La vie est belle

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Klaus K.

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Sie kennen das? Es gibt Tage, da geht alles daneben. Alles! Von wegen, “la vie est belle!”. Also, ich befinde mich abends nach allgemeinem Geschäftsschluss im Vorraum meiner Bank. Ja, bei den Geldautomaten, Eintritt nur nach Eingabe meiner Bankkarte an der Tür, drinnen bin ich allein, alles hell erleuchtet, es ist angenehm temperiert, zwei Überwachungskameras an der Decke weit oben. Draußen ist es stockdunkel , dazu Dauerregen. Nun denn.
Karte einführen, Geheimzahl eingeben, Betrag eintippen…läuft.
1000 Euro, cash. Ja, ich will mir morgen früh eine neue Pfeife kaufen, eine “Straight Grain”, und der Händler hat mir bei Barzahlung noch einen Nachlass eingeräumt, ist schon klar, es muss ja nicht alles durch die Bücher laufen. Gute Pfeifen, nein, exzellente Pfeifen kosten halt etwas, mich aktuell 998.- Euro -, das sollten Sie verstehen, Sie geben ja auch Geld für Dinge aus, die andere Leute dann vielleicht mit einem Kopfschütteln bewerten. Was mich nur etwas stört dabei, das ist meine Frau, nachdem ich einmal hören musste wie sie zu ihrer Freundin sagte:
“Jeder raucht das, was er ist. Dein Mann raucht ja zumindest “Caballero”-Zigarrillos. Meiner raucht Pfeife.”
Hmmm…. War ja vielleicht nur ein Scherz, oder lag es am Prosecco?

Nun denn, alles klar. Ein Packen Scheine liegt vor mir, wird sofort in meine Brieftasche überführt, fertig. Den Mantelkragen hoch, die Knöpfe zu, und jetzt ab nach Hause. Diese Vorfreude auf morgen früh! Mein Pfeifchen….hach!
Ich trete ins Dunkel, die Tür fällt hinter mir zu, ich tauche ein in das kalte, feuchte Gegenteil vom allseits bekannten Jamaika-Wetter.
“Dein Geld! Sofort!”
Die Gestalt kam aus dem Nichts. Groß, schwarz gekleidet, hager. Schneidende Stimme, Befehlston. Und in der linken Hand eine Pistole, ja, kein Revolver sondern eine Pistole. Ich kenne mich damit aus.
Was tun? Zum Nachdenken bleibt nicht viel Zeit, oder?
“Beeil’ dich! Ich habe dich beobachtet - in fünf Sekunden schieße ich dir ins linke Knie. Also her damit, sonst hole ich es mir dann selbst!”
Brieftasche also raus, was sonst?
“Gib’ mir die Scheine, den ganzen Packen!“
Ersparen Sie mir jetzt bitte gute Ratschläge, versetzen Sie sich einfach mal gedanklich in meine Situation. Dafür erspare ich Ihnen jetzt alles, was danach folgte. Denn die Gestalt aus dem Nichts war nach der Übergabe sofort im besagten Nichts wieder verschwunden, und das Pfeifen-Männlein war all seiner Illusionen beraubt. Die sich daran anschließenden Abläufe bei der Polizei - Anzeige, Protokolle, die rudimentäre Täter-Beschreibung und Erstellung eines möglichen Phantombildes - sind zudem hinlänglich bekannt, oder?

Soviel sei bereits jetzt gesagt: Die Fahndung nach dem Täter blieb völlig ergebnislos, auch nach Wochen. Ich tröstete mich mit dem letzten Rest Latein, der bei mir verblieben war. “Quod erat expectandum”, was zu erwarten (gewesen) war. Richtig geholfen hat mir das aber auch nicht.

Drei Monate später. Der Hochzeitstag nahte, meine Frau hatte mir diesbezüglich einen deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl bereits vorher dezent übermittelt. Ein ausgesprochen hübscher Armreif. Gut, sehr gut, denn das ersparte die leidige Suche. Heute war mein Tag!
Es gab dafür nur ein großes luxuriöses Geschäft in unserer Stadt, eine leichte Aufgabe also. Ich trat ein, es war gut besucht. Der für meine Absicht in Frage kommende Verkaufsbereich wurde soeben von einer Schar reizender Japanerinnen belagert, die die einzige aktuell dafür zur Verfügung stehende Verkäuferin für sich in Anspruch nahmen. Ich reihte mich hinten links brav ein, ich hatte ja Zeit. Die hübschen jungen Damen begutachteten Ringe, sehr hochwertige und auch sehr teure Ringe. Mehrere mit Samt ausgeschlagene Tableaus standen dafür auf der gläsernen Auslage, es wurde anprobiert, diskutiert, japanisch, englisch und etwas deutsch gingen durcheinander, die Mitarbeiterin hatte alle Hände voll zu tun, im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Blick ging nach rechts. Ein Mann, groß, hager, schwarz gekleidet drängte sich dort durch den seitlichen Rand der Interessentinnen.
“Lassen Sie mich mal durch! Ich will nur mal schauen!”
Die Stimme! Der Befehlston! Das war er wieder!
Er griff in einen der Samtkästen, nahm einen Ring heraus, legte ihn wieder zurück, nahm dann den nächsten…..die Verkäuferin stand einige Meter von ihm entfernt und beriet eine sehr zierliche Japanerin mit sehr schlanken Fingern. “We can reduce the size, no problem. Then it will fit perfectly…”
Und dann sah ich, wie mein Verdächtiger zwei goldene Ringe mit seiner rechten Hand gleichzeitig aufnahm, dann aber nur einen von ihnen mit zwei Fingern nach oben hielt, als wolle er ihn genauer anschauen. Diesen legte er jetzt demonstrativ zurück, während jetzt seine linke Hand kurz in seiner Manteltasche verschwand. Meine Güte, diese Fingerfertigkeit!
Er war auch ein Trickdieb, aber außer mir hatte niemand etwas bemerkt.
Jetzt drehte er sich um. Unsere Blicke trafen sich, er registrierte, dass ich ihn beobachtet hatte. Er kam sofort auf mich zu, bahnte sich rücksichtslos eine Gasse durch die Gruppe der Kundinnen. Dann streifte er an mir vorbei, dabei raunte er mir direkt ins Ohr:
“Keinen Ton, mein Freund! Denk’ an dein Knie!”

Ich stand da wie versteinert, wahrscheinlich immer noch mit offenem Mund. Er verblieb jetzt weiter hinten im Raum und beobachtete mich.
Pfeife? Vielleicht hatte meine Frau ja doch recht? Was nun?

Zwei männliche Mitarbeiter kamen jetzt aus dem Obergeschoss direkt auf den Schmuckbereich zu, sicher zur Entlastung der Verkäuferin.
Er sprach sie direkt an und deutete dabei auf mich.
“Gut, dass Sie da sind! Dort, der Herr da mit der Wildlederjacke! Er hat gerade eben einen der Ringe entwendet und in die linke Tasche gesteckt! Ich habe es genau gesehen!”
Er drehte sich dann sofort um und ging in Richtung Eingang.
“Mein Herr, Sie gestatten?”
Beide Mitarbeiter standen jetzt direkt vor mir.
“Aber…das ist doch ganz anders, der Mann da….”
Ich konnte nichts machen, eine fremde Hand war bereits in meiner linken Jackentasche.
“Und was ist das da?”
Das kleine Preisschild war an einem roten dünnen Faden des Rings auch noch dran. Die Beschriftung mit 998.- Euro konnte man gut erkennen.
Es gibt Tage, da…..
 

onivido

Mitglied
Hallo Klaus,
das ist wirklich eine lesenswerte Geschichte. Ist Schreiben Dein Beruf? Wenn nicht, warum nicht? Ich wuensche ein schoenes Wochenende.///Onivido
 

Klaus K.

Mitglied
@onivido
Vielen Dank! Nein, Schreiben ist nicht mein Beruf. Ich bin auch kein Lehrer, davon haben wir genug in der "buckligen Verwandtschaft", oh je...
Es macht mir einfach Spass, "Geschichten zu erzählen" und damit zu unterhalten , schon immer, der Fundus ist noch lange nicht erschöpft.
Wenn man sich ab und zu eventuell gedruckt wiederfindet, ist das Balsam für die zarte Seele genug. Hier drucke ich jetzt sozusagen selbst, meine hochverehrte bessere Hälfte gab dazu den Antrieb.-
Huch, sie (die Chefin aus dem härtesten Lektorat der Welt) ruft......ich fliege!
Mit bestem Gruß, Klaus K.
 



 
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