KONTAKTE - Einundfünfzig

Aufschreiber

Mitglied
Die Ausbildung des zrrgll schritt rasant voran. Schon nach der elften Session im Illusor hatte es die wichtigsten Prinzipien sozialer Interaktion begriffen. Auch die Kommunikation mit Menschengruppen hatte das Wesen bald gemeistert. Der Vorgang war ein wenig umständlich, funktionierte aber insgesamt recht gut.
zrrgll hatte verschiedene Ansätze ausprobiert, bevor es dahinter gekommen war, dass es nur die Kontrolle über Nadines Sprechapparat brauchte, was ihr restliches Bewusstsein komplett aktiv ließ. Anfangs hatte seine Wirtin ein wenig gejammert, weil es sich so seltsam anfühlte, wenn die Stimme plötzlich erklang, obwohl sie selbst nicht sprach. Nach und nach aber hatte sie sich angewöhnt, nach eigenen Beiträgen in einer Diskussion immer kurz innezuhalten, falls auch das zrrgll sich äußern wollte.

Besonders erstaunlich war, wie schnell das Energiewesen lernte, sich verständlich und komplex in Unilingo zu artikulieren. Kren sagte nach einer langen Abendunterhaltung mit Nadine und dem zrrgll, dass es schade sei, dass die Erfinder der Sprache nicht miterleben konnten, wie ein echtes außerirdisches Individuum so einfach Zugang dazu erlangte.
Sicher, Unilingo war auch deshalb zur Weltsprache gewählt worden, weil ihre Grammatik so einfach zu erlernen war, dennoch hätte wohl niemand gedacht, dass diese Sprache einmal das Mittel zur interstellaren Kommunikation sein würde.

* * *

Jenny saß, wie so oft, im Gemeinschaftsraum und beobachtete die Gäste. Manchmal kam es ihr vor, als ob sie alles nur träumte. All diese fremdartigen Wesen, unverständlichen Maschinen, faszinierenden Erscheinungen, das konnte nicht real sein.
Voan'Min kam heran und erklomm den Ruheplatz, der sich an Jennys Tisch befand.
Die Menschenfrau hatte es sich angewöhnt, sofort wenn sie zu einem Sitzplatz kam, auch eins der 'Nester' bereitzustellen, die die Teloni extra für die Yemn'ianischen Passagiere entwickelt hatten.
"Ich habe interessante Neuigkeiten", sagte die Schlangenfrau, sobald sie es sich bequem gemacht hatte.
Jenny musterte sie interessiert. So freundschaftlich der Umgang zwischen ihnen zu sein schien, so undurchsichtig blieb der irdischen Wissenschaftlerin der Charakter der Yemn'In. Sie hatten kaum eine der Erfindungen gemacht, durch die die anderen bekannten Spezies ihr fantastisches technologisches Niveau erreicht hatten, trotzdem schienen sie im Kreis der Raumfahrenden als festes Mitglied anerkannt zu sein.

"Willst du wissen, was ich herausgefunden habe?" Voan'Min wirkte ein bisschen enttäuscht, weil ihre irdische Freundin nicht so neugierig war, wie sie erwartet hatte.
"Natürlich", beeilte sich Jenny, zu betonen, "Erzähl schon und spanne mich nicht noch lange auf die Folter!"
"Was bedeutet das?" Die Yemn'ina war verblüfft. Für diesen Ausdruck gab es in ihrer Sprache keine Entsprechung.
Jenny lachte. Das hatte sie nicht bedacht gehabt. "Es ist ein bisschen kompliziert, eine uralte Redensart. Aus den barbarischen Phasen der Menschheit ..." Sie verstummte. Freilich kannte sie die Berichte und Dokumente aus alten Epochen, in denen die Erdbewohner hauptsächlich damit befasst gewesen waren, sich gegenseitig in möglichst großer Anzahl umzubringen, aber vorstellen ...? - Nein. Das konnte sie nicht. Sie hatte in den Ferien einmal ein altes Schloss besucht, in dem sich auch ein besonderer Raum befunden hatte, eine so genannte 'Folterkammer', in dem Menschen ...
Sie schüttelte sich, als sie sich der grausamen Vorrichtungen erinnerte.
"Schon gut", lenkte Voan'Min ab. "Schließlich bin ich ja die mit den Neuigkeiten."
"Stimmt", pflichtete ihr Jenny erleichtert bei, "Was weißt du nun?"
"Oh, plötzlich ist es so wichtig?", tat die Schlangenfrau beleidigt, kicherte aber gleich darauf, mit dem typischen Zischen, das sich wegen ihrer Anatomie nicht vermeiden ließ.
Sie hob ihren Kopf auf Höhe des Ohres ihrer Gesprächspartnerin und flüsterte: "Wir haben zwei der ehemaligen Expeditionsmitglieder gefunden."
Jenny fuhr auf, saß plötzlich kerzengrade in ihrem Sitz. "Unglaublich!"
"Nicht so auffällig!", schimpfte Voan'Min, "Ich wollte das nicht gleich allen kundtun."
Die junge Frau überlegte einen Moment lang und fragte dann: "Warum eigentlich nicht?"
"Weil ich nicht preisgeben kann, wie ich die Information erlangt habe. Dir vertraue ich. Außerdem seid ihr Menschen ja noch nicht Mitglieder im 'Kreis'. Ihr seid - verzeih bitte - unbedeutend."


Wieder versank die irdische Frau in Schweigen. Diese Eröffnung wollte genau bedacht werden. War es nur die Ansicht einer Einzelperson oder tatsächlich allgemeine Auffassung unter den technisch unerreichbar weit fortgeschrittenen Aliens? Sie entschied, dass diese Frage später geklärt werden müsse und wandte sich wieder ihrer Freundin zu.
Voan'Min, so hätte man befürchten können, wäre wohl im nächsten Augenblick geplatzt, hätte Jenny noch immer gezögert, sich nun endlich das Geheimnis der verschwundenen Teloni eröffnen zu lassen. Sie pendelte nervös auf und ab, hin und her und platzte heraus, sobald sie sich Jennys Aufmerksamkeit versichert hatte:
"Sie sind verrückt geworden. - Alle. Die Beiden, von denen ich weiß, sind keinerlei vernünftiger Verhaltensweisen mehr fähig. Einer kann nicht mal mehr sprechen, während die andere nur wirres Zeug von sich gibt, mystische Erzählungen vom großen Ganzen, das nicht mehr zusammenfindet."
Jenny lauschte fasziniert. Das Gallertwesen - wenn man es so bezeichnen wollte - musste also durchaus gefährlich sein, wenn es solch nüchternen und wissenschaftlichen Kreaturen den Geist dermaßen verwirren konnte. Blieb nur die Frage, ob das bewusst geschehen war oder eher ... versehentlich.
"Gibt es denn keine maschinellen Aufzeichnungen der Expedition?", erkundigte sie sich.
"Sicher gibt es die, aber ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich an diese Dokumente heran kommen kann. Von einigen weiß ich bereits, wo sie aufbewahrt werden."

* * *

Marika hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die neuen Simulate, die Damian für zrrgll und Nadine erstellte, schon vor dem Versand zu testen. Die Erfahrungen, die sie dabei mit dem (simulierten) zrrgll gemacht hatte, ließen sie immer mehr glauben, dass sie ein besonderes Verständnis für dieses ... Wesen ... erworben hätte, ebenso, wie auch für Nadine.

Damian saß an seinem Arbeitsplatz und bastelte an der neuen Simulation, während sie sich alle Test-Logs auf die Schirme ihrer Station gelegt hatte und nun versuchte, die Ergebnisse zu korrelieren. Dieses zrrgll, das war eigentlich gar kein 'Wesen', zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Es war ... abstrakt, eine selbstorganisierende Struktur aus Kraftfeldern und Energien. Es, ... es, ... es lebte nicht.
Je mehr sich Marika in die Logs vertiefte, umso klarer wurde ihr, dass dieses Phänomen sich nicht einfach so entwickelt hatte. Stattdessen gewann sie immer mehr den Eindruck, als sei das zrrgll ein ... Produkt, hergestellt von ... wem auch immer, ... um ...

Spätestens an dieser Stelle versagte ihre Vorstellungskraft.
 



 
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