KONTAKTE - Vierunddreißig

Aufschreiber

Mitglied
Der Kreuzer der Pr'aksi war ein typisches Militärraumschiff. Die Mannschaft lebte auf engem Raum, schlief in Gemeinschaftsunterkünften und auch die Hygienezelle war für simultane Nutzung durch mehrere Individuen ausgelegt.
Nur die Passagiere von den anderen Welten genossen das Privileg, eigene Räume bewohnen zu dürfen. Da die Offiziere des Pr'aksischen Heeres keine Sonderrechte - wie eigene Unterkünfte - besaßen, hatte man diese Kabinen durch Unterteilung eines Gemeinschaftssaales bereitgestellt.
Anh konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie ein ... Eindringling sei, der das ohnehin harte Leben der Mannschaft noch schwieriger machte.

Der Dienst im Heer stellte in der Kultur der Reptilienwesen eine hohe Auszeichnung dar, eine Ehre, die in der gesamten Gesellschaft mit Vorteilen und Bewunderung verbunden war. Ein ehemaliger Soldat hatte Anrecht auf eine lebenslange Pension und wurde nicht selten mit Ämtern und privilegierter Stellung belohnt. Der Andrang auf Dienstverträge beim Heer war entsprechend groß und die Aufnahmebedingungen kaum zu erfüllen.
Soldat des Imperiums zu sein, das hieß vollständige Hingabe und unbedingte Unterordnung des gesamten Lebens unter die Belange des Dienstes.
Anh hatte sich kaum drei Stunden an Bord des - namenlosen - Schiffes aufgehalten, bevor ihr klar wurde, dass es möglicherweise besser gewesen wäre, hätte Jenny ihren Platz eingenommen. Hier bestand keinerlei Gefahr irgendwelcher Respektlosigkeiten oder gar Übergriffe.
Solch ein Handeln hätte für den Täter den sofortigen Tod bedeutet.

Als Delegierte der Konferenz hatte Anh fast überall Zutritt und Zugriff. Fast, das hieß, dass alle Waffen und - Leitsysteme tabu waren, übrigens auch für die Teloni und Yemn'In. Doch darüber machte sie sich keine Gedanken. Sie hielt es für legitim, die besonderen "Errungenschaften" der Spezies zu schützen.

* * *

Jenny fühlte sich wie zu Hause. Die Teloni waren ausgesprochen höfliche und aufmerksame Wesen, die ihre Gäste sofort vollständig integrierten. Es war ganz egal, ob es sich um Pr'aksische Echsen, Yemn'Inionische Schlangen oder die zerbrechlich wirkende menschliche Frau handelte, die Teloni waren einfach perfekte Gastgeber.
Im Gemeinschaftsraum des Schiffes, das den fantastischen Namen "Po'kh Enh'kok'Unh Anh 'grak'inh", "Schwärmer der Enh, Unh und der ehrenwerten Anh", trug, saß Jenny mit Voan'Min, einer Vertreterin der Yemn'Inionischen Delegation beisammen und trank einen "Pokh'wakh"-Tee. Das Getränk war ihr von Tei'Anh empfohlen worden und mundete vorzüglich. Das Aroma war ... unbeschreiblich: mild und gleichzeitig fruchtig, süß-sauer und im Nachgeschmack ein kleines bisschen scharf.
Voan'Min hatte den hinteren Teil ihres Leibes in die Sitzschale gekringelt, die speziell für ihre Spezies bereit stand. Ihren Kopf balancierte sie etwa auf Jennys Augenhöhe, was den "Oberkörper" leicht pendeln ließ. Diese Haltung hatte Jenny zuerst ein wenig Unwohlsein bereitet, doch mittlerweile störte es sie nicht mehr.
"Und wie sind sich die Yemn'In und die Teloni begegnet?", fragte Jenny.
"Das ist leider kein Stoff für ein Heldenepos", erwiderte ihr Gegenüber, "Tatsächlich gab es als Erstes ein fatales Missverständnis. Es geschah in der Zeit, als den Teloni die tierische Nahrung knapp wurde. Damals waren weder sie noch wir sehr zivilisiert, sie hatten aber bereits die Technologie des Impulsantriebs gemeistert, während unser Volk noch nicht über irgendwelche Raumschiffe verfügte. Dir ist ja sicher bekannt, dass unser Eintritt in die interstellare Raumfahrt erst einige tausend Jahre später erfolgte."
Voan'Min pausierte kurz, wartete offenbar auf eine Reaktion. Jenny nickte und nahm einen Schluck von dem Getränk, das in seinem Behältnis wunderbar warm gehalten wurde.
"Ja", antwortete sie, "Ich habe es gehört. Ihr geltet als ... geschickte Händler und hervorragende Financiers."
"Danke!", zischte Voan'Min.
Auch daran hatte sich Jenny erst gewöhnen müssen. Das Zischen war ein Ausdruck des ... Wohlwollens, der Freude, der Zufriedenheit. Es war der Ersatz für ein Lächeln, zu dem die Yemn'In, die keinerlei Mimik besaßen, nicht fähig waren.

"Die Teloni landeten also auf unserem Planeten und fanden - eine große Schlange, die obendrein keine Anstalten machte, zu fliehen. Sie versuchten, sich mit dem "Tier" zu verständigen, was natürlich scheiterte, weil beide Spezies die Laute des jeweils anderen für zusammenhanglos und unbewusst hielten.
Derart überzeugt, dass das Lebewesen nicht über Intelligenz verfügte, töteten die Teloni das Wesen und verarbeiteten es zu Nahrung."

Jenny saß schockiert in ihrem Sessel. Ausgerechnet die friedfertigen Teloni! Doch dann erinnerte sie sich der aggressiven Reaktion der Menschen, damals ...
"Das war wirklich unglücklich", entgegnete sie.
"Und es führte zu einer jahrhundertelangen Feindschaft. Der Krieg, den beide Spezies gegeneinander führten, war grausam. Die Yemn'In, auf ihrer Entwicklungsstufe noch mehr naturorientiert, waren sehr geschickt in der Herstellung von Giften und Schadstoffen. Hinzu kam, dass unsere Vorfahren noch in der Lage waren, ihre Körperfärbung zu verändern. Unsere Agenten schlichen sich an Bord der Raumschiffe, wo sie das Aussehen von Rohrleitungen oder anderer Einbauten annahmen. Sie vergifteten die Mannschaften und beschädigten die Maschinen."
"Wahnsinn!", hauchte die junge Frau, "Und wie kam es zum Friedensschluss?"
"Ganz einfach. Wir erlernten jeweils die Sprache der Anderen. Die Teloni hatten sich inzwischen der rein pflanzlichen Ernährung zugewandt, wie unsere Späher bestätigten. Sie übten keine Vergeltung mehr, wenn unsere Kräfte wieder einen Anschlag ausgeführt hatten. Am Ende musste unsere Regierung einsehen, dass inzwischen wir die Rolle der Aggressoren übernommen hatten. Man entsandte eine Gruppe von Unterhändlern und schloss Frieden."


Jenny atmete auf. Wie gut, dass auch auf der Erde die Vernunft gesiegt hatte. - Obwohl die Teloni ja zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr kriegerisch gewesen waren. Wer weiß, was geschehen wäre ...
Sie schaute die Schlangenfrau direkt an und sagte: "Ich bin sehr froh darüber, dass diese Ära vergangen ist."
"Dem stimme ich zu", erwiderte die Yemn'Ina.

* * *

Zrrgll war zufrieden. Es hatte die Datenbestände der Maschinen durchforstet und glaubte nun, das Navigationssystem der Menschen begriffen zu haben. Es war ... primitiv, fehlerträchtig und ungenau. Dennoch verspürte das Energiewesen eine gewisse Achtung vor diesen Kreaturen. Sie bestiegen ihre zerbrechlichen kleinen ... Schachteln und reisten, von unzuverlässigen Berechnungen und Systemen geleitet, hinaus, in das Universum. Nur mit Mühe konnte Zrrgll erahnen, was das für die Menschen bedeuten musste.
Ihre Vehikel erreichten kaum drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit. Das hieß, dass alle Personen, die sie auf ihrem Planeten zurückließen, längst tot sein mussten, wenn - und falls - sie wieder zurückkehrten. Ein Raumfahrer der Erde wurde zum Außenseiter der Gesellschaft, einer Zivilisation, die sich so rasant entwickelte, dass spätestens bei einer zweiten Rückkehr keinerlei Bezug mehr vorhanden sein konnte, zu der Gemeinschaft und Lebensweise, die er einst gekannt hatte.

Hinzu kam die entsetzliche Kurzlebigkeit der Wesen. Die Frrmllo waren unter normalen Umständen nicht sterblich, konnten nur durch Katastrophen beträchtlichen Ausmaßes zerstört werden. Das war der Grund dafür, dass Zrrglls Spezies nur einen sehr vagen Zeitbegriff hatte. Temporale Belange waren nur im Zusammenhang mit der Beobachtung und Interaktion mit ihrer Umwelt bedeutsam.

Es unterbrach seine Grübeleien und setzte die Erforschung menschlicher Navigation fort.
 



 
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