KONTAKTE - Neunundzwanzig

Aufschreiber

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Damian hatte erwartet, dass die Wohneinheit der Wissenschaftlerin ebenso pedantisch ordentlich und akribisch rein gehalten sei, wie ihr Arbeitsplatz im Zentrum. Der Anblick, der sich ihm bot, der ihn überfiel, als er durch die weit geöffnete Tür trat, neben der ihn Marika erwartet hatte, war wie eine Dusche mit Eiswasser. Saubere und schmutzige Wäschestücke lagerten rings um den Schreibtisch, der seinerseits von kreisförmig abgelegten Akten, Ausdrucken, Büchern, Schmierzetteln, Bildern, Schemata, ... belagert wurde. "Wie eine Zirkusmanege", schoss es Damian durch den Sinn.
"Schau dich bitte nicht genau um", forderte ihn Marika auf, "es ist nur wegen ... "
"Der Forschung?", vermutete der verdatterte Mann.
"Das auch ... ein bisschen zumindest."
Die junge Frau schlug die Augen nieder und gestand: "Eigentlich ist es wegen vorgestern Abend. Es war alles so ... leicht und cool. Als ich gestern aufgewacht bin, ist mir das alles nur noch auf die Nerven gegangen. Also habe ich nicht aufgeräumt und nicht gearbeitet. - Nun, ...", sie zögerte, "nicht viel, zumindest. Ich habe einfach alle Erkenntnisse durch den Computer gejagt, meinen Illusor mit der Testsimulation gefüttert und ..."

"Moment!" - Damian schrie das Wort beinahe. "Woher hast du mein Simulat?"
Sie schaute ihn verständnislos an. "Durfte ich das nicht haben? Ich habe mir alles heruntergeladen, was ich erreichen konnte."
Geschmeidig trat sie auf ihn zu, legte ihm die Hand auf den Arm und schaute ihm tief in die Augen.
Dann sagte sie leise: "Und wenn wir schon ... so eng ... zusammenarbeiten, habe ich nicht angenommen, dass dein Passwortschutz auch mich aussperren sollte."

Damian war so verblüfft, dass er einfach nur dastand und nach Luft schnappte. Nie im Leben wäre er auf die Idee gekommen, irgendjemandes Passwort ...
Andererseits hatte sie eigentlich auch Recht. Wenn sie gemeinsam forschen wollten, dann hieß das auch, dass sie nicht ihre Arbeitsgrundlagen vor einander verstecken durften.
"Weißt du", sagte er endlich, "Es wäre trotzdem angebracht gewesen, mich um die Daten zu bitten, anstatt einfach meine Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen. Es stimmt, dass du ein Zugriffsrecht auf die Simulation haben solltest. Dennoch ist es nicht OK, einfach loszugehen und dir zu verschaffen, was du gerade brauchst. Wenn wir zusammen arbeiten wollen, dann aber auch wirklich inklusive aller nötigen Absprachen. Ist das jetzt klar?"
Marika zog den schon bekannten Schmollmund. "Nun sei nur nicht so ungezogen! Ich habe nichts kaputt gemacht und keinen Blick auf irgendwelche anderen Daten geworfen. Und das sollte doch erlaubt sein."
"Sicher", wiederholte Damian, mittlerweile doch ziemlich aufgebracht, "Aber erst dann, wenn du gefragt hast. Danach ist es kein Problem mehr."


Die schlanke Wissenschaftlerin stieg über ihre Kleidersammlung und nahm vor den Monitoren Platz. Sie drehte sich zu ihm um und deutete auf einen zweiten Sitz, dessen Belag sie mit der anderen Hand zu Boden schubste. "Komm schon her, alter Griesgram! Ich habe es nicht böse gemeint." Sie wartete, bis er neben ihr saß und strich ihm über sein Stoppelhaar. "Es kommt nicht wieder vor. Versprochen."
Keine zwei Minuten später waren sie in die Arbeit vertieft. Sie ließen das Simulat erneut ablaufen und überlagerten den realen Prozess mit der Wiedergabe der Aufnahmen vom Test.

"Hier!" Marika stoppte beide Vorgänge und deutete auf die Aufzeichnung. "Hier hat sich das ... Ding in die Simulation eingeschaltet."
Damian pfiff durch die Lippen, als er erkannte, was sie meinte. Diese Stelle, das war die Subroutine zur Wahl der Erscheinungsform des Aliens!
Aber wann und wo war das Wesen überhaupt in das System gelangt?
"Das zeigen wir morgen Oove", entschied er, "Der soll seine Truppe an die Frage nach dem Zugangsort und - Zeitpunkt setzen."
"Zu Befehl, Sir", sagte Marika mit ernstem Gesicht. Dann prustete sie los. Sie lachte hell und unbekümmert.
Mit einem Mal verstummte sie und schaute Damian nur an.
"Was machen wir heute Abend?"

* * *

Der Tagungssaal, in dem die Konferenz der Völker stattfand, wirkte wie ein falsch konzipiertes Theater. Die Bühne war winzig und verschwand beinahe vor den kreisförmig angeordneten Zuschauer - Rängen. Das Rund war in drei Sektionen unterteilt, deren Plätze jeweils von den Vertretern einer Rasse eingenommen wurden. Unten, auf dem kleinen Podest, saßen zwei Teloni, zwei Pr'aksi und die Menschen. Auf weichen Kissen ruhten die Schlangenleiber der beiden Yemn'In, für die es keine passenden Sitzmöbel gab.

Tei'Anh, die neben einem noch unbekannten männlichen Telono saß, nahm das Wort:
"Sehr verehrte Gäste und Vertreter aller Arten, ich begrüße euch, auch im Namen der Regierung der Telonischen Unität, herzlich zu unserer Zusammenkunft. Wir heißen auch die beiden Menschen willkommen, die heute zum ersten Mal hier weilen."
Von der Sektion der Teloni klang ein Sturm von Klickgeräuschen herab. Die reptilischen Pr'aksi bekundeten ihren Beifall, indem sie die Klauen an ihren Flanken rieben, was ein schnarrendes Geräusch erzeugte. Die Yemn'In blieben stumm, richteten sich aber auf ihren Liegeplätzen auf und schwangen ihre Körper hin und her, sodass man fast den Eindruck eines wogenden Meeres gewinnen konnte.
Anh hob die Hand, zum Zeichen ihres Redewunsches. Der Lärm und das Wiegen der Körper endeten und es wurde sehr still.
"Wir danken ihnen dafür, dass wir heute hier sein dürfen. Diese Konferenz stellt für die Menschheit eine fantastische Gelegenheit dar, zu zeigen, dass - obgleich noch am Anfang der Raumfahrt - auch wir einen Platz in dieser großen Gemeinschaft verdienen."

"Im Bordell!", ertönte es von irgendwo in der Pr'aksischen Abteilung. Es erhob sich ein Tumult, der jegliche verbale Kommunikation unmöglich machte. Telonische Sicherheitskräfte kamen durch die Zugänge gestürmt, die die Kreissegmente von einander trennten und begannen, ein Aerosol zu versprühen.
Binnen weniger Sekunden herrschte wieder Stille. Das Mittel schien die Betroffenen zu paralysieren, sodass die jetzt nachdrängenden Teloni ihren Job machen konnten.
Der Rufer war schnell ermittelt. Die Überwachungskameras zeigten deutlich, dass es sich um einen reich geschmückten Pr'akso mittleren Alters handelte. Er wurde von den Sicherheitskräften aus seinem Sitz gezogen und auf eine Art Schwebestuhl gesetzt, der anschließend aus dem Saal glitt.
Frische Luft wurde in den Raum geblasen, was bewirkte, dass die Lähmung der Teilnehmer schnell verflog.

Einer der beiden Pr'aksi auf der Bühne erhob sich und rief: "Wir distanzieren uns von diesem Vorkommnis und bitten vielmals um Entschuldigung für den Missetäter."
 



 
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