Kurzgeschichte - Weit weg, nicht hier!

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Weit weg – Nicht hier …

Meine Damen und Herren. Sie hören die Nachrichten. Es ist der zweite Februar 2021. Nördlich der australischen Stadt Perth ist erneut ein Buschbrand ausgebrochen. Die Lage ist wie damals ziemlich besorgniserregend. Etliche Häuser wurden zerstört. Weitere Siedlungen sind vom Feuer bedroht.

Trotz des Kampfes von etwa 300 Feuerwehr Leuten sind mehr als 7000 Hektar Land bedroht. Heiße Winde von mehr als 35 Grad fachen die Feuer immer wieder an. Dort, wo die Feuer wüten, werden Menschen gewarnt, die Häuser zu verlassen, da die Luft dermaßen heiß ist, dass Lebensgefahr besteht.

Wir erinnern uns alle noch an die verheerenden Waldbrände von 2020. Trotzdem hoffen die Australier, von dieser schlimmen Katastrophe dieses Jahr verschont zu bleiben. Bei den Waldbränden 2020 wurden zwölf Millionen Hektar Land zerstört, viele Menschen sind gestorben, etwa drei Milliarden Tiere sind verletzt oder getötet worden. Nach den Nachrichten gibt es einen fünfzehnminütigen Brennpunkt der …


Der grauhaarige, korpulente Mann im Fernsehsessel knurrt unartikuliert, greift nach der Fernbedienung, schaltet auf das nächste Programm …

Die Proteste der Klimademonstranten sind zurück, mit Maske und Abstand versammelten sich Menschen in Berlin auf dem …

Fernbedienung, klick!

… nach dem Coronabrennpunkt bringen wir nun einen Bericht über die immer mehr aktuell werdende Klimaerwärmung auf unserem Heimatplaneten.

Professor Dr. Dieter Erdmann erläutert uns anhand seines alarmierenden Films über die auftauenden Permafrostböden in der Arktis und die Waldbrände in Australien …


»Nur Mist, verdammter!«, brüllt der Mann im Fernsehsessel, betätigt den roten Aus-Knopf und knallt die Fernbedienung auf den Wohnzimmertisch.

»Nur Hiobsbotschaften, egal in welchem Programm!«

»Beruhig dich Vater!«, seufzt der junge Mann, der schräg gegenüber auf der kleinen, schwarzen Ledercouch sitzt.

Alex Schmittkamp kratzt sichtlich genervt sein bärtiges Kinn, eine Strähne seines langen, schwarzen Haares, das im Nacken zusammengebunden ist, fällt ihm in die Stirn. Ärgerlich pustet er es zur Seite.

»Die Welt«, sagt er, »ist nun mal so. An den Hiobsbotschaften, ist der Mensch selber schuld. Wenn man was ändern will, muss man sich das eben auch anhören. Denn wenn man nichts weiß, kann man nichts ändern.«

»Ach was«, poltert der Alte und haut erbost auf die Lehne des Sessels.

»Coronabrennpunkt, Homeoffice, Kurzarbeitergeld! Sind sie damit fertig erzählen sie uns was von auftauenden Böden und der schrecklichen Klimaerwärmung. Warmzeiten, Kaltzeiten gab es schon immer. Die Wissenschaftler machen gerne aus einer Maus einen Elefanten! Damit sie sich darstellen, Bücher schreiben u. Preise einheimsen können. Zum Schluss sind dann immer die Unternehmer schuld. Die Natur ist schon Milliarden Jahre alt, die reinigt sich selbst, die hält einiges aus. Die Waldbrände in Australien – Himmel! Weit weg, nicht hier! Was geht uns das an, wenn in Australien einer ne´ Zigarette in den Busch wirft!«

»Wie abgebrüht muss man eigentlich sein! Die Waldbrände in Australien töten nicht nur Tiere, sondern befördern Tonnen von Kohlendioxid in die Atmosphäre u. nicht nur das!

Der Wald, der niedergebrannt ist, hat Kohlendioxid aufgenommen und abgebaut. Dieser Speicher für Kohlendioxid fehlt jetzt.«

»Der wächst schon wieder!«, brummelt der Vater.

»Die Natur …«

»Ja, ja«, winkt der Sohn erbost ab. »Das sagst du immer. Die Natur regeneriert sich selber. Das ist ja so praktisch, da kann man machen, was man will. Müll abladen. Chemikalien in die Luft blasen, Kohlendioxid, jede Art von Müll, Öl, Plastik, radioaktive Abfälle ins Meer leiten. Egal ob in der Arktis die Permafrostböden auftauen. Ist doch gut, kommt man besser ans Öl ran. Das ganze Methan wird frei, erwärmt die Atmosphäre noch mehr und vergiftet sie zusätzlich. Aber ist ja alles nur gelogen, Wissenschaftsgelaber!«

»Genau«, brüllt der Vater, »und, wenn es irgendwann so kommt. Wir leben jetzt, oder? Was interessiert es mich, was in ein paar Hundert Jahren ist! Du solltest dich besser um die Belange der Firma kümmern, als immer nur deinem Hobby Fotografieren nachzugehen, du Naturromantiker!«

Alex springt auf, blass im Gesicht. »Falls du es noch nicht gecheckt hast, ich habe nicht Betriebswirtschaftslehre, sondern Biologie studiert. Ich bin Biologe am Institut für Flora und Fauna in Greifsbach. Und noch was. Wir werden keine Hunderte von Jahren mehr warten müssen. Die Nächsten, die es trifft, die unter Gluthitze, Dürre, Wassermangel, Stürme, Überschwemmungen, Hunger und Krankheiten leiden, sind deine Enkel, meine Kinder! Egal ob Arm oder Reich. In dieser Hinsicht werden irgendwann tatsächlich alle Menschen gleich sein.

Wie schön! Da bleibe ich doch lieber ein Naturromantiker!«

Bevor Heinz Schmittkamp etwas dazu sagen kann, springt Alex auf, greift nach seiner Kamera, die er schon bereitgelegt hatte und verlässt das Haus. Der Vater schaut ihm zähneknirschend, kopfschüttelnd nach.

Es ist ein Sommerabend, und es ist noch hell. Vor allen Dingen ist es heiß. Alex hat sich einen breitrandigen Strohhut auf den Kopf gestülpt. Er trägt Jeans u. T-Shirt, schlüpft noch schnell in eine dünne Jacke aus kühlem Stoff. Schnellen Schrittes verlässt er das Anwesen seines Vaters und betritt den Feldweg, der sofort in den angrenzenden Wald führt. Das klotzige Haus in dem eleganten Park mit dem kurzen englischen Rasen, den gepflegten Beeten, Büschen und Bäumen ist ihm sowieso zu wider. Seitdem er sechzehn war, reizte ihn die Wildheit, die Ursprünglichkeit der Natur.

Doch bevor er zwischen den hohen, mächtigen Bäumen des Waldes verschwindet, ruft er noch seine Freundin Jenni an. Er wollte mit ihr um 18 Uhr 30 zum Italiener.

»Es wird später Jenni. Ja, verdammt, ich weiß! Aber mein Alter spinnt mal wieder. Ich muss mich abregen! Klar, wir können uns auch hinter dem Wäldchen an der Pferdekoppel treffen. Okay, dann machen wir es so. Bis dann! Was? Carl Lennartz? Na, dann lass ihn doch seine blöden Bemerkungen machen. Klar, dass er sich nicht zurückhalten kann, wenn er einen von unserem Naturschutzbund sieht. Wir versauen ihm schließlich sein schönes Projekt. Ferienwohnungen am Rande des Grünholzer Forst.

Mein guter Vater liefert ihm das Baumaterial. Klasse. Nun gut bis gleich also … Ja, ich dich auch!«

Er legte auf. Das Telefonat mit Jenna hatte ihn wieder etwas milder gestimmt.

Er und sein Vater waren einfach zu verschieden! Zank, Streit, böse Worte. Wenn man es sehr gutwillig sah, mündeten die Besuche bei seinem Vater in heftigen Diskussionsabenden. Doch so langsam wusste er wirklich nicht mehr, warum er den Alten eigentlich noch besuchte. Er konnte ihn sowieso nicht umstimmen. Er war schon immer ein absoluter Materialist gewesen. Aber wie sollte er eigentlich an der Welt verdienen, wenn die Welt zugrunde ging?

Alex Schritte werden leichter, als er das Anwesen seines Vaters verlassen hat und ein Stück die schmale Landstraße entlang geht.

Alex betritt den Wald. Entdeckt die verschiedensten Arten von Tieren, Vögel, Eichhörnchen, Nutria, sieht einen Fuchs über den Waldweg huschen. Fast ist es so, als ob die Tiere noch einmal alles aufbieten. In den austrocknenden Weihern und Nebenarmen des Flusses sterben die Fische. Trockener Sand, Laub, Äste knirschen unter seinen Füßen. Die Sonne schickt ihre Strahlen unbarmherzig durch die Lücken der Baumkronen. Alles knirscht. Die Tiere streiten sich fast um das letzte bisschen Wasser, die röchelnden, sterbenden Fische. Der See, der Bach sind nur eine Pfütze, ein Rinnsal. Jetzt fehlt nur eine unbedachte Zigarette, das Klicken des Feuerzeugs.

Der Bauunternehmer, der den Wald abholzen lassen und Ferienhäuser bauen will, hätte dann ein Problem weniger. Als sei dieser Gedanke ein Auslöser, hört er plötzlich ein Knistern, ein Zischen zehn Meter vor sich. Bevor er irgendetwas begreift, tun kann, schießt ein helles, blendendes Licht, knisternd, gefräßig den Baum vor ihm empor.

In Sekundenschnelle brennt das Laub, das Unterholz, verbreitet sich das Feuer wie ein gefräßiger Strom.

Er keucht, dreht sich um und beginnt zu rennen. Doch die Glut folgt ihm wie ein windgepeitschtes, loderndes Meer. Noch während er rennt, alarmiert er über sein Smartphone die Feuerwehr. »Feuer im alten Grünforst-Gehölz!« Plötzlich bleibt er mit dem Fuß an einer Baumwurzel hängen, stürzt, knallt der Länge nach auf den Boden. Die Hitze ist überall, wie eine schwere, atemraubende Glocke. Plötzlich senkt sich diese Glocke auf ihn herab. Ein gewaltiger Schmerz schießt über seinen Rücken, versengt seine Haut. Schreiend wälzt er sich zur Seite, kullert das steile Ufer hinunter in den kleinen Plätscherbach! Kühles Wasser. Kurz weicht die Hitze, dann hört er ein Zischen. Feiner Nebel scheint aufzusteigen, heißer Wasserdampf, unglaublicher Schmerz! Das letzte Geräusch, das er hört, ist ein lautes Surren, rattern, Funksprüche? Nichts mehr!



Eine Stunde später. Heinz Schmittkamp sitzt mit finsterer Miene vor seinem Abendbrot, Currywurst mit Pommes, daneben eine Flasche Bier. Die zweite Portion hat er gar nicht erst rausgeholt. Alex ist nicht zurückgekommen! Na klar! Einen Naturapostel hatte er erzogen. Das hat man davon, wenn man den Kindern zu viele Freiheiten lässt! Erwachsene mit Flausen im Kopf, verquere Träumer!

Wieder schaltet er mit der Fernbedienung den Fernseher ein. »Nachrichten – wieder derselbe Mist!«

»Jetzt die Lokalnachrichten. Wir beginnen mit einer Meldung aus Gamsberg! Wie wir soeben hereinbekommen haben, brennt ein großer Teil des Grünholzer-Forst. Die Feuerwehr ist von einem abendlichen Waldspaziergänger benachrichtigt worden. Lösch- und Rettungshubschrauber kreisen über dem Wald. Der Spaziergänger der die Feuerwehr über Smartphone benachrichtigte, wurde zwar gerettet, aber mit schweren Verbrennungen in eine Spezialklinik der Kreisstadt gebracht. Es ist noch nicht sicher, ob der Mann überlebt.«

Heinz Schmittkamp erstarrt, glaubt, sein Blut würde zu Eis gefrieren! Seine Stimmbänder scheinen zu erstarren, als er heiser flüstert.

»Weit weg, nicht hier?«

Das Telefon fängt an zu läuten, während im Hintergrund die Alarmsirenen beginnen, ihr schreckliches Lied zu heulen…
 



 
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