Kompletter Irrsinn (KI schreibt Gedichte)

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Nein, Satire kann er auch nicht. Ich habe mir den Link jetzt zwar nicht durchgelesen, aber ich hatte ihm mal aufgetragen, eine satirische Geschichte zu schreiben und dann festgestellt, dass er das nicht kann.

Aber wieso ist das jetzt auch schlimm? Erst wird darüber gemeckert, was er alles kann (im Allgemeinen, nicht nur hier im Forum). Die Menschen würden nicht mehr selbst denken und alles von der KI schreiben lassen. Das sei ja sowas von gefährlich ...

Dann wird festgestellt, dass es so einfach doch nicht ist und eine KI doch nicht alles so kann wie ein Mensch.

Und das ist dann auch nicht recht ...
 
Wenn die KI Satire nicht „kann“, dann kann sie Satire auch nicht als solche erkennen und zensiert z.B. satirische Texte weg, wo sie als Zensurprogramm eingesetzt wird.
Das heißt dann: Noch mehr Zensur, weniger Satire.

Indes, wo die KI als kreativer Produzent wirkt, könnte sie der Satire wieder in anderer Hinsicht ans Leder gehen.
Setzt man in puncto Kreativität künftig auf die KI (und in blinder Technikgläubigkeit wird man vielleicht tatsächlich darauf setzen), werden satirische Inhalte dann wohl klammheimlich verschwinden, sofern die KI das nicht leisten kann.
Ist ja nicht gesagt, dass sich der Mensch dann noch bemüßigt fühlt, die Leerstellen der KI auszufüllen bzw. muss dieser erst mal die entsprechende Plattform/Unterstützer/ein Publikum finden und sich gegen die billigere maschinelle Konkurrenz, gegen deren zahlreiche Inhalte durchsetzen. Nicht gesagt, dass sich immer das Bessere/das Besondere durchsetzt.
Satire könnte damit noch mehr zum Nischenprodukt werden und – einmal mehr stiefmütterlich behandelt - noch weiter ins Hintertreffen gelangen.
Das wird vielleicht kaum noch auffallen, nachdem auch die menschgemachte Satire der letzten Zeit ihre Schärfe schon ziemlich verloren hat (siehe die nachlassende Qualität von „heute-show“, „extra3“ oder auch „Die Anstalt“…)
Bessern wird sich die jetzt schon elende Lage der gelebten Satire derart eher nicht, es steht zu befürchten.
 

petrasmiles

Mitglied
Das ist wirklich keine Spielwiese - und den Hype kann ich nicht nur deshalb nicht nachvollziehen:


50-Prozent-Absturz – die erste Branche droht ChatGPT zum Opfer zu fallen
Stand: 03.05.2023 | Von Holger Zschäpitz, Leitender Wirtschaftsredakteur

 

Michele.S

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Du hast mit vielem Recht, was du schreibst. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir viel mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecken sollten (Momentan sind es weniger als 2% des BIP, wenn ich mich nicht irre). Allerdings sollte der Fokus woanders liegen. Zum Beispiel bei den Neurowissenschaften. In den letzten 50 Jahren gab es kaum Verbesserungen, die psychisch kranken Menschen wirklich geholfen hätten. Man muss endlich erforschen, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Man könnte beispielsweise Drogen entwickeln, die keine Nebenwirkungen haben und nicht abhängig machen aber euphorisch wirken. Unser ganzes Glück oder Unglück hängt ja nur von unserem Gehirn ab. Sobald man dessen Rätsel geknackt hat, gibt es das Rezept für ein allumfassendes, lebenslanges Glück. Irgendwann wird es wahrscheinlich sogar möglich sein, unser Gehirn samt allen Informationen auf eine Hardware upszuloaden, was der Unsterblichkeit gleichkommt. Da sollte der Fokus der Wissenschaft liegen, anstatt auf irgendwelchen technischen Spielerein und neuen sozialen Medien, die nachweislich unglücklich machen.

Gruß
Michele
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Michele,

ich musste schon schmunzeln, als ich Deine Replik las.
Natürlich hast Du recht, dass man hinschauen muss, wohin Forschungsgelder fließen und die Neurowissenschaften sind bestimmt nicht die schlechteste Wahl und die Bekämpfung psychischer Krankheiten ist ein lohnendes Ziel.
Aber. Wir sind Menschen und an die Umweltbedingungen gekoppelt. Wir sind gar nicht für ewige Glückseligkeit geschaffen! Das ist ja das Schöne am Menschsein, dass oft die Dinge sind, wie wir sie bewerten. Ein schwer kranker Mensch kann eine größere Lebenszufriedenheit haben als eine verwöhnte Göre, die nie aus sich selbst heraus Selbstwirksamkeit lernte. Mit einer Pille nehmen wir uns das Besondere an uns - unsere Lernfähigkeit.

Aber in Sachen KI gebe ich Dir recht.
Was den Menschen für immer von einer KI unterscheidet ist seine Empathie und seine Fähigkeit, Verantwortung zu empfinden und zu übernehmen. Und ohne diese beiden Faktoren ist jede Kommunkation ein Fake. Also ist alles, was eine KI hervorbringen könnte, Fake, denn niemals wüßte sie, dass sie Verantwortung trägt für das was sie sagt oder schreibt, und sie kann niemals voraussehen, was ihre Worte und Taten bei ihrem Adressaten auslösen können.
Und darum werden wir an all den Stellen, bei denen wir jetzt und zukünftig mit KI konfrontiert werden, nie auf Mitgefühl hoffen, oder dass sie wenigstens ein schlechtes Gewissen bekommen könnte, wenn sie z.B. im 'Service' unser berechtigtes Anliegen ignoriert. Da lasse ich mich doch lieber von einem schlechtgelaunten Menschen drangsalieren. Den kann ich wenigstens zurück beschimpfen - und er spürt es :D

Liebe Grüße
Petra
 

Michele.S

Mitglied
Liebe petra

Ich stimme dir zu in Sachen KI. Zumindest auf absehbare Zeit. Wir wissen nicht, ob KI vielleicht in 100 Jahren tatsächlich zur Empathie fähig sein wird. Ich glaube aber doch, dass dauerhaftes Glück möglich ist. Nicht auf "natürliche" Weise, dazu ist der Mensch tatsächlich nicht geschaffen. Aber durch geeignete Manipulation, zum Beispiel durch eine Droge. Ich weiß, dass viele sowas wahrscheinlich gar nicht für wünschenswert halten, aber ich glaube das basiert auf einem Vorurteil. Die Vorurteile gegen Drogenkonsum stammen glaube ich noch aus christlicher Tradition. Ein glücklicher Mensch braucht keine Drogen, aber sage das mal jemandem, der seine ganze Kindheit über traumatisiert wurde. Für solche Leute sind Drogen oft die einzige Möglichkeit, ihr Leben erträglich zu gestalten. Nur dass ihre Kriminalisierung sie noch mehr ins Elend stürzt. Ich hoffe, dass sich die Mentalität hier bald grundsätzlich wandelt. Vor allem müssen Drogen entwickelt werden, die keine Toleranzentwicklung und keine Nebenwirkungen haben. Hätte man das geschafft, wäre das in meinen Augen eine der größten Fortschritte, die der Menschheit je gelungen ist, auf einer Stufe mit der Druckerpresse oder Antibiotika

Viele Grüße

Michele
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Michele!

Immer nur glücklich – also, ich weiß nicht...
Nicht, dass ich gerne unglücklich wäre, aber das Empfinden von Traurigkeit, Schmerz, auch: Wut und andere Emotionen, denen das Etikett „negativ“ anhaftet… das gehört doch zum Menschsein dazu!
„Ohne das Bittere ist das Süße nicht so süß“ heißt es im Film „Vanilla Sky“ – und so ist es doch auch.
Nur wer von der reichen Geschmackspalette der Gefühle gekostet hat, kennt den Geschmack des Lebens, der nicht immer nur lieblich sein kann.
Allein: Wie wenig Literatur hätten wir, wenn Menschen nicht auch geweint und gelitten hätten!
Dass das Leben insgesamt positiv zu betrachten ist, ist insofern ja kein Widerspruch.
Was du hier als Wunschvorstellung beschreibst, klingt schon sehr nach Huxleys „Schöner neuer Welt“, wo die Menschen ein Mittelchen (Soma) schlucken, damit sie immer schön ruhiggestellt sind – ziemlich dystopisch also und um nix besser als jene Dystopien, die sich rund um die KI ranken.

Traumata und andere schwere Erkrankungen, auf die du anspielst, sind natürlich ein eigenes Thema.
Aber auch hier würde ich vorsichtig sein mit dem Bestreben, konstantes Glück zu erzeugen, Empfindungen und Erfahrungen zu eliminieren statt sie zu verarbeiten.
Schon auch gruselig die Vorstellung, man könne punktuelle Ereignisse im Gedächtnis auslöschen wie eine Datei von der Festplatte, das Missbrauchspotential noch gar nicht eingerechnet (aber wie leicht könnte man Menschen derart manipulieren, ummodeln, von sich selbst entfremden…)
Wir sind doch irgendwie die Summe unserer Erfahrungen, das macht uns aus. Wer daran herumschnipselt, nimmt uns damit immer auch einen Teil unseres Selbst.
Mag sein, dass es Teile gibt, von denen wir meinen, dass wir gern drauf verzichten können, so wird uns - ganz objektiv betrachtet - dennoch etwas Wesentliches genommen. Es wird etwas minusgerechnet.
Du wärst eben nicht mehr ganz du.

Ich glaube, du überschätzt auch die technischen Möglichkeiten in dieser Hinsicht und unterschätzt die Komplexität des menschlichen Gehirns, das sich eben nicht von außerhalb mit Schalthebeln steuern lässt wie eine Maschine (hoffentlich).
Und ich fürchte, „nebenwirkungsfrei“ gibt es generell nicht bei Dingen, welche eine Wirkung haben. Immer wirken sie auch ungewollt und unvorhergesehen, besonders bei einem kompliziert gebauten Organismus, wo eins ins andere greift.
Wieviel Geld man auch in die Forschung reinsteckt, an diesen Vorbedingungen und Vorbehalten wird sich grundsätzlich nicht viel ändern.

Natürlich sollte es nicht kriminalisiert werden, wenn traumatisierte und psychisch kranke Menschen auf eine Medikation zurückgreifen, die ihnen helfen – aber das wird es meist auch gar nicht (ist zumindest meine Einschätzung).
Ich selbst habe einen schweren Fall von Schizophrenie in der Verwandtschaft (mein Stiefsohn, mittlerweile erwachsen) und sehe, wie schwierig die Behandlung ist, wie begrenzt die Möglichkeiten. Heilung gibt es keine. Die Medikamente behandeln nur verschiedene Ticks und Symptome, machen dem Kranken also das Leben leichter.
Jetzt zum Beispiel hält er sich nicht mehr so oft die Ohren zu, hört in seinem Kopf weniger Stimmen, wie er sagt; dafür hat er ordentlich zugenommen, ist aufgeschwemmt von den Tabletten; dann wieder raucht er exzessiv, schlingt sein Essen im Affentempo runter, ruft ständig auf dem Handy an, um zu fragen, ob „eh noch alle leben“ oder er wird sexuell anzüglich, wiederholt zwanghaft verschiedentliche Phrasen usw.
Von Zeit zu Zeit wird „der Patient neu eingestellt“, wie man sagt (eine Formulierung, die ich intuitiv seltsam finde, eben als ginge es um einen Apparat und nicht um einen Menschen) und die Symptome ändern sich aufs Neue.
Gefühle wie Traurigkeit fallen ihm von jeher schwer bzw. fällt es ihm schwer, das zu zeigen – was ihn aber nicht unbedingt glücklich macht.

Man sieht, es ist alles nicht so einfach und die Psyche viel zu vertrackt und vermutlich auch kein Feld, das mit technokratischen Schalte-und-Walte-Prinzipien beackert werden sollte.

Mit diesen Gedanken grüße ich dich sehr freundlich und danke fürs Lesen,


Erdling
 

Michele.S

Mitglied
Hallo Erdling!

Danke für deine ausführliche Erwiderung. Mit vielem hast du Recht.
Richtig, man muss nicht immer glücklich sein, aber es wäre doch schön, immer glücklich zu sein, wenn einem danach ist. Ich sehe die "schöne neue Welt" nicht nur als Dystopie sondern halb/halb auch als Utopie.
Im Gegensatz zu dir hoffe ich durchaus, dass das menschliche Gehirn sich wie eine Maschine steuern lässt. Klar, die Vorstellung ist nicht gerade romantisch, aber die Möglichkeiten wären absolut ungeahnt!
Ich denke auch, manche Menschen könnten endlich sie selbst sein, wenn man einen Teil ihrer Vergangenheit löschen könnte. Es ist immer leicht zu sagen: "Das gehört zu dir", solange man selbst ein relativ zufriedenes Leben führt.

Viele Grüße
Michele
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Michele,

eigentlich wolle ich jetzt schon ins Bett gehen, aber Deine Antwort auf Erdling hat mich doch ein bisschen aufgescheucht ...
Ich habe nämlich die Sorge, dass es diese Haltung ist, die den Menschen-Maschinisten in die Hände spielt.
Zuallererst 'stört' mich aber, dass Deine Worte nach dem Versuch klingen, kein Mensch mehr sein zu wollen ... oder dieser Mensch sein zu wollen.

Ich sehe das ziemlich anders ... wir sind in der Natur gefangen, die monströse Verschwendung betreibt, vollkommen amoralische Prinzipien befolgt und so etwas wie Glück und Zufriedenheit nicht auf dem Zettel hat. Erst der Mensch - so weit wir wissen - hat sich aus diesem Korsett insoweit befreit, indem er manche Lebensprinzipien außer Acht lassen kann, indem er seinen Taten und seinem Sein einen Sinn geben kann und schlussendlich aus diesem Dasein freiwillig austreten kann. Und wir werden nie glücklich oder zufrieden sein können - keine Identität aufbauen können, wenn wir diese Prinzipien - und ihre Sublimierung - nicht annehmen. Denn die Prinzipien spucken uns an irgendeiner Stelle in diesem Zeit- und Ortgefüge aus; wir haben keinen Einfluss darauf, wann oder wo - oder wem wir geboren werden. Und dann ist es nach der ersten Aufgabe des Überlebens, was wir alleine gar nicht hinbekommen, unsere größte Aufgabe, aus dem, was uns gegeben ist und was wir gerne wären oder sein könnten, das Ich zu schmieden, das uns am ähnlichsten ist. Unsere Geschichte, unsere Prägungen und unsere Traumata, sind Teil dieser Aufgabe und grundsätzlich sollten wir demütig gegenüber der Gnade sein, am Leben zu sein und erst recht demütig über jedes Glück und Gelingen, weil es nie unser Verdienst ist, wie auch nicht das Versagen des Storchenkükens, das von den Eltern aus dem Nest geschubst wird, wenn es zu schwach ist, um die großer 'Wanderung' mitzumachen.

Leider scheint die Idee der Individualisierung dazu geführt zu haben, dass viel um sich selbst gekreist wird und das Wohlleben etwas ist, was jedem jederzeit zustünde. Und weil auch die Solidarisierung zunehmend abhanden kommt, sehen wir uns nicht mehr als Brüder und Schwestern auch aller Geplagten und Vernachlässigten - schauen also in die Breite - sondern orientieren uns 'nach oben' zu den scheinbar Begünstigten, deren Fake Faces auf allen Kanälen auf uns herunter lächeln. Aus diesem Impetus heraus kann es aber keine Zufriedenheit geben und erst recht kein Glück.
Ich glaube sogar, dass man einen Menschen zerstören würde, könnte man ihm seine 'Vergangenheit' oder seine Traumata nehmen.

Nicht alle haben gleich schwere Hürden zu nehmen. Gläubige würden sagen, Gott würde uns nur soviel aufladen wie wir tragen können. Das unterschreibe ich nicht, aber es geht in die Richtung, dass Herausforderungen unsere Kräfte schulen und am Ende steht die Zufriedenheit, die sich daraus ergibt, für sich - und andere! - Verantwortung übernommen zu haben.

Jetzt muss ich aber wirklich schlafen gehen.
Gute Nacht!

Liebe Grüße
Petra
 

Michele.S

Mitglied
Liebe petra

Ich stimme dir ja in fast allem zu. Ich mache mir auch Sorgen um die Entsolidarisierung.
Ich glaube sogar, dass man einen Menschen zerstören würde, könnte man ihm seine 'Vergangenheit' oder seine Traumata nehmen.

Nicht alle haben gleich schwere Hürden zu nehmen. Gläubige würden sagen, Gott würde uns nur soviel aufladen wie wir tragen können. Das unterschreibe ich nicht, aber es geht in die Richtung, dass Herausforderungen unsere Kräfte schulen und am Ende steht die Zufriedenheit, die sich daraus ergibt, für sich - und andere! - Verantwortung übernommen zu haben.



Liebe Grüße
Petra

Natürlich würde man einen Menschen stark verändern, wenn man ihm seine Traumatas nimmt. Aber falls so etwas jemals möglch sein sollte, sollte es allein die Entscheidung der Betroffenen sein, ob sie so einen Eingriff vornehmen. Da hat niemand Außenstehender und keine Ethik-Kommision mitzureden! Ich verstehe ja was du meinst, unglückliche Menschen erscheinen oft tiefsinniger, vielleicht sogar menschlicher, aber frag mal die Unglücklichen, ob sie diese Dinge nicht gerne aufgeben würden. Außerdem gilt das auch nur bis zu einem gewissen Grad, irgendwann stumpft Unglück ab und macht empathielos.
Diese Einstellung "Ich will gar nicht immer glücklich sein" ist genau wie "Ich will gar nicht ewig leben" ein Trick unseres Gehirns. Weil wir an keine Veränderung glauben können , akzeptieren wir die Sachen so wie sie sind und tun sogar noch so, als wäre uns das sowieso lieber. Aber sobald es die Glückspille oder die Unsterblichkeitspille gibt, werden die Menschen ihre moralischen Bedenken fallenlassen und zugreifen. Natürlich würde dabei, wie bei jedem Fortschritt, etwas verloren gehen. Die Literatur einer solchen Epoche wäre vermutlich höchst oberflächlich und langweilig, vermutlich auch die Musik. Aber ist es das nicht wert, dafür um im irdischen Paradies zu leben? Und der einfachste Weg dahin ist die gezielte Manipulation des Gehirns.
Vor einigen Wochen hat sich der beste Freund meines Bruders umgebracht. Ich weiß nicht, ob seine Eltern jemals wieder glücklich werden. Findest du nicht, dass der Preis zu hoch ist, den wir für unser Unglück zahlen? Die meisten würden wohl sagen, eine durch Drogen oder Gehirnmanipulation hervorgerufenes Glück ist nur künstlich und darum nicht erstrebenswert. Das ist allerdings ein Vorurteil. Glück oder Unglück werden allein durch unser Gehirn hervorgerufen und haben oft nichts mit unseren Lebensumständen zu tun. Der junge Mann, der sich umgebracht hat, hatte einen riesigen Freundeskreis, sah umwerfend gut aus, hatte ein liebevolles Elternhaus und beruflich gute Chancen. Trotzdem war er unglücklich. Ich glaube diese stille Erduldung des Unglücks, der Irrglaube, dass das eben zum Leben dazugehört, ist ein Überbleibsel des Christentums, dass eben noch sehr stark im kollektiven Unterbewusstsein vorhanden ist, selbst bei selbsternannten Atheisten. In 500 Jahren wird man diese Einstellung nicht mehr verstehen können

Viele Grüße
Michele
 
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petrasmiles

Mitglied
Lieber Michele, wir haben noch nicht fertig :D

Natürlich würde man einen Menschen stark verändern, wenn man ihm seine Traumatas nimmt. Aber falls so etwas jemals möglch sein sollte, sollte es allein die Entscheidung der Betroffenen sein, ob sie so einen Eingriff vornehmen. Da hat niemand Außenstehender und keine Ethik-Kommision mitzureden!
Unser Gehirn ist nicht modular aufgebaut, sondern es ist ein auf Vernetzung aufgebautes System. Jeden Tag nach dem Trauma denken wir daran und bauen neue Synapsen - ein Leben lang. Wie sollte man das Trauma und den Versuch seiner Verarbeitung aus dem Spinnennetz wieder rauskratzen? Es ginge also nur mit biochemischer Unterdrückung von Impulsen - wie es bei der Depressionsbehandlung geschieht. Und was mit Kranken gemacht wird, da hat sehr wohl eine unabhängige Instanz ein Wörtchen mitzureden. Es eht dabei um Güteabwägung. Ein ähnliches Dilemma sehe ich bei der Sterbehilfe. Einerseits stehe ich auf der Seite der Betroffenen, die über ihr Leben und Sterben selbst entscheiden können sollten, aber ich sehe auch die Gefahr, dass eine 'Legalisierung' die Möglichkeit entstehen lässt, diese zu missbrauchen, indem Alte und Kranke von ihrem Umfeld dazu gedrängt werden. Der Gesetzgeber muss alle Aspekte berücksichtigen und seine Entscheidung ohne Ansehen der Person treffen - das ist für mich überhaupt der Wesenskern eines Rechtsstaates.

Diese Einstellung "Ich will gar nicht immer glücklich sein" ist genau wie "Ich will gar nicht ewig leben" ein Trick unseres Gehirns. Weil wir an keine Veränderung glauben können , akzeptieren wir die Sachen so wie sie sind und tun sogar noch so, als wäre uns das sowieso lieber.
Das hat mit Wollen nichts zu tun - wir können es nicht. Ich bin sehr sehr glücklich verheiratet, und auf eine subtile Weise trägt einen das auch ein Stück weit durch den Tag, aber die Momente, in denen ich das ganz stark auch spüre, verschwinden in der Anzahl der Momente, in denen ich glücklich bin.
Und das mit dem Sterben ist auch kein Selbstbetrug. Vielleicht bist Du noch jung - sehr wahrscheinlich jünger als ich - und hast es noch nicht bei anderen gesehen oder selbst empfunden, dass man quasi aus der Zeit fallen kann. Jeden Tag aufs Neue stellen wir die Berechnung an, ob dies ein guter Tag ist und wir uns darauf freuen, ihn zu erleben. Im Laufe des Lebens verändern sich viele Werte und Bezugsgrößen des eigenen Lebens bis man irgendwann nur noch von 'Fremden' umgeben ist. Hinzu kommen die körperlichen Einschränkungen, die Mühe wird mehr, den neuen Tag zu begrüßen und anzunehmen. Man hört oft, man möchte noch einmal zwanzig sein mit dem Wissen von heute - was natürlich nicht geht, aber eigentlich möchte man es nicht wirklich. Du darfst es ihnen glauben, wenn sie sagen, sie hätten nun genug, auch, wenn sie sich vielleicht freuen, doch noch am nächsten Tag wieder aufgewacht zu sein. Loslassen ist immer schwer.

Aber ist es das nicht wert, dafür um im irdischen Paradies zu leben? Und der einfachste Weg dahin ist die gezielte Manipulation des Gehirns.
Hier sehe ich ein Missverständnis am Werk. Weder Müßiggang noch Abwesenheit von Unglück und Schmerz können das Paradies auf Erden sein. Erst recht nicht, wenn dem Menschen durch Manipulation sein Selbst genommen wird. Aber ab hier würde ich mich wiederholen.

Ich verstehe ja was du meinst, unglückliche Menschen erscheinen oft tiefsinniger, vielleicht sogar menschlicher, aber frag mal die Unglücklichen, ob sie diese Dinge nicht gerne aufgeben würden. Außerdem gilt das auch nur bis zu einem gewissen Grad, irgendwann stumpft Unglück ab und macht empathielos.
Nein, Michele, das meine ich nicht. Es geht immer auch um die Ursachen von 'Glück' oder 'Unglück', die selten statisch sind und häufig sehr viel mit uns selbst zu tun haben. Für jeden Menschen gilt, dass er durch die rationale und moralische Durchdringung seiner Situation 'tief' werden kann. Sehr oft sind die beiden Extreme Ergebnis unserer Bewertung der Situation. Natürlich nicht im Fall des Selbstmordes eines Kindes. Das sind die Schicksalsschläge, die man hinnehmen muss. Wir sind nicht alle gleich zur Glücksfähigkeit geboren. Ich habe mal gelesebn, dass wir unterschiedlich mit den Glückshormonen ausgestattet sind und eine Situation, die für den einen ok ist, den anderen schon sich unglücklich fühlen lässt. Es gibt keinen Weg aus dieser Gemengelage hinaus.

Glück oder Unglück werden allein durch unser Gehirn hervorgerufen und haben oft nichts mit unseren Lebensumständen zu tun.
Das sehe ich nicht so. Natürlich gibt es Erkrankungen des biochemischen Haushalts, die diesen Schluss nahe legen. Aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Die Neurowissenschaften brechen gerne alles auf diese chemischen Botenstoffe herunter, ohne die nichts passieren würde - selbst die Liebe wäre so etwas - und das Ich nur eine Fiktion. Das kann man so sehen. Man kann aber auch sein Leben annehmen, seine Herausforderungen annehmen, lieben und sich Aufgaben widmen und all diese Botenstoffe fleißig produzieren, die dann für uns die Fiktion von Selbstwirksamkeit entstehen lassen. So what?

Ich glaube diese stille Erduldung des Unglücks, der Irrglaube, dass das eben zum Leben dazugehört, ist ein Überbleibsel des Christentums, dass eben noch sehr stark im kollektiven Unterbewusstsein vorhanden ist, selbst bei selbsternannten Atheisten. In 500 Jahren wird man diese Einstellung nicht mehr verstehen können
Auch das sehe ich anders in der Hinsicht, dass wir natürlich noch Reste dieser Prägung haben, aber das hat weniger mit Erdulden von Leiden zu tun als einer Erklärung der Welt zu folgen, die darauf besteht, dass wir durch unser Handeln Wirkungen erzielen. Es ist ist nicht so einfach.

Und ehrlich? In diesen 500 Jahren werde ich nicht leben wollen, wenn der Mensch aus Bauteilen und Prozessoren besteht und die Fortpflanzung reglementiert werden muss, weil wir entweder so lange leben, oder nicht mehr sterben. Natürlich werden diejenigen, die da hineingeboren wurden, ein lebenswertes Leben darin sehen, aber ich, ich werde gründlich aus der Zeit gefallen sein. Manchmal fürchte ich, dass es jetzt schon so weit ist; zumindest fängt es an. Und ein bisschen schließt sich jetzt ein Kreis.

Liebe Grüße
Petra
 

Michele.S

Mitglied
Liebe petra

Danke für deine ausführliche Antwort!
Du hast sicherlich Recht, das Gehirn ist zu stark vernetzt. So wird es schwierig bis unmöglich, eine Erinnerung auszulöschen. Allerdings gibt es bereits jetzt eine Operation, die die Amygdala entfernt, sodass sie Leute dann keine Angst mehr verspüren können. Dass das auch eine Schattenseite hat ist ja selbstverständlich. Ich denke aber trotzdem, dass eine "perfekte" Droge ein großer Fortschritt in unserer Gesellschaft wäre. Allein die ganzen Selbstmorde die man dadurch vermeiden könnte.

Ich halte das "Ich" auch für eine Fiktion. Wie auch den freien Willen. Ohne Metaphysik und den glauben an eine Seele kann man sich den freien Willen nicht erklären.

Das mit "aus der Zeit gefallen" kann ich verstehen, so fühle ich mich bereits mit meinen 30 Jahren. Allerdings mehr aufgrund der Kultur und Gesellschaft als aufgrund der Technisierung. Manche alte Leute wären übrigens sehr gerne noch mal 20, mein Opa z.B. Das ist natürlich jedem überlassen ob er länger als "natürlich" leben will oder nicht

Viele Grüße

Michele
 



 
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