Kontrastprogramm

Mistralgitter

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Ich ziehe die Rollläden hoch. Noch im Schlafanzug. Überlege derweil, wie man Bobotie richtig ausspricht. Ich weiß es einfach nicht mehr. Und ob ich Bobotie für Claudia kochen will. Und wann. Und dann werde ich ihr wohl erklären müssen, was Bobotie ist. Ich fröstele. Es ist trübe und kühl draußen. Sogar ein bisschen Herbstnebel. Ich spare mit der Heizung. Es ist böse Zeit.

Einzelne gelbe Rosen blühen in meinem Garten. Unverdrossen. Leuchten herein. Die Nachbarin kehrt schon die Straße. Scharen von Schülern stapfen am Haus vorbei zum Unterricht in der nahe gelegenen Schule. Anscheinend will keiner von ihnen zu spät kommen. Sie haben es eilig.

Ich habe Hunger, werde ein Apfelmüsli essen, mit Haferflocken, Milch und Zimt. Nachher Adventskalender vorbereiten zum Verschenken. Zwei Bildbände mit meinen Texten und Fotos stehen in der Warteschleife. Eine schon verfasste, längere Geschichte sollte ich überarbeiten. Es gibt viel zu tun.
Während ich frühstücke, hat der Nachrichtensprecher im Fernsehen nichts Gutes zu berichten. Hunger, Elend, Krieg, Angst, fragwürdige Entscheidungen. Unzulänglichkeiten überall. Ich schalte auf einen anderen Sender um. „Pézenas, Molières persönliches Schlaraffenland“. Kontrastprogramm. Ich habe wenig Appetit.

Plötzlich scheint die Sonne. Es soll heute 21°C warm werden, kein Regen, kaum Wind. Milder Herbst. Ähnlich wie in Kapstadt. Dort werden 20°C erwartet. Aber einen starken Wind soll es dort geben. Wie hier kein Regen, viel Sonne. Mildes Frühjahr. Meine weitgereiste Schwester hat jahrezehntelang dort gewohnt. Von ihr habe ich das Rezept für Bobotie.

Es wird Zeit, ich muss Claudia anrufen, fragen, wann sie kommen will. Zum "Babutie-essen" werde ich vielleicht sagen.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

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Liebe Mistralgitter,

das ist so eine 'Schreibe', da bleibe ich kleben. Das erinnert an meine Lieblingsautorin Anne Tyler. Genau mit diesem Ton lässt sie einen bei wildfremden Menschen am Tisch sitzen oder über die Schulter mit aus dem Fenster schauen - und spüren, was sie spüren. Das Leben setzt sich aus Myriaden solcher Alltagsszenen zusammen und sind das wahre Leben.
Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 

Mistralgitter

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Liebe Petra,
dein Kommentar freut mich. Danke.
Ich kenne Anne Tyler bisher nicht. Das kann sich aber nun ändern. ;-)
Liebe Grüße
Mistralgitter
P.S. Hab noch zwei kleine "Schönheitsfehler" beseitigt.
 

Chandrian

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"Es ist böse zeit" hat irgendwie einen schönen klanglichen Nachhall und ist gleichzeitig wie ein Schlag ins Gesicht. Fand ich super.
"Grad Celsius" wird aber nur ˚C geschrieben.
Danke für den wunderbaren Text, gefällt mir sehr gut.

liebe Grüsse
Chandrian
 

Mistralgitter

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Hallo Chandrian
das finde ich natürlich schön, dass du mit meinem Text etwas anfangen konntest. Und mir das mitgeteilt hast.
Das mit den Grad Celsius hab ich geändert. Ich hatte die Daten heute frisch im Internet gefunden und einfach unbesehen rüberkopiert. Danke auch für das aufmerksame Lesen.

Liebe Grüße
Mistralgitter
 

petrasmiles

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Ich kenne Anne Tyler bisher nicht. Das kann sich aber nun ändern. ;-)
Anne Tyler, geboren 1941, hat 1964 ihren ersten Roman veröffentlicht - 1996 erstmals auf Deutsch.
Noch als Studentin hatte ich in einer 'Bücherkiste' (modernes Antiquariat) ihren Roman Caleb oder das Glück aus den Karten mitgenommen und gerne gelesen, und irgendwann noch einmal und noch einmal und dann stolperte ich im vorletzten Jahr über Der leuchtend blaue Faden und war begeistert. Und dann habe ich mir antiquarisch alle Bücher von ihr besorgt und in zeitlicher Reihenfolge gelesen. Da ist gerade eines darunter, mit dem ich nicht so viel anfangen konnte, aber diese Reife, den Menschen ins Herz sehen zu können, den anderen unverständliche, vielleicht sogar unbewusste Motive eines Handelnden zu verstehen, die hatte sie von Anfang an. Man sieht die Protagonisten quasi von innen und von außen - und versteht sie in ihrer Beschränktheit - und dass Charakter Schicksal ist. Sie hat in diesem Jahr wieder ein neues Buch herausgebracht - und ich freue mich schon.

Liebe Grüße
Petra
 

Mistralgitter

Mitglied
Danke für die Info. Ich hab mich natürlich inzwischen auch ein bisschen im Internet ein bisschen umgeschaut und ein Buch gefunden, das meinem "Leseumfang" in etwa entspricht.: Die störrische Braut. Meinst, das wäre was für den Anfang? Oder gibt es etwas anderes - nicht viel mehr als etwa 200 Seiten langes?
 

petrasmiles

Mitglied
Das ist eines von den 'extravertierteren' - die Leute sind schon ein bisschen skurriler als gewöhnlich und bieten sich nicht so für die leisen Töne an, aber es ist so gut wie ein anderes. Interessant, dass Du einen 'Leseumfang' hast, aber das liegt sicher daran, dass Du auch Zeit für Deine eigene schöpferische Arbeit haben willst ... ich bin da nicht so 'ordentlich' im Kopf - Hauptsache, das Buch nimmt mich mit :)
LG - und Gute Nacht!
Petra
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Mistralgitter,

ich kann nicht so viel mit deinem Text anfangen. Für mich liest er sich einfach langweilig. Du beschreibst banale Dinge zu banal.

Von Anne Tyler empfehle ich unbedingt die "Atemübungen".

Gruß DS
 

petrasmiles

Mitglied
Du beschreibst banale Dinge zu banal.
Gruß DS
Lieber Doc Schneider,

gegen 'Gefallen' kann man nichts machen, aber 'banal' ist ein abwertender Begriff, der das Phänomen m.E. nicht greift.

Als Beobachter ist man geneigt, die Dinge anhand der 'Action' wahrzunehmen. Die verborgenen Prozesse, die unserem Handeln vorausgehen, wie wir uns vor jeder Handlung erst wieder sammeln müssen, Nebengedanken betrachten und wieder ziehen lassen, dass ist wie mit einer starken Lupe an den Menschen herangezoomt und legt innere Prozesse selbst bei einfachsten Entscheidungen offen.

Bei Anne Tyler ist es oft so, dass dieses Heranzoomen bei den wichtigen Dingen eine ähnliche 'Banalität' der inneren Prozesse zu Tage fördert und die 'großen Momente' 'banalen' Ursprungs sein können - weil nicht die wesentlichen Bausteine ausschlaggebend sein müssen für eine Handlung, sondern oft genug unsere eigene Unfähigkeit, das Wesentliche zu erkennen, ja uns überhaupt an ihnen zu orientieren.

Entschuldige, Mistralgitter, dass ich Dir jetzt dazwischen gefahren bin, aber das musste ich los werden.

Liebe Grüße
Petra
 

Mistralgitter

Mitglied
Für mich liest er sich einfach langweilig
Hallo DocSchneider,
"langweilig" ist gut, "schlicht" wäre auch eine Möglichkeit oder "lakonisch", eben ein Ausdruck dafür, dass der Schreiber nichts mitzuteilen hat.
So ist es, bzw. so war es.
Das Bobotie hat übrigens meinen Besuchern ("Claudia" und Co) bestens geschmeckt.
Mit Anne Tyler kann ich mich noch nicht so recht anfreunden. Was ist an den "Atemübungen" so besonders gut und empfehlenswert?
Gruß
MG
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Petra,
hinter den kleinen, unscheinbaren, leisen Dingen verbergen sich manchmal kleine Kostbarkeiten. Man findet sie allerdings nicht, wenn man Herkömmliches, Lautes sucht. Da hat dann, wie du ja richtig bemerkst, keine "action" Platz.
Ich finde deine Einlassung gut und kann damit etwas anfangen und danke dir dafür.
Viele Grüße
Mistralgitter
P.S. Bisher hab ich noch keinen Zugang zu Anne Tyler gefunden.
 



 
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