KONTAKTE - Sechsunddreißig

Aufschreiber

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T'Rakisu, der Erste Offizier an Bord des Kampfschiffes, erstarrte. Irgendetwas war geschehen. Noch während er grübelte, was das gewesen sein konnte, startete er - beinahe reflexartig - das große Analyseprogramm. Anschließend aktivierte er den Kommunikator und erstattete Meldung.

Kr'Akso betätigte die Ruftaste an Anhs Kabine. Es war ihm noch immer nicht klar, wieso man auf die kindischen Gepflogenheiten dieser "Menschen" eingegangen war. Bei den Pr'aksi gab es kaum eine Privatsphäre. Wer ungestört sein wollte, verschloss einfach die Tür, indem er ein Sensorfeld mit etwas Körpersekret benetzte.
Sekrete spielten im Leben der Spezies ohnehin eine große Rolle, denn sie waren vollständig unfälschbar. Die Pr'aksi hatten im Laufe ihrer Jahrmillionen währenden Entwicklung die Fähigkeit erlangt, die Zusammensetzung verschiedener Ausscheidungen zu kontrollieren. Doch nicht nur das, ihre Körper produzierten die passenden Gemische weitgehend unbewusst. Nur für solche Zwecke wie den Verschluss von Eingängen bedurfte es einer willentlichen Modifikation.
Doch die Pr'aksi verschlossen ihre Unterkünfte fast nie. Selbst das Sexualleben war bei ihnen kein Tabu, wurde als das akzeptiert, was es war: einfach natürlich. Daher geschah es nicht selten, dass man irgendwo auf der Heimatwelt kopulierenden Echsen begegnete. Niemand störte sich daran. Einziges Problem war, dass die Pr'aksischen Frauen sehr fruchtbar waren, ein Koitus also fast immer zur Schwangerschaft führte. Genau deshalb hatte sich der Markt für menschliche Weibchen etabliert


Auf dem Schiff gab es fast keine weiblichen Mannschaftsmitglieder. Das Imperium war ein reines Pratiarchat, in dem Weibchen keine verantwortungsvollen gesellschaftlichen Posten übernahmen. In der Tat war den beiden menschlichen Frauen noch keine einzige Pr'akona begegnet.
Anh öffnete die Tür der Kabine und lächelte ihren Besucher an. Sie trat beiseite und ließ ihn eintreten. Kaum war der Eingang wieder verschlossen, trat der Pr'akso auf die schlanke Asiatin zu und unterbreitete ihr sein Angebot ...


Inzwischen war der Erste Offizier zur Brücke geeilt, von wo er umfassendere Kontrollmöglichkeiten und Auswertungsfunktionen hatte. Es dauerte etwa zehn Zeiteinheiten, bis die Analyse abgeschlossen war. T'Rakisu war verblüfft. Beim Austritt aus dem Kontinuum hatte es an einer Stelle des Schiffes eine sprunghafte Erhöhung des Energielevels gegeben, so, als sei es von einer sehr schwachen Strahlenwaffe getroffen worden. Die Entladung, wenn es eine solche war, hatte nicht einmal zur Auslösung eines Alarms ausgereicht.
Er kontrollierte die Außenhaut auf eventuelle Schäden, konnte aber nichts entdecken. Vielmehr hatte sich die Energie ausgebreitet und war abgeklungen, bis sie nicht mehr nachgewiesen werden konnte.

Halt! Das stimmte nicht ganz. Die Energie war sehr wohl nachweisbar. In vielen Maschinen und Anlagen des Schiffes war der Basislevel gestiegen. Unglaublich schwach, doch immer noch erkennbar. Das kam dem jungen Pr'akso bekannt vor. Irgendwo hatte er etwas Ähnliches schon gesehen.
Einige Augenblicke lang grübelte er. Dann war es ihm klar. Auf dem irdischen Raumschiff hatte es einen ähnlichen Effekt gegeben, allerdings war der "Einschlag" dort von innerhalb gekommen.

Die Erkenntnis traf ihn, wie ein Faustschlag. Er löste den Alarm aus. Die Beleuchtung verdunkelte sich und alle Verteidigungssysteme wurden in Bereitschaft versetzt.

"Was ist hier los?", krächzte der Kapitän, als er die Brücke erreichte.
"Wir haben einen Eindringling an Bord!"
"Was?" Der Befehlshaber verstand nicht.
T'Rakisu erklärte und zeigte allen Brückenoffizieren seine Entdeckungen. Das schlug ein wie eine Bombe ...

* * *

Zrrgll nahm einige seltsame Impulse wahr. In einem Sekundenbruchteil war es wieder vollständig bewusst und begann, die Situation zu überprüfen. Die Maschinen in diesem Raumschiff waren anders. Sie waren ... biologisch? Nein, das stimmte nicht ganz. Sie waren ... hybrid, teils biologisch, teils rein elektronisch, manche beides gleichzeitig.
Hier half dem Energiewesen sein Wissen aus der "Un-brakeable" nur sehr wenig, zumal auch die Struktur der Geräte sich stark unterschied. Wie es schien musste es den Großteil des erworbenen Wissens zumindest erweitern, wenn nicht gar neu erwerben.
Was war zu tun? Es grübelte eine Weile, bevor es sein weiteres Vorgehen geplant hatte. Wenn es sich ein Verständnis für die Passagiere verschaffte, würde der Rest einfacher werden. Es löste sich aus den Eingeweiden des Schiffes und begann, die Bewusstseinssphären der Lebewesen zu untersuchen.

Auch hier erwartete es eine Überraschung. Zu allererst einmal gab es auf diesem Schiff vier verschiedene Spezies, die sich körperlich komplett unterschieden. Nur eins der Wesen kam ihm bekannt vor; - ein weiblicher Mensch. Doch es würde Zrrgll nicht helfen, sich in das Bewusstsein dieses Indivduums einzuschleichen, denn die Rasse war ihm schon gut bekannt.
Den bei weitem größten Anteil an der Besatzung machten Wesen aus, die über eine Art Außenpanzer verfügten und deren Hirnstruktur sehr ... organisiert ... erschien. Zrrgll drang in ein solches Bewusstsein ein und staunte, wie ähnlich sich Lebewesen und Maschinen hier waren. Der Intellekt der Kreatur, die es untersuchte, war gut geschult, ließ bei seiner Tätigkeit kaum Ablenkungen zu.
Das war einerseits angenehm, andererseits erschwerte es aber auch die Analyse, denn nun bedurfte es einer klar abgegrenzten Situation, in der Zrrgll die Reaktionen des Individuums erforschen konnte.

* * *

"Nein", sagte Anh und trat zurück, sodass die Couch, die man extra für sie hergestellt hatte, sich zwischen ihr und dem bedrohlich wirkenden Pr'akso befand.
Kr'Akso blieb ruhig stehen. Er konnte die abweisende Haltung der Frau nicht werten. Auf dem Planeten galt er als ausgesprochen wünschenswerter Partner. Sollte es bei menschlichen Weibchen andere Kriterien geben, als Kraft, Gesundheit, Erfolg, Rang?
"Hören sie doch zu!", bat er, "Ich wäre bereit, ihnen Einblick in alle Unterlagen zu gewähren, die die Menschheit in die Lage versetzten, selbst Hyperraum - Schiffe zu bauen und uneingeschränkt zu benutzen."

Anh entspannte sich ein bisschen. Zumindest schien Kr'Akso sie nicht überfallen zu wollen.
"Tut mir leid, aber dieses Geschäft kann nicht durchgeführt werden. Das hat seine Gründe. Erstens ist Sex in meiner Kultur noch immer mit dem Gedanken der Partnerschaft im Alltag verbunden. Man kann das trennen, aber es wird nicht überwiegend so gehandhabt."
"Stimmt das denn?", fragte Kr'Akso, "Ich habe mich ein wenig mit ihrer Kultur befasst. Der Begriff 'Hochschlafen', auf den ich dabei gestoßen bin, beschreibt doch die Gewährung sexueller ... Gefälligkeiten, im Austausch gegen persönliche Vorteile?"

"Das ist wahr, aber es ist nicht anerkannte Praxis, sondern eher kontrovers bewertete Ausnahme, wird meist als negativ betrachtet. Eine Art unlauterer Wettbewerb."
Anh war erstaunt, wie tiefgehend die Informationen waren, die die Pr'aksi über die menschliche Gesellschaft besaßen. Sie lief um die Couch herum und ließ sich darauf nieder, immer darauf bedacht, nicht 'aufreizend' zu wirken.
"Es gibt noch einen anderen Aspekt, den sie nicht beachtet haben", fuhr sie fort. "Es gibt nicht die 'irdische Kultur', sondern viele unterschiedliche gesellschaftliche Konstrukte, die sich teilweise extrem unterscheiden. Im Volk der Inuit, das hauptsächlich in der Arktis verbreitet ist, gehörte es zur guten Gastfreundschaft, dass der Hausherr seinem Besucher seine Frau anbot, um 'mit ihr zu Lachen'. In anderen Kulturen wurden die Frauen eingesperrt und verschleiert, um kein Verlangen bei den Männern hervor zu rufen ..."

Der Pr'akso sah sie erstaunt an. "Es gibt keine ... irdische ... Kultur?"
"Ja und nein. Natürlich hat sich, als die einzelnen Völker endlich aufhörten, sich gegenseitig zu töten, eine neue Kultur herausgebildet, eine ... Interkultur, könnte man sagen. Dennoch gibt es auch und noch immer diese regionalen Eigenheiten, die von der 'Weltgemeinschaft' toleriert werden."
"Es gibt also keine Hoffnung, dass wir uns in der Sache einigen werden, die ich vorgeschlagen habe?" Die Haltung des Schiffsoffiziers zeigte deutlich die Enttäuschung.
"Ich fürchte, dass es die nicht gibt."
Irgendwie tat die große Echse Anh ein winziges bisschen leid.

"Nun", erwiderte Kr'Akso, "ich danke ihnen für ihr Verständnis. Darf ich hoffen, dass sie diese ... Angelegenheit ... diskret behandeln werden?"

"Versprochen."
 



 
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