KONTAKTE - Zwei

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Aufschreiber

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Damian stand kurz vor dem Zusammenbruch. Seit Stunden hatte er auf die Monitore gestarrt, ohne zu blinzeln, wie ihm schien.
Seine Augen brannten . Klatschnass klebten Hemd und Hose an seinem Körper. Sein Herz raste, als hätte er eben einen Marathon absolviert.
Ohne die Umwelt wahrzunehmen startete er eine Diagnosesoftware nach der anderen, las Logdateien, forderte Nutzungsdiagramme und Verbindungsdaten an.

Wieder und wieder ließ er den Debugger anlaufen, verglich das von ihm entworfene Simulat mit demjenigen, das tatsächlich ausgeführt worden war. Was sich da auf dem Bildschirm abspielte, brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Bis zur elften Minute verhielten sich die beiden Abläufe identisch. Dann begann eine Verschiebung in der Neurostimulation, die sich ständig vergrößerte, bis bei 17:22:13:68 vollständige Divergenz erreicht war.
Aber es gab keine Manipulation. Die Software auf seiner Entwicklungsmaschine war bis auf das letzte Bit identisch mit der Version, die der Illusor ausgeführt hatte.

Damian erhob sich, streckte sich mit einem schmerzlichen Stöhnen und trat an den Synthesizer heran.
„Espresso, Doppelportion!", verlangte er.
Seine Gedanken überstürzten sich. Was, wenn die Chefs herausfanden, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hatte?
Das hier war keine LAN-Party, das war die Sternenflotte. Hier Mist zu bauen wurde ziemlich schnell als Hochverrat bestraft. Und bisher hatte Damian das durchaus richtig gefunden.

Der Espresso erschien. Der gedrungene Mann ergriff die Tasse, lief zu seinem Arbeitsplatz, ließ sich schwer auf den Stuhl fallen und nahm vorsichtig einen Schluck von dem duftenden Sud.
'Was übersehe ich?', hämmerten die Gedanken.
Er lehnte sich zurück, nahm einen weiteren Schluck und schloss die Augen. Irgendetwas war da, das er nicht definieren konnte. Es blieb ein Schemen, blasse Ahnung nur.

* * *

„Anwesenheit im Zugangsbereich erforderlich", drang die Stimme des elektronischen Butlers aus dem Ohrstecker.
„Was gibt's?", fragte Nadine.
„Eine Gruppe von Menschen nähert sich."
Sie lachte. Ob sie sich je an diese gestelzte Ausdrucksweise gewöhnen würde? Wohl kaum.
Aber das war auch nicht wichtig, denn schon in der nächsten Woche wäre sie unterwegs, zu ihrer ersten Mission als Kontakterin Klasse I.
Für einen winzigen Augenblick wollte sie Wehmut überkommen, während sie sich zum Eingang begab.
Sie gab die Öffnungssequenz frei. Sofort verschwand die Tür in der rechten Wand und Nadine sah sich einer Gruppe bunt bekleideter junger Menschen gegenüber.
„Bevor du uns allein lässt, hier,
sind wir schon da, jetzt feiern wir!"
,
rief Leon, ein hochaufgeschossener Rotschopf, den Nadine auf der Akademie kennen gelernt hate, trat heran und umarmte Nadine. Alle strömten herein und begannen, den Raum mit Luftschlangen und Lampions zu schmücken. Einige Mädchen fielen im Essbereich ein und traktierten den Synthesizer mit den verrücktesten Kreationen.

Nadine saß mit einem Glas Whiskey auf ihrem bequemen Entspannungssitz und nahm die Szenerie in sich auf.
Sie konnte sich eines eigenartig unwirklichen Gefühls nicht erwehren. Dieser Abschied würde für einen Teil ihrer Freunde ein endgültiger sein. Sie würden altern und sterben, während Nadine und Kren in ihren Anabiosekammern durch das Universum rasten.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als ihr Blick ein Pärchen streifte, das sich umarmte und küsste.

Kren stand in der Tür, als hätte er sich herein teleportiert. Er trug sein typisches Outfit, hatte sich selbst zu dieser Gelegenheit nicht umstimmen lassen. Das Hemd hing über die Jeans herab, bis auf die Oberschenkel. Krönung seiner Erscheinung war aber der Rucksack, der an zu lang eingestellten Gurten baumelte.
Alle verstummten und wandten sich ihm zu.
„Hallo Leute!", brach er das Schweigen, während er lässig aus den Tragegurten schlüpfte.
„Dieser Sack hier", er hob das Behältnis und schwenkte es leicht über dem Kopf, „ist unser Vermächtnis."
Mit der linken Hand nestelte er einen Zettel aus der Hosentasche, entfaltete ihn umständlich und las:
„ Aus tiefem Schwarz zwinkerst du uns Verlockung zu,
sternäugiges All.
Und wir folgen deinem Ruf, lassen
Nest und Gefährten
zurück.
Stürzen in dich, endlos, machtlos vor Raum und Zeit
und doch stolz,
eine Masche
deines unendlichen Gewebes zu schauen.
Eine nur.

Hoffen wir vergebens, du werdest,
bohren wir uns nur tief genug in dich,
neue Nester, andere Gefährten schenken?

Lass dich ergründen, Masche für Masche!
Bis wir das Muster sehen."


Einen Augenblick lang herrschte atemlose Stille, dann begannen die ersten Zuhörer, zu applaudieren. Manche erhoben sich.
Kren stellte den Rucksack auf den runden Tisch, der die Mitte des Essbereiches einnahm.
Dann gesellte er sich zu einer der Gruppen, die sich nun wieder angeregt unterhielten.
Leon trat zu Nadine und fragte:
„Was hinterlasst ihr uns denn Schönes?"
Sie lächelte, teils verträumt, teils verschämt.
„Wir wissen alle, dass wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen werden. Deshalb hat Kren alle Archive durchforstet und für jede und jeden von euch Dokumente unserer gemeinsamen Zeit gesammelt. All diese Dinge sind in einer Holothek abgelegt. So kann jeder einzeln und ganz privat Erinnerungen abrufen, aber auch alle gemeinsam von Zeit zu Zeit die Erinnerung auffrischen.
Die Holothek liegt natürlich im Zentralarchiv. Im Sack befindet sich nur das Requester-Terminal, mit den Zugriffskennungen aller unserer Freunde.
„Wow!", staunte Leon, „Cool!"

Sshnaphrutijikosll", erwiderte Nadine.
Leon erschrak, blickte ihr ins Gesicht. Für einen winzigen Moment erschien es ihm, als seien Nadines Augen leer und glanzlos. Dann strich sie sich eine Strähne ihres langen Haares aus der Stirn und blinzelte kurz.
„Wie bitte?", erkundigte sich Leon.
„Was meinst du?", Nadine schaute ihn verständnislos an.
„Du hast eben etwas ganz Seltsames gesagt. Etwas wie 'snaprihiksoll' oder ähnlich."
Nadine lachte.
„Ich war einen Augenblick lang abgelenkt. Aber ich erinnere mich nicht, etwas gesagt zu haben."
Leon zuckte die Schultern, hob kurz sein Glas und ging davon.

Auch Nadine wandte sich anderen Gesprächspartnern zu und hatte den Vorfall schnell vergessen. Erst als die letzten Gäste gegangen waren und sie mit Kren einen letzten Schluck zur Nacht einnahm, erinnerte sie sich.
„Mir ist vorhin etwas Eigenartiges passiert. Ich unterhielt mich mit Leon, plötzlich verlor mein Blick den Fokus und ich nahm irgendwie den gesamten Raum auf einmal wahr, so als hätte ich Augen, die rund um den Kopf angeordnet sind.
Und Leon meinte, ich hätte ein komisches Lautgebilde gesprochen."
Kren musterte sie.
„Es war ein langer Tag und der Abend schon fortgeschritten. Außerdem hast du ja sicher nicht nur Biofite getrunken – oder?"
Er verstummte überrascht, denn Nadines Augen starrten blicklos vor sich hin.
Sshnaphrutijikosll", formte ihr Mund.
Der Glanz kehrte in ihren Blick zurück und sie blinzelte, wie sie es schon beim ersten Mal getan hatte.
„Was hast du gesagt?", fragte sie, „Ich war einen Augenblick lang abgelenkt."

Kren stand wortlos auf, nahm sie bei der Hand und führte sie zur Schlafstelle. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Sorgenfalten gebildet. Er ließ Nadine sich hinlegen, deckte sie mit einer leichten Decke zu, küsste sie auf die Stirn und verdunkelte den Raum. Dann ging er leise hinaus und ließ sich im Entspannungssitz nieder, der sofort begann, ihn leicht zu massieren.

Nadine fühlte sich unter der Decke geborgen. Weich und warm hüllte die ihren Körper ein.
Langsam verlor die Umgebung an Realität und im Halbschlaf begann die junge Frau zu schnurren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Aufschreiber,

jetzt wird es spannend. :)

Aber wer ist Damian?

Hier ein paar Kleinigkeiten:
... entworfene Simulat mit demjenigen Komma das tatsächlich ausgeführt worden war.
Was hinterlasst ihr uns denn Schönes?
Außerdem hast du ja sicher nicht nur Biofite getrunken

Mutiert Nadine zu einer Katze? ;)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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