des Adlers breiteten sich aus von Schulter zu Schulter.
Die Männer lachten, > so gefällst du uns schon viel besser! <
> He, Will! <
> Hmm? < Will drehte sich zu Tom herum. Er sah die Faust kommen, aber zu spät. Mit einer schnellen Drehung um sich selbst ging er in den Staub.
> Jetzt sind wir quitt! < Als Gefühle in Will’s Kinnlade zurückkehrten, lachte er mit den Männern mit.
Toms linke Faust hatte getroffen, auf dessen Fingerknöcheln das Wort L – O – V – E tätowiert war, auf jeden Knöchel ein Buchstabe. Auf der rechten Faust aber stand das Wort H – A – T – E.
> Zugriff! <
Die Stimme kam mechanisch und verrauscht aus dem Funkgerät.
Die Polizisten der Sondereinheit entsicherten fast gleichzeitig ihre Maschinenpistolen und schritten vor. Sie waren in Tarnoveralls gekleidet, dazu Schutzweste, Helm mit Helmvisier.
Ruff’s Zugeständnis an seine Männer war ein Clubhaus am Rande der Stadt.
Die Polizei griff am Morgen nach dem Leichenfund zu, sie wollten die Perros im Schlaf überraschen, die gerade eine harte Fete hinter sich gebracht hatten.
Aus Sicherheitsgründen parkte die Gang ihre Motorräder hinter dem Gebäude. Das Feld vor den Polizisten war also frei.
Das Haus war rundum von bewaffneten Polizeikräften gesichert. Sechs Mann stürmten die Tür und schwangen einen Rammbock, beim dritten Stoss gab das stabile Holz nach. Der Rammbock wurde fallen gelassen, die sechs Mann sprangen zur Seite und suchten Deckung an der Hauswand. Ein Stosstrupp von jeweils zwei Mann stürmten das Innere des Clubhauses, links und rechts sprangen sie hinter die Türöffnung und hielten ihre vollautomatischen Waffen im Anschlag, zielten auf die gerade erwachenden Menschen.
Ohne Wachposten hatten die Perros nicht den Hauch einer Chance, bevor sie richtig wach waren, klickten bereits die Handschellen. Als die Handschellen ausgingen, benutzte die Polizei Stripes.
> Gefesselt und entwaffnet, zum Abtransport bereit <, wurde dem Einsatzleiter gemeldet.
Ein großer, hagerer Mann mittleren Alters fuhr eine schwarze Limousine in eine Tiefgarage, die unter einer modernen Villa lag. Bevor er ausstieg, löste er die Verkleidung der Fahrertür und nahm ein Gewehr aus seiner Verankerung. Dabei achtete der Mann darauf, nicht einen seiner wohl gerundeten und gefeilten Fingernägel zu ruinieren. Mit der Waffe in der Hand mühte er sich redlich ab, die Kellertreppe hinauf zu gehen, die direkt in einen parkähnlichen Garten führte. Langsam ging er einen schmalen, plattierten Gang entlang, der an beiden Seiten von Rosenbüschen flankiert war. Bei jedem Schritt zog er sein rechtes Bein nach. Der Hinkende wechselte die Waffe von der einen in die andere Hand, um vorsichtig mit den Fingern der freien Hand eine große, burgunderrote Blüte zu unterfassen. Er roch andächtig daran. Einige Pollen setzten sich vom lauen Wind getrieben auf seinen dunkelblauen Anzug, er nahm die Schirmmütze ab und wischte sie vorsichtig damit fort.
Weiter ging sein mühevoller Weg durch eine Hintertür in eine Garage. Innen näherte er sich einem Ziel. Unter einem weißen Tuch war nur ein Stück eines metallenen Rohres zu sehen, dessen Ende förmlich in einem dickwolligen, roten Teppich steckte.
Die dünnen Lippen des Mannes verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, als er das Tuch beiseite zog. Darunter stand sie dann: eine extrem gepflegte, chromblinkende Rennmaschine, eine Braker.
Er streichelte liebevoll über eines der verchromten Endrohre, die bis hoch zur Sitzbank reichten. Für ihn war die Maschine etwas ganz besonderes, verlieh sie ihm doch die Mobilität, die ihm zu Fuß seit Jahren fehlte. Saß er einmal auf diesem Motorrad und gab Gas, bemerkte niemand mehr sein Handicap.
Der hagere Mann schloß den Tankrucksack auf, schraubte den Lauf vom übrigen Teil des mitgeführten Gewehrs, legte beides in einem Tuch gewickelt in den Sack zu der bereits verpackten Munition und einer Skorpion.
Er zog seinen dunklen Dienstanzug umständlich aus, holte statt dessen eine sauber verpackte Lederkombination aus einem Spind hervor. Seine Gedanken gingen dabei zu den letzten Stunden und wieder in die Zukunft.
Der Hinkende zog seinen dunklen Anzug umständlich aus, faltete ihn und verstaute ihn in dem Schrank. Zuletzt setzte er den Helm auf und beschloß, ein Fast Food anzufahren und bei einer Tasse Cappuccino noch einmal im Geiste seinen Plan durchzugehen.