Krieg Dich

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HerbertH

Mitglied
Nur die Ruhe, mondnein. Wer ist schon zu durchschauen? Im Gegensatz zu mancher Schlagzeile in den Medien gibt es keine durchsichtigen Menschen. Ich hab zumindest noch keine gesehen - aber ginge das dann überhaupt?

Bevor ich mich in Spekulationen verliere ;), möchte ich noch bemerken, dass ich als Naturwissenschaftler in dürren Formeln und auch Zahlenreihen vieles Ästhetisches entdecken kann :)

Liebe Grüße

Herbert
 
F

Fettauge

Gast
Lieber Herbert H.

da hast du was missverstanden. Dein Gedicht will inhaltlich, sofern man sich den Inhalt zusammensammeln kann, etwas aussagen, weiß ich. Es richtet sich ganz allgemein, wie es üblich ist, über Krieg und Frieden zu plaudern, gegen den Krieg. Dagegen polemisiere ich nicht. Aber nun glaubst du, du hättest ein verdammt progressives Gedicht geschrieben: Im Namen der Menschheit - ich protestiere! Diesen Glauben will ich dir nicht rauben. Die Dadaisten sind anders herangegangen, eigentlich nicht inhaltlich, weil es keinen Inhalt gab, sondern nur sinnlose Silben. Damit hatten sie protestiert, und zwar gegen die Verlogenheit und dekadente Aufgeblasenheit ihrer Zeit, der sie mit ihren "sinnlosen" Gedichten die Maske herunterrissen. Ganz einfach: Indem man etwas auf die Spitze treibt, offenbart es seine Absurdität, so funktioniert Satire.
Und satirisch war es gemeint von den Dadaisten, nicht etwa, dass sie eine "neue Kunstform" erfinden wollten.

So aber fasst du deinen Text nicht auf, du willst ehrlichen Herzens und völlig unironisch deine Dichterstimme gegen den Krieg erheben, indem du sie in ein Gerüst sperrst, aus dem nichts herausdringt. Wenn ich auch nur ein Fitzelchen des Anspruchs der Dadaisten in deinem Text gefunden hätte, glaub mir, ich hätte mich schiefgelacht und würde absolut nichts gegen deinen Text haben. Du aber scheinst zu glauben, indem du dich einer weitgehend manierierten, dekadenten Form bedienst (sicher glaubst du, es sei ein antibürgerlicher Text, aber du bleibst gerade damit innerhalb des bürgerlichen Mainstreams) schon einen verdammt fortschrittlichen Text geschrieben zu haben. Man muss es eben immer wieder sagen: Der Inhalt bestimmt die Form und nicht umgekehrt. Wer seine eigene Stimme gefunden hat, der hat solche Mätzchen wie deinen obigen Text einfach nicht nötig, der sagt klar und deutlich, worum es ihm geht. Und erst dann kann ein Gedicht überzeugen.

Das alles wollte ich dir eigentlich nicht schreiben. Doch ich hoffe, ich habe es nicht umsonst geschrieben. Vielleicht kannst du die eine oder andere Überlegung davon gebrauchen.

Liebe Grüße, Fettauge
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Nein, Fettauge, was Du da schreibst ist unwahr. Es ist 1. falsch, da viele, und nicht nur irgendwelche am Rande, nein viele "Wortspiele" der Dadaisten durchaus auch reine Sprachexperimente l'art pour l'art sind, und 2. zeigt es Deine abgrundtiefe Inkompetenz, da das (meinetwegen) "entlarvende" Spiel mit der Sprache den Krampf der politischen Aggressivität meistens mit-"entlarvt". Die Sprache von Schwitters, Arp und später dann Jandl als "manieriert" zu charakterisieren ist so daneben, wie etwa eine Charakterisierung der "kindlichen" Klee-Zeichnungen als "manieriert" es wäre.
Aber 3.: Dieses Gedicht hier ist gar nicht dadaistisch. Es ist kein bloßes Sprachspiel. Aber deshalb ist es noch lange nicht manieristisch (was noch nicht schlimm wäre, sondern nur eine ästhetische Tendenz, z.B. El Greco und Lehmbruck in der "bildenden" Kunst oder Proust, Rilke, George und zahllose andere vor über hundert Jahren in der schreibenden).
4. Dieses Gedicht hier ist eines der besten, die hier zu lesen sind. Von einem der besten Lyriker, die hier schreiben (ich jedenfalls halte ihn für den besten). Der hält noch viele Deiner (und natürlich auch meiner) Fehldeutungen und Scherze aus und schmunzelt.
 
Lieber Herbert,
ich fühle mich nach dem Lesen deines Gedichtes (und ich habe es mindestens 5x gelesen) total überfordert.
Ich staune über die positiven Kommentare und bin traurig, dass es alle verstanden haben, nur ich nicht.
Dabei meine ich nicht den Inhalt, sondern die Sprache.

Bedauernde Grüße von
Marie-Luise
 

molly

Mitglied
Hallo HerbertH,

"4.6.1989 inspiriert

und ja, ich denke auch, dass dieses Gedicht auch in Experimentelles gepasst hätte ... wenn es überhaupt passt "

Da stimme ich Dir zu.

Viele Grüße
molly
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Fettauge,

ich finde es gut, dass Du Deine Auffassung zu diesem Gedicht noch einmel aufgeschrieben hast.

Ich bin zu vielen Punkten anderer Meinung. Weder sehe ich den Text in der Folge des Dadaismus, noch handelt es sich um eine "manierierte(n), dekadente(n) Form", noch handelt es sich um "Mätzchen". Es handelt sich auch nicht um Satire.

Dem Satz "Der Inhalt bestimmt die Form und nicht umgekehrt." kann ich nur zustimmen, möchte ihn aber ergänzen zu "Der Inhalt bestimmt die Form [blue]und die Sprache[/blue] und nicht umgekehrt.". Worum es mir geht, und das hatte ich schon vorher in diesem Thread geschrieben, ist es zu " versuchen, Krieg sprachlich zu begegnen." Der Inhalt des Kriegsgeschehens bestimmt hier die Sprache, die die Sinnlosigkeit des Krieges sprachlich umsetzt. Die Form ist einerseits ein Aufruf, andererseits ein sprachliches Bedeutungskaleidoskop, geboren aus der meist sinnlosen Folge der Abläufe im Krieg. Keine Wortspiele, sondern (Ver-)Störung der Sprache [blue]wegen[/blue] des Geschehens.

Ich denke nicht, dass wir in diesen Punkten zusammenkommen werden.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Mary,

ich weiss nicht, ob alle dieses Gedicht verstanden haben.

Wie ich eben auch an Fettauge schrieb:

"Der Inhalt des Kriegsgeschehens bestimmt hier die Sprache, die die Sinnlosigkeit des Krieges sprachlich umsetzt. Die Form ist einerseits ein Aufruf, andererseit ein sprachliches Bedeutungskaleidoskops, geboren aus der meist sinnlosen Folge der Abläufe im Krieg. Keine Wortspiele, sondern (Ver-)Störung der Sprache wegen des Geschehens. "

Kannst Du mit dieser Argumentation etwas anfangen?

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Molly,

danke für Deine Zustimmung.

Ich hääte vielleicht dazu hinzufügen, dass ich mich nach reiflicher Überlegung gegen Experimentelles entschieden habe.

Liebe Grüße

Herbert
 
Lieber Herbert,
mein Vater kämpfte im 2. Weltkrieg in Russland und hat schreckliche Dinge erlebt.
Als er uns davon erzählte, traten wohl Tränen in seine Augen, doch er hat vernünftig gesprochen und nicht gestottert.
Man merkte ihm an, dass es ihn sehr bewegt hat, doch er konnte sich noch artikulieren.

Das möchte ich noch zu deinem Gedicht sagen.

Viele Grüße,
Marie-Luise
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Was ist Experiment? Versuch, Erfahrung, Avantgarde.

Ich versuche mir gerade vorzustellen, Picasso hätte sein Guernica-Bild nicht so collage-zerrissen komponiert, nicht so kubistisch-expressiv, wie es in unsere Augen schreit, sondern - er hätte es naiv oder photorealistisch gemalt.

Oder, um etwas zeitlich Näheres zum Vergleich heranzuziehen: Hendrix hätte die amerikanische Nationalhymne in Woodstock nicht (ihrem Text "bombs bursting in the air" gemäß) klanglich so entfaltet, wie er es tatsächlich getan hat, sondern gewissermaßen auf der Gitarre nachgeklampft, was die militärischen Blechorchester brav vormachen.

Kunst ist immer experimentell: als mutige Gestaltung. Zumindest ist Experiment nicht vom Schöpferischen und Schöpferisches nicht vom Experiment ausgeschlossen. Das braucht keine eigene Rubrik, weder als bad bank noch als Elfenbeinturm.
 

molly

Mitglied
Hallo HerbertH

meine Antwort ist keine Zustimmung für das Gedicht hier im Ungereimten, sondern als Experiment. Mir kommt es vor, als hättest Du selbst Zweifel.
" ... wenn es überhaupt passt "
Krieg zerstört, macht sprachlos. Aber wer davon berichten konnte, hat das mit deutlichen Worten getan. Darum finde ich, passt Dein Text als Experiment.

Viele Grüße und eine gute Woche
molly
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo HerbertH,
ich bringe deinen text in zusammenhang mit den soldaten, denen es in den von zynisch gelangweilten hirnen in´s werk gesetzten stellungsschlachten im 1.weltkrieg, denen es die sprache buchstäblich verschlagen hatte. wobei, manche formulierungen, die du bringst fast zum lachen anregen. es ist ein lachen von wahnsinnigen, von solchen, denen das gemetzel über den kopf wuchs. und dem der generäle, die champagner saufend hilflos und zynisch über ihr letztlich sinnfreies handwerk stammeln ...
nicht zuletzt, auch dem dichter verhaut es die sprache angesichts der katastrophe.
so etwa.

lg
die dohle
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Mary,

ich bin der Auffassung, dass ich mich durchaus artikulieren kann, und auch in diesem Gedicht artikuliert habe. Nur nicht in der Sprachweise, die Dir zusagt.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Mondnein,

ich sehe das ähnlich wie Du. Mir war schon klar, dass ich mich mit diesem Gedicht durchaus in die Nesseln setzen könnte.

'... wenn es überhaupt passt' aus meinem ersten Kommentar ging in diese Richtung. Dies sollte ausdrücken, dass sich das Gedicht mancher Kategorisierung entzieht und nicht überall hineinpasst.

Allerdings bin ich mir sehr wohl bewusst, dass dies - in diesem Fall zumindest - kein Problem des Gedichtes ist, sondern eines der Kategorisierungen.

Liebe Grüße

Herbert
 
Lieber Herbert,
du kannst stolz sein auf dein Gedicht. Die bekanntesten Poeten der Leselupe haben es mit guten Noten honoriert und Mondnein verglich es sogar mit dem Gemälde von Picasso „Guernica“.
Da fällt mein läppische Kritik doch nicht ins Gewicht.

Viele Grüße,
Marie-Luise
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Molly,

wie ich eben schrieb, sollte '... wenn es überhaupt passt' aus meinem ersten Kommentar ausdrücken, dass sich das Gedicht mancher Kategorisierung entzieht und nicht überall hineinpasst.

Das Gedicht wirkt wie ein Experiment, ist aber eher keines.

"Der Inhalt des Kriegsgeschehens bestimmt hier die Sprache, die die Sinnlosigkeit des Krieges sprachlich umsetzt. Die Form ist einerseits ein Aufruf, andererseits ein sprachliches Bedeutungskaleidoskop, geboren aus der meist sinnlosen Folge der Abläufe im Krieg. Keine Wortspiele, sondern (Ver-)Störung der Sprache [blue]wegen[/blue] des Geschehens. "
Dies ist mir eigentlich erst richtig durch die Diskussion in diesem Thread klargeworden.

Aber selbstverständlich ist das meine persönliche Meinung.

Dass dieses Gedicht nahe am Experiment ist, gestehe ich Dir selbstverständlich zu.

Aber bitte verstehe, dass ich das Gedicht hier im Ungereimten lassen möchte.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Dohle,

Deine Assoziationen zu diesem Gedicht passen sehr gut.

"Krieg verhaut Sprache" - ein gute Motto für dieses Gedicht. Und "das Lachen von Wahnsinnigen" ist eine schöne Metapher für die Rolle bestimmter Stilmittel, die verwendet wurden.

Danke und liebe Grüße

Herbert
 
Nachtrag

Die Worte in meinem letzten Kommentar besagen aber nicht, dass mir das Gedicht gefällt.
Ganz im Gegenteil.
Die deutsche Sprache wird hier sehr schlecht behandelt.
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Mary,

auch mein Vater war im Krieg und er wurde immer merkwürdig schweigsam, wenn die Rede darauf kam.

Ich kann mich sehr gut in Deine Stellungnahme zu diesem Gedicht hineindenken, wie ich glaube.

Denke bitte nicht, dass ich Deine Meinung gering schätze. Offene Kritik ist das Salz in der Suppe!

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Wegen der anstehenden Weihnacht überlege ich, ob ich statt

Und weihnachtsliedere Nicht
über schützen gräbern

Sondern unterm Tannenbaum
vielleicht besser

Und verbrüderungsliedere Nicht
über schützen gräbern

Sondern unterm Weihnachtsbaum
schreiben sollte.

Falls Ihr mir schreiben könntet, was Euch besser gefällt, oder vielleicht noch eigene Vorschläge für diese drei Zeilen, beschenkt Ihr mich schon sehr reichlich :)

Liebe Grüße

Herbert
 



 
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