KONTAKTE - Acht

Aufschreiber

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Die Un-brakeable zog schweigend ihre Bahn. Zumindest wäre das der Eindruck gewesen, den ein Betrachter gewonnen hätte. In ihrem Inneren herrschte ein elektronisches Chaos. Prozesse starteten und brachen mitten in der Ausführung ab. Steuereinheiten wurden aktiviert und abgeschaltet. Notfall-Routinen sprangen an und beendeten sich, bevor sie die Erfüllung ihrer Aufgaben begonnen hatten. Die einzigen Abteilungen des Schiffes, die von dem Aufruhr verschont blieben, waren die Anabioseboxen.


Auf der Erde war man ratlos. Die Experten und Spezialisten der Sternenflotte konnten nichts tun, als diesem Kataklysmus zuzusehen. Was wollte der Hacker erreichen? Wieso veranstaltete der so einen Wahnsinn, auf dem Schiff?
Jenny Farnton, die kleine, unscheinbare Informationstechnikerin, die erkannt hatte, wie der Eindringling seinen Datentransfer bewerkstelligte, hatte alle Hände voll zu tun. Sie hatte sich in eins der kleineren Büros zurückgezogen und starrte nun auf den Schaltplan der Abteilung VR und Simulation. Sie schüttelte immer wieder den Kopf. Der Unbekannte war einfach genial. Wenn sie Recht hatte, dann konnten sie die Illusoren nicht abschalten, denn diese verfügten über eine autarke Stromversorgung. Das war auch richtig so, denn ein Energieausfall im Simulationsbetrieb konnte den Menschen, der sich im Gerät befand, das Leben, zumindest aber die geistige Gesundheit kosten. Der Hacker war unglaublich bedacht vorgegangen. Die Funktionen, die er benutzte, täuschten eine Simulations - Session vor. Damit war ein Eingriff von außen faktisch unmöglich.
Sie suchte weiter. Vielleicht konnte man den Datenstrom kappen? Die Daten wurden normalerweise an einen bestimmten Arbeitsplatz geleitet, sofern es sich um einen Testlauf handelte. Und das musste der Fall sein, denn es befand sich ja kein Mensch im Gerät - oder?

Jenny schaltete sich auf den Datenkanal der Überwachungskameras auf. Als das Bild erschien, fuhr sie zurück. In allen Illusoren lagen menschliche Gestalten. Das konnte doch nicht sein! Wenn das ... Moment! Sie zoomte in das Bild hinein. Das waren keine Menschen, das waren Servobots, Androiden, die man normalerweise in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen fand.
"So ein Mistkerl!", schimpfte sie. Der hatte aber auch an alles gedacht. Nun blieb ihr nur noch der Router, der die Illusoren mit dem Hauptnetz verband. Sie faltete die Pläne zusammen und legte sie beiseite. Dann nahm sie vor dem Schreibtisch Platz und aktivierte die beiden anderen Monitore, die bisher noch im Ruhemodus gewesen waren. Ihre Finger flogen über die Tasten, die Maus tanzte auf dem Pad. Über die Bildschirme rasten Zeichenfolgen und Bildfragmente. Mit einem kräftigen Ruck erhob sie sich.
"Hab ich dich!", frohlockte sie und rannte aus dem Raum.

General Pham war verblüfft, als die kleine Angestellte auf ihn zu stürmte und sofort loslegte:
"Ich weiß, wie der Angriff funktioniert. Der Mann ist einfach genial."
"Nun kommen sie doch erst einmal zu sich! Und dann erklären sie uns alles." Pham wandte sich halb ab und rief: "Bengtsson!"
"Johansson, Sir!", kam die Antwort, "Was gibt es?"
"Kommen sie doch einmal her! Unsere ..."
"Farnton, Jenny Farnton, Sir." "Also unsere Miss Farnton hier, die glaubt, die Lösung gefunden zu haben."
Der blonde Hüne kam herbei geeilt, begleitet von einem dunkelbraunen Mann und einer asiatisch anmutenden Frau.
"Doktor Rupert Mongabe und Doktor Anh Singh-Carlstien", stellte er die Begleiter vor. Jenny Farnton errötete. Sie kannte die Leute. Beide hatten zahlreiche wissenschaftliche Preise errungen. Sie riss sich zusammen und erklärte:
"Der Mensch ist genial, meine Damen und Herren. Er hat die Illusoren mit Servobots bestückt und lässt nun gefälschte Simulationen laufen. Dadurch bekommen wir weder Zugriff auf die Energieversorgung, noch auf die Steuerung der Illusoren. Aber ich habe seine Datenströme vom Router aus entdeckt."
Die Zuhörer nickten anerkennend. Hier war ein extrem agiler Geist am Werk gewesen. Schon allein die Umsicht, die er an den Tag gelegt hatte, nötigte ihnen Hochachtung ab.
Jenny fuhr fort: "Und nun halten sie sich fest! Der Kerl mischt seinen gesamten Datentransfer in unsere eigene Verbindung zur Un-brakeable hinein. Er hat den großen Transponder umprogrammiert, so, dass der nun die Informationen vom Router mit unseren Daten multiplext. Das heißt, die werden immer abwechselnd mit unseren Transfers gesendet und empfangen."
Mongabe ließ ein leises "Wow!" hören. Johansson zuckte zusammen. Er wandte sich dem General zu und resümierte: "Das heißt, wir kommen dem Angreifer nur bei, wenn wir unseren kompletten Datenverkehr mit dem Schiff abschalten."
Pham war schockiert. Wie konnte ein einzelner Mensch derart komplexe Systeme sabotieren?
"Was hat das zur Folge?", wollte er wissen.
"Eigentlich ist es kein großes Problem", erklärte Anh, "Das Schiff wird in etwa vier Stunden den Raumbereich verlassen, in dem uns überhaupt ein sinnvoller Kontakt möglich ist. Es wird dann seinerseits die Kommunikation beenden, um Energie zu sparen. Anschließend wird es auf maximale Geschwindigkeit beschleunigen."
"Gut", nickte der General, "schalten sie die Line ab!"

* * *

Damian fuhr von seinem Tisch zurück, als plötzlich alle Verbindungen zum Schiff abbrachen. Sollte man ihn entdeckt haben? Das war höchst unwahrscheinlich. Wenn die Leute in der Zentrale gesehen hatten, was er beobachtet hatte, dann hatten sie mit Sicherheit anderes zu tun, als nach einem kleinen Trittbrettfahrer zu suchen. Oder redete er sich das nur ein? Würden die es wirklich riskieren, für Stunden keine weiteren Informationen zu bekommen? Wie ein Hammer schlug die Erkenntnis auf ihn ein: Die dachten womöglich, dass er für das Chaos im Schiff ... !
"Oh crap!", entfuhr es ihm. Das war ... kein Problem, solange sie ihm nichts beweisen konnten. Er rollte seinen Stuhl zurück an den Arbeitsplatz. In größter Hast begann er, die Komponenten seines Eindringens umzukonfigurieren.

* * *

Zrrgll war erstaunt. Ein ganzes Segment der Rechenmaschine hatte plötzlich seine Arbeit eingestellt. Es wurden keine Informationen mehr an das große, konkav gewölbte Teil übergeben, das sich an der Außenhaut des Raum ... Containers ... befand. Eine Zeit lang lauschte Zrrgll in das System hinein, ob das betreffende Modul nicht wieder aktiviert würde. Als das nicht geschah, setzte es seine Forschungen fort. Es war bisher sehr erfolgreich gewesen, konnte schon fast alle Sequenzen auslösen, die ihm nach der Eingabe der Folge "H.E.L.P" angezeigt worden waren.
Das Ganze war ... ein Spiel. Sehr anregend, interessant, aber nicht unendlich fesselnd. Zrrgll zog einen Teil seines Bewusstseins aus der Aktion ab und wandte sich dem nächsten Wesen zu. Diesmal ging es vorsichtiger zu Werke. Es erhöhte die Temperatur, bis die Oberfläche des Körpers komplett frei getaut war. Erst dann begann es, die seltsame Verbindung zu vervielfältigen.
Das schien sinnvoller zu sein. Das Hirn des Geschöpfes wurde aktiviert. Zrrgll erhöhte die Dosis weiter. Aber was war das? Wieder spielte der Körper verrückt, zuckte spastisch ... Es reduzierte die Dosis des Stimulans. Das Zucken hörte nicht auf. Da wusste sich Zrrgll nicht anders zu helfen, als den fremden Stoff ganz zu beseitigen.

Das Wesen schlug die Augen auf. Es stöhnte laut und verstummte. Zrrgll versuchte, es wieder zu aktivieren, doch auch diese Kreatur war offensichtlich nicht mehr zu retten.
 



 
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