Blinddate auf Titan 11.11.01
Die geringe Schwerkraft machte Kommandant Fritz noch ein wenig beschwingter. Die letzten Zweifel darüber, dass er sich mit der zierlichen Bewohnerin der Titankolonie im Hafenviertel traf, lösten sich auf wie ein Schwarm von Eisasteroiden, welcher der Sonne zu nahe gekommen war. Häfen waren sich alle ähnlich. Alle waren sie schmutzig. Alle waren sie sehr belebt und auf allen traf man seltsame Gestalten. Der Kommandant mochte Häfen. In einem Hafen zu sein bedeutete viel für ihn. Es bedeutete vor allem erst einmal, dass er seine Arbeit zufriedenstellend erledigt hatte und das Frachtschiff auch diesmal wieder ohne Schäden und oder Verluste an sein vorgesehenes Ziel gebracht hatte. Auch dies war für einen Teil seiner guten Stimmung verantwortlich. Er mochte Häfen, weil er hier Menschen kannte. Zugegeben, wirkliche Freunde fand man in Häfen eigentlich nicht, aber der Lademeister, welcher diesmal die Roboter beaufsichtigte, die die Ladung verbrachten, war ihm schon von vielen Aufendhalten auf dem Titan bekannt. Der Lademeister war einer von diesen seltsamen Gestalten, welche man nur in Häfen fand. Durch die Sichtscheibe seiner schweren Raumschutzkombination sah man in ein unrasiertes, schmierig fettiges Gesicht. Aus seinem Mundwinkel hing ein speicheldurchtränktes Etwas von dem man nicht mehr sagen konnte, ob es der Rest einer Zigarre, oder einer Zuckerstage war. Der Kommandant war froh, dass der Lademeister zu bequem war, seine Raumschutzkombination zu öffnen, weil er ihm dadurch seinen Geruch ersparte. „Ja, ich habe mein Kommandantenpatent noch und ja, ich habe es immer noch nicht gelernt eine ordentliche Landung hinzubekommen“ begrüßte der Kommandant mit freundschaftlichem Grinsen den Lademeister, weil er dessen Begrüßungsritual von den vorhergegangenen Aufendhalten kannte. „Und da du wieder mal hier bist, haben meine Gebete nicht geholfen“. Der Lademeister zog geräuschvoll seine Nase hoch, nahm den Schlauch der Absaugvorrichtung im inneren seines Helmes in den Mund und der aufmerksame Beobachter konnte erkennen, wie etwas Zähes von undefinierter Farbe durch den Schlauch gezogen wurde. Dieser Vorgang war um so erstaunlicher, weil der Lademeister dabei den Stumpen in seinem Mundwinkel nicht verlor. „Wenn du hier fertig bist, fegst du noch schnell durch, ok?“ sagte der Kommandant und klopfte dem Lademeister auf die Stelle der Raumschutzkombination unter der er dessen Schultern wusste. „Ahh, der feine Herr hat es eilig! Wohl immer noch auf Brautschau, was?“ feixte der Lademeister. „Stolz herausgeputzt, beim Saturn!“ Der Kommandant winkte, verschloss den Helm seiner leichten Raumschutzkombination, rückte die Hosenträger seiner Stammestracht, die sich gerade mal wieder mit den Interfaces seiner Kombination verhakt hatte, gerade und betrat die Mannschaftsschleuse. Er hatte sich mit der Titankolonistin vor einem Automatenrestaurant nahe der zwielichtigen Amüsierbetriebe der Minengesellschaft verabredet. Eigentlich kein guter Ort für eine erste Verabredung. Eigentlich noch nicht einmal guter Ort für Frauen.
In ihren Briefen hatte sie sich genau danach erkundigt, wie und wo er lebte, wie oft er zuhause wäre und wie lange seine Reisen meist dauerten. Er hatte das sehr positiv als Interesse an seiner Person gewertet, hatte wahrheitlich geantwortet und darüber hinaus noch ein paar Andeutungen über sein Einkommen und seine finanziellen Verhältnisse in seiner Antwort versteckt. Es erstaunte ihn ein wenig, dass ihre folgende Antwort und auch alle danach, immer gefühlvoller, gar erwartungsvoll, manchmal gar schmachtend sehnsüchtig geworden waren. Mehrfach hatte sie betont, dass es ihr überhaupt nichts ausmachen würde, dass der Kommandant bis auf seinen Jahresurlaub nur wenige Tage zuhause sei, aber das ein Leben an Bord eines Frachtschiffes sei nichts für sie. Sie würde gern auf ihn warten, würde ihn in den kurzen Zeiten seiner Aufendhalte wie einen König versorgen, würde sein Heim im modernsten Geschmack gestalten und würde sich und ihr Äußeres pflegen und erhalten. Das fand der Kommandant dann schon ein wenig voreilig, zumal er sein zugegeben, recht bescheidenes Heim in der Polis Teutonia auf dem Kontinent Europa eigentlich so mochte, wie es nun schon seit seinem Einzug dort, war.
Der Staub bildete kniehohe Wolken unter seinen Schritten. Durch die niedrige Schwerkraft des Saturnmondes blieben die schmutzigen, fast schwarzen Wolken lange erhalten. Wenn mehrere Menschen oft die selben Wege benutzen, war es so, dass sich die Wolken überhaupt nicht mehr senkten. Besucher und Auswärtige erkannte man schon von weitem an ihrem vorsichtigem Gang. Es war für die meisten ungewohnt, nicht zu wissen wohin man die Füße setzt; seine Füße nicht mehr zu sehen. Der Kommandant war mehrfach diesen Weg gegangen. Unsicher wäre er in diesem Moment wahrscheinlich nur gewesen, wenn sich seine Gedanken nicht schon um das bevorstehende Treffen drehen würden. Er freute sich darauf und der bisherige Prozess ihres Kennenlernens hatte viel Hoffnung in ihm wachsen lassen.
Der Kommandant betrat die Zentralkuppel durch eine Schleuse. Schon in der Schleuse waren Plakate und Aufkleber auf denen die verschiedenen Amüsierbetriebe ihre zweifelhaften und offenherzigen Vergnügen bewarben, angebracht. In der Zentralkuppel war es weniger staubig als auf der Mondoberfläche, aber als sauber konnte es der, die klinisch und biologisch reine Atmosphäre eines gut gepflegt und gewarteten Hanseschiffes gewohnte Kommandant nicht bezeichnen. Die Kolonisten denen er begegnete hatten eine sehr helle, fast weiße Haut. Alle mit einem Schleier des dunklen Staubes. So weit entfernt vom Zentralgestirn mussten die Menschen regelmäßig Solarien aufsuchen, um die gesundheitliche Mindestmenge an der, für den Stoffwechsel nötigen UV-Strahlung zu bekommen. Aber der Unterhalt der Solarien verursachte Kosten. Kosten mochte die Minengesellschaft nicht und deshalb war der Zugang zu den, sowieso zuwenig vorhanden Solarien stark reglementiert. Die niedrige Schwerkraft beanspruchte die Muskeln der Kolonisten kaum, so das sie spätestens ab der zweiten Generation deutliche Regenerationserscheinungen zeigten. Die hier Geborenen wuchsen wenig, entwickelten nur sehr dünne, grazil erscheinende Gliedmassen und machten auf einen Terraner einen sehr zerbrechlichen Eindruck. Während Besucher sich mit weiten Schritten, fast springend bewegten, dachte man beim Anblick der, sich vorwärts bewegenden Kolonisten man befände sich in einem Strassencafe am Forum Teutonias und beobachtete, wie Menschen in ihrer Heimat ihre Wege zogen. „Nein“, dachte der Kommandant „sie sind nicht schwach. Sie sind angepasst“.
Er erkannte sie sofort. Mädchenhaft, die kleinen Hände ineinanderfassend vor dem Laib, wie zusammen geklebt. Die Haltung leicht geknickt, als wenn die geringe Schwerkraft noch zu hoch sein sollte, machte sie einen verschüchterten Eindruck. Der Kommandant machte sich Vorwürfe. Sie hätte jedem Ort der Begegnung zugestimmt und er hatte bloß daran gedacht, dass er sich lieber an einem Ort träfe, welcher ihm bekannt war. Er fühlte sich immer wohl auf Routen, die schon geflogen war.
„Ich bin Fritz“, sprach er sie an. Sie trug den Standartoverall, von denen die Gesellschaft jährlich einen kostenfrei an ihre Arbeiter ausgab. Der Overall war an Knien, Ellebogen und seltsamerweise auch an einer Stelle auf dem rechten Oberschenkel durchgescheuert und geflickt. Sie schien nicht über die finanziellen Mittel zu verfügen, sich für einen besonderen Anlass eine besondere Kleidung leisten zu können. Bei sich dachte der Kommandant, dass er ja auch das Selbe trug wie immer. Er betrat das Automatenrestaurant und hielt ihr die Tür geöffnet. Sich umschauend schritt er auf den einzigen freien Tisch zu. Auf dem Tisch standen noch die Reste der letzten Gäste. Sie fuhr lächelnd mit dem Arm über den Tisch, so das die geleerten Verpackungen der Automatenmenus sich von der Tischkante lösend langsam zu Boden fielen. „Ich möchte, dass wir es immer schön haben“ sagte sie mit ihrem glockenklaren Sopran. „Ich will mir immer Mühe geben!“. Der Kommandant starrte irritiert auf die, zum Teil immer noch sinkenden Verpackungen und erfasste gerade noch, wie sich die letzten Teile mit den Wolken des Abbaustaubes verbanden. Da sie sich schon gesetzt hatte, tat er es ihr gleich. Er schaute in ihr kleines, weißes und schmutzige Gesicht. Sie lächelte ihn aus großen, an Dunkelheit gewöhnten Augen und mit schmalem Mund, dessen Lippen zum Teil aufgesprungen waren, an. „Oh, Fritz“ sagte sie „du wirst mich doch hier wegholen, ja?“. Er schaute nieder auf die, im Tisch eingelassenen Speisekarte. Zog seine Kreditkarte aus einer Außentasche seiner leichten Raumschutzkombination, steckte diese in den dafür vorgesehenen Leseschlitz des Tisches und drückte den Knopf, der die Essplätze koppelte, so dass beide Bestellungen von seinem Konto abgebucht werden würden. „Bestelle dir, was und soviel du magst“ sagte er und senkte den Blick zurück in die Speisekarte. Auf dem Tisch waren die Speisen des Angebotes des Automatenrestaurantes wunderschön dekoriert und angerichtet in räumlich wirkenden Bildern eingelassen und man musste nur mit einem Finger auf einen kleinen Punkt neben diesen Bildern drücken und der Tisch quittierte mit einem kurzen Ton den Erhalt der Bestellung. Auf der anderen Seite des Tisches hörte er viermal diesen kurzen Ton. E entschied sich für einen Proteinshake mit Hackbratengeschmack und eine Coke-Light, was seine Seite des Tisches wiederum mit zwei kurzen Tönen quittierte. „Ich gehe nicht oft aus und bin ganz aufgeregt“, sagte das Lächeln von der anderen Seite des Tisches. „Du bist genauso nett und großzügig wie in deinen Briefen“ sagte sie. „Wann bringst du mich hier weg?“. „Lasse uns doch erst mal essen“ antwortete der Kommandant. „Seit dem Frühstück bin ich nicht mehr zum Essen gekommen. Es gibt viel zu tun, wenn wir einen Hafen ansteuern“. Sie erzählte von ihrer Arbeit in der Verladestation der Mine, wie sie die viel zu schweren Container auf das Band schieben musste. Von der Kindheit und den Roboterlehrern. Erzählte vom Tod ihrer Eltern als vor ein paar Jahren ein Shuttle einen Erzcontainer verlor und dessen Aufprall auf eine Wohnkuppel einen Druckabfall verursachte. Erzählte von den Männern in der Station, die alle arme Schlucker seien und von denen nicht einer das Geld hätte um sie von diesem gottverlassenem Ort wegzubringen. Außer vielleicht einer von den Kommissaren der Minengesellschaft, aber von denen würde sich nie einer mit einer einfachen Arbeiterin abgeben, sie hätte es versucht.
Das Essen war lange gegessen. Selbst die Verpackungen hatte aufgehört sich mit ihrer Masse der schwachen Schwerkraft zu widersetzen und vermischten sich mittlerweile mit dem Staub.
Der Kommandant erhob sich und wollte sich gerade verabschieden als die Titankolonistin sagte: „ Bitte bringe mich hier weg. Ich werde eine gute Frau sein. Bitte bringe mich nach Terra. Ich würde so gerne saubere Luft atmen. Ich würde so gerne etwas kaufen können, Ich würde so gerne so leben“. Sie zog eines dieser Hochglanzmagazine aus einer Tasche ihres Overalls. Eines dieser Magazine in denen berichtet wurde, wie Könige ihre Badezimmer einrichteten. In denen berichtet wurde, wie der Hochadel seine Urlaube verbrachte und in denen berichtet wurde, wo die Stars der heutigen Welt ihr modisches Allerlei einkauften. Kleine, weiße und schmutzige Hände hielten ihm das vergriffene Exemplar entgegen. Flehende große Augen setzten Erwartungen in ihn.
„So bin ich austauschbar.“, sagte er. „Ich melde mich bei dir. Alles Gute.“. Er ging ohne eine Antwort abzuwarten, ging ohne in ihre traurigen großen Augen zu schauen.
Auf dem Weg zurück zum Hafen merkte er wieder nicht, dass er seine Füße nicht sah. Ihm fiel ein, dass sich Kolonisten von Welten mit niedriger Schwerkraft auf Terra selten einleben konnten. Besonders, wenn sie auf einer Welt mit niedriger Schwerkraft geboren waren. Ihr Kreislauf schaffte die höheren Anforderungen meist nicht und ihre Lebenserwartung sank auf ein paar Monate. „Das muss sie doch gewusst haben“, dachte der Kommandant rückte die Hosenträger seiner Stammestracht gerade, weil sie wieder mit den Interfaces seiner leichten Raumschutzkombination in Konflikt geraten waren und betrat die Schleuse der Hafenschänke.
Die geringe Schwerkraft machte Kommandant Fritz noch ein wenig beschwingter. Die letzten Zweifel darüber, dass er sich mit der zierlichen Bewohnerin der Titankolonie im Hafenviertel traf, lösten sich auf wie ein Schwarm von Eisasteroiden, welcher der Sonne zu nahe gekommen war. Häfen waren sich alle ähnlich. Alle waren sie schmutzig. Alle waren sie sehr belebt und auf allen traf man seltsame Gestalten. Der Kommandant mochte Häfen. In einem Hafen zu sein bedeutete viel für ihn. Es bedeutete vor allem erst einmal, dass er seine Arbeit zufriedenstellend erledigt hatte und das Frachtschiff auch diesmal wieder ohne Schäden und oder Verluste an sein vorgesehenes Ziel gebracht hatte. Auch dies war für einen Teil seiner guten Stimmung verantwortlich. Er mochte Häfen, weil er hier Menschen kannte. Zugegeben, wirkliche Freunde fand man in Häfen eigentlich nicht, aber der Lademeister, welcher diesmal die Roboter beaufsichtigte, die die Ladung verbrachten, war ihm schon von vielen Aufendhalten auf dem Titan bekannt. Der Lademeister war einer von diesen seltsamen Gestalten, welche man nur in Häfen fand. Durch die Sichtscheibe seiner schweren Raumschutzkombination sah man in ein unrasiertes, schmierig fettiges Gesicht. Aus seinem Mundwinkel hing ein speicheldurchtränktes Etwas von dem man nicht mehr sagen konnte, ob es der Rest einer Zigarre, oder einer Zuckerstage war. Der Kommandant war froh, dass der Lademeister zu bequem war, seine Raumschutzkombination zu öffnen, weil er ihm dadurch seinen Geruch ersparte. „Ja, ich habe mein Kommandantenpatent noch und ja, ich habe es immer noch nicht gelernt eine ordentliche Landung hinzubekommen“ begrüßte der Kommandant mit freundschaftlichem Grinsen den Lademeister, weil er dessen Begrüßungsritual von den vorhergegangenen Aufendhalten kannte. „Und da du wieder mal hier bist, haben meine Gebete nicht geholfen“. Der Lademeister zog geräuschvoll seine Nase hoch, nahm den Schlauch der Absaugvorrichtung im inneren seines Helmes in den Mund und der aufmerksame Beobachter konnte erkennen, wie etwas Zähes von undefinierter Farbe durch den Schlauch gezogen wurde. Dieser Vorgang war um so erstaunlicher, weil der Lademeister dabei den Stumpen in seinem Mundwinkel nicht verlor. „Wenn du hier fertig bist, fegst du noch schnell durch, ok?“ sagte der Kommandant und klopfte dem Lademeister auf die Stelle der Raumschutzkombination unter der er dessen Schultern wusste. „Ahh, der feine Herr hat es eilig! Wohl immer noch auf Brautschau, was?“ feixte der Lademeister. „Stolz herausgeputzt, beim Saturn!“ Der Kommandant winkte, verschloss den Helm seiner leichten Raumschutzkombination, rückte die Hosenträger seiner Stammestracht, die sich gerade mal wieder mit den Interfaces seiner Kombination verhakt hatte, gerade und betrat die Mannschaftsschleuse. Er hatte sich mit der Titankolonistin vor einem Automatenrestaurant nahe der zwielichtigen Amüsierbetriebe der Minengesellschaft verabredet. Eigentlich kein guter Ort für eine erste Verabredung. Eigentlich noch nicht einmal guter Ort für Frauen.
In ihren Briefen hatte sie sich genau danach erkundigt, wie und wo er lebte, wie oft er zuhause wäre und wie lange seine Reisen meist dauerten. Er hatte das sehr positiv als Interesse an seiner Person gewertet, hatte wahrheitlich geantwortet und darüber hinaus noch ein paar Andeutungen über sein Einkommen und seine finanziellen Verhältnisse in seiner Antwort versteckt. Es erstaunte ihn ein wenig, dass ihre folgende Antwort und auch alle danach, immer gefühlvoller, gar erwartungsvoll, manchmal gar schmachtend sehnsüchtig geworden waren. Mehrfach hatte sie betont, dass es ihr überhaupt nichts ausmachen würde, dass der Kommandant bis auf seinen Jahresurlaub nur wenige Tage zuhause sei, aber das ein Leben an Bord eines Frachtschiffes sei nichts für sie. Sie würde gern auf ihn warten, würde ihn in den kurzen Zeiten seiner Aufendhalte wie einen König versorgen, würde sein Heim im modernsten Geschmack gestalten und würde sich und ihr Äußeres pflegen und erhalten. Das fand der Kommandant dann schon ein wenig voreilig, zumal er sein zugegeben, recht bescheidenes Heim in der Polis Teutonia auf dem Kontinent Europa eigentlich so mochte, wie es nun schon seit seinem Einzug dort, war.
Der Staub bildete kniehohe Wolken unter seinen Schritten. Durch die niedrige Schwerkraft des Saturnmondes blieben die schmutzigen, fast schwarzen Wolken lange erhalten. Wenn mehrere Menschen oft die selben Wege benutzen, war es so, dass sich die Wolken überhaupt nicht mehr senkten. Besucher und Auswärtige erkannte man schon von weitem an ihrem vorsichtigem Gang. Es war für die meisten ungewohnt, nicht zu wissen wohin man die Füße setzt; seine Füße nicht mehr zu sehen. Der Kommandant war mehrfach diesen Weg gegangen. Unsicher wäre er in diesem Moment wahrscheinlich nur gewesen, wenn sich seine Gedanken nicht schon um das bevorstehende Treffen drehen würden. Er freute sich darauf und der bisherige Prozess ihres Kennenlernens hatte viel Hoffnung in ihm wachsen lassen.
Der Kommandant betrat die Zentralkuppel durch eine Schleuse. Schon in der Schleuse waren Plakate und Aufkleber auf denen die verschiedenen Amüsierbetriebe ihre zweifelhaften und offenherzigen Vergnügen bewarben, angebracht. In der Zentralkuppel war es weniger staubig als auf der Mondoberfläche, aber als sauber konnte es der, die klinisch und biologisch reine Atmosphäre eines gut gepflegt und gewarteten Hanseschiffes gewohnte Kommandant nicht bezeichnen. Die Kolonisten denen er begegnete hatten eine sehr helle, fast weiße Haut. Alle mit einem Schleier des dunklen Staubes. So weit entfernt vom Zentralgestirn mussten die Menschen regelmäßig Solarien aufsuchen, um die gesundheitliche Mindestmenge an der, für den Stoffwechsel nötigen UV-Strahlung zu bekommen. Aber der Unterhalt der Solarien verursachte Kosten. Kosten mochte die Minengesellschaft nicht und deshalb war der Zugang zu den, sowieso zuwenig vorhanden Solarien stark reglementiert. Die niedrige Schwerkraft beanspruchte die Muskeln der Kolonisten kaum, so das sie spätestens ab der zweiten Generation deutliche Regenerationserscheinungen zeigten. Die hier Geborenen wuchsen wenig, entwickelten nur sehr dünne, grazil erscheinende Gliedmassen und machten auf einen Terraner einen sehr zerbrechlichen Eindruck. Während Besucher sich mit weiten Schritten, fast springend bewegten, dachte man beim Anblick der, sich vorwärts bewegenden Kolonisten man befände sich in einem Strassencafe am Forum Teutonias und beobachtete, wie Menschen in ihrer Heimat ihre Wege zogen. „Nein“, dachte der Kommandant „sie sind nicht schwach. Sie sind angepasst“.
Er erkannte sie sofort. Mädchenhaft, die kleinen Hände ineinanderfassend vor dem Laib, wie zusammen geklebt. Die Haltung leicht geknickt, als wenn die geringe Schwerkraft noch zu hoch sein sollte, machte sie einen verschüchterten Eindruck. Der Kommandant machte sich Vorwürfe. Sie hätte jedem Ort der Begegnung zugestimmt und er hatte bloß daran gedacht, dass er sich lieber an einem Ort träfe, welcher ihm bekannt war. Er fühlte sich immer wohl auf Routen, die schon geflogen war.
„Ich bin Fritz“, sprach er sie an. Sie trug den Standartoverall, von denen die Gesellschaft jährlich einen kostenfrei an ihre Arbeiter ausgab. Der Overall war an Knien, Ellebogen und seltsamerweise auch an einer Stelle auf dem rechten Oberschenkel durchgescheuert und geflickt. Sie schien nicht über die finanziellen Mittel zu verfügen, sich für einen besonderen Anlass eine besondere Kleidung leisten zu können. Bei sich dachte der Kommandant, dass er ja auch das Selbe trug wie immer. Er betrat das Automatenrestaurant und hielt ihr die Tür geöffnet. Sich umschauend schritt er auf den einzigen freien Tisch zu. Auf dem Tisch standen noch die Reste der letzten Gäste. Sie fuhr lächelnd mit dem Arm über den Tisch, so das die geleerten Verpackungen der Automatenmenus sich von der Tischkante lösend langsam zu Boden fielen. „Ich möchte, dass wir es immer schön haben“ sagte sie mit ihrem glockenklaren Sopran. „Ich will mir immer Mühe geben!“. Der Kommandant starrte irritiert auf die, zum Teil immer noch sinkenden Verpackungen und erfasste gerade noch, wie sich die letzten Teile mit den Wolken des Abbaustaubes verbanden. Da sie sich schon gesetzt hatte, tat er es ihr gleich. Er schaute in ihr kleines, weißes und schmutzige Gesicht. Sie lächelte ihn aus großen, an Dunkelheit gewöhnten Augen und mit schmalem Mund, dessen Lippen zum Teil aufgesprungen waren, an. „Oh, Fritz“ sagte sie „du wirst mich doch hier wegholen, ja?“. Er schaute nieder auf die, im Tisch eingelassenen Speisekarte. Zog seine Kreditkarte aus einer Außentasche seiner leichten Raumschutzkombination, steckte diese in den dafür vorgesehenen Leseschlitz des Tisches und drückte den Knopf, der die Essplätze koppelte, so dass beide Bestellungen von seinem Konto abgebucht werden würden. „Bestelle dir, was und soviel du magst“ sagte er und senkte den Blick zurück in die Speisekarte. Auf dem Tisch waren die Speisen des Angebotes des Automatenrestaurantes wunderschön dekoriert und angerichtet in räumlich wirkenden Bildern eingelassen und man musste nur mit einem Finger auf einen kleinen Punkt neben diesen Bildern drücken und der Tisch quittierte mit einem kurzen Ton den Erhalt der Bestellung. Auf der anderen Seite des Tisches hörte er viermal diesen kurzen Ton. E entschied sich für einen Proteinshake mit Hackbratengeschmack und eine Coke-Light, was seine Seite des Tisches wiederum mit zwei kurzen Tönen quittierte. „Ich gehe nicht oft aus und bin ganz aufgeregt“, sagte das Lächeln von der anderen Seite des Tisches. „Du bist genauso nett und großzügig wie in deinen Briefen“ sagte sie. „Wann bringst du mich hier weg?“. „Lasse uns doch erst mal essen“ antwortete der Kommandant. „Seit dem Frühstück bin ich nicht mehr zum Essen gekommen. Es gibt viel zu tun, wenn wir einen Hafen ansteuern“. Sie erzählte von ihrer Arbeit in der Verladestation der Mine, wie sie die viel zu schweren Container auf das Band schieben musste. Von der Kindheit und den Roboterlehrern. Erzählte vom Tod ihrer Eltern als vor ein paar Jahren ein Shuttle einen Erzcontainer verlor und dessen Aufprall auf eine Wohnkuppel einen Druckabfall verursachte. Erzählte von den Männern in der Station, die alle arme Schlucker seien und von denen nicht einer das Geld hätte um sie von diesem gottverlassenem Ort wegzubringen. Außer vielleicht einer von den Kommissaren der Minengesellschaft, aber von denen würde sich nie einer mit einer einfachen Arbeiterin abgeben, sie hätte es versucht.
Das Essen war lange gegessen. Selbst die Verpackungen hatte aufgehört sich mit ihrer Masse der schwachen Schwerkraft zu widersetzen und vermischten sich mittlerweile mit dem Staub.
Der Kommandant erhob sich und wollte sich gerade verabschieden als die Titankolonistin sagte: „ Bitte bringe mich hier weg. Ich werde eine gute Frau sein. Bitte bringe mich nach Terra. Ich würde so gerne saubere Luft atmen. Ich würde so gerne etwas kaufen können, Ich würde so gerne so leben“. Sie zog eines dieser Hochglanzmagazine aus einer Tasche ihres Overalls. Eines dieser Magazine in denen berichtet wurde, wie Könige ihre Badezimmer einrichteten. In denen berichtet wurde, wie der Hochadel seine Urlaube verbrachte und in denen berichtet wurde, wo die Stars der heutigen Welt ihr modisches Allerlei einkauften. Kleine, weiße und schmutzige Hände hielten ihm das vergriffene Exemplar entgegen. Flehende große Augen setzten Erwartungen in ihn.
„So bin ich austauschbar.“, sagte er. „Ich melde mich bei dir. Alles Gute.“. Er ging ohne eine Antwort abzuwarten, ging ohne in ihre traurigen großen Augen zu schauen.
Auf dem Weg zurück zum Hafen merkte er wieder nicht, dass er seine Füße nicht sah. Ihm fiel ein, dass sich Kolonisten von Welten mit niedriger Schwerkraft auf Terra selten einleben konnten. Besonders, wenn sie auf einer Welt mit niedriger Schwerkraft geboren waren. Ihr Kreislauf schaffte die höheren Anforderungen meist nicht und ihre Lebenserwartung sank auf ein paar Monate. „Das muss sie doch gewusst haben“, dachte der Kommandant rückte die Hosenträger seiner Stammestracht gerade, weil sie wieder mit den Interfaces seiner leichten Raumschutzkombination in Konflikt geraten waren und betrat die Schleuse der Hafenschänke.