KONTAKTE - Neunzehn

Aufschreiber

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Die beiden Männer saßen vor Damians Monitoren. Sie sprachen kein Wort, ja, selbst der Atem war kaum zu vernehmen. Einzige Geräusche waren das Klacken der Tasten und das Klicken der Mausknöpfe. Die Zahl der Fenster, in denen Videoclips abliefen, Quellcode - Schnipsel angezeigt wurden und Datenblöcke vorbei rasten, hätte gut für ein komplettes Rechenzentrum gereicht. Ein zufälliger Betrachter hätte sicher den Eindruck gewonnen, dass die beiden verkrampften Gestalten vor den Displays wahllos die Informationen beobachteten, die in wirrem Chaos über die Schirme tanzten.
Doch der Schein trog. Bei genauem Hinsehen hätte man unweigerlich bemerkt, dass auf dem kleinsten der Monitore eine Art Kontrollinstanz ihre Arbeit tat. Sie sammelte die Ergebnisse der anderen Programme und unterzog sie einer genauen Analyse.

Oove stöhnte und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Anschließend streckte er die maltraitierten Gliedmaßen und erhob sich.
"Erstmal einen Kaffee. Das kann ja hier noch eine Weile dauern - oder?"
"Bring mir bitte auch einen Pott voll mit!" Damian wandte seine Augen nicht vom Schirm, veränderte ein paar Parameter und startete einen neuen Hypervisor.
Der große Skandinavier ließ sich vom Synthesizer das Gewünschte zubereiten , stellte aber das Tablett am kleinen Couchtisch ab, der in der Ecke des Raumes der Benutzung harrte. Er verteilte Getränke und Gebäck und trat zu dem verbissen arbeitenden Simultroniker heran.
"Kaffee ist fertig."
"Danke. Ich komme gleich."
Damian erhob sich ebenfalls und schlenderte zur Couch hinüber. Sie ließen sich nieder und rührten gedankenverloren in ihren Pötten.
"Wieviel, denkst du, haben wir schon geschafft?", erhob Johansson seine Stimme.
"Wenn du so fragst, würde ich auf etwa siebzig Prozent tippen."
Oove pfiff durch die Zähne. "Doch schon so viel?"
"Mindestens. Das Datenvolumen belief sich auf rund dreißig Terabyte. Kommen noch die Informationen aus eurem Zentrum hinzu, ..."

Damian schnappte sich sein Multifon. Er tippte ...
"Wie ich dachte, einundsiebzig Komma eins vier Prozent."
Johansson nickte. "Und dann?"
"Dann werden wir wissen, was das für ein ... Ding ist."
"... und wo es her kommt", fügte Oove hoffnungsvoll hinzu.
"Nein. Das leider nicht."

* * *

Anh und Jenny erreichten den Raumflughafen lange vor dem geplanten Abflug. Sie spazierten gemütlich durch das Handelsareal, das im untersten Stockwerk der großen Ringstation seine Neonschilder, Leuchtreklamen und Werbeholos auf die Passanten schleuderte. Nicht umsonst kursierte der Spruch: 'Im Raumhafen gibt es alles.' Das riesige Gebiet quirlte und sprudelte, als sei es einer der berühmten orientalischen Basare. Düfte und Laute schwebten umher, verdrängten einander oder vereinigten sich zu völlig neuen Eindrücken.
Jenny, die bei weitem Unerfahrenere, lief staunend und jauchzend von einem Verkaufsstand zum anderen. Die meisten der Dinge, die sie hier zu sehen bekam, waren ihr völlig fremd. Ein Pr'akso trat ihnen in den Weg und zischte: "Schöne Humanoidinnen, kommt und schaut, was ich euch zu bieten habe. Mein Geschäft bietet alle Genüsse, die sich ein menschliches Weibchen nur vorstellen kann ... und ein paar, die eure Fantasie sich nicht auszumalen vermag."
Anh drängte an ihm vorbei. "Danke schön, aber wir sind nicht zum Shoppen hier."
"Das ist sehr schade", säuselte das reptilische Alien, "Noch nicht einmal ... einen Blick ..."
Jenny blieb stehen und zupfte ihre Begleiterin am Ärmel. "Wollen wir nicht wenigstens schauen? Bitte!"
"Na meinetwegen", ließ sich die Asiatin erweichen. Die beiden Frauen folgten dem Pr'akso durch das Gewühl der Buden und Stände.
Vor einem kleinen Türchen blieb er stehen und wandte sich zu ihnen um.

"Folgt mir, verehrte ... Damen!" Damit öffnete er den Durchgang und schlüpfte hinein, ohne dass die Beiden auch nur einen Zipfel des Innenraumes zu sehen bekamen.
Sie folgten ihm und blieben, kaum dass sie den Eingang durchschritten hatten, wie angewurzelt stehen. Vor ihnen befand sich ein ... ein ... Palast, wie er selbst im indischen Heimatland Anhs nicht existierte. Schwere Düfte wallten in dichten Schwaden umher und wunderbar bunte Papageien krähten ihnen ein Willkommen zu.
"Kommt, kommt!", lockte der Krokodilmann, dessen schuppige Haut im Lichte der zahllosen Leuchter goldfarben schimmerte.
"Ok", sagte Anh, die sich dem Einfluss der Umgebung als erste zu entziehen vermochte.
Jenny schüttelte heftig den Kopf, um wieder klar denken zu können. Die Schwaden, die ihre Köpfe umschwebten, wirkten offenbar auf das Bewusstsein.
Die kleine Asiatin zeigte sich weitgehend unbeeindruckt.
"Wo sind nun die angepriesenen Angebote?", wollte sie wissen. Sie steckte ihre rechte Hand unauffällig in die Schultertasche, die sie, fest am Gurt gefasst, bei sich trug.
"Die werdet ihr noch sehen!" Diesmal klang das rasselnde Zischen der Echsenstimme nicht mehr schmeichelnd. Der Pr'akso sprang auf die schwankende Jenny zu und wollte seine Klauen um sie legen, doch Anh kam ihm zuvor. Urplötzlich hatte sie einen Stunner in der Hand, mit dessen Spitze sie den Angreifter berührte.
Er jaulte auf und rutschte in sich zusammen. Doch die kleine Frau hatte kein Erbarmen. Sie trat zu dem sich windenden Fleischberg und forderte: "Du wirst uns jetzt erklären, was das Ganze werden sollte. Andernfalls ..." Sie hob den Stunner.
"Bitte nicht!", wimmerte der Pr'akso.
"Nun?"
"Es gibt auf Pr'akos einen Schwarzmarkt für menschliche Frauen. Hintergrund dafür ist, dass Eure Spezies ... sich für uns als Sexualpartner eignet, aber keine Nachkommen zu befürchten sind, weil unsere Gene ein Crossbreeding nicht zulassen. Das ... Handelsgut bringt auf unserem Heimatplaneten immense Gewinne ein. Diese Frau ... ", er deutete auf Jenny, "dürfte gut zweihundert Millionen Crets wert sein."

Die beiden Astronautinnen waren perplex. Gab es nicht Verträge zwischen den interstellaren Völkern, die solche Dinge untersagten?
"Was ist die Strafe für dieses Vergehen?", wollte Jenny wissen, als sie sich gefasst hatte.
"Ach bitte! Bitte!", jammerte der Pr'akso, "Lasst mich gehen! Die Bestrafung ist unvorstellbar hart. In eurem Teil des Universums gibt es nichts Vergleichbares." Er wand sich, als empfinde er die erwähnten Qualen bereits. Dann hob er den Kopf ein wenig an. Verschwörerisch zischte er:
"Wenn ihr mich gehen lasst, werde ich euch den Preis zahlen, den ich in der Heimat für euch erzielen könnte. Fünfhundert Millionen Crets ..."
"Wie großzügig!" Anhs Stimme hätte einen Diamanten zerschneiden können. "Und wenn wir weg sind, schnappst du dir die nächsten Opfer und verkaufst sie für siebenhundert."
Sie entnahm ihrer Tasche das Multifon und wählte die Nummer der Hafenpolizei.
"BITTE!" Die große Echse sah wirklich mitleiderregend aus, wie sie da am Boden lag und sich wand, als versuche sie, im Titanit der Stationshülle zu verschwinden.
"Tut mir leid ... ", erhob Anh ihre Stimme, " ... oder halt, eigentlich nicht." Die Eingangstür explodierte. Vier Personen in Kampfanzügen stürmten herein.
Es dauerte keine zwei Minuten, bis die Polizisten die Situation übernommen und den Pr'akso abgeführt hatten.

Kaum war das Reptil fort, veränderte sich der Raum. Die Illusion eines Palastes schwand und es blieb nur ein schmutziger Lagerraum, in dessen Winkeln Verdampfer standen und duftende Schwaden erzeugten.
"Lass uns gehen!", sagte Anh.
"Ja", stimmte Jenny zu, "Es wird sowieso Zeit. Vielen Dank für die Rettung!"
Sie tat ein paar Schritte in Richtung Tür, bevor das Sedativum des Parfums sie überwältigte und sie zu Boden sank.

Kopfschüttelnd rief die erfahrene Asiatin den Rettungsdienst.
 



 
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