Konkrete Poeten
Es war ein früher Morgen im Frühling null eins, schon ein kleines Weilchen her, ein durchschnittlicher, unaufgeregter Tagesanfang. Jonathan Z. verließ zur gewohnten Zeit das Haus. Er überquerte die Straße, erwiderte kurz den Gruß eines Mannes, der dort an die Hauswand gelehnt saß und ging die paar Schritte nach rechts zu seinem Auto.
In diesen wenigen Sekunden hallte das eben gehörte „Guten Morgen, Meister,“ in seinem Kopf nach und er blieb stehen. Er ging zurück, bückte sich, sah dem Mann ins Gesicht und sagte „Bist du es, Peter?“
Der stand auf, lächelte, nickte und sagte „Ich warte hier schon den ganzen Morgen auf dich, Jonathan.“
Das war übertrieben. Im Osten sah man gerade das erste zaghafte Rot, noch entschärfte die Dämmerung die Konturen, der Tag war jung und angenehm frisch. Peters dramatische Ader, dachte Jonathan, immer noch der Alte. „Das Blut entflammt im Kopf sich zum Gedicht,“ war das tatsächlich von ihm? (1) Egal, der Satz blieb haften.
Schweigend stiegen sie ins Auto und fuhren die wenigen Kilometer ins Zentrum. Jonathans Laden lag in der Fußgängerzone, Antiquitäten, ausgesuchte Stücke, gehobenes Segment. Heute, Montag, war geschlossen, der Vormittag organisatorischen Notwendigkeiten gewidmet, nachmittags holte er die Kinder ab.
Peter strich leise pfeifend über die dunklen, gepflegten Möbel und folgte Jonathan ins Büro. Der machte Kaffee, sie setzten sich an einen alten Tisch in alte bequeme Sessel und Jonathan sah Peter aufmerksam an.
„Schreibst du immer noch Gedichte?“
Peter lächelte, fuhr sich durch das schütter gewordene Haar und fragte:
„Hast du noch einen Calvados wie in alten Zeiten?“
„Sowieso,“ Jonathan sprang auf, holte die Flasche und zwei dickbauchige Gläser, schenkte ein, sie schwenkten andächtig das Getränk, dann sagte Peter:
„Der Knast ist für Kunst ein ungünstiger Ort, zumindest was mich betrifft. In all den Jahren ist mir relativ wenig gelungen. Die große bunte Welt jenseits der Mauern ist wesentlich inspirierender. Gleichwohl, ein paar Zeilen, bei denen ich an dich dachte, ich dachte ohnehin oft an dich, sind es vielleicht wert, zitiert zu werden :
Nur durch Genuss kann ich genesen
ich der genasführt stets gewesen
fordre nun ein mein Stück Extase
und kost es auch ein wenig Blut
reiß ich den Ring mir aus der Nase .“
Beide schwiegen. Peter schenkte nach, schließlich sagte Jonathan:
„Interessantes Gedicht,“ stand auf, ging in den hinteren Teil des Raumes an den Safe, öffnete ihn, sah die schwarz glänzende Smith & Wesson, 9mm, dachte „das nächste Mal bring ich ihn um, aber nicht hier, das wäre dumm,“ lächelte kurz über den spontanen Reim, nahm zwei dicke Geldbündel, legte sie auf den Tisch und sagte:
„Zwanzigtausend Dollar, mehr hab ich nicht da. Meine Konten sind im Minus, die Geschäfte laufen schlecht. Das muss also genügen.“
Peter lächelte, verstaute das Geld sorgfältig in seinem Rucksack und sagte:
„Du warst schon immer ein großer Spaßvogel, aber nun ja, der Spatz in der Hand fühlt sich erst mal ganz gut an.“
Jonathan nickte. „Schön, dass wir uns harmonisch einigen können. Was hast du jetzt vor, hast du einen Plan?“
Peter hob sein Glas und ließ den Calvados langsam die Kehle hinabrinnen.
„Zu Beginn meiner Knastperiode, lange her, lernte ich Peter Paul Zahl kennen. Du erinnerst dich an ihn?“
Jonathan nickte, „Die Glücklichen.“
„Ganz recht. Ein Schelmenroman, 500 Seiten. Den hat er übrigens in der Haft geschrieben. Offenbar kam er mit den Umständen besser klar. Nun, er wurde bald entlassen und lebt heute auf Jamaica, nördlich von Kingston, Port Antonio. Ich denke, er freut sich, mich zu sehen, wenn er denn noch lebt. (2)
Aber sag, wie verbringt eigentlich ein etablierter Geschäftsmann wie du seine Tage? Ich hab ja den Kontakt zur bürgerlichen Welt ein wenig verloren. Was machst du beispielsweise heute Abend?“
„Ich geh mit meiner Frau und zwei befreundeten Ehepaaren kegeln,“ sagte Jonathan.
„Was? Kegeln? Du gehst kegeln? Oh mein Gott, da will ich nicht länger stören. Du hast gewiss noch viel zu tun. Kegeln, - na dann viel Spaß!“
Sie standen auf, umarmten sich kurz und Peter verließ fluchtartig die Geschäftsräume.
Jonathan sah ihn nie wieder.
(1) Den Satz schrieb Adolf Endler ( 20.9.1930 – 2.8.2009 )
(2) Peter Paul Zahl, geb. 14.3.1944 Freiburg i. Breisgau, gest. 24.1.2011 Port Antonio, Jamaica.
10 Jahre in westdeutschen Gefängnissen (1972 – 1982 ), zahlreiche Veröffentlichungen.
Es war ein früher Morgen im Frühling null eins, schon ein kleines Weilchen her, ein durchschnittlicher, unaufgeregter Tagesanfang. Jonathan Z. verließ zur gewohnten Zeit das Haus. Er überquerte die Straße, erwiderte kurz den Gruß eines Mannes, der dort an die Hauswand gelehnt saß und ging die paar Schritte nach rechts zu seinem Auto.
In diesen wenigen Sekunden hallte das eben gehörte „Guten Morgen, Meister,“ in seinem Kopf nach und er blieb stehen. Er ging zurück, bückte sich, sah dem Mann ins Gesicht und sagte „Bist du es, Peter?“
Der stand auf, lächelte, nickte und sagte „Ich warte hier schon den ganzen Morgen auf dich, Jonathan.“
Das war übertrieben. Im Osten sah man gerade das erste zaghafte Rot, noch entschärfte die Dämmerung die Konturen, der Tag war jung und angenehm frisch. Peters dramatische Ader, dachte Jonathan, immer noch der Alte. „Das Blut entflammt im Kopf sich zum Gedicht,“ war das tatsächlich von ihm? (1) Egal, der Satz blieb haften.
Schweigend stiegen sie ins Auto und fuhren die wenigen Kilometer ins Zentrum. Jonathans Laden lag in der Fußgängerzone, Antiquitäten, ausgesuchte Stücke, gehobenes Segment. Heute, Montag, war geschlossen, der Vormittag organisatorischen Notwendigkeiten gewidmet, nachmittags holte er die Kinder ab.
Peter strich leise pfeifend über die dunklen, gepflegten Möbel und folgte Jonathan ins Büro. Der machte Kaffee, sie setzten sich an einen alten Tisch in alte bequeme Sessel und Jonathan sah Peter aufmerksam an.
„Schreibst du immer noch Gedichte?“
Peter lächelte, fuhr sich durch das schütter gewordene Haar und fragte:
„Hast du noch einen Calvados wie in alten Zeiten?“
„Sowieso,“ Jonathan sprang auf, holte die Flasche und zwei dickbauchige Gläser, schenkte ein, sie schwenkten andächtig das Getränk, dann sagte Peter:
„Der Knast ist für Kunst ein ungünstiger Ort, zumindest was mich betrifft. In all den Jahren ist mir relativ wenig gelungen. Die große bunte Welt jenseits der Mauern ist wesentlich inspirierender. Gleichwohl, ein paar Zeilen, bei denen ich an dich dachte, ich dachte ohnehin oft an dich, sind es vielleicht wert, zitiert zu werden :
Nur durch Genuss kann ich genesen
ich der genasführt stets gewesen
fordre nun ein mein Stück Extase
und kost es auch ein wenig Blut
reiß ich den Ring mir aus der Nase .“
Beide schwiegen. Peter schenkte nach, schließlich sagte Jonathan:
„Interessantes Gedicht,“ stand auf, ging in den hinteren Teil des Raumes an den Safe, öffnete ihn, sah die schwarz glänzende Smith & Wesson, 9mm, dachte „das nächste Mal bring ich ihn um, aber nicht hier, das wäre dumm,“ lächelte kurz über den spontanen Reim, nahm zwei dicke Geldbündel, legte sie auf den Tisch und sagte:
„Zwanzigtausend Dollar, mehr hab ich nicht da. Meine Konten sind im Minus, die Geschäfte laufen schlecht. Das muss also genügen.“
Peter lächelte, verstaute das Geld sorgfältig in seinem Rucksack und sagte:
„Du warst schon immer ein großer Spaßvogel, aber nun ja, der Spatz in der Hand fühlt sich erst mal ganz gut an.“
Jonathan nickte. „Schön, dass wir uns harmonisch einigen können. Was hast du jetzt vor, hast du einen Plan?“
Peter hob sein Glas und ließ den Calvados langsam die Kehle hinabrinnen.
„Zu Beginn meiner Knastperiode, lange her, lernte ich Peter Paul Zahl kennen. Du erinnerst dich an ihn?“
Jonathan nickte, „Die Glücklichen.“
„Ganz recht. Ein Schelmenroman, 500 Seiten. Den hat er übrigens in der Haft geschrieben. Offenbar kam er mit den Umständen besser klar. Nun, er wurde bald entlassen und lebt heute auf Jamaica, nördlich von Kingston, Port Antonio. Ich denke, er freut sich, mich zu sehen, wenn er denn noch lebt. (2)
Aber sag, wie verbringt eigentlich ein etablierter Geschäftsmann wie du seine Tage? Ich hab ja den Kontakt zur bürgerlichen Welt ein wenig verloren. Was machst du beispielsweise heute Abend?“
„Ich geh mit meiner Frau und zwei befreundeten Ehepaaren kegeln,“ sagte Jonathan.
„Was? Kegeln? Du gehst kegeln? Oh mein Gott, da will ich nicht länger stören. Du hast gewiss noch viel zu tun. Kegeln, - na dann viel Spaß!“
Sie standen auf, umarmten sich kurz und Peter verließ fluchtartig die Geschäftsräume.
Jonathan sah ihn nie wieder.
(1) Den Satz schrieb Adolf Endler ( 20.9.1930 – 2.8.2009 )
(2) Peter Paul Zahl, geb. 14.3.1944 Freiburg i. Breisgau, gest. 24.1.2011 Port Antonio, Jamaica.
10 Jahre in westdeutschen Gefängnissen (1972 – 1982 ), zahlreiche Veröffentlichungen.