KONTAKTE - Vier

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Aufschreiber

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Die nächsten Tage, ihre letzten auf der Erde, vergingen wie im Flug. Kren fühlte sich nicht wohl, war einsilbig und manchmal abwesend.

"Was ist mit dir?", fragte Nadine immer wieder. Kren lächelte, küsste sie und ging davon. Sie begann, sich zu sorgen. Was bewegte ihren Geliebten so sehr? Am letzten Morgen vor ihrer Abreise hielt sie es nicht mehr aus.
"Kren! Du musst mir jetzt sagen, was mit dir los ist. Ich ertrage diese Situation nicht mehr." Er lächelte und wollte sie - wie immer - küssen, doch sie wich zurück und forderte: "Sprich mit mir!"
Der durchtrainierte, sonst so agile Mann schien beinahe nur noch ein Schatten seines früheren Selbst zu sein. Er ließ sich auf dem Entspannungssitz nieder und starrte vor sich hin. Dann atmete er tief ein und erklärte: "Ich kann mich nicht erinnern. Seit unserer Abschiedsparty fehlen mir Teile des Gedächtnisses. Ich bin mir sicher, dass es am Morgen danach irgend etwas gegeben hat, das ich für sehr wichtig hielt. Aber immer wenn ich mich darauf zu konzentrieren versuche, versagt meine Erinnerung. Alles was ich abrufen kann, ist ein sehr angenehmes Gefühl der Leere."

Nadine betrachtete ihren Mann. Warum war es so wichtig, was man an einem verkaterten 'after party' Morgen gedacht oder getan hatte? Sie ging zu ihm und strich ihm über das Haar.
"Da gab es nichts. Ich hatte vergessen, dass ich den Alarm im Butler deaktiviert hatte. Ansonsten war alles, wie du es erinnerst - sehr angenehm."
Ihre Hände wanderten an den Ohren entlang, über den Hals, der Brust zu.
Kren stand auf und griff nach ihr. Er führte sie zurück, in den Schlafraum.
Als sie das Wohnzimmer wieder betraten, schienen beide neu zu sein. Krens Augen strahlten in ihrem normalen Glanz und Nadine fühlte sich voller Energie. Sie ging in die Küche und synthetisierte zwei Frucht-Cocktails. Anschließend kehrte sie, ein Glas in jeder Hand, zurück.
"Auf uns!"
"... und unsere Mission", ergänzte Kren.

"Abreise in zehn Minuten!", ließ sich der Butler vernehmen.
"Danke", murmelte Kren, reflexartig. Natürlich war ihm klar, dass die künstliche Intelligenz der Wohneinheit keinen Dank erwartete, dennoch konnte er nicht aus seiner - wohlerzogenen - Haut.
"Benötigt ihr meine Dienste noch?", fragte die warme Baritonstimme des Butlers.
"Nein, danke". Auch Nadine war Höflichkeit gewohnt.
"Dann wünsche ich euch viel Erfolg bei der Erfüllung eurer Aufgaben. Nach Verlassen der Einheit werde ich eure Profile archivieren und mich dann zurücksetzen. Wünscht ihr, euren Nachbewohnern irgendwelche Nachrichten zu hinterlassen?"
"Nein, danke!" Das kam von beiden gleichzeitig. Nadine schlüpfte in ihre Jacke und wechselte die Schuhe. Sie ließ das ausgezogene Paar im Flur zurück. Der Garbage Collector würde sich darum kümmern. Als auch Kren bereit war, traten sie in den Hausflur hinaus. Die Wohnungstür schloss sich und man hörte ein Summen. Auf dem Kontakt - Terminal neben dem Eingang erschien die Meldung: "Wohnung im Resetmodus. Frei ab ..."
"Leb wohl!", sagte Nadine leise. Für einen Moment gedachte sie der vier Jahre, in denen diese Unterkunft ihrer beider Heim gewesen war. Stille Abende, wilde Feste und immer die Geborgenheit, die ihr das Zusammensein mit Kren geschenkt hatte.
Er schaute sie an und lächelte auf die gleiche spitzbübische Art, wie er es damals getan hatte, als ihr am ersten Tag der Campus Guide, ein scheckkartengroßes Gerät, abhanden gekommen war und sie hilflos im Gewühl gestanden hatte. Drei Wochen später hatten sie ihre erste gemeinsame Wohnung bezogen. Und auch sie tat das Gleiche wie in jenem Augenblick. Sie errötete und senkte den Kopf.
"Akademie?", fragte er.
"Das auch."

Sie nahmen den Lift nach unten. Dort wartete schon ein Kopter. Als sie näher traten, öffnete sich der Einstieg.
"Willkommen an Bord, Nadine und Kren!" Die Stimme des Robopiloten klang frisch und jugendlich.
"Guten Morgen", erwiderten die Beiden.
"Möchten Sie direkt fliegen oder gibt es noch Zwischenstopps, die Sie mir nennen wollen?"
"Direktflug, bitte."
"Dann nehmen sie bitte Platz! Wir starten, sobald alles bereit ist."

Kaum dass sie sich in den Sitzen niedergelassen hatten, hob der Kopter mit leisem Pfeifen ab.
"Möchten Sie hinaus schauen?", ließ sich der Pilot wieder vernehmen.
"Nein, danke, wir hätten lieber eine Übersicht über die aktuellen Nachrichten und Ereignisse."
Die vordere Wand der Kabine erhellte sich und es erschienen Piktogramme, die verschiedene Interessengebiete symbolisierten. Nadine wählte 'Übersicht' und 'Kultur'.
Das Bild belebte sich. Ein Nachrichtensprecher erschien.
"Wie die Korrespondenten aus dem Hauptquartier der Sternenflotte berichten, hat es in den letzten Tagen verschiedentlich Probleme mit der Software der dort eingesetzten Illusoren gegeben. Ein Vertreter der IT - Abteilung erklärte, man habe eine Art Mutation am Code von Simulaten festgestellt, die untersucht werden müssten. Damian Kryptowski, der Chefentwickler für die Testszenarien, warnte vor möglichen Schäden, auch bei Benutzung der privaten Illusoren. Er mahnte einen Rückruf und eine genaue Analyse der Effekte an."

"Seltsam", sagte Kren. "Ob das schon bei unserem Test der Fall war?"
"Ach was! Hattest du denn den Eindruck, dass irgend etwas nicht in Ordnung war?"
"N ... aja. Ich habe mir eingebildet, dass du nach dem Test noch Nachwirkungen gehabt hättest."
Nadine überlegte. Hatte Kren Recht? Halb verschwommen erinnerte sie sich, dass es während der Party etwas gegeben hatte, das nicht ... normal ... gewesen war. Sie konnte sich nicht entsinnen, was das gewesen sein könnte, aber möglicherweise waren ja doch Unregelmäßigkeiten aufgetreten, die niemand dem Illusor zugeschrieben hätte.

Über dem Tischchen, das zwischen ihren Sitzen stand, erschien das Menü.
"Bitte wählen sie ihr Gericht und sprechen oder tippen sie dessen Nummer!"
Kren wunderte sich. Sie waren ...
Er nahm seinen Kommunikator zur Hand und prüfte das Log. Sie waren gegen 9:00 Uhr losgeflogen. War wirklich schon Mittagszeit? Er wischte und tippte ... 'Ortszeit: 11:55 Uhr', zeigte das Display.
"Knapp drei Stunden", merkte Nadine an, die einen seitlichen Blick auf sein Gerät getan hatte. "Komisch. Ich hätte gedacht, dass wir maximal eine Stunde geflogen sind. Nun gut, dann wollen wir uns einmal stärken." Das Angebot an Speisen konnte sich sehen lassen. Kren durchforstete das Menü und hielt plötzlich inne.
"Ein bisschen fühlt sich das ...", er stockte, "nach Henkersmahlzeit an."
"Ich kann ihnen versichern, dass eine Hinrichtung weder für sie noch für Nadine zu befürchten ist." Der Pilot war offenbar ein Witzbold.
Sie wählten, was ihnen zusagte und anschließend verschwand die Karte und ein Tablett kam heran geschwebt. Darauf fanden sie ihre Selektion. Sie ließen sich alles gut schmecken. Als sie ihr Mahl beendet hatten, stellten sie das Geschirr auf das Tablett zurück. Es flog davon, verschwand in einer Wandluke.

Das Essen machte schläfrig. Beide nickten in ihren Sesseln ein und erwachten erst, als der Pilot rief: "Bitte aufwachen! Es ist 14:35 Uhr, wir landen in fünf Minuten." Sie rieben sich die Augen und erhoben sich, um sich ein bisschen frisch zu machen. Ein bisschen, nur, denn die Zeit reichte nicht für mehr.
Nadine war gerade dabei, ein wenig Pflegelotion aufzutragen, als sich der Pilot wieder meldete.
"Bitte nehmen sie ihre Plätze ein, der Landevorgang beginnt!" Kren saß schon wieder im Sessel. Er winkte Nadine.
"Schnell, mein Schatz! Die Flotte ruft!" Er kicherte und sie stimmte ein. Irgendwie war dieser Moment befreiend und bedrückend zugleich. Sie würden auf dem Mondhafen landen, dem letzten Außenposten im Orbit der Erde.

Nadine schaffte es gerade noch, sich hin zu setzen, dann setzte der Gegenschub ein und presste sie beide in ihre Sitze.
"Ade, liebe Erde!", scherzte Kren. Doch es klang nicht besonders fröhlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Steffen,

okay. Scheinbar alles wieder normal. Aber Henkersmahlzeit? o_O Was erwartet die beiden da draußen? Bin sehr gespannt.

... doch sie wich zurück und forderte: kein Zeilenumbruch
"Sprich mit mir!"

Dann atmete er tief ein und erklärte: kein Zeilenumbruch
"Ich kann mich nicht erinnern.

... ein scheckkartengroßes Gerät ...

"Guten Morgen", erwiderten die beiden.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo Rainer,

ich habe keinen Schimmer, warum die Antworten verschwinden. Ich bilde mir ein, schon mindestens dreimal hierauf geantwortet zu haben.
Nun, also noch einmal: Vielen Dank für Deine Hinweise.

Die Henkersmahlzeit ist eigentlich ohne Bedeutung für die Geschichte. Es ist nur so gemeint, wie man manchmal eben so ein Gedanken-Schlaglicht hat.

Beste Grüße,

Steffen.
 



 
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