Kurzgeschichte, Krimi! Ein fantastischer Job

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Ein fantastischer Job…

Er saß mitten, an der Bar aus glänzend poliertem Messing, auf einem der urigen, hölzernen Barhocker. Er gefiel Ivanka auf Anhieb. Groß, kräftig, schlank, lässiger Jeansanzug, trotzdem teuer. Sie erkannte Markenklamotten, auch wenn sie sich selber keine leisten konnte.

Der Typ musste um die Dreißig sein, blonde, dichte Haare, fielen ihm in einer modischen Tolle in die Stirn.

»Der könnte mir gefallen! Aber so was ist nicht für mich gemacht!«

Leise seufzend rührte sie in ihrem Milchkaffee und starrte auf die Drehung des hellbraunen Kaffeewirbels.

»Ist das ein physikalisches Experiment?«

Erschrocken ruckte ihr Blick nach rechts oben und starrte in ein paar glänzend braune Augen. Der blonde Traummann von der Bar stand neben ihr.

»Wa- was?«, stotterte sie.

Er setzte sich auf den hölzernen Stuhl, an dem kleinen, runden Tisch.

»Du starrst so trübsinnig in deine Kaffeetasse, als würdest du dort dein schreckliches Schicksal erblicken!«, lachte er.

»Dabei bist du doch so ein hübsches Mädchen. Wie heißt du eigentlich?«

»Ivanka«, presste sie aus ihrer Kehle heraus, die wie zugeschnürt war. Gleichzeitig realisierte sie, wie frech dieser Kerl eigentlich war. Er hatte noch nicht mal gefragt, ob sie etwas dagegen hätte, wenn er sich zu ihr setzte. Aber diese Frechheit gefiel ihr – und sie hatte ja auch nichts dagegen!

»Also Ivanka, ist es nun ein Experiment oder nicht?«

»Was glaubst du, was es ist?«, stieß sie hervor, »Kaffee natürlich! Verdammt, jetzt ist er bestimmt beleidigt!«

Augenblicklich starrte sie wieder in ihre Kaffeetasse, um nicht sehen zu müssen, wie er mit wütend gerunzelter Stirn aus ihrem Leben verschwand.

Stattdessen drang ein dunkles volltönendes Lachen an ihr Ohr. »Ich mag Frauen mit Humor!«, gluckste er. »Darf ich dich zu Kaffee und einem Stück Kuchen einladen?«

Ungläubig starrte sie in seine glänzenden, braunen Augen. Mama, deine Tochter ist gerade dabei den Fang ihres Lebens zu machen. Dieser Kerl sieht aus wie ein Modedesigner, ein Manager oder zumindest ist er Bankangestellter in irgendeinem Institut in Bukarest.

Gekonnt fuhr sie sich mit allen fünf Fingern durch das nachtschwarze, lange Haar und wirbelte es in einer einzigen Bewegung nach hinten, dabei lächelte sie verhalten und ließ ihre dunklen Augen blitzen. »Sehr gerne. Danke schön.« Sie seufzte.

»Du musst mich ja für eine ganz schön unfreundliche Schnepfe halten.«

»Nein.« Plötzlich wurde er ernst. »Nein, das tue ich wahrhaftig nicht. Ich halte dich eher für ein sehr unglückliches Mädchen.«

»Wieso glaubst du das?« Die gesamte Spannung wich plötzlich aus ihrer Körpermuskulatur und ihre Schultern sackten nach vorne.

»Weil du ein Mensch zu sein scheinst, der sich nicht verstellen kann.«

»Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht! Oder bist du ein Gedankenleser?«

»Bestimmt nicht.« Sein Mund verzog sich zu einem ansprechenden Lächeln. »Aber ich habe dich von der Bar aus beobachtet. Nicht um Sozialstudien zu machen, sondern weil du so ein schönes Mädchen bist. Dabei war es nicht zu übersehen, das du ein trauriges, schönes Mädchen bist. Was bedrückt dich? Vielleicht kann ich dir helfen!«

Ivanka lachte freudlos. »Das übliche Gesäusel«, schoss es ihr durch den Kopf. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie diese Stimme nicht mehr hören. Sie war davon überzeugt, das hier die Chance ihres Lebens vor ihr saß.

»Du hast recht«, hörte sie sich seufzen. »Ich hab da wirklich ein dickes Problem. Aber ich glaube kaum, das du mir helfen kannst.« Doch sie konnte nicht mehr aufhören zu reden. So erzählte sie ihm von dem kleinen Stück Land ihrer Familie, mit dem maroden uralten Bauernhof. Sie erzählte von ihrem Vater, der sich eines Tages einfach verdrückt hatte, weil ihm alles zu viel war. Sie redete von ihren drei kleinen, noch nicht schulpflichtigen Brüdern, ihrer hart arbeitenden, herzkranken Mutter.


»Es reicht einfach nicht«, sagte sie leise. »Meine Mutter wird irgendwann zugrunde gehen. Sie wird nicht mehr aufstehen aus ihrem Bett. Ihr Herz wird nicht mehr mit machen. Was wird dann mit meinen Brüdern? Ich kann ihnen nicht helfen. Ich habe es weiß Gott versucht. Ich bekomme keine Arbeit, geschweige denn eine Lehrstelle.«

»Aber«, seine Stimme schien ihr plötzlich leicht verunsichert, »aber gibt es da nicht jemanden der dich…«

»Nein«, unterbrach sie ihn scharf, »Die jungen Männer in unserem Dorf die zusätzlich zur Landwirtschaft noch eine Arbeitsstelle haben, verdienen höchstens ein paar Hundert Euro im Monat. Und sie sind nicht bereit, sich am Beginn ihrer Laufbahn eine fünfköpfige Familie aufzuhalsen. Wenn man sich selber eine aufbaut, ist das was anderes.«

Ihr Blick musterte ihn abschätzend. »Ich weiß nicht, was du von Beruf bist, aber ich rate mal. So wie du redest, wie du aussiehst könntest du Modedesigner sein. Wie auch immer, du kennst diese Sorgen bestimmt nicht!«

Wieder dieses verheißungsvolle, amüsierte Lächeln.

Doch während die Kellnerin, eine ältere Blondine Kaffee und Kuchen vor sie hinstellte, schwieg er. Als sie weit genug entfernt war, begann er zu erzählen.

»Ich komme auch vom Dorf. Und meine Kindheit war armselig und alles andere als mit Reichtum gesegnet. Ich musste mich nach oben durchschlagen! Deshalb werde ich das, was ich jetzt habe, nicht mehr hergeben. Auf keinen Fall!«

Ivanka schaute ihn erschrocken an. Er lächelte nicht mehr. Ein harter Zug hatte sich um seine Mundwinkel gegraben, die Wärme war aus seinen Augen gewichen.

»Das tut mir leid«, flüsterte sie fast. »Ich wollte dich nicht … Steh auf, nimm deine Beine in die Hand und gehe. Nein renne. Hol deine Sachen bei Irina ab und renne zurück auf deinen Bauernhof!«

Quietschend rutschte sie mit ihrem Stuhl nach hinten. Ein Geräusch, das ihr in den Ohren wehtat. Sie wollte aufstehen.

Doch plötzlich spürte sie eine warme Hand auf der Ihren.

»Bleib. Geh nicht. Bitte!«

Wärme war in seine Stimme zurückgekehrt, auch der Glanz in seinen Augen war wieder da. Sie zog ihre Hand nicht zurück. Abwartend sah sie ihn an.

»Es tut mir leid. Wirklich. Meine Kindheit war keine sehr schöne.

Es macht mir Angst, immer noch. Ich kann nicht darüber sprechen.«

Das klang ehrlich. Sie nickt wortlos und blieb.

»Gut«, sagte er und schien erleichtert. »Es gibt zwei Dinge, die ich möchte.

Dir helfen und mit dir zusammen sein! Ich bin zwar kein Modedesigner aber Bauingenieur in Deutschland. Ich wohne dort bei Bekannten, die sind dringend auf der Suche nach einem Kindermädchen für ihre zwei kleinen Söhne. Sie fragen mich immer wieder, ob ich nicht jemanden kenne. Du hast doch ein bisschen Erfahrung damit, wegen deiner Brüder. Du könntest in der Villa auf dem Hügel wohnen. Die bezahlen gut. Ein betuchtes Ehepaar, beide Ärzte. Was meinst du?«

»Bevor ich mich entschließe«, antwortete Ivanka ruhig, »wie heißt du eigentlich?«

»Oh entschuldige«, lachte er. »Ich hab mich gar nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Ich heiße Tomasz!«

Entschlossen wischte Ivanka alle Bedenken beiseite.

»Sagen wir mal, ich würde mich dafür interessieren. Brennend sogar!

Aber die Formalitäten, ich weiß gar nicht, wie man das macht!«

»Das lass mal meine Sorge sein«, beruhigte Tomasz sie.

»Erst einmal reicht dein normaler Pass. Ich besorge dir ein Touristenvisum und wenn wir in Deutschland sind, mache ich das schon mit den Behörden. Du kriegst dann eine befristete Arbeitserlaubnis!«

»Mensch super! Ein fantastischer Job!« Ivanka konnte nicht anders. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Heute begann ihre Zukunft. Wenn sie auch kein Model wurde, sie würde gutes Geld verdienen.

»Allerdings muss ich morgen schon zurückfahren«, sagte Tomasz. "Mein Urlaub ist zu Ende!"

»Aber dann schaffen wir das doch nicht mit dem Visum! In der kurzen Zeit!«

Ivanka war schon wieder den Tränen nahe.

»Ach was«, Tomasz winkte ab. »Mach dir da mal keine Gedanken. Ich hab einen Freund im Passamt. Der ist mir noch einen Gefallen schuldig. Ich besorge dir das Visum bis heute Abend um 18 Uhr. Du musst dich nur entscheiden, ob du auch wirklich willst! Ich mag dich. Ich werde die Leute anrufen und dich empfehlen, aber da gibt es natürlich schon andere Bewerbungen aus Deutschland. Wenn du zu lange zögerst…«

Eindringlich schaute er sie an.

»Natürlich«, sagte sie hastig. »Klar will ich den Job!«

»Also gut«, sagte er wieder lächelnd. Dann treffen wir uns heute Abend hier am Café. Ich bringe dir das Visum mit und dann lad ich dich ganz groß zum Essen ein. Das müssen wir einfach feiern.«



Kurze Zeit später verließen sie das Café. Charmant hielt er ihr die Türe auf, und musterte ihre schlanke Gestalt in der verschlissenen Jeans und dem einfachen weißen Shirt.

»Du bist wirklich eine sehr schöne Frau. Verdammt, was habe ich für ein Glück.«




Der letzte Abend in Bukarest! Er war so schön. Tomasz hatte sie tatsächlich in ein tolles, exklusives Restaurant eingeladen. Elegantes Ambiente, ruhige klassische Musik, Fisch und Steak, teurer Wein. Sie unterhielten sich über alles Mögliche. Sie lachten viel. Ivanka vergaß ihr anfänglich aufkeimendes Misstrauen. Sie war überzeugt ihren Traumprinzen gefunden zu haben. Die Welt stand ihr plötzlich offen. Wenn sie erst einmal in Deutschland war, würde das schon werden. Sie würde bei reichen Leuten babysitten. Sie würde mit diesem gut aussehenden, blonden, Ingenieur befreundet sein.

Kurz überlegte sie, ob sie ihre Mutter benachrichtigen sollte, dass sie Bukarest verließ. Aber nein, das dauerte zu lange. Das würde sie beunruhigen. Ihre Tochter mit einem fremden Mann nach Deutschland. Mutter hatte da ziemlich altmodische Vorstellungen. Am selben Abend packte sie in dem kleinen Einzimmerappartement ihrer Freundin den Koffer,

die im Grunde froh war, dass sie ging. Ivanka war ihr noch nicht einmal böse. Irina kam gerade so über die Runden. Sie konnte sie nicht auch noch mit durchfüttern. Mit einem leisen Ratsch schloss Ivanka ihre Reisetasche. Irina schlief schon in ihrem schmalen Bett am Fenster. Ivanka legte sich auf die Couch.

Morgens um sechs Uhr war sie am Bahnhof und stieg mit Tomasz in den Zug nach Deutschland! Händchen haltend saßen sie im Abteil nebeneinander. Eifrig schmiedeten beide die schönsten Zukunftspläne.

Doch als sie kurz nach der Grenze ausstiegen, in irgendeinem Dorf, änderte sich plötzlich alles.

Tomasz war wie ausgewechselt. »Gib mir deinen Pass«, verlangte er grob, als direkt neben ihnen ein alter blauer VW-Transporter hielt. »Was willst du damit« fragte sie verblüfft. An dem Transporter öffnete sich eine seitliche Schiebetür und Tomasz stieß sie so brutal ins Innere, das sie fast das Bewusstsein verlor. Ihr Kopf pochte, als sie wieder erwachte. Es war dunkel hier und heiß. Was war denn bloß gewesen? Plötzlich fiel ihr alles wieder ein.

Tomasz hatte sie in den Transporter gestoßen! Moment – war er das gewesen? Tomasz hatte ihren Pass verlangt, hatte er das getan, um sie zu retten? Hatte er sie deshalb in den Transporter gestoßen? Natürlich, nur so konnte es sein. Er hatte den Transporter abgeschlossen, und war fortgelaufen, um Hilfe zu holen. Gleich würde er… Mit einem Ruck wurde die Schiebetüre zur Seite gestoßen. Ihre Kopfschmerzen wurden heftiger. Sie erhob ihren Oberkörper, halb auf die Ellenbogen gestützt. Die plötzliche Helligkeit blendete ihre Augen. Ein blonder Haarschopf tauchte in ihrem Gesichtsfeld auf!

»Tomasz«, stieß sie hervor. »Endlich! Was ist passiert? Hast du die Polizei …?«

Das breite Lächeln in seinem Gesicht erreichte nicht die Augen. Ihm fehlte jede Emotion.

Und da verstand sie endlich. »Natürlich du warst es! Du hast mir den Pass abgenommen. Du hast mich in den Transporter gestoßen! Du hast mich belogen, nicht wahr? Ich weiß nicht warum oder was du von mir willst, aber du hast mich belogen! Von wegen harte Kindheit!«

»Aber nein Baby«, grinste er kalt. »Ich hatte eine harte Kindheit. Meine Mutter war mit einem Zuhälter verheiratet. Sie war keine Hure, beileibe nicht. Sie hat dasselbe Geschäft wie mein Vater betrieben. Zuhälterei! Sie hat Junge geworfen, um sie anschließend an Interessenten zu verkaufen. Diese Typen sind nicht zimperlich. Ich war Sechs als ich das erste Mal vergewaltigt wurde.«

Er grinste und schaute sie gierig an.

»Nein«, schrie sie heiser! Nein! Du machst es nicht besser, in dem du jetzt den Spieß umdrehst und jede Frau vergewaltigst, die dir auf dem Leim geht. Dann bist du nicht anders als deine Peiniger. Denk doch mal…«

»Halt dein Maul du dreckige Schlampe!«

Nicht die Worte trieben Ivanka den Angstschweiß auf die Stirn. Sondern die kalte Ruhe, die Emotionslosigkeit, mit der er diesen Satz hervorbrachte. Er hätte genauso gut über das Wetter plaudern können. Er sprang die oberste Stufe hoch, in den Transporter hinein. Die Hände wie Klauen nach ihr ausgestreckt, den Mund verzogen zu etwas, das eher einem Zähnefletschen glich als einem Lächeln, kam er auf sie zu.

Schreiend, wimmernd, begann sie rückwärts über den Boden zu robben, bis in den hintersten Winkel des Wagens. Doch es nützte ihr nichts. Mit brutaler Kraft packte er ihren Halsausschnitt zerriss das T-Shirt von oben nach unten, und stürzte sich auf sie. Noch immer dieses kalte Lächeln im Gesicht.

Diesmal fiel sie in keine gnädige Ohnmacht. Sie erlebte alles mit. Die Schmerzen, die Angst vor dem Tod, die Scham! »Mutter«, schrie sie, »verzeih mir, oh Mutter verzeih mir« Ob man sie vermisste? Wie lange dauerte dieses Entsetzen schon? Stundenlang? Tagelang? Zeitlos?

Sie war nur noch eine Hülle aus Angst, Schmerz und Demütigung. »Oh Gott! Ich tu ja alles was du willst! Nur bitte, bitte hör auf damit!«, wimmerte sie.

Irgendwann musste er sich tatsächlich von ihr zurückgezogen haben. Ihr Unterleib, ihr gesamter Körper, war ein einziger brennender Schmerz. Doch ihre Erschöpfung war so umfassend, das sie in einen unruhigen Schlaf voller Albträume fiel.

Schlangen, unzählige Schlangen glitten über ihren Körper. Sie waren feucht und schleimig. Ein Würgen stieg durch ihre Speiseröhre nach oben und hinterließ einen sauren Geschmack in ihrem Mund. Innerlich schüttelte sie sich vor Ekel. Doch sie blieb liegen starr wie ein Brett. Sie wollte die Schlangen nicht reizen, sonst würden sie sich um ihren Hals winden und erwürgen. Als könne sie ihre angstvollen Gedanken lesen, schoss plötzlich einer der Schlangenkörper zischelnd nach oben, kroch über ihre Brust, wand sich um ihren Hals und begann ihn langsam aber sicher zu würgen. Todesangst schwappte eiskalt durch ihre Sinne. Ein schmerzhafter Husten begann fast ihre Brust zu sprengen. Die Schlangen zerplatzten mit einem Knall. Sie fand sich auf dem Boden des blauen Transporters wieder. Die Schiebetüre des Wagens wurde mit einem heftigen Ruck zur Seite geschoben. Kam Tomasz zurück? Würde die Qual von Neuem beginnen? Oder würde er sie jetzt töten? Dann hätte sie endlich ihre Ruhe!

Die Schmerzen in ihrem Unterkörper machten sie benommen. Ihr verschleierter Blick erfasste die verschwommene Silhouette eines Mannes.

»Verdammter Mist«, hörte sie eine raue Stimme fluchen. Dieser Mann war nicht Tomasz! Die Stimme war anders, seine Umrisse waren breiter, runder und er hatte eine Glatze!

War er der Nächste der…

»Diesmal hast du wohl vollkommen durchgedreht was? Du sollst die Perlen einreiten und nicht umbringen! Schlimmer noch. Die hier wäre pures Geld wert gewesen! Ein exquisiter Goldbarren! Du hast sie in einen Schrotthaufen verwandelt. Da geht mir ein ganz schöner Batzen Geld verloren, bis wir die wieder fit haben! Die Playboy-Party heute Abend wäre was für sie gewesen. Scheiße – deinen Anteil kannst du diesmal vergessen!«

»Pawel das kannst du doch nicht …«

Das war Tomasz Stimme seltsam kleinlaut.

Schwere Schritte entfernten sich.

Jemand zischte etwas auf Rumänisch. »Scheiß Kerl! Das wirst du bereuen Pawel. Du wirst dich noch wundern!«

Schritte näherten sich wieder. Harte, wütende Schritte. Tomasz, oh Gott! Fing das alles wieder von vorne an? Ihr wurde schwindelig vor Schmerz und Angst. Doch als Tomasz erneut den Transporter betrat, fiel sie erneut in ein tiefes, schwarzes Loch.

Als sie erwachte, fand sie sich auf diesem feuchten, schimmeligen Dachboden wieder, mit den anderen Mädchen. Sie fing an zu schreien. Ein anderes Mädchen hielt ihr den Mund zu. »Halts Maul,« sagte sie grob! »Sonst kommen sie rauf und schlagen uns! Das wird nicht lustig, glaub mir. Es ist sowieso selten, dass wir hier einen Moment Ruhe haben.«

»Ich habe Durst!«, krächzte Ivanka weinend. Das fremde Mädchen kletterte schweigend über die anderen, nahm einen schmierigen Plastikbecher, der auf einem Stützbalken stand und tauchte ihn in einem ebenso schmierigen Plastikeimer. Daneben lagen ein paar Kanten harten Brotes. Das Mädchen reichte ihr beides. Mit zitternden Händen nahm Ivanka alles entgegen.

Schritte polterten plötzlich die Treppe hinauf. Die Tür flog auf, ein Mann und eine Frau stürmten in den Raum. Beide hatten eine Waffe in der Hand.

»Los ihr Huren«, schrien sie! »Zehn Mädchen runter, waschen, schminken und fertig machen! In einer halben Stunde kommt ein dicker Fisch und will ne Fete mit viel Fleisch. Du und du, und die Neue auch!«

Ivanka wurde hochgerissen und über die steile Treppe halb nach unten geschliffen. Es war die Frau, die sie gepackt hatte.

In der unteren Etage gab es ein großes, luxuriöses Wohnzimmer mit einer Bar, ganz aus glänzendem poliertem Holz. Ivanka interessierte das kaum. Der Schluck Wasser hatte ihr etwas geholfen, aber ihr war immer noch heiß und schwindelig.

Sie stöhnte auf unter dem Griff der Frau, die sie mit den anderen in ein Badezimmer, mit mehreren großen Spiegeln zerrte. Ivanka hörte alles wie durch Watte. Alles drehte sich, ihr war übel, sie schwankte und wollte sich Halt suchend auf dem Rand einer Badewanne setzen. Ein heftiger Schlag, Schmerz explodierte in ihrem Gesicht. Sie rutschte aus, landete hart mit dem Rücken auf den kalten Fliesenboden. Benommen hörte sie eine weibliche Stimme.

»Du faule Schlampe, hast hier genau dasselbe zu tun wie die anderen! Los steh auf!«

»Ich kann nicht«, krächzte Ivanka! »Bitte ich kann nicht!«

Die Frau wollte wieder lostreten, doch da mischte sich eine männliche Stimme ein.

»Verdammt noch mal lass sie in Ruhe! Die ist gerade mit Tomasz angekommen! Du weißt, wie er ist. Tomasz übertreibt immer. Sieh dir ihr Gesicht an und den Rücken. Eigentlich braucht sie noch einen Tag. Aber Pawel will, dass sie runter geht. Die ist beschädigt noch exquisites Material. Die Jungs werden sich um sie reißen.

Gib ihr was zu trinken, klatsch ihr ein etwas Schminke ins Gesicht. Der Rest wird schon gehen.«

Die Frau murmelte etwas und riss Ivanka hoch.

»Komm«, sagte sie und schleppte das Mädchen zu einem Wasserkranen, dreht mit einer Hand das Wasser auf und füllte einen Zahnputzbecher! »Los trink!«

Immer wieder musste sie den Becher Wasser leeren. Der letzte Becher landete in ihrem Gesicht.

»So jetzt haben wir das exquisite Stück geputzt«, lachte die Frau heiser.

»Zieh dich endlich um. Schmink dich! Du siehst aus wie`n Trampel!«

Ivanka fühlte sich etwas besser. Die Schmerzen im Unterleib allerdings, geschweige denn in Gesicht und Rücken, hatten eher noch zugenommen. Doch sie wagte nicht sich zu widersetzen. Die Frau und der Mann, wirkten nicht so, als würden sie sehr viel Spaß verstehen. Sie nahm all ihre Selbstbeherrschung und verbliebene Kraft zusammen als sie nach ihren Kleidern griff, die man ihr auf den Rand der Badewanne gelegt hatte. Ein bauchfreies Oberteil und ein Stringtanga im Tigermuster, der gerade den Intimbereich verdeckte.

»Jetzt ins Wohnzimmer, macht voran!«, brüllte der Mann wieder.

Beide fuchtelten mit ihren Maschinenpistolen und trieben sie in einen großen Raum direkt nebenan.

Irgendwer hatte dort inzwischen eine schwülfeuchte Discomusik angestellt.

»Also hört mir jetzt gut zu!«, sagte der Mann. »In wenigen Minuten ist das Wohnzimmer hier voll von höheren Angestellten und Firmenbossen! Die wollen ihren Spaß haben und ne Party feiern, die sie so schnell nicht vergessen werden! Ihr werdet für sie tanzen und alles tun was sie verlangen! Wirklich alles! Ich hoffe, das ist klar! Wenn das einem nicht klar ist, dann soll er's sagen. Das Mädchen wird dann eine Woche lang nichts zu essen und zu trinken kriegen! Noch Fragen?«

Es war still im Raum. Die Mädchen standen mit leeren Blicken auf dem flauschigen Teppich des Wohnzimmers und starrten irgendwo hin, die Arme wie frierend um die Schultern geschlungen. »Noch etwas, ihr Huren«, dröhnte die Stimme des Mannes an Ivankas Ohren.

»Alles was die Freier euch an Geld zustecken, wird bei Nadescha abgeliefert!«

»Solltet ihr versuchen«, tönte sie schrill, »Geld oder Wertgegenstände zu behalten, werdet ihr sofort exekutiert! Diebinnen können wir nicht gebrauchen! Wenn ihr glaubt, fliehen zu können, seid ihr auf dem falschen Dampfer. Flucht ist sowieso unmöglich, das Haus ist streng bewacht.«

Ivankas Kopf schien aus Watte zu bestehen. Jeder Schritt schmerzte, ließ sie einen leisen Schrei ausstoßen. Irgendwann verstummte sie, bewegte sich wie in Trance hin und her. Eine seltsame Gefühllosigkeit ergriff von ihr Besitz. Was nutzte ihr der Schmerz. Sie würde hier nicht mehr rauskommen. Nie mehr. Nicht lebendig!

Plötzlich polterten Schritte im Flur, laute Stimmen! Die Freier, oh Himmel die Freier kamen!

Was war das? Ein Schuss löste sich! Jemand schrie! Die Türe wurde aufgerissen. Tomasz stürmte herein.

»Abhauen«, schrie er! Sofort abhauen! Jemand hat uns verpfiffen!«

»BGS Waffen fallen lassen«, brüllte eine Stimme.

Nadescha und Pawel rissen ihre Waffen hoch! Schüsse, Schreie!

Ivanka erwachte aus ihrer Trance, sprang nach hinten. Der Schmerz in ihrem Unterleib schoss wie ein Messer durch ihren Körper, Tränen stiegen ihr in die Augen. Stöhnend sank sie zu Boden.

Schüsse, Schreie, die Musik- Guitame, Guitame!

Heftige Übelkeit erfasste Ivanka. Ihre Welt begann sich zu drehen. Jemand huschte an ihr vorbei. Sie sah eine verschwommene Gestalt. Angestrengt schaute sie nach oben. Für kurze Zeit klärte sich ihre Wahrnehmung. Jeans, blonde Haare, braune Augen! Für den Bruchteil einer Sekunde saugte sich sein Blick an ihrem fest, schien die Welt nur noch in Zeitlupe zu funktionieren. Der Lärm, die Schreie, die Flüche, die brutale Vergewaltigung im Transporter, das Gespräch der zwei Männer – als sei sie eine Ware! Wie ein Film lief alles vor ihrem inneren Auge ab, und plötzlich machte es klick!

Tomasz – nur er konnte der Verräter gewesen sein! Sie sah seinen Blick, kalt, voller Hass und dem Wissen, das sie mitgehört hatte, als er sagte – ″das wirst du noch bereuen, Pawel!″

Dann war es vorbei. Das Leben funktionierte wieder in normaler Geschwindigkeit. Ihr Trommelfell platzte fast ob des Lärms. Ihr Körper war ein einziger Schmerz. Er würde fliehen, über den Dachboden! Die einzige Möglichkeit. Sie würde nie mehr sicher sein. Nie mehr! Sie hatte nur eine Chance!

Ein Krächzen kam aus ihrer Kehle, dann ein Schrei!

»Er flieht! Er flieht! Er ist der Verräter!«

Schon in Handschellen, von zwei Polizisten festgehalten, wandte der Mann, der sich Pawel nannte, den Kopf. Mit kalten Augen und zusammengepressten Lippen sah er Tomasz an. Der Rumäne wurde blass. »Ich lasse mir dieses Leben nicht mehr wegnehmen«, flüsterte er

Bevor irgendjemand etwas verhindern konnte, zog er eine Pistole aus dem Gürtel und schoss!

Als sie erwachte, lag sie in einem Krankenwagen. Zumindest vermutete sie das. Infusionsschläuche steckten in ihrem Arm. Eine Ärztin beugte sich über sie und hantierte mit einer Blutdruckmanschette. Sie lächelte sie freundlich an! »Haben sie Schmerzen?«, fragte sie auf rumänisch. Ivanka nickte mit verzerrtem Gesicht. Die Ärztin zog eine Spritze auf. »Das ist ein Schmerzmedikament! In zehn Minuten sind ihre Schmerzen weg.«

»Wo bin ich?«, stieß Ivanka hervor. »Bin ich zu Hause in Rumänien Habe ich das alles nur geträumt? Hatte ich einen Unfall?«, fragte sie hoffnungsvoll. Doch das konnte nicht sein. Sie spürte den Einstich der Spritze. Und – sie erinnerte sich. Augenblicklich zogen die Ereignisse wieder an ihrem inneren Auge vorbei. Sie sah Tomasz fallen, lautlos, ohne Klage.

Wie aus der Ferne sah sie die Ärztin betrübt lächeln.

»Leider nein mein Kind! Sie sind hier in Deutschland. Ich bin Rumänin, deswegen kann ich mit ihnen in ihrer Muttersprache reden. Aber keine Angst. Vorerst sind sie hier in Sicherheit!«

Ivanka antwortete nicht. Gefangen in einer seltsamen Kälte, sah sie wieder, wie er den Lauf des Revolvers gegen seine linke Schläfe presste. Sie sah die Blutlache, die sich um seinen Kopf gebildet hatte, nachdem er zu Boden sank. Sie fühlte zwar kein Mitleid aber auch keinen Hass. »Ruhe in Frieden«, flüsterte sie. »Ruhe in Frieden!«



 
Hallo Zoepfer!
(Ich bin mir jetzt nicht sicher ob ich in der richtigen Rubrik geantwortet habe.)
Auf jeden Fall danke für deine Bewertung. Interpunktion ist tatsächlich mein Pferdefuß. Besonders Kommatas. Ich werde die Geschichte nochmal mit dem Duden in der Hand durchgehen.
Die Geschichte ist nicht gerade ein Erstlingswerk, aber schon etwas älter. Ich wollte mal eine öffentliche Meinung.
Ja sie ist teilweise vorhersehbar. Man merkt als Leser natürlich schon früh, das der smarte Typ einer dieser sogenannten Loverboys ist, nur die Protagonistin nicht. Das ist ja auch leider in der Realität oft so. Ich werde mir aber die Geschichte noch einmal zur Brust nehmen, vielleicht fallen mir ja noch ein paar erstaunliche Wendungen ein. Kann aber noch was dauern.
Schönen Gruß u. kreatives Schaffen,
wünscht Geschichtenerzähler.
 



 
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