Kroküsschen im Schnee

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James Blond

Mitglied
Der Winter spendet weiße Gaben
sobald man meint, er gäbe Ruh,
will keiner ihn zum Freunde haben,
dann schlägt der Alte gerne zu.

Das Land im Eisesschaum zu waschen,
erscheint als seine arge List,
er liebt es, spät zu überraschen,
weil so die Wirkung stärker ist.

Selbst wenn das erste Krokuslächeln
in frischem Schnee begraben ward –
die Sonne lässt die Eintracht schwächeln,
verlacht des Winters weißen Bart.

Mag der auch tanzen und sich schütteln,
in Massen zaubern Flockenpracht –
er kann zwar am Kalender rütteln,
doch ihn zu ändern, fehlt die Macht.

Dies liegt am Gang erstarrter Dinge,
sie folgen nicht dem Zeitdiktat,
damit das Neue erst bezwinge,
was sträubend sich dem Ende naht.

Wenn dann das Alte unter Grimmen
räumt seinen angestammten Platz,
ermessen frohen Mutes Stimmen
der Frühlingszeiten Freiheitsschatz.
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 23450

Gast
Ganz wunderbar, James Blond!

Besonders:

will keiner ihn zum Freunde haben,
dann schlägt der Alte gerne zu.


und

er liebt es, spät zu überraschen
weil so die Wirkung stärker ist.



Der große Eichendorff mag ein wenig geschubst haben, jedenfalls hätte er bestimmt seine Freude an diesem schönen Gedicht gehabt ... (das übrigens problemlos durchhält was Kadenz/Reimwechsel und Hebungsstruktur betrifft: fehlerlos!)

Fünf Sterne willst Du ja nicht, aber Du kannst sie Dir natürlich denken!

Alles Gute
Rudi
 

James Blond

Mitglied
Vom großen Eichendorff lass ich mich natürlich gerne schubsen und freue ich mich dann auch, wenn meine altbackenen Gedichte noch ihre Freunde finden.

Liebe Grüße
JB
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo James,
freue ich mich dann auch, wenn meine altbackenen Gedichte noch ihre Freunde finden.
Mit einem Augenzwinkern sprichst du von "altbackenen Gedichten".
Ich sag mal so:
Was mir an an deinem Gedicht besonders gefällt, ist die sprachliche Qualität. Vielleicht wird dies gerne unterschätzt: das handwerkliche Bemühen, unabhängig vom gewählten Thema und vom gewählten Stil (hier: augenzwinkernd antiquiert) auf der sprachlichen Ebene das Maximum rauszuholen.
Kann man bestimmt besser sagen, als ich das gerade getan habe. Und irgendwie beansprucht das ja jeder für sich, nach dem Maximum gestrebt zu haben: Ich habe mein Bestes gegeben und das klingt jetzt schon ziemlich genial! Aber das Beste ist in den meisten Fällen nur zu einem kleinen Teil Geniestreich und zum großen Teil auch solides Handwerk.
Deshalb bin ich hier in der Leselupe: Nicht, um mir auf die Schulter klopfen zu lassen, sondern um zusammen mit anderen den Diskurs zu pflegen: Wie geht Handwerk? Gibt es Alternativen, wenn was nicht rund klingt? Kann man das lyrische Pferd anders aufzäumen?
Dein Gedicht ist für mich ein gelungenes Beispiel dafür, dass die Arbeit an einem Text dann abgeschlossen ist, wenn der Text widerhakenfrei und unaufdringlich dahingleitet.
Natürlich können Widerhaken auch bewusst gesetzt werden.
Aber da bin ich dann nicht selten versucht zu fragen: Ist es nicht fehlende Liebe zum handwerklichen Detail, die hier für ein Ruckeln und Holpern sorgt?
So, nun habe ich mich als langweiliger Werkstattmitarbeiter geoutet! :)

lg wüstenrose
 
Hallo James Blond!

Die Lizenz zum Dichten hast du, soviel steht fest.
Besonders eindrücklich finde ich die Zeile:

Das Land im Eisesschaum zu waschen

Das ist ein sehr schönes Bild, das wirklich bei mir hängen geblieben ist.
Bemerkenswert poetische Alltagsbeschreibung.
Und dann: Weise, wahre Worte vom Kalender himself, ohne in verkitschte Kalendersprache abzudriften - ist auch eine Kunst.

Nur ein bisschen (zu) viele Beistriche hast du eingefügt, wie ich finde.
Oft auch dort, wo im Fließtext gar kein Komma notwendig wäre - oder ohne Not vorm Zeilenumbruch.
Ich meine, an manchen Stellen hättest du ebenso gut gleich einen neuen Satz anfangen können anstatt mit Beistrichen fuhrwerkend zu verbinden.
Die Kritik an der Zeichensetzung mag vielleicht ein wenig pingelig daherkommen, aber irgendwie irritiert es mich beim Lesen.

Meine Lieblingsstrophe gefiele mir z. B. so noch besser:

„Das Land im Eisesschaum zu waschen
erscheint als seine arge List.
Er liebt es, spät zu überraschen,
weil so die Wirkung stärker ist.“

Insgesamt aber Daumen hoch für den Beitrag, keine Frage!
Bin so dreist und geb dir Sterne.

Lg, Erdling
 
G

Gelöschtes Mitglied 23450

Gast
Die von mir angestoßende Linie wird gar nicht wahrgenommen - jeder plappert für sich!

Ich ziehe meinen Beitrag zurück. Es ist alles so groß unter dieser Lupe!
 

Trist

Mitglied
Klasse, James.
Ich schließe mich allen lobenden Kommentaren an.
Ein tolles Gedicht, mit einem sehr schönen Sprachgefühl geschrieben.

Liebe Grüße
Trist
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Esche,
hm, so unterschiedlich die hier in der Lupe eingestellten Werke, so unterschiedlich auch die Reaktionen darauf oder die Assoziationen dazu. Das ist doch legitim. Im konkreten Fall erfährt das Gedicht (bislang) einigen Zuspruch.
Wobei in den jeweiligen Kommentaren unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund gestellt werden. Warum nicht?

lg wüstenrose
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Du machst Dich, James,

und ich denke, es wird noch was werden mit Deinen spätromantischen Versuchen, den moderneren Dichtern (ich meine die von vor über 100 Jahren, wie Rimbaud oder Trakl) ein Musterstück ordentlicher Handwerksarbeit entgegenzustellen.

Weiter so!

grusz, hansz

P,S.:
Der Titel klingt auf den ersten Blick peinlich, aber ich vermute, Du hast Dich für Deinen großmütterlichen Stil geschämt und deshalb so einen selbstironischen Titel gewählt, um nicht als untoter Wiedergänger erkannt zu werden. Feiner Trick.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
G

Gelöschtes Mitglied 23450

Gast
Na ja, liebe(r) wüstenrose, es ist so das Gefühl eines ständigen Stolperns, wenn wir reden, weil unser Sagen ganz häufig versagt ...

Was natürlich mit der fabelhaften Gedichtleistung James Blonds nichts zu tun hat.

Schönen Tag
Rudi
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Mondnein,
es steht dir völlig frei, obiges Gedicht für gelungen oder eher misslungen zu halten.
Trotzdem wäre es, da du quasi "Funktionsträger" in der Lupe bist, deine Aufgabe, den Forenmitgliedern ein bisschen Lust aufs Mitarbeiten und Sich-Beteiligen zu machen.
Urteile selbst, ob dein Tonfall dazu angetan ist, anderen Lust aufs Mit-Schreiben und Mit-Kommentieren zu machen.
Mir ist die Lust erst mal vergangen.

bis die Tage
wüstenrose
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich halte das Gedicht für extrem gelungen. Geradezu unübertrefflich.
Wüstenrose, Du hast die Ironie des pseudosentimentalen Titels ("kroküsschen") nicht begriffen.

Ich habe James ausdrücklich gelobt, "über den grünen Klee", ganz im Sinne seines Mottos (dauerhaft unter seinen Gedichten). Was das falsch?

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

wüstenrose

Mitglied
okay Mondnein,
dann rudere ich mal zurück, aber mit dieser Form der Ironie tue ich mich wirklich schwer:
Du machst Dich, James,

und ich denke, es wird noch was werden mit Deinen spätromantischen Versuchen
Es klingt so nach Lehrer-Schüler-Verhältnis, klingt so nach 'bewusst-Kommunikation-auf-Augenhöhe-vermeiden'. Gut, es ist deine Form der Ironie. Wie gesagt, ich tue mich schwer damit.
Gruß, wüstenrose
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Du hast mein Mitleid, Wüstenrose.
Gute Besserung!

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
das Blendgenie nur bräsig wimmert,
als letzte Pfeife auf dem Pausenhof.
Nein, hans, Du machst dieses schöngestickte Deckchen nicht kaputt mit Deinem Wimmern.
Dir fehlt die Selbstironie des Titels.
 



 
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