kornblumenweg

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sufnus

Mitglied
Hey ubertas! :)
Deine Zeilen sind - wie die schöne Kornblume - leise Glücksbeschenker.

Einschub:
Andernorts hatte ich ja eine Infragestellung bestimmter Formen von Gedichtinterpretation formuliert, nämlich solcher Interpretationen, welche eine Gedichtrede in "Klarsprech" übersetzen und damit alles das über Bord gehen lassen, was für mich ein Gedicht typischerweise (mit regelbestätigenden Ausnahmen!) zum Gedicht macht.
Diese meine Skepsis gegenüber bestimmten Formen von Interpretationen im Dienste der De-Poetisierung bedeutet aber keineswegs, dass ich nicht auch mit einem verstehenwollenden Anspruch an ein Gedicht herantrete, er wird eben nur durch einen emotionalen Ansatz ergänzt und am Ende steht je nach dem entweder ein: "Ich fühle es, weil ich es verstehe" oder ein: "ich fühl es, das genügt" oder auch ein "Ich fühle es, weil (sic!) ich ich nicht verstehe".
Bei diesen wunderbaren Zeilen von Dir, liebe ubertas, wohne ich irgendwo zwischen all diesen drei Ansätzen und das ist mir beim Gedichtelesen der liebste Zustand. :)
Einschub-Ende.

Was nun meine Vesteh-Drüse zutage fördert, das ist zunächst einmal, dass hier ein lyrisches Ich eine gefährdete Glückserfahrung im Angesicht eines lyrischen Du's schildert. Das lyrische Ich ist die Singstimme des Gedichts, das lyrische Du ist eine Kornblume und die (nicht ganz eindeutig wirksame) Bedrohung geht vom "Windstrich" aus. Dieser Windstrich - und hier verlasse ich die Ebene des "unpoetischen Redens und Fühlens" - scheint mir eine Art luftiger Landstrich zu sein und im Gegensatz zum geläufigen und auf festem Boden ruhenden Landstrich ist diesem luftgeisthaften Windstrich eine gewisse Geschäftigkeit zu eigen, die dem ortsfesten Landstrich, zumindest außerhalb eines Gedichts, fremd bleibt. Ob die Wirkungen des Windstrichs nun eher dem Schönen oder dem Destruktiven verpflichtet sind, bleibt ein bisschen offen, woraus ich schließe, dass hier ein bisschen was vom beidem "im Spiel" ist.
Zuletzt, komme ich bei der Aufhebung jeder Versteh-Haltung an und genieße die Vorstellung, dass in diesem Gedicht eine kleine Kornblume einen glücksempfänglichen Menschen aus dem grauen Leutestrom gebrochen hat (mit tätiger Windhilfe) und die zwei hübschen, Blume und Mensch, nun Einträchtigkeit üben. Es müsste doch unbedingt einen Kornblumenkavalier geben, der könnte sich dann von seinem großen Geschwister eine Zeile ausborgen: "Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein.".

LG!

S.
 

wirena

Mitglied
und am Ende steht je nach dem entweder ein: "Ich fühle es, weil ich es verstehe" oder ein: "ich fühl es, das genügt" oder auch ein "Ich fühle es, weil (sic!) ich ich nicht verstehe".
Hey sufnus :) - Du hast auf den Punkt gebracht, was ich nicht formulieren konnte. Mir geht es genau so. Das selbe erlebe ich auch bei Paul Celan. wenn es mich juckt, sein dickes Buch aus dem Büchergestell zu nehmen, um dem Zufall die Möglichkeit zu geben, mich zu inspirieren oder was auch immer - LG wirnena
 

Ubertas

Mitglied
So :) , ein Rundschreiben in die wundervolle Runde!
@Franke, @Aniella, @seefeldmaren, @wirena, @sufnus

Lieber Manfred, liebe Aniella, liebe Maren, liebe Wirena, lieber Sufnus,
an aller erster Stelle ein herzliches Dankeschön für euer Lesen, für eure wunderbaren Gedanken und für den Sternenregen!
Ich freue mich sehr darüber. DANKE!

Liebe Aniella,
danke für deine lieben Zeilen. Ich hoffe du hattest eine ebenso weiche Landung und für jetzt einen schöne Ankunft im Abend.

Liebe Wirena,
ich danke dir für deine Variation der Verszeilen und für deine genaue Auseinandersetzung damit. Ich lasse zwar die Urversion so wie sie ist, finde es aber sehr schön, sich in der jeweilig eigenen Lesart, auch eine eigene Abwandlung dazu einfallen zu lassen. Finde ich toll! Vielen Dank!

Lieber Sufnus,
ich danke dir für die Glücksbeschenkung durch deine wundervollen Ausführungen und Gedanken zu meinem Gedicht. Da huscht ein glückliches Lächeln über das Gesicht seiner Verfasserin :) !
Einschub:
Andernorts hatte ich ja eine Infragestellung bestimmter Formen von Gedichtinterpretation formuliert, nämlich solcher Interpretationen, welche eine Gedichtrede in "Klarsprech" übersetzen und damit alles das über Bord gehen lassen, was für mich ein Gedicht typischerweise (mit regelbestätigenden Ausnahmen!) zum Gedicht macht.
Diese meine Skepsis gegenüber bestimmten Formen von Interpretationen im Dienste der De-Poetisierung bedeutet aber keineswegs, dass ich nicht auch mit einem verstehenwollenden Anspruch an ein Gedicht herantrete, er wird eben nur durch einen emotionalen Ansatz ergänzt und am Ende steht je nach dem entweder ein: "Ich fühle es, weil ich es verstehe" oder ein: "ich fühl es, das genügt" oder auch ein "Ich fühle es, weil (sic!) ich ich nicht verstehe".
Bei diesen wunderbaren Zeilen von Dir, liebe ubertas, wohne ich irgendwo zwischen all diesen drei Ansätzen und das ist mir beim Gedichtelesen der liebste Zustand. :)
Einschub-Ende.
Was für ein großartiger Einschub! Du hast etwas sehr wichtiges gesagt: Die Ergänzung des verstehen wollenden Anspruchs ergänzt durch einen emotionalen Ansatz. Du hast es in dreierlei Betrachtungsmöglichkeiten unterschieden, die ich als Gedichte-Leserin sehr, sehr gut nachvollziehen kann. Das sind Worte, die man sich unbedingt im Oberstüberl abspeichern sollte. Sie haben einen großen Einfluss darauf, wie sich ein Gedicht beim Lesen erschließen und erfühlen lässt.
Da geht es mir wie Wirena:
Du hast auf den Punkt gebracht, was ich nicht formulieren konnte.
:)
Und jetzt zu deinen mich in freudiges Staunen und in Bewunderung versetzenden Aufschlüsselungswortlaut:
Ich traue mich gar nicht, auch nur ein Wort wie eine Kornblume aus deinen Zeilen heraus zu pflücken, weil ich deine Lesart so wunderschön finde.
Da werde ich ganz sprachlos.
Ganz lieben Dank dafür!

Nochmals an Euch alle ein herzliches Dankeschön!:)
Liebe Grüße,
ubertas
 

Ubertas

Mitglied
Liebe Maren :) ,
der Austausch am Bachlauf winkt noch dem Stern;).
Taadaa:
ich danke dir! Danke für die Einverleibung.
Liebe Grüße ubertas
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Ubertas,

ich habe dein Gedicht bereits mehrfach gelesen, aber es fiel mir zunächst schwer, einen Zugang zu finden. Deshalb ließ ich es zunächst ruhen, aber nun fühle ich mich ihm besser gewappnet


Es handelt sich bei deinem Text meiner Wahrnehmung nach um ein Gedicht, welches eher zum Fühlen als zum Durchdenken einlädt, was aber nicht bedeutet, es hätte keine interne Logik, welche den Betrachter an die Hand nimmt.

Bei der Betrachtung ist mir zunächst die interessante "personelle" Gestaltung deines Textes aufgefallen, dargestellt durch verschiedene Pronomen bzw. Possessivartikel. Zur besseren Übersicht nehme ich mir einmal die Freiheit heraus, diese zu markieren:

es zog mich
in die stunde
deines sternenkranzes
du nahmst mich
aus den reihen
wie hände
sich aus staub
ein windstrich
ließ dich liegen
er brach
dein blaues leuchten
wie mich
in deinen grund


Durch diese Hervorhebungen fällt dem geneigten Leser sofort ins Auge, dass das Lyrische Ich sich nie in Subjektform verortet, sondern sich nur dreimal in der passiven Rolle eines Akkusativobjektes wiederfindet. Dadurch und durch die Wortwahl (sternenkranz, staub, win, leuchten, grund) entsteht zwangläufig der Eindruck, dass das Lyrische Ich ein nicht aktiver Teil in einem größeren Gebilde ist, wobei es zwischen Gefährdung und Geborgenheit zu changieren scheint.

Dieser größere Kosmos ist auch rahmenbildend für das gesamte Gedicht - diese Rahmen sind übrigens ein Merkmal deiner Lyrik, welches mir immer wieder äußerst positiv auffällt). So beginnt der Text mit dem Personalpronomen es - deutbar möglicherweise im Sinne Sigmund Freuds als Unbewusstes, Triebhaftes, teilweise gar Negatives. Aber das glaube ich bei deinem Gedicht nicht. Ich lese in deinem es viel eher etwas im positiven Sinne Übergeordnetes, beschreibbar mit den Worten ewig, universell, vielleicht auch göttlich, wenn man das will. Für diese Interpretation spricht das Bild des sternenkranzes, welcher das Haupt Marias zierend in der christlichen Ikonografie ein Symbol ihrer immaculata conceptio, also ihrer unbefleckten Empfängnis ist. Dies deckt sich mit meiner Deutung, dass in deinem Gedicht eine übergeordnete Ebene angesprochen wird, denn diese Reinheit Marias verweist ja gerade darauf, dass wir es hier mit einer Person zu tun haben, welche zwar auf dem (Ab-)grund der Erde wandelt, zugleich aber über ihn erhaben ist.
Überdies sind Sterne natürlich auch lokal zu verorten: nämlich über dem Irdischen, also im Himmlischen. Und genau in diesen Kosmos fühlt sich das Lyrische Ich in deinem Gedicht gezogen.

Der von mir beobachteten Rahmen eröffnet sich also mit diesem übergeordneten Bild - und er schließt sich lokal gesehen im genauen Gegenteil: in deinen grund. So bildet sich dein Gedicht also zwischen diesen zwei Polen ab und mir stellt sich die Frage: Was liegt dazwischen? Gibt es einen Fall aus dem kosmischen Gefüge, oder ist der grund hier anders zu interpretieren?

Dieser Frage nachgehend fällt auf, dass nun die Person du ins Spiel gebracht wird. So wird bereits der sternenkranz mit der possessiven Form von du versehen, was den Schluss nahelegt, dass die kosmische Übergeordnetheit vom Lyrischen Ich nicht wirklich der Geborgenheit des Universums gilt, sondern dass diese in eine andere, vollkommen irdische Person hineinprojiziert wird. Dies muss keineswegs negativ gemeint sein, sondern lässt darauf schließen, dass im Gedicht der Gedanke angelegt ist, dass die kosmische Ordnung (es ist schwer, dafür einen adäquaten Namen zu finden: ich könnte es auch Sinn, Göttlichkeit oder Liebe nennen) im Menschen selbst angelegt ist, vor allem in Form von Liebe.
Dabei geht das Lyrische Ich aber vollkommen in diesem anderen Menschen bzw. in der Liebe auf, gekennzeichnet wie schon gesagt durch die Passivität der Akkusativobjekte.
Außerdem muss es um die Verfasstheit des Lyrischen Ichs in seiner Vergangenheit vor der Aufnahme durch das du schlecht gestanden haben, da es aus dem Staub gehoben werden musste:

du nahmst mich
aus den reihen
wie hände
sich aus staub


Zudem könnte man diese Passage auch als eine Art Befreiung deuten, denn die reihen sind Möglicherweise festgefahrene gesellschaftliche Strukturen, welche durch die neue Geborgenheit der Liebe aufgebrochen und damit endlich verlassen werden konnten. In diesem Abschnitt spiegelt sich auch wieder christliche Metaphorik wider, denn die Liebe fungiert hier wie ein göttlicher Akt, der aus Unbelebten Lebendiges macht und ihm seinen Atem einhaucht.

Dann kommt der Bruch im Gedicht, auch dargestellt durch eine grammatische Trennung zwischen Vers 7 und 8.

sich aus staub
--------------------
ein windstrich
ließ dich liegen


Zuerst hatte ich hier ein Enjambement oder ein Apokoinu erwartet, um diese Zeilen zu verbinden. Ja, als Leser wollte ich das sogar, denn es fällt mir nun schwer, zu akzeptieren, dass der so wertvoll konstruierte Kosmos mit dem Verlust oder gar dem Tod des Dus auch dahinsterben soll. Aber tut er das wirklich? Wir schauen weiter.

ein windstrich
ließ dich liegen
er brach
dein blaues leuchten
wie mich
in deinen grund


Ja, würde ich sagen, er tut es im gewissen Maße. Wie bei Romeo und Julia sehen wir hier im Gedicht die innigste Verbindung zweier Menschen - obwohl nicht ganz, denn hier ist es einseitiger, die ganze Himmlischkeit wird vom Ich in ein Du hineingelegt - und so ist es die logische Konsequenz des in meiner Interpretation Aufgezeigten, dass nun mit dem Vergehen des Dus auch das Ich kollateral mit zerbricht. Könnte man das Ende des Gedichtes auch anders, vielleicht positiver deuten? Vielleicht schon, würde ich sagen, aber das sei der Interpretationsvielfalt überlassen.

Liebe Ubertas, ich habe mich außerordentlich gern mit deinem Gedicht beschäftigt. Obwohl ich zunächst keinen Zugang finden konnte, hat mit dein Werk nun doch Zahlreiches offenbart und überdies eine tiefsinnige Lektüre ermöglicht. Vielen Dank dafür.

Liebe Grüße
Frodomir
 
Zuletzt bearbeitet:

Hundsstern

Mitglied
Hi
Ich stelle mir grade vor, am Zustandekommen der Zeilen 1 bis 4 beteiligt gewesen zu sein. Und ja, es fühlt sich gut an. Merci anyway, Hundsstern
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Frodomir,

mit reichlicher Verspätung und mit größter Bewunderung sitze ich vor deinen Zeilen.
Jetzt bin ich erneut sprachlos (siehe sufnus:)) und es werden Worte allein nicht ausreichen, um mich bei dir zu bedanken. Ich versuche zumindest eine kleine in Worte Fassung:
Mein herzlichster Dank gilt deiner tiefen Auseinandersetzung mit meinem Gedicht. Du hast mir durch dein Hineinblicken ein Geschenk gemacht, ein sehr wertvolles. Ich will wiederum kein einzelnes Wort davon wie eine Kornblume heraus pflücken, das traue ich mir nicht. Du hast mit einer Feinsinnigkeit und Bereicherung meine Gedanken erfasst. Hätte ich es selbst versucht, diese Seiten, die du herausgehört hast aus meinen Zeilen, zu beschreiben, mir wäre es nicht gelungen. Das liegt im Glaskugelbereich:).

Liebe Ubertas, ich habe mich außerordentlich gern mit deinem Gedicht beschäftigt. Obwohl ich zunächst keinen Zugang finden konnte, hat mit dein Werk nun doch Zahlreiches offenbart und überdies eine tiefsinnige Lektüre ermöglicht. Vielen Dank dafür.
Ich kann dir nur danken, für dein Lesen und dein Verstehen. Ich trage keinen Hut, setze mir aber nun einen auf, damit ich ihn vor dir ziehen kann:)!

Liebe Grüße zurück,
ubertas
 



 
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