Kontrapunkt - Vergangenheit und Zukunft Part II

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Senerva

Mitglied
Ich hab die Geschichte, auf mehrfachen Wunsch von Freunden, umgeändert. Ich habe eigentlich vor, die gleiche Geschichte, jedoch aus Michelle's Sicht, zu schreiben. Das wird aber ein bissl dauern, bis ich das fertig hab.
Nun erstmal viel Spaß beim lesen. Über Kritik würde ich mich freuen.

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Part I: http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=45844

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An die Zeit mit Michelle erinnerte ich mich wie an einen Traum. Es war die schönste, die ich jemals erlebt hatte. Ihr war bewusst, dass ich ein ‚Mensch’ der Nacht war. Sie verstand es einfach, gleich, mit welchen Worten ich es ihr zu erklären vermochte. Dieses wunderbare Glück, das gute 20 Jahre angedauert hatte, musste auch einmal enden; auf schreckliche Weise. Nie hatte mich Michelle um etwas gebeten; weder um den „Kuss“, noch um meine Liebe zu ihr. Ich war für sie da, auch wenn sie sich meiner Anwesenheit nicht bewusst war. Es war fast so, als wären wir durch den Bund zusammengekommen und würden für immer zueinander halten. Doch der Bund zeriss. Es kam nicht irgendwie, es kam plötzlich und sehr gut geplant, dass musste ich mir selbst eingestehen. Dass ein Vampir lieben konnte, nein, dass ich lieben konnte, verbreitete sich zu schnell für meinen Geschmack. Immer öfter wurde ich Zeuge kleiner Revolten, meistens mit dem ein und selben Grund: Frauen. Minderwertige Wesen, dachte ich nur, und meine Schritte führten mich weit fort von dem Geschehen; doch einer hatte sein Auge auf mich gelegt. Es war kein Mann, nein, warum auch? Eine Frau. Sie wollte mich besitzen, wollte mich lehren, wen ich zu lieben hatte. Zahra.

Mit Mühe konnte ich meine Gedanken ordnen und mich von der Mauer abstoßen, die mir einen minderwertigen Halt schenkte. Ein, zwei Schritte ging ich zuerst, um mich zu vergewissern, dass mich eine neue ‚Welle’ der Gefühle nicht überrennen konnte. Ich seufzte leise und setzte meinen Weg, der mich schließlich, nach einigen Gassen, Winkeln und Abzweigungen zu meinem Zimmer führen sollte, indem schon ein bequemes Bett auf mich wartete. Mein Blick senkte sich wieder, sodass ich die Leute, die an mir vorbeieilten, nicht sehen konnte; oder nur aus den Augenwinkeln, wenn ich es denn wollte. Ich konnte das schwarze Haar trotz allem nicht vergessen … und die Erinnerungen zogen ihr Band, gleich einem Nebelschleier, dichter um mich.

Ich wusste noch genau, wie ich mich gefühlt hatte, als ich das Haus von Michelle leer vorfand. Zuerst wollte ich nicht erkennen, dass das Mobiliar an sich einer Ruine glich. Es deutete viel darauf hin, dass ein Kampf stattgefunden haben muss. Ein Kampf, den Michelle nicht gewonnen hatte. Ich verlor das Gleichgewicht, taumelte und fiel im Flur auf den Boden. Die Welt um mich war reine Dunkelheit, als ich die Augen schloss, um die Übelkeit zu verdrängen, die in mir hochkam. Verzweifelt, ja, voller Angst und Sorge, rief ich ihren Namen in die erdrückende Stille, doch es kam keine Antwort. Und ich wusste, dass ich diese Frau, die ich über alles liebte, niemals wiederfinden würde. All der Sinn, den ihm noch am leben hielt, war mit dieser Frau verschwunden. Michelle … der Name brannte sich auf immer in sein Herz. Herz?

Der Klang der Turmuhr ließ mich kurz zusammenzucken, ehe ich den Blick hob, um zu sehen, wie viel Uhr es war. 5 Uhr. Es war Zeit für mich, endlich in die wohltuende Dunkelheit seines Zimmers einzukehren und Ruhe zu finden. Ruhe, die ich damals und auch heute, 250 Jahre später, nicht fand. Ich war ein Gefangener meiner Selbst und werde dies wohl auch für immer bleiben. Ich murmelte leise etwas, als ich einen vorbeieilenden Passanten anrempelte. Ich schlug den Mantelkragen hoch und versteckte mich hinter dieser kleinen Wand, die mir spärlich Schutz bot. ‚Warum sollte ich meinem Leben hier und jetzt nicht ein Ende bereiten?’ dachte ich plötzlich und trat unwillkürlich einen Schritt näher zur Straße. Ich lächelte, als ich meine Frage selbst beantwortete: ‚Noch nicht … noch nicht!’

Ich lebte mein Leben vor mich hin im Dämmerlicht der Gefühle. Immer und immer wieder sah ich den zerschundenen Körper Michelles vor meinen Augen und ich fragte mich, ob ich daran schuld war. Ich hatte doch keine Feinde, oder doch? Ich fühlte mich leer, unglaublich leer; fast jeden Abend führte diese Leere und Einsamkeit dazu, dass ich mich pausenlos betrank, um dann, wie die Menschen, die ich über alles verabscheute, nun, da die ‚Eine’ fort war, zu sein. All das änderte sich, als ich auf sie traf: Zahra. Sie erinnerte mich sehr an Michelle, doch war Zahra ein Wesen der Dunkelheit … wie ich. Sie wusste, was ich durchlebt hatte, als ich so wurde, was ich nun war: ein kleines Etwas, dass das verloren hatte, was es so sehr liebte. Ich sah in Zahra eine einzigartige Freundin; doch sie hatte eine Maske der Täuschung aufgesetzt und ich musste mir eingestehen, dass ich darauf rein fiel. Im letzten Moment verschwand diese Maske und ich sah vor mir eine Frau, die mich mehr als nur begehrte und die alles dafür tun würde, mich zu besitzen. Ihren letzten Atemzug tat sie, als sie mir sagte, dass sie Michelle damals entführt hatte.

Es war und wird auch immer, für alle Ewigkeit, meine Lebensgeschichte bleiben. Natürlich wusste ich, dass mein Leben noch nicht verwirkt war; dazu hatte ich viel zu wenig in diesen wenigen hundert Jahren erlebt. Zu wenig? Nun ja, andere meiner Art hatten vielleicht weniger erlebt, wie ich; doch das, was geschehen war, reichte mir jedenfalls aus, um diesem jämmerlichen Leben ein Ende zu bereiten. Doch ich tat es nicht … aus welchem Grund auch immer. Endlich fand ich die Straße wieder, die mich, nach wenigen Abzweigungen, zu jenem Haus führen würde, indem ich ein einsames Zimmer belegte. Meine Füße führten mich ohne jegliche Kontrolle meines Verstandes; es war einfach selbstverständlich für diese. Meine Gedanken glitten vom Alltag ab. Ja, ich hatte lange gesucht, um Michelle wiederzufinden. Doch, es war vergebens. Die Welt war groß, sehr groß sogar, um eine einzelne Person zu verschlucken. Ich hatte mich schon längst mit dem Gedanken abgefunden, Michelle nie wieder zu sehen.
Ich stieg, nachdem ich die schwere Eichentür geöffnet hatte, deren Rahmen jeweils von Scheiben begrenzt wurde, die teilweise schon mit Klebeband und Folie notdürftig zusammengehalten wurde, die Treppe hinauf, die bei jedem Schritt meinerseits knarrte. Ich seufzte tief, als ich endlich das Obergeschoss erreicht hatte und nun schon die Müdigkeit, die mich plötzlich überfiel, fühlte. Ich wusste nicht mehr genau, wie ich den Schlüssel aus der Seitentasche meines Mantels hervorgekramt hatte oder gar, wie ich die Tür aufschloss; ich war nur froh, den Mantel ablegen zu können und in die Tiefen meiner Träume einkehren zu können. Nichts war da, was mich davon hätte abhalten können. Einfach nichts. Ich legte mich auf das Bett und schloss die Augen. Bevor ich in einen unruhigen Schlaf fiel, aus dem ich sicher in wenigen Stunden wieder erwachen würde, sah ich deutlich das Gesicht Michelle’s vor mir.
 



 
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