Re: Krank-unheilbar
Lass mich mal beschreiben, was mir nicht gefällt, vielleicht sind das auch Gründe, warum ich's nicht lustig fand und mich über die Kategorisierung wunderte.
Zuerst mal: ich lebe als Wiener in den USA. Insofern bin ich etwas geläutert in manchen meiner eigenen Vorurteile gegenüber Amerika und Amerikaner. Z.B. positives Denken an sich ist ja kein Wert, allerdings vorsätzlich negatives Denken, wie es umgekehrt oft in Europa passiert, auch nicht. Die Einstellung "jeder kann es schaffen" (also vom Tellerwäscher zum Millionär) ist von der Statistik her in den USA auch nicht wirklich grösser, aber der Traum lebt und ist eine grosse Motivation. Neid habe ich persönlich weniger erlebt, als in Europa. Ich bringe das an einem Beispiel: Kinder werden dort wesentlich besser positiv verstärkt (also zumindest dort wo ich lebe und auf vergleichbarem Niveau wie in Wien oder Heidelberg) mit z.B. Sätzen wie "you did a great job". Währenddem von dort wo ich herkomme und wo ich gelebt habe (also Wien und Heidelberg), das meisten als "das darfst du nicht" etc. angemerkt wird.
Das hat ganz konkrete Auswirkungen: in Europa wird sofort nach dem Staat gerufen, der was tun muss, wenn es mir schlecht geht, während in den USA die Leute selbst was tun (weil der Staat sich dort zurückgezogen hat, aber auch weil die Leute dem Staat misstrauen). Natürlich sind reine Schwarzweiss-Modelle auch nicht das Gelbe vom Ei und ein gemischtes Modell besser.
Und Fehler werden nicht unter den Tisch gekehrt, da geht's teilweise härter zu als unsereiner es gewohnt ist. Allerdings ist man auch nachsichtiger (z.B. Bankrottgesetze) und das System durchlässiger, die einem eine neue Chance geben.
Soviel dazu (und das war schon fast zuviel).
Damit begründe ich aber auch schon, warum der Text bei mir unter "einseitigem Vorurteilsdenken" fällt. Der Protagonist bemüht sich krampfhaft dem Motto unter teilweise sehr traurigen und realen Umständen zu bedienen. Das wäre ja OK, wenn klar würde, dass z.B. der Protagonist gerade durch sein eigenes Handeln und seinem Festhalten am positiven Denken sich da hineinmanövriert hat. Du probierst das zwar auch, aber durch diverse Nebenstränge und Einschübe geht die Straffheit verloren. Z.B. diesen ganzen Abschnitt finde ich ziemlich konfus und nicht reinpassend:
Damit wollte ich shoppen gehen und fuhr 300 Kilometer weit nach Berlin. Mit Einkaufstüten bepackt, stand ich in einem Blusenladen.
Da war doch noch was, schoss mir durch den Kopf. Ich hatte doch eine andere Bluse anziehen wollen, die Karierte und nicht die Gestreifte. Die Karierte hatte ich auf dem Bügeltisch vergessen. Und nicht nur die Bluse. Seitdem sitze ich in meinem feuersicheren Keller, dem einzigen Raum, der nicht abgebrannt ist. Ich bin richtig glücklich hier. Im Fall eines Krieges weiß ich, wie das läuft mit dem Schutzbunker und habe so was wie Platzangst hinter mir.
Gerade eben habe ich eine satirische Geschichte von Wladimir Woinowitsch "Die Mütze", wo der Protagonist eine Mütze als Anerkennung seiner Leistungen als Autor erhalten soll, und zwar bekommt die jeder Autor gemäss seines Ranges in der sowjetischen Literaturgesellschaft. Als er nur eine Katzenfellmütze bekommen soll (also das unterste Ende der Hierarchie), wird er immer ärger in seinen Bemühungen, eine bessere Kappe zu bekommen. Er braucht die Mütze natürlich überhaupt nicht, weil er selber eine viel besser schon hat, aber aus Prinzip versteift er sich darin und bringt sich in immer grössere Probleme.
Analog, aber eher traurig ist das Buch "Die Blendung" von Elias Canetti, wo sich ein Gelehrter so sehr in seine Bücher hineinsteigert, dass er verrückt wird, als etwas Subversives in die Quere kommt.
Ebenso von Gogol "Der Mantel", auch eher absurd traurig.
Deinen Text würde ich deshalb mehr unter traurig und zu realistisch einordnen, als dass es eine Satire wäre.
Meine Schwierigkeit ist auch, mich in diese Person hineinzudenken, also Kontakt herzustellen. Vor allem, wenn Du sie aus der "Ich-Perspektive" betrachtest. Persönlich würde ich bei dieser Geschichte als Protagonisten nicht dich selbst, sondern eine dritte Person, einen guten Freund beschreiben, wie er/sie sich in immer schlimmere Situation durch seine/ihre Besessenheit hineinmanövriert. Das erlaubt auch den Kunstgriff, dass der Leser als Beobachter dasteht, und natürlich (man ist ja so viel "gescheiter") alles angeblich besser erkennt oder voraussieht. So sieht's mehr als Schilderung eines Verrückten aus (=wenig lustig), während man dem Freund natürlich mit positiven Gefühlen entgegenkommt (also ihn/sie nicht unter die Kategorie "verrückt" einordnen würde).
Aber zum Schluss müsste dann wieder eine versöhnliche Geste (Pointe) sein, wo der angeblich so gescheite Beobachter auch ein bisserl Fett abkriegt, sprich genau dieselben Vorurteile zeigt oder Besessenheit an den Tag legt.
Übrigens: wer oder was ist P.D.? Positiv Denken? Wurde mir erst beim zweiten Durchlesen klar.
Marius