Kundenfreundlich

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„KUNDENFREUNDLICHKEIT wird bei uns GROSS geschrieben“: Das steht da tatsächlich über dem Eingang vom Restaurant in der Mozartstraße, und tatsächlich in riesigen Großbuchstaben.
Alex ist spät dran. Verdammt.
Vermutlich werden sie keinen Tisch mehr kriegen, Reservierung hin oder her.
Elsa wartet schon.
Sie sieht so schön aus! Ihr rötlich schimmerndes Haar hat sie sorgfältig glattfrisiert und mit einer bernsteinfarbenen Spange zusammengenommen. Die zarten Hände, verschwunden in den Manteltaschen ihres schwarzen Trenchcoats, scheinen zu kleinen, rastlosen Fäusten geballt. Mit den neuen Stiefeln klopft sie einen Morsecode in den nassglänzenden Asphalt, in dessen Dunkel sich die Lichter der Großstadt spiegeln. Alles an ihr ist auf ängstliche Ungeduld getrimmt, aber jetzt ist er ja da.
„Nie und nimmer kommen wir da rein!“ begrüßt sie ihn missmutig, lässt sich aber dennoch einen Kuss aufdrücken.
Er sagt so Sachen wie: „Das wird schon!“ oder „Wirst schon sehen!“ und hält wie ein warmes Versprechen den Arm um sie gelegt.
Grad fischen sie beide ihre Smartphones aus den Taschen, bewegen sich auf das imposante Gebäude zu, da biegt ums Eck eine Gruppe Angetrunkener. Einer der Männer rempelt das Pärchen an und allesamt drängeln sie sich schamlos vorbei bis hinten zum Türsteher.
„Hey!“ protestiert Alex, aber der Einlasser bedeutet ihm Schweigen. Die Betrunkenen müssen sich noch nicht mal scannen lassen.
Der Türsteher hält ihnen galant die Türe auf und verbeugt sich sogar. Und drin ist die Horde.
„Stammgäste. Stufe 1.“ lässt sich der Einlasser zu einem erklärenden Kommentar herab, als Antwort auf Elsas hochgezogene Augenbrauen.
„Sind Sie heute das erste Mal bei uns?“ richtet der erste Mann am Platz auch sogleich die erste Frage an die beiden.
„Äh, ja, früher mal. Also, ich schon. Ich war früher mal hier essen, also ganz früher, Sie wissen schon: Damals. Sie noch nicht.“ Alex deutet auf Elsa. „Wissen Sie, ich will sie heute ganz groß romantisch ausführen…“
Der Einlasser zeigt sich unbeeindruckt.
„Sind Sie bei uns registriert?“ präzisiert er seine Frage - diesmal muss Alex verneinen.
Während sie also beide, jeder für sich, das Anmeldeformular ausfüllen, fängt es an, einen grauen Staubregen auf sie herab zu nieseln. Das große Holztor, die weißgetünchte Fassade, die warmleuchtenden Fenster - ist alles noch ewig weit weg.
Alex flucht, weil er nicht dran gedacht hat, einen Schirm mitzunehmen.
„Sie fluchen?“ fragt ihn der Einlasser prompt. Steht im Regen wie ein Fels, scheint ihm nichts auszumachen.
„Was? Ich? Ach, nein, tut mir leid. Normal nicht. Ist ein blöder Tag gewesen. Bitte, vermerken Sie das nicht! Ich bin wirklich niemand, der…“
„Würden Sie sich vielleicht als gereizten Menschen beschreiben?“ unterbricht ihn der Einlasser. „Ich meine, haben Sie oft solche ‚blöden‘ Tage, an denen sie ausfällig werden?“
„Nein, nicht wirklich. Sehen Sie, das war wirklich nur ein Versehen. Ich entschuldige mich auch in aller Form nochmal. Ist ja auch gar nicht schlimm, ist regelrecht erfrischend, so ein Herbstregen…“
Der Einlasser nickt ein wenig, aber Zustimmung ist das noch lang keine.
Es läuft nicht besonders, das merkt natürlich auch Elsa. Besorgt schaut sie ihm ins Gesicht.
Gott, ihre Schultern sind so schmal und zerbrechlich! Er möchte, er muss sie beschützen. Er will ihr doch nur Gutes tun.
„Aber die tagesaktuellen Impfungen haben Sie schon?“ erkundigt sich der Einlasser vorsorglich und es scheint fast, als würde er drauf hoffen, das Prozedere würde sich an dieser Stelle von selbst beenden.
„Doch, aber natürlich, sehen Sie nur!“ triumphiert Alex und hält ihm seine eigenen und Elsas Zertifikate unter die Nase. Vakzin 11/25, cfx57, Pxlvid404 und sämtliche Basisimpfungen, sie alle beide.
Wieder nickt der Mann, jetzt schon ein bisschen zugewandter.
„Und sehen Sie, erst letzte Woche habe ich sogar eine Unterstützungserklärung für unsere werte Frau Präsidentin abgegeben! Das gibt doch sicherlich auch ein paar Pluspunkte, nicht wahr?“
„Wir sind auch klimaneutral hergelaufen“, setzt Elsa noch hinzu.
„Mal schauen.“ Der Einlasser zuckt die Schultern, als wäre ihm die Präsidentin und das Klima egal.
Weiter füllen sie ihre Formulare aus. Schweigend.
„Entschuldigen Sie, aber ich hätte da eine Frage“ flötet Elsa nach einer Weile.
Ach, Elsa! Sie weiß ja noch nicht, dass ihr jugendlicher Charme hier nichts zur Sache tut.
Der Einlasser dreht ihr auch nur wenig den Kopf zu. Das andere Auge bleibt auf die Straße geheftet. Könnte ja noch ein Stammgast oder eine Einser-Stufe vorbeikommen.
„Entschuldigen Sie, aber wie kann ich Ihr Lokal und Ihre Speisen vorab bewerten, wo ich ja doch noch gar nicht drin gewesen bin?“ will Elsa wissen, naives Kind.
Jetzt grinst der Mann aber spöttisch, aber wie.
„Wirklich Ihr erstes Mal, was?“
Alex lacht nervös und bedeutet dem Einlasser, dass er sich schon kümmert wird. Er wird es seiner Begleiterin erklären.
„Gib einfach überall die fünf Sterne her“ raunt er ihr zu und wischt an der entsprechenden Stelle über Elsas Handy. „Und drunter schreibst du: ….“
„Na, na, na! Sie muss das schon selber machen!“ mahnt es von der Eingangstüre. Der Türsteher passt zusätzlich auf, dass alles seine Ordnung hat. Auch der Einlasser droht mit dem Zeigefinger.
Alex hebt defensiv beide Hände und wendet sich wieder seinem eigenen Formular zu. Hoffentlich schreibt Elsa was Adäquates.
„Was die alles wissen wollen“ entschlüpft es ihr einmal.
Endlich sind sie fertig. Gesuch eingereicht.
Das Gerät vom Einlasser leuchtet grün.
„Ihr Antrag wird jetzt drinnen geprüft. Das kann einige Minuten in Anspruch nehmen.
In der Zwischenzeit dürfen wir Sie schon mal zum Interview hineinbitten.“
Mit diesen Worten dürfen sie den Einlasser passieren und stehen alsbald tatsächlich vor dem großen Holztor und der hellen, gepflegten Fassade. Da: Eine Figur, die schaut aus wie ein Wasserspeier aus Notre Dame.
Der Türsteher hält ihnen zwar die Türe nicht extra auf oder verbeugt sich, aber wenigstens begrüßt er sie mit einem Lächeln.
Erleichtert lächeln die beiden zurück.

Im Foyer nimmt ihnen eine elegante Garderobenfrau im perfekt sitzenden Kostüm, dunkelblau, die Mäntel ab.
„Guten Abend“ sagt Alex und boxt Elsa ein bisschen an, damit sie es ihm gleichtut.
„Guten Abend“ sagt die Kostümtante leicht pikiert und führt sie durchs Foyer. „Bitte hier entlang!“
Das Licht ist gedämpft. Ein Empfangstresen aus Mahagoni und dicke Teppiche, die die Schritte schlucken, mehr gibt es nicht. Von der Gaststube sind sie wohl noch ein gutes Stück entfernt. Man hört keine Stimmen, keine anstoßenden Gläser und kein Geschirrgeklimper oder sowas.
Unter dem Mantel trägt Elsa ihre guten Jeans und eine puderrosa Bluse, der man das Alter schon ansieht. Auch der Mantel ist nicht grad modisch oder Qualität, er sieht das. Aber die Schuhe, die er ihr gekauft hat, die machen was her.
Die Kostümlady sieht das bestimmt auch. Ist ja immerhin ihr Job, die Leute mit professionellem Blick zu taxieren.
„Möchten Sie etwas trinken? Einen Aperitif vielleicht?“ säuselt die Garderobenfrau erbötig, während sie forsch vorangeht. Das Foyer streckt sich lang und breit nach hinten zu.
„Nein, nein, danke. Machen Sie sich bloß keine Umstände“ antwortet Alex und weiß, damit haben sie das nächste Level erreicht. Die Garderobenfrau schmunzelt wohlwollend.
Getrennt werden sie nun in die Interviewräume geführt. Elsa rechts, Alex in den Raum auf der linken Seite.
Beim Weggehen wirft ihm Elsa noch einen unsicheren Blick zu, den Alex mit einem gespielt aufmunternden Zwinkern erwidert.

Der Interviewraum ist im Gegensatz zum Foyer rasend grell beleuchtet.
Ein bärig großer Mann sitzt an einem Tisch in der Mitte, vor ihm ein übertrieben großer Screen.
Auf dem schmalen grauen Holzstuhl gegenüber vom Interviewer nimmt Alex Platz und wartet, dass dieser so weit ist.
Noch tippt er Daten ein, dann geht es ziemlich unvermittelt los.
„Würden Sie sagen, dass sie ein freundlicher Kunde sind? Und wie genau äußert sich diese Ihre Freundlichkeit im Allgemeinen?“ eröffnet der Bärige das Interview. Er dürfte an die Vierzig sein, trägt eine klobige Brille und ist unrasiert.
Alex überlegt einen angemessenen Moment lang, ehe er anfängt zu referieren:
„Nun, ich würde sagen, ich grüße freundlich, ich lächle freundlich und ich räume den Tisch selber ab. Ich spüle sogar das Geschirr, wenn es beliebt! Beim Essen mache ich keinerlei Flecken und keine Brösel aufs Tischtuch.
Meine Tischmanieren sind ausgezeichnet. Da sind mehrere Knigge-Diplome in meiner Datei, forschen Sie ruhig nach!
Ich esse manierlich, aber trotzdem schnell und besetze einen Tisch nicht länger als nötig.
Reservierungen halte ich immer ein, Pünktlichkeit ist mir wichtig.
Wählerisch bin ich auch nicht. Ich bestelle, was Sie grad vorrätig haben und folge den Empfehlungen des Hauses nur zu gern.
Ein guter, dankbarer Esser, genau das bin ich. Esse auch gar nicht viel.
Ich bin ein guter Kunde.
In der Datei sehen Sie bestimmt, dass ich erst letztens einem Kellner nicht nur fünf Sterne und dreißig Euro Trinkgeld, sondern auch noch spontan eine professionelle Fußmassage gegeben habe. Der hat das gebraucht, das hab ich gleich gesehen.
Noch nie habe ich ein Lokal negativ bewertet.
Dass ich über das entsprechende Kleingeld verfüge, meine Bonität steht darüber hinaus ja wohl außer Frage.
Meine Begleitung hingegen ist … naja, für sie ist das alles noch neu, sie steht noch am Anfang, aber ich sage Ihnen, sie hat Potential! Aus der wird noch was.
Im Grunde haben Sie mit uns zwei freundliche Kunden mehr in Ihrer Kartei.“
Der Brillenbär hört sich alles an und gleicht die Daten ab. Mürrisch schaut er. Der versteht keinen Spaß, denkt sich Alex im Stillen. Der will was finden.
Und klar findet er was.
„Hmmm“, brummt er vor sich hin.
„Hmmm: Sie behaupten zwar, dass Sie als Kunde freundlich grüßen würden, aber mich zum Beispiel haben Sie schon mal gar nicht begrüßt. Nicht mal ansatzweise“, stellt der Bärige fest und wirkt darob höchst unzufrieden.
„Das ist auch gar nicht Ihr erster grober Fehler heute Abend.
Weder den Einlasser noch den Türsteher haben Sie gegrüßt.
Und schlimmer: Schon bei Ihrer Ankunft haben Sie gleich mal versucht, sich dreist vorzudrängeln. Haben sogar unsere Stammgäste belästigt, muss man leider so sagen.
Und geflucht! Geflucht haben Sie obendrein. Laut und hörbar. Wie unflätig!
Also von wegen Knigge und so weiter.
Damit haben Sie heute auch schon mehrfach gelogen, indem Sie das Gegenteil von dem behaupten, was nachweislich wahr ist.
Ich sag Ihnen was, das läuft gar nicht gut für Sie.“
Der Interviewer schaut jetzt noch finsterer als vorhin über seinen dicken metallischen Brillenrand drüber.
„Aber ich bitte Sie! Ist doch alles bloß ein Missverständnis! Seien Sie nicht so kleinlich“ will Alex abwiegeln, aber der andere steigt nicht drauf ein.
Hat er alles schon alles hundertfach gehört, die Ausflüchte, die nachträglichen Beteuerungen. Die Daten lügen nicht.
„Die Garderobiere habe ich aber sehr wohl begrüßt“ fällt Alex noch ein – aber er merkt ja selbst, wie lächerlich das klingt.
„Schon gut, machen wir weiter. Ganz ruhig.
Sagen Sie, sind Sie nervös? Sie scheinen nervös.
Aufrecht und ruhig sitzen können Sie jedenfalls nicht wirklich.“
Dem Interviewer entgeht aber auch nichts.
Alex versucht jetzt, den Rücken durchzustrecken und selbstsicher rüberzukommen, natürlich zu spät.
Die dicken Bärenfinger fliegen über die Tastatur. Das Interview ist noch nicht zu Ende.
Einige Fragen kommen recht unerwartet:
„Haben Sie jemals gegen einen Regierungsentscheid demonstriert, agitiert oder sonst wie das staatliche Gefüge, die öffentliche Ruhe gefährdet beziehungsweise unterstützen oder verfolgen Sie umstürzlerische Aktivitäten?“
- „Äh, nein. Natürlich nicht. Was denken Sie von mir?“ -
„Im Protokoll steht, 2022 hätten Sie sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen. Wegen ‚Pazifismus‘ - so steht das hier in der Akte.
Das ist ja mal interessant. ‚Pazifist‘ also, gegen Waffen.
Wie das? Was hat Sie damals zu einer solchen Aussage, zu einem solchen überkommenen Standpunkt bewogen und würden Sie diese Aussagen heute widerrufen oder zumindest relativieren…?“
Au backe, das hat Alex jetzt aber kalt erwischt. Er stammelt:
„Das ist … ich meine, woher haben Sie das? Ich dachte, auf private Mails hätten Sie doch überhaupt keinen Zugriff? Und ich habe doch auch nur ein einziges Mal vor vielen Jahren geschrieben, dass…“
„Nicht ganz auf dem Laufenden, was?
Neue Verordnung. § 589, Zusatz 5A.
Jegliche private Kommunikation ist uns als Verköstigungsbetrieb jetzt freigegeben, schon seit acht Wochen mindestens.
Aber regen Sie sich nicht auf, ist sowieso schon verjährt die Sache.
Eine kleine Fußnote wird Ihnen allerdings vorerst bleiben.
Können Sie vermutlich mit Bonuspunkten wieder wettmachen. Mal schauen.
Oder möchten Sie gleich hier und jetzt ein entsprechendes Statement abgeben?“
Alex hat sich wieder gefangen und meint: „Lieber nicht. Sowas will ja doch immer bedacht ausformuliert sein.“
Da muss der Bärige ausnahmsweise zustimmen, das findet er klug.
„Nun, kommen wir zum letzten Punkt.
Wie steht es mit Ihrer Begleitung?
Was können Sie mir über diese Elisabeth Berger sagen? Details, bitte.“
„Sie ist … also Elsa … wir kennen uns noch gar nicht so lange.
Was kann ich über Elsa sagen?
Sie ist Studentin. Medizin. Wohnt noch zu Hause. Keine Einträge, keine Fußnoten, soweit ich weiß. Ich meine, sie ist sauber, sonst hätte ich nie…“
„Sie haben eine sexuelle Beziehung mit Elisabeth Berger. Wie lange schon?“
„Drei, nein, vier Monate. Glaube ich.“
„Besondere sexuelle Vorlieben? Abnormitäten? Perversionen?“
„Entschuldigen Sie bitte, aber das geht jetzt wirklich zu weit. Derart intime Frage lehne ich dezidiert ab. Grundsätzlich. Können Sie ruhig vermerken.“
Immerhin, alles hat seine Grenzen, findet Alex.
„Gut. Ich muss Sie aber drauf aufmerksam machen: Wenn Sie diese oder ähnliche Fragen ablehnen, haben Sie kein Anrecht auf ein süßes Dessert oder die Käseplatte. Kein Tiramisu, keine Mousse au chocolat, kein Obstkuchen, keine Nusstorte, kein Apfelstrudel, kein Eis. Möchten Sie die Frage trotzdem ablehnen?“
Alex lehnt ab.
„Nochmal zu Frau Berger. Was wissen Sie über Ihre Eltern? Ihren Vater?“
„Ihren Vater? Den kennt sie doch gar nicht richtig. Hat die Familie verlassen, als Elsa, also Frau Berger noch klein war. So fünf ungefähr“
Der Interviewer schaut Alex skeptisch ins Gesicht.
„Ist was mit Elsas Vater?“ fragt Alex nach einer Weile Schweigen.
„Wissen Sie wirklich nicht?
Der Vater von Frau Berger: Ist Stufe zwölf.
Ja, richtig gehört: ZWÖLF.
Hat damals Petitionen für Assange unterschrieben und so Zeug. Julian Assange – Sie erinnern sich? Natürlich noch ein Haufen anderer krummer Dinger. Ein Querkopf wie er im Buche steht. Muss immer alles in Frage stellen, so ein Krawallmacher. Natürlich nix geimpft, kaum Datensätze eingespeist und so weiter.
Ich meine, ist ja schön und gut, darf eh jeder, wie er meint. Nur nicht bei uns. Nicht bei uns.
Ich meine, dafür gibt es ja den „Gelben Hahn“ in der Friedrichstraße. Da werden auch so Subjekte auf Stufe zwölf noch verköstigt. Kennen Sie vielleicht? Der „Gelbe Hahn“?
Ist aber nicht mehr viel los da drüben, wie man hört. Nur das Gute setzt sich durch, Sie werden schon sehen.
Ich sag Ihnen, ist nur eine Frage der Zeit, bis die auch noch dichtmachen und dann schaut’s finster aus für diese Leute. Sie verstehen? Die können dann Dreck fressen. Aber nicht bei uns.
Wir sind immerhin ein Fünf-Stern-Haus, wie Sie vielleicht wissen.
Ich meine, überlegen Sie gut, wen Sie uns anschleppen und mit wem Sie sich abgeben wollen.
Leute mit Stufe-zwölf-Kontakten sind nicht grad das, was wir unter freundlicher Kundschaft verstehen…“
Der Bär macht eine Pause. Schaut mit düstrer Miene auf seinen Screen.
Alex starrt auf die Tischplatte. Weiß lackiert und wahnsinnig glänzend, keinerlei Unebenheiten oder Kratzer, es ist faszinierend.
Er wird das ungute Gefühl nicht los, der Bärige wüsste noch etwas anderes, was er ihm aber nicht direkt sagt.
„Ich will ganz ehrlich sein, Herr Hinteregger, insgesamt ist Ihre heutige Bilanz niederschmetternd.
Es ist wohl besser, wenn Sie jetzt gehen. Jetzt gleich, sofort!“
Auf einmal geht alles ganz schnell.
Der Bärige steht auf, demonstrativ und wendiger als man es ihm zugetraut hätte. Was für ein riesiger, fleischiger Schatten.
Alex folgt ihm zur Tür, zögernd.
„Glauben Sie mir, Sie missverstehen das alles bloß…“ versucht er noch, ein bisschen was von seiner Ehre und seiner Würde zu retten. Seinen kurzen Abgang geht er so kerzengerade wie möglich, aber hilft ja nichts.

Im Foyer reicht ihm die Garderobenfrau seinen Mantel.
Kein Lächeln mehr. Sie weiß Bescheid.
„Wo ist meine Begleitung?“ fragt Alex.
„Nur Geduld!“
und
„Bitte hier entlang!“
ist die Antwort. Nicht zuvorkommend, aber immer noch höflich, einigermaßen.
Die Frau schreitet voran ganz bis ans hintere Ende des ewiglangen Foyers.
Mann, ist es düster hier drin! Und totenstill. Die Teppiche schlucken wirklich alles.
Das blaue engsitzende Kostüm lotst ihn hin zu einer schäbig zerkratzten Metalltür. Die ist schwarz und grotesk mickrig, dass man sich bücken muss, wenn man hindurchwill. Schaut aus, als hielte man das weiße Kaninchen und den verrückten Hutmacher dahinter gefangen.
„Hier sind wir aber nicht reingekommen“ moniert Alex misstrauisch.
„Geht es hier nach draußen? Ist Elsa da drin?“
Langsam bekommt er es mit der Angst.
Es wird doch nicht…?
„Bitte hier entlang“ wiederholt geduldig die Stimme, derweil sich vor seinen Augen die sehr dunkle Öffnung laut ächzend auftut.
 
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Aufschreiber

Mitglied
Hallo Dichter Erdling.

bedrückend, das Ganze, aber wenn ich ehrlich bin, entspricht es auch meinen Vorstellungen der Weiterführung der aktuellen Entwicklung.
Wenn ich heute Leute sagen höre: "Ich hab doch nichts zu verbergen" oder "Ich tu nichts Unrechtes", dann tanzen vor meinem geistigen Auge solche und ähnliche Szenen ihren Reigen.

Gut geschrieben.

Beste Grüße,
Steffen
 



 
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