HansSchnier
Mitglied
Widerwillig stellte sich das Kind, es mag vielleicht zehn Jahre alt gewesen sein, an die ihm zugewiesene Stelle. Vielleicht war das Kind auch viel jünger, erst sechs oder sieben Jahre alt. Vielleicht auch älter. Er hatte den Überblick verloren. Gerade er, der früher sein Publikum damit beeindruckte, jedes Alter erraten zu können.
Er wirbelte das Lasso um den Körper des Mädchens herum, das die Prozedur über sich ergehen ließ. Der Vater bewegte sich im Halbkreis um ihn herum und filmte den Tanz des Seiles mit seinem Handy. Andere Parkbesucher, die unbeteiligt von einer Achterbahn zur nächsten hetzten, mussten ihm umständlich ausweichen. Vom Lasso-Mann nahmen sie keine Notiz. „Peggy, nun guck doch mal in die Kamera. Ach Peggy, jetzt lach doch mal.“ Peggy guckte nicht und Peggy lachte auch nicht. Dem Mann im Cowboykostüm, der seine Lassotricks mittlerweile beendet hatte, musste beides nicht gesagt werden. Er war Profi. Er lüftete seinen Hut und verabschiedete das Mädchen, das trotzig davonstampfte, ohne ihn eines dankbaren Blickes zu würdigen. Er hörte noch das Schimpfen der Mutter, dies sei doch toll gewesen. Das kategorische „Nein“ der Tochter und den rotzigen Zusatz „Das war langweilig und blöd“ versuchte er zu überhören.
Seit 25 Jahren stand er an dieser Stelle. Damals war die Westernstadt das Zentrum des Parks und er mit seinen Lassotricks eine der Attraktionen, von denen man nach dem Parkbesuch aufgeregt erzählte. Das wusste er. Heute war die Anlage um ein vierfaches gewachsen, hatte mittlerweile sieben Themenareale und die Blockhäuser und Fahrgeschäfte der Westernstadt waren sanierungsbedürftig, selbst ein Abriss zugunsten einer Mondlandschaft war Thema.
Von ihm sprach nach einem Parkbesuch niemand mehr.
Zu allem Überfluss hatte man ihm einen jungen Taugenichts an die Seite gestellt, der der deutschen Sprache kaum mächtig war und die Besucher bei warmen Wetter mit einer Wasserpistole bespritzten sollte. Den größten Teil der Zeit belästigte er allerdings junge Mädchen und bespritzte ihre T-Shirts. Mehrfach hatte er eingreifen müssen, wenn die Begleiter der Mädchen auf seinen Kollegen losgingen und ihm Schläge androhten.
Kollege. Sowas war sein Kollege. Er hatte die Schauspielschule besucht. Hatte die Hauptrolle in der Western-Stuntshow gespielt. Er hatte Angebote. Die Karl-May-Festspiele in Elspe wollten ihn verpflichten. Und junge Frauen hatte er nicht belästigten müssen, das war eher umgekehrt. Doch dann verletzte er sich. Bei einem Sturz aus dem zweiten Stock, den er zuvor schon hundertmal gemacht hatte, landete er unglücklich in den Pappkartons, die seinen Aufprall abfedern sollten und an ein weiteres Leben als Stuntman war nicht zu denken. Doch selbst als Lasso-Mann blieb er eine Attraktion.
Eine Gruppe Jungs zog an ihm vorbei. Früher wäre er sicher gewesen, dass sie vierzehn waren. Heute traute er sich kein Urteil mehr zu. Einzelne Blicke verloren sich in seine Richtung. Sein Signal. Geschmeidig ließ er das weiße Seil durch die Hände gleiten, schwang es vor sich, erzeugte kleine und große Kreise, die die Luft geräuschvoll durchschnitten. Die Gruppe blieb stehen. Publikum! Jungs, so wie er einer war. Jungs, die noch Cowboy und Indianer spielten. Jungs, die seine Arbeit zu schätzen wussten. Es war wie früher. Er sah sie tuscheln. Sie zeigten auf ihn. Einige lachten dümmlich.
Man wollte ihn feuern. Er sei zu alt. Keinen interessierten seine Tricks. Der Betriebsrat setzte sich für ihn ein. Er durfte bleiben. Jetzt sollten die Chefs vorbeikommen, dachte er triumphierend. Die Gruppe rückte an ihn heran. Einige grinsten. Er sah die Häme nicht, er sah nur funkelnde Augen. Wie sie ihn packten, spürte er zwar, doch er verstand nicht. Was wollten sie mit dem Seil, das sie ihm aus den Händen rissen?
Als die Gruppe vor lachen kaum in der Lage zu laufen in dem chinesischen Teil des Parks verschwand, wurden die ersten anderen Besucher aufmerksam. Einige, vor allem jüngere, kicherten. Andere wollten gar nicht wissen, wieso der lächerliche alte Mann mit dem abgewetzten Cowboykostüm mit einem weißen Seil gefesselt am Boden lag. Sie gingen rasch weiter.
Nach Dienstschluss zog er sich diesmal nicht um, hängte das Lasso nicht an den Haken im Mitarbeiterraum, und er schob seine Magnetstreifenkarte nicht in die Stechuhr, sondern stieg direkt in seinen Kleinwagen und fuhr nach Hause. Das Lasso lag neben ihm auf dem Beifahrersitz, und bei jedem Blick auf den festen Strick schnürte es ihm die Kehle zu.
Er wirbelte das Lasso um den Körper des Mädchens herum, das die Prozedur über sich ergehen ließ. Der Vater bewegte sich im Halbkreis um ihn herum und filmte den Tanz des Seiles mit seinem Handy. Andere Parkbesucher, die unbeteiligt von einer Achterbahn zur nächsten hetzten, mussten ihm umständlich ausweichen. Vom Lasso-Mann nahmen sie keine Notiz. „Peggy, nun guck doch mal in die Kamera. Ach Peggy, jetzt lach doch mal.“ Peggy guckte nicht und Peggy lachte auch nicht. Dem Mann im Cowboykostüm, der seine Lassotricks mittlerweile beendet hatte, musste beides nicht gesagt werden. Er war Profi. Er lüftete seinen Hut und verabschiedete das Mädchen, das trotzig davonstampfte, ohne ihn eines dankbaren Blickes zu würdigen. Er hörte noch das Schimpfen der Mutter, dies sei doch toll gewesen. Das kategorische „Nein“ der Tochter und den rotzigen Zusatz „Das war langweilig und blöd“ versuchte er zu überhören.
Seit 25 Jahren stand er an dieser Stelle. Damals war die Westernstadt das Zentrum des Parks und er mit seinen Lassotricks eine der Attraktionen, von denen man nach dem Parkbesuch aufgeregt erzählte. Das wusste er. Heute war die Anlage um ein vierfaches gewachsen, hatte mittlerweile sieben Themenareale und die Blockhäuser und Fahrgeschäfte der Westernstadt waren sanierungsbedürftig, selbst ein Abriss zugunsten einer Mondlandschaft war Thema.
Von ihm sprach nach einem Parkbesuch niemand mehr.
Zu allem Überfluss hatte man ihm einen jungen Taugenichts an die Seite gestellt, der der deutschen Sprache kaum mächtig war und die Besucher bei warmen Wetter mit einer Wasserpistole bespritzten sollte. Den größten Teil der Zeit belästigte er allerdings junge Mädchen und bespritzte ihre T-Shirts. Mehrfach hatte er eingreifen müssen, wenn die Begleiter der Mädchen auf seinen Kollegen losgingen und ihm Schläge androhten.
Kollege. Sowas war sein Kollege. Er hatte die Schauspielschule besucht. Hatte die Hauptrolle in der Western-Stuntshow gespielt. Er hatte Angebote. Die Karl-May-Festspiele in Elspe wollten ihn verpflichten. Und junge Frauen hatte er nicht belästigten müssen, das war eher umgekehrt. Doch dann verletzte er sich. Bei einem Sturz aus dem zweiten Stock, den er zuvor schon hundertmal gemacht hatte, landete er unglücklich in den Pappkartons, die seinen Aufprall abfedern sollten und an ein weiteres Leben als Stuntman war nicht zu denken. Doch selbst als Lasso-Mann blieb er eine Attraktion.
Eine Gruppe Jungs zog an ihm vorbei. Früher wäre er sicher gewesen, dass sie vierzehn waren. Heute traute er sich kein Urteil mehr zu. Einzelne Blicke verloren sich in seine Richtung. Sein Signal. Geschmeidig ließ er das weiße Seil durch die Hände gleiten, schwang es vor sich, erzeugte kleine und große Kreise, die die Luft geräuschvoll durchschnitten. Die Gruppe blieb stehen. Publikum! Jungs, so wie er einer war. Jungs, die noch Cowboy und Indianer spielten. Jungs, die seine Arbeit zu schätzen wussten. Es war wie früher. Er sah sie tuscheln. Sie zeigten auf ihn. Einige lachten dümmlich.
Man wollte ihn feuern. Er sei zu alt. Keinen interessierten seine Tricks. Der Betriebsrat setzte sich für ihn ein. Er durfte bleiben. Jetzt sollten die Chefs vorbeikommen, dachte er triumphierend. Die Gruppe rückte an ihn heran. Einige grinsten. Er sah die Häme nicht, er sah nur funkelnde Augen. Wie sie ihn packten, spürte er zwar, doch er verstand nicht. Was wollten sie mit dem Seil, das sie ihm aus den Händen rissen?
Als die Gruppe vor lachen kaum in der Lage zu laufen in dem chinesischen Teil des Parks verschwand, wurden die ersten anderen Besucher aufmerksam. Einige, vor allem jüngere, kicherten. Andere wollten gar nicht wissen, wieso der lächerliche alte Mann mit dem abgewetzten Cowboykostüm mit einem weißen Seil gefesselt am Boden lag. Sie gingen rasch weiter.
Nach Dienstschluss zog er sich diesmal nicht um, hängte das Lasso nicht an den Haken im Mitarbeiterraum, und er schob seine Magnetstreifenkarte nicht in die Stechuhr, sondern stieg direkt in seinen Kleinwagen und fuhr nach Hause. Das Lasso lag neben ihm auf dem Beifahrersitz, und bei jedem Blick auf den festen Strick schnürte es ihm die Kehle zu.