Lamda und das Trugbild

Omar Chajjam

Mitglied
Herr L. und das Trugbild

Herr L. saß auf dem Kamm der Düne unter einem fremden Sternenhimmel und dachte nach. Vielleicht waren die dunklen Muster des Sandes um ihn gar keine Wüste und die Umrisse der Palmen in der Oase vor ihm waren keine Palmen, genau so wie die Lichter bei den Zelten und Lehmhäusern keine Lichter waren sondern der Widerschein der Sterne auf dem Quarz der Felsen. Dort wo Herr L. Menschen zu sehen glaubte, schienen es ihm dann doch nur Schatten, die der Wind aus dem Staub formte, um seine Sinne zu verwirren. Die Welt um ihn war zu ihrem Ursprung zurückgekehrt, das Leben war zu Sand zerfallen und sein Atem war zu Kristallen erstarrt, die über den Gegenmustern der Natur aus zeitlosen Fernen strahlten.

Verdurstend und frierend unter der kalten Wüstennacht saß er, das einzig lebendige Wesen, auf seine Hände gestützt, das Gesicht abwärts gewandt.

Drüben war der Brunnen. Davor die Frau in schwarzen Gewändern, die einen Eimer auf den Mauerrand stellte. Das Seil der Winde glitt lautlos in die Tiefe zurück. Lautlos, denn Herr L. hörte nicht das laute Klatschen, wenn ein schwerer Gegenstand aufs Wasser fällt . Seine Welt der Wüste kannte die Geräusche des Lebens nicht.

Die Frau in dem Palmenhain war Herrn L.s ganze Sehnsucht. Sie schien ihm die Verheißung, durch die das Leben wieder auf die Erde zurückkehren würde. Zum Brunnen waren es nur etwa fünfhundert Schritte. Heute besaß er noch die Kraft, diese fünfhundert Schritte zu gehen. Heute. Morgen, vielleicht übermorgen würde er schwächer werden. Dann würde die geringe Entfernung unüberwindlich sein. Vielleicht würde er dann noch rufen können. Und wenn der Wind günstig stünde, würde sie noch sein letztes Stöhnen hören und ihm das klare, frische Wasser der Tiefe bringen.

Herr L. hielt diese kleine Flamme der Hoffnung sicher in seinen Gedanken, doch mit dem Instinkt des letzten Lebens wußte er, daß sich dort am Brunnen nur zwei Geister begegnen würden in der Wüste ihres Herzens.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

da läßt sich schwer etwas zu sagen. ich würde die geschichte umbenennen in "Gedanken zu einem Bild". diese geschichte ist so vielschichtig, da kann die fantasie richtig galoppieren. ganz lieb grüßt
 



 
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