Land hinter dem Fluss

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Tula

Mitglied
Land hinter dem Fluss
(Alentejo)


zwei Stunden lang zieht uns der flimmernde Punkt
am Horizont - Verheißung blauen Elysiums und einer Strandbar -
über das Meer aus Durst und Melancholie
treiben auf erstarrter Dünung
Karavellen mit grünen Segeln
olivenbeladen

nicht auszudenken eine Panne in dieser Einöde irgendwo
in den Dörfern schlingt sich blau um weiß
gekalkte Wände harren Stunden auf
die Überlebenden des Aufbruchs
in die neue Zeit die zählt
man hier schon lange nicht mehr

jeden Abend finden sie sich unter den Steineichen
die knorrigen Brüder teilen vergangenes Leid
und Brot und Wein und auch
die Träume von anderen
in der Ferne

bald tränkt die Dämmerung sie mit Schweigen
Menhiren gleich werden sie
allmählich eins mit Baum und Feld und
Dorf und Traum
dann lächelt jeder auf seine Weise

sie wissen um ihre Nächte
hier sind sie noch
sternenklar
 

Tula

Mitglied
Land hinter dem Fluss
(Alentejo)


zwei Stunden lang zieht uns der flimmernde Punkt
am Horizont - Verheißung blauen Elysiums und einer Strandbar -
über das Meer aus Durst und Melancholie
treiben auf erstarrter Dünung
Karavellen mit grünen Segeln
olivenbeladen

nicht auszudenken eine Panne in dieser Einöde irgendwo ...

in den Dörfern schlingt sich blau um weiß
gekalkte Wände harren Stunden auf
die Überlebenden des Aufbruchs
in die neue Zeit die zählt
man hier schon lange nicht mehr

jeden Abend finden sie sich unter den Steineichen
die knorrigen Brüder teilen vergangenes Leid
und Brot und Wein und auch
die Träume von anderen
in der Ferne

bald tränkt die Dämmerung sie mit Schweigen
Menhiren gleich werden sie
allmählich eins mit Baum und Feld und
Dorf und Traum
dann lächelt jeder auf seine Weise

sie wissen um ihre Nächte
hier sind sie noch
sternenklar
 
T

Trainee

Gast
Hallo Tula,

dieses wunderschöne Gedicht sollte nicht unkommentiert bleiben:

Land hinter dem Fluss
(Alentejo)


zwei Stunden lang zieht uns der flimmernde Punkt
am Horizont - Verheißung blauen Elysiums und einer Strandbar -
über das Meer aus Durst und Melancholie
treiben auf erstarrter Dünung
Karavellen mit grünen Segeln
olivenbeladen

nicht auszudenken eine Panne in dieser Einöde irgendwo ...

in den Dörfern schlingt sich blau um weiß
gekalkte Wände harren Stunden auf
die Überlebenden des Aufbruchs
in die neue Zeit die zählt
man hier schon lange nicht mehr

jeden Abend finden sie sich unter den Steineichen
die knorrigen Brüder teilen vergangenes Leid
und Brot und Wein und auch
die Träume von anderen
in der Ferne

bald tränkt die Dämmerung sie mit Schweigen
Menhiren gleich werden sie
allmählich eins mit Baum und Feld und
Dorf und Traum
dann lächelt jeder auf seine Weise

sie wissen um ihre Nächte
hier sind sie noch
sternenklar
Alentejo. Das Land hinter dem Fluss (Tejo), die trockene, öde Gegend, der Süden Portugals.
Man benötigt Stunden, um ihn zu durchqueren, und die können durchaus beängstigender Natur sein:

Was wäre, wenn etwas passierte? Was wäre wenn ich ohne Wasser bliebe, ohne Menschen bis ans Ende aller Tage?

Dann der Anblick erster Dörfer, das Wiedereintauchen ins Leben. Und die Versöhnung mit dem Durchlebten, Gesehenen, das eine ganz eigene Schönheit birgt, wie sie auch den Wüsten dieser Welt eigen ist.
Und eine Liebe zum Nichts, das niemals nur Nichts ist.

Ein tiefer Blick auf Land und Leute. Und ein Highlight des Forums. :)

Herzliche Grüße
Trainee
 

Walther

Mitglied
Hi Tula,

in der tat ist das sehr gelungen und darf auch so genannt sein. wunderbar, wie du stimmung, umgebung und bezüge gefaßt hast.

châpeau, mein lieber!

lg W.
 

Tula

Mitglied
Hallo Trainee

es sind gewiss hunderttausende von Portugiesen, die jedes Jahr mit dem Auto den Alentejo durchqueren, um an die Algarve und den lang ersehnten Urlaubsstrand zu gelangen. Bis 2002 war die Reise über die Landstraßen recht mühsam, man brauchte auch an 'guten Tagen' mehr als 4 Stunden. Entlang der Strecke konnte man damals den Alentejo zumindest teilweise erleben: es ging direkt durch manche Orte, konnte am Straßenrand Melonen und anderes Obst kaufen usw.

Mit der Autobahn, auf der man heute von Lissabon kommend in etwa 2 Stunden die Region Algarve erreicht, haben sich für die lokale Bevölkerung einige dieser Formen des Broterwerbs mehr oder weniger erledigt. Des einen Freud, des anderen Leid. So ist das mit dem Fortschritt.

Landschaftlich ist er ebenso 'melancholisch schön' wie auch etwas monoton; sich ihn zu 'erwandern' käme nur wenigen in den Sinn. Die Bevölkerungsdichte ist beeindruckend gering: je nach Gegend wenig mehr als 20 Einwohner pro Quadratkilometer, stellenweise unter 10. Im Vergleich: Mecklenburg-Vorpommern hat im Durchschnitt etwa 70 und in kleineren Landkreisen noch über 40.

Über den Menschenschlag macht man im Rest Portugals seine Witze. Die Uhren laufen im Sommer bei 40 Grad im Schatten eben langsamer und somit auch der Mensch selbst. Wichtiger aber, und darauf kam es mir ja auch an im Gedicht, sind einige soziale Aspekte. Selbst im bis in die siebziger Jahre sehr armen Portugal war das Leben im Alentejo besonders hart. Und wenn Portugal schon immer ein Emigrationsland war, scheint es, dass sich diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten noch verstärkt hat: stetiger Rückgang der Landwirtschaft, Abwanderung der jungen Menschen in die Städte … in manchen Dörfern sieht man fast nur noch alte Menschen. Doch es gibt auch Initiativen und Projekte, diese Tendenz zu brechen, neben neuen Formen spezialisierter Landwirtschaft (guter Wein ist auch dabei!) natürlich der Tourismus, gerade für diejenigen, die vor dem Massentourismus anderswo Flucht suchen.

Die Anspielung auf den Aufbruch in die neue Zeit hat auch etwas typisch alentejanisches: die Revolution 1974 fing mit einem Lied im Radio an, geheimes Signal für die Eingeweihten, dass es 'jetzt losgeht': “Grândola, vila morena”, wobei dieses Städtchen natürlich im Alentejo liegt und der Text nicht zuletzt die Bewunderung seines Erschaffers Zeca Afonso für die Menschen im Alentejo ausdrückt: 'terra da fraternidade', in etwa 'Land der Brüderlichkeit'.

Die knorrigen Brüder im Gedicht beziehen sich natürlich sowohl auf die Alten als auch auf die Bäume. Bei meiner Recherche entdeckte ich ein Gedicht der großen Lyrikerin des Alentejo – Florbela Espanca, welche ebenfalls mit “Árvores do Alentejo” (Bäume des Alentejo) ihrer Region ein lyrisches Denkmal setzte. Aus heutiger Sicht hat der Text sehr viel Pathos, aber er ist gerade deswegen ein überzeugender, starker Ausdruck der emotionalen Verbundenheit des Menschen mit der Natur seiner Region.

Nochmals vielen Dank für deine Eindrücke zum Gedicht und liebe Grüße

Tula
 
T

Trainee

Gast
Hallo Tula,

vielen Dank für deinen ausführlichen und sehr informativen Kommentar. Ich kenne Landschaft und Lied, wenn natürlich auch viel, viel weniger als du. ;)
Die aktuellen Entwicklungen sind mir gar nicht bekannt und dein Bericht schon deshalb interessant für mich. Die von dir genannte Lyrikerin ist mir (noch) kein Begriff; ich werde aber stante pede googeln gehen und erhoffe mir davon wenigstens ein Gedicht.

Liebe Grüße
Trainee
 

Tula

Mitglied
Hallo paulus, Cellist und Karl

Auch euch ein Dankeschön. Über den regen Zuspruch hier freue ich mich natürlich sehr. Und allen sei versichert: unter seiner Sonne reift guter Wein :)

LG
Tula
 

Sidgrani

Mitglied
Hei Tula,

über den Alentejo habe ich bisher nur wenig gewusst. Nach deiner poetischen Beschreibung und deinem ausführlichen Kommentar kann ich ihn nun viel besser verstehen.

Es ist demnach ein magischer Ort, an dem die Zeit weitgehend still steht und der Menschen und Landschaft auf unnachgiebige Art geformt hat. Das kommt sehr gut in deinem Gedicht zum Ausdruck.

Was du mit der folgenden Zeile ausdrücken willst, ist mir schon klar, …

nicht auszudenken eine Panne in dieser Einöde irgendwo ...
… doch lässt sie mich aus meiner „Meditation“ auftauchen, weil sie irgendwie zu technisch, zu alltäglich klingt und nicht so recht in deine ansonsten sehr bildhafte Beschreibung passt. Das „Verlorensein“ in dieser Einöde hätte ich mir eindrucksvoller und spezifischer beschrieben gewünscht. Eine Panne in entlegenen Gegenden zu haben, ist heutzutage nicht mehr so dramatisch.

Ich habe z.B. eine Szene vor Augen, in der der heiße Wind den Staub über die ausgetrocknete Erde weht und eine Eidechse und ein kreisender Vogel am Himmel die einzigen Lebewesen neben dem Menschen sind, der auf ein Zeichen aus der Ferne wartet, dass ihm Hilfe verheißt.

Das sind jetzt lange Sätze für die eine Zeile um die es geht, aber ich hatte wenig Zeit, dir das kürzer und präziser mitzuteilen. ;) ich hoffe, du weißt, was ich sagen will.

Lieben Gruß
Sidgrani
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Tula!

Ich habe den Alentejo auch schon durchquert.
Dein Gedicht fängt die Stimmung exakt auf. Ich bin beeindruckt.

Liebe Grüße
Manfred
 

Tula

Mitglied
Hallo Sidgrani

Danke für deine Eindrücke und Werrtung. Die Absicht der Zeile wurde in der Tat nicht allen Lesern deutlich. Sie steht für die eher oberflächlichen Gedanken des im Auto sitzenden Betrachters, der zwar noch die Schönheit der vorüber ziehenden Landschaft wahrnimmt, aber doch nur sein Ziel (Strand an der Algarve) im Sinn und vor dem geistigen Auge hat. Somit ist die Zeile der Bruch bzw. Übergang von einer Betrachtungsweise auf die andere. Bei einem Lesevortrag würde die Stimme dafür sorgen, dass diese Absicht klarer wird. Im gelesenen Text ist das weniger eindeutig, zugegeben.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo Manfred

Dank auch dir und es freut mich ganz besonders, dass du als Leser hier deine persönliche Erfahrung wiederfindest.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Land hinter dem Fluss
(Alentejo)


zwei Stunden lang zieht uns der flimmernde Punkt
am Horizont - Verheißung blauen Elysiums und einer Strandbar -
über das Meer aus Durst und Melancholie
treiben auf erstarrter Dünung
Karavellen mit grünen Segeln
olivenbeladen

nicht auszudenken eine Panne in dieser Einöde irgendwo ...

in den Dörfern schlingt sich blau um weiß
gekalkte Wände harren Stunden auf
die Überlebenden des Aufbruchs
in die neue Zeit die zählt
man hier schon lange nicht mehr

jeden Abend finden sie sich unter den Steineichen
die knorrigen Brüder teilen vergangenes Leid
und Brot und Wein und auch
die Träume von anderen
in der Ferne

bald tränkt die Dämmerung sie mit Schweigen
Menhiren gleich werden sie
allmählich eins mit Baum und Feld und
Dorf und Traum
dann lächelt jeder auf seine Weise

sie wissen um ihre Nächte
hier sind sie noch
sternenklar


https://lyrischereiseportugal.wordpress.com/land-hinter-dem-fluss/
 



 
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