Lebenslinse

Die mit einem dicken roten Filzstift in einem zusammenfaltbaren Stadtplan eingezeichnete Route sagt mir, dass wir nach Verlassen der Subway Station einer Straße mit dem Namen Cathedral Parkway so lange folgen müssen, bis sie sich mit der Amsterdam Avenue kreuzt. An der Stelle, an der ich diese Kreuzung vermute, bleibe ich kurz stehen, um mich zu vergewissern. Tatsächlich kann ich auf zwei Schildern auf der anderen Seite besagte Straßennamen entziffern. Mit einem Nicken gebe ich ihm zu verstehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeige mit dem Daumen nach links – in die Richtung, die wir gleich einschlagen müssen – und deute mit einer weiteren Geste an, dass es bei mir noch einen kleinen Moment dauert.

Ich öffne meine Umhängetasche und hole meine Kamera heraus. Er verdreht theatralisch die Augen und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sie mir über den Schulterriemen um den Hals hänge, die Gehäusekappe entferne und den Ein-Aus-Schalter auf ON stelle. Ich kneife das linke Auge zusammen, schaue mit dem rechten durch den Sucher und drehe am Einstellring des Objektivs, bis ich mit der Entfernungseinstellung zufrieden bin.

„Das ist nur eine Straße“, meint er lachend. „Eine ganz normale Straße, an der sich nichts Außergewöhnliches befindet.“

„Nein“, widerspreche ich ihm und drücke den Auslöser halb nieder, um das Bild scharf zu stellen. „Diese Straße gehört ab sofort zu den Straßen, von denen ich behaupten kann, sie schon einmal entlang gegangen zu sein. Deshalb ist sie etwas Besonderes.“

Ich drücke den Auslöser ganz nieder und höre das Klick-Geräusch. Das Bild, das ich auf dem Monitor zu sehen bekomme, gefällt mir nicht. Es ist schief geworden, und außerdem ist eine Passantin am unteren Rand nur halb zu sehen. Dennoch lösche ich das misslungene Foto nicht, sondern unternehme einen weiteren Versuch. Klick. Diesmal stört mich ein Lieferwagen, der just die Kreuzung überquert und sich damit zu sehr in den Bildvordergrund drängt. Alle guten Dinge sind drei. Klick. Endlich bin ich zufrieden: Ein yellow cab hält an der Ampel und eine dunkelhäutige Frau mit Wollmütze und Sonnenbrille und einem Hund an der Leine überquert den Zebrastreifen.

Es kann weitergehen. Er deutet mir mit einer Kopfbewegung an, dass er sich gerne die Kirche auf der anderen Straßenseite ansehen möchte. Ich nicke zustimmend, doch vorher muss ich das Gotteshaus noch aus der Ferne fotografieren. Klick. Unmittelbar davorstehend wird mir klar, dass ich die Höhe des Bauwerks gewaltig unterschätzt habe. Es gelingt mir nicht, die Eingangsseite ganz aufs Bild zu bekommen. Doch ich bin von den Verzierungen und Ornamenten so sehr begeistert, dass ich meiner Linse den Auftrag gebe, zumindest einen Teil davon zu verewigen. Klick.

The Cathedral Church of Saint John the Divine
, steht neben der gigantischen Bronzetür, neben der er schon mit ungeduldiger Miene auf mich wartet. Dennoch hole ich noch meinen Reiseführer aus meiner Tasche und lese nach, dass diese die drittgrößte Kirche der Welt ist, woran ich beim Betreten keinen Zweifel habe, denn es kommt mir so vor, als hätten sich die Architekten und Baumeister das Ziel gesetzt, die Säulen und die Wände mit ihren Buntglasfenstern so hoch zu bauen, dass sie in den Himmel reichen und auf ihrem Weg dorthin sämtliche Wolken durchdringen. Klick, klick, klick.

Eine provisorische Holzwand versperrt uns den Zutritt zum Mittelschiff und damit die Möglichkeit, die ganze Kathedrale zu besichtigen. Nur wenn wir bereit sind, dafür Eintritt zu bezahlen, können wir die Tür in der Mitte passieren.

„Meinst du, es lohnt sich?“, fragt er, und in seiner Stimme liegt die Bitte an mich, seiner Ablehnung zuzustimmen.

„Nein“, antworte ich und schüttele den Kopf. „Nein, ich glaube nicht, dass es sich lohnt.“

Als wir auf den Ausgang zusteuern, fällt mein Blick auf den Weihnachtsbaum, einen sehr außergewöhnlichen Weihnachtsbaum, weil er nicht mit bunten Kugeln geschmückt ist, sondern mit schneeweißem Papier, das zu etwas gefaltet wurde, von dem ich mir nicht sicher bin, was es darstellen soll. Auf jeden Fall erst einmal: klick.

The Peace Tree
, lese ich dann die Überschrift auf dem Schild daneben, der Friedensbaum, was meine Neugierde weckt und mich den Text darunter überfliegen lässt. Die Origami, wie die gefalteten Papierkunstwerke genannt werden, sollen Kraniche darstellen – wunderschöne, anmutige Vögel, die in Japan für Glück und ein langes Leben stehen, denn wenn man Legenden glaubt, können sie tausend Jahre alt werden. Wer abergläubisch ist und viel Zeit hat, bastelt tausend dieser Exemplare, weil dann ein Wunsch in Erfüllung gehen soll. Die Kranich-Origami sind längst auch außerhalb von Japan bekannt und haben mit dem Symbol des Friedens eine zusätzliche Bedeutung bekommen. Und so soll auch der Baum, vor dem ich gerade stehe, als ein Wunsch nach Frieden verstanden werden.

„Glaubst du, es bringt mir Glück, wenn ich in meiner Tasche nach einem Blatt Papier suche, einen Kranich daraus falte und mein Kunstwerk an einen Zweig hänge, an dem noch ein bisschen Platz frei ist?“, frage ich ihn.

„Du bist verrückt“, meint er, legt einen Arm um mich und haucht mir einen zaghaften Kuss auf die Wange.

Ich greife nach seiner Hand und gebe ihm zu verstehen, dass ich weiterziehen möchte.

„Rechts oder links herum?“, fragt er, als wir wieder an der frischen Luft sind.

„Rechts. Wir setzen unseren Weg von vorhin fort, der uns noch ein ganzes Stück die Amsterdam Avenue entlang führt.“

Er nickt und folgt mir.

„Und aktuell sind wir wo?“, fragt er beim Laufen. „In Harlem noch nicht, oder?“

„Nein, in Harlem noch lange nicht. Wir befinden uns in Morningside Heights. Ein schöner Name für einen Stadtteil, findest du nicht?“

„Schön, aber nicht passend“, meint er und verzieht ein wenig das Gesicht. „Bei Morning-side Heights denke ich an warme Sonnenstrahlen und fröhliches Vogelgezwitscher. Und nicht an Temperaturen um den Gefrierpunkt und einen Himmel in trübem Einheitsgrau.“

„Immer positiv denken“, lege ich als unser Motto fest und ziehe den Reißverschluss meiner Daunenjacke noch ein oder zwei Zentimeter höher. „Schließlich könnte auch ein Gewitter mit Starkregen toben oder ein Tornado der Stärke sieben fegen. Dann müssten wir den letzten Tag des alten Jahres auf unserem Hotelzimmer verbringen und könnten nicht draußen unterwegs sein und unsere so sorgfältig geplante Route ablaufen.“

„Wenn du meinst“, erwidert er in resigniertem Tonfall. „Dann denken wir ab sofort nur noch positiv.“

Lachend hake mich bei ihm unter.

„Apropos Route: Mein Gefühl sagt mir, dass es Zeit für einen Straßenwechsel wird, damit wir an der nächsten Kreuzung nach links abbiegen können.“

Sicherheitshalber lasse ich mir mein Gefühl von meinem Stadtplan bestätigen.

„Was kommt jetzt?“, fragt er.

„Der Campus der Columbia University“, erkläre ich.

Beim Schlendern über das Gelände fällt mir sofort ein Gebäude auf, das wegen seiner Säulen vor der Eingangsfront und seines Kuppeldaches der Antike entsprungen zu sein scheint. Ich schieße schon das erste Foto, obwohl ich noch keine Ahnung habe, was es mit diesem Gebäude überhaupt auf sich hat. Klick. Erst als ich frontal davor stehe, kann ich den Schriftzug unmittelbar über den Säulen entziffern, The Library Of Columbia University. Um zu ihr zu gelangen, müssen einige Treppenstufen erstiegen werden, wobei man auf halbem Wege von der Statue der Alma Mater mit offenen Armen empfangen und begrüßt wird. Klick. Ungünstigen Moment erwischt, denn ein junger Mann mit Baseballcape, vermutlich ein Student, verdeckt im Vorbeigehen die Statue. Deshalb drücke ich ein weiteres Mal auf den Auslöser, klick.

„Wenn es sich bei diesem Bauwerk hier, das mich stark an ein Pantheon erinnert, um eine Bibliothek handelt, dann werden die Vorlesungen und Seminare sicherlich dort drüben abgehalten“, vermutet er und zeigt auf ein ziemlich großes Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite, das ebenfalls antike Säulen zu bieten hat. „Oder was sagt dein schlaues Buch?“

„Mein schlaues Buch“, wiederhole ich, schmunzle wegen dieser Bezeichnung und blättere in meinem Reiseführer, „behauptet, dass sich dort drüben keine Hörsäle befinden, sondern eine weitere Bibliothek, die sogar zu den größten des Landes zählt.“

„Glaubst du, dass man sich an diesem Ort hier“, setzt er mit einer ausschweifenden Handbewegung zu einer Frage an, „mehr Wissen aneignet als irgendwo anders?“

„Die Chancen stehen zumindest nicht schlecht“, antworte ich und lese weiter. „Oder anders ausgedrückt: Wenn ich im Jahr über 60.000 Dollar Studiengebühren bezahle, erwarte ich auch, dass ich besser, schneller und effektiver als anderswo lerne. Die Erfolgsstatistik klingt jedenfalls vielversprechend: Unter den ehemaligen Studenten befinden sich stolze 83 Nobelpreisträger.“

„Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass selbst die renommierteste Universität nicht, oder zumindest nicht alleine, genügend Weisheit vermittelt, um damit in der großen, weiten Welt, in die man als Absolvent mit seinem Abschlusszeugnis in der Hand hinausgeschickt wird, bestehen zu können.“

„Ich weiß, was du meinst“, sage ich und gebe ihm mit einem Nicken Recht.

Und dennoch ist mir eine der größten Bibliotheken Amerikas ein Foto wert, klick.

Unser weiterer Weg führt uns an etlichen Colleges vorbei, von denen uns keines einen kurzen Stopp oder gar ein Foto wert ist, bis wir schließlich doch vor einem stehen bleiben, das im gotischen Stil aus Sandstein und Backsteinen errichtet wurde und ziemlich altehrwürdig wirkt. Teachers College ist darauf zu lesen.

Ein durchaus interessantes Gebäude, daher klick, dreimal hintereinander, bis ich mit der Aufnahme zufrieden bin.

„Ich finde ja, dass die Ausbildung von angehenden Lehrern eine der wichtigsten überhaupt ist“, erkläre ich und komme mir vor, als würde ich meine Fotos rechtfertigen.

„Nicht wichtiger als andere“, entgegnet er.

„Aber sicher“, beharre ich auf meinem Standpunkt. „Pädagogen sind doch schließlich diejenigen, die tagtäglich auf den Nachwuchs einwirken, ihn prägen und formen. Sie haben die Zukunft in der Hand wie keine andere Berufsgruppe.“

Er lacht nur und läuft weiter, ich ihm hinterher, hole ihn ein, schlinge einen Arm um ihn, er bleibt stehen und küsst mich auf den Mund.

Unsere geplante Route lässt uns als nächstes am theologischen Seminar anhalten, das aber nur mit Mühe als dieses erkannt werden kann, da es fast vollständig von einem Baugerüst ummantelt und daher momentan nicht wirklich ein schöner Anblick ist.

Dennoch oder vielleicht auch deshalb: klick.

„Welcher halbwegs normale Mensch kommt denn bitteschön auf die Idee, sich an einem Institut wie diesem hier einzuschreiben?“, fragt er.

„Jemand, der an Gott glaubt“, vermute ich mit leicht zynischem Unterton das Naheliegende. „Und der vielleicht so viel von seinem Glauben übrig hat, dass er anderen Menschen etwas davon abgeben möchte.“

„Ich glaube, dass es regnet“, sagt er, hält sein Gesicht in Richtung Himmel und streckt einen Arm mit der Handfläche nach oben aus.

Auch ich bekomme die ersten Tropfen ab und spiele mit dem Gedanken, meinen Schirm aufzuspannen. So kann ich meine Kamera, meinen Stadtplan und meinen Reiseführer davor schützen, mit Wasser in Berührung zu kommen. Andererseits muss ich beide Hände frei haben, wenn ich gute Fotos schießen möchte. Also beschließe ich, dass es reichen muss, meine Kapuze aufzusetzen, zumindest bis der Regen stärker wird.

An einer Fußgängerampel fällt mir ein Flyer auf, auf dem in Großbuchstaben ANXIETY und DEPRESSION zu lesen ist. Gesucht werden junge Menschen, die an Ängsten oder Depressionen oder beidem leiden. Sie werden mit der Aussicht auf eine kostengünstige, innovative Behandlung angelockt, die sie aber nur dann erhalten, wenn sie sich bereit erklären, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Klick.

„Da vorne wartet das nächste Gotteshaus auf uns“, stellt er mit nicht allzu großem Interesse fest. „Weißt du zufällig den Namen?“

„Riverside Church“, antworte ich, nachdem ich nachgeschlagen habe.

Er bleibt stehen, ich zwangsläufig auch.

„Na toll“, meint er sarkastisch.

„Was?“

„Da nähere ich mich bei diesem Pisswetter der Riverside Church, wenn ich genauso gut auch im Eishockey-Stadion sitzen und eine der stärksten Mannschaften der NHL anfeuern könnte!“, lässt er seinem Frust freien Lauf.

„Es tut mir leid, dass wir für dieses Spiel keine Karten mehr bekommen haben“, sage ich und lege ihm tröstend eine Hand auf den Unterarm.

„Tut es dir überhaupt nicht“, fährt er mich an und reißt wütend seinen Arm von mir weg. „Du bist froh, dass das Schicksal so entschieden hat, dass wir dein Ding durchziehen, sprich diese beschissene Route ablaufen, die uns bisher an nichts anderem als an Kirchen, Colleges und Bibliotheken vorbei geführt hat.“

„Hey“, setze ich ihm in scharfem Tonfall entgegen. „Es zwingt dich niemand, mich auf meiner Route zu begleiten, okay?“

Und damit lasse ich ihn stehen und laufe alleine weiter. Laufe weiter, ohne mir sicher zu sein, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin oder längst von meinem Pfad abgekommen.

Nach etwa hundert Metern holt er mich ein und stellt sich mir in den Weg.

„Sorry“, bringt er etwas mühsam über die Lippen, greift nach meinen Händen und zieht mich dann an sich.

„Es hat aufgehört zu regnen“, versuche ich, die Stimmung wieder etwas zu heben.

Tatsächlich hellt sich seine Miene auf.

Ich verzichte darauf, ein Foto von der Riverside Church zu machen.

Er beschleunigt seinen Schritt, als ob er ein Ziel hätte, das es möglichst bald zu erreichen gilt. Mich dagegen überkommt ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Mehrmals sehe ich in meine Straßenkarte, kann aber dennoch nicht ausmachen, ob wir uns noch auf dem Riverside Drive oder schon auf dem Henry Hudson Parkway befinden.

Wie dem auch sei, wir befinden uns am Hudson River, und von diesem möchte ich ein Foto machen. Am besten von der anderen Straßenseite aus, da ich sonst wegen eines Absperrgitters die Skyline von New Jersey und die Hängebrücke, die dorthin führt, nicht mit auf das Bild bekomme. Klick. Ein Linienbus ruiniert mir die Aufnahme. Gleich noch einmal, klick.

„Als nächstes müssen wir rechts abbiegen, um auf die West 125th Street zu kommen, die auch als Martin Luther King Junior Boulevard bekannt ist“, erkläre ich. „Die Frage ist nur, wo…“

„Vielleicht müssen wir da vorne die Treppen hinuntergehen“, meint er.

Ich schüttele den Kopf.

„Laut meinem Plan müssen wir nach einer Hauptstraße Ausschau halten, und da unten erwartet uns eine ruhige Seitenstraße.“

Wir laufen weiter geradeaus und warten vergeblich auf die nächste Kreuzung und ein Schild, auf dem der Name der von uns gesuchten Straße zu lesen ist, bis wir uns schließlich einig sind, dass der Treppenabstieg doch die bessere Wahl gewesen wäre und auf dem Absatz umkehren. Keine der Straßen, die wir nun entlang gehen, ist in meiner Karte eingezeichnet, weshalb ich mich allein auf mein Gefühl verlassen muss, bis ich die Subway-Station entdecke, deren Name mir die Bestätigung liefert, dass wir wieder auf dem richtigen Weg sind.

In meinem Reiseführer wird die 125. Straße als Lebensader von Harlem bezeichnet, und meiner ersten Einschätzung nach ist dieser Ruf gerechtfertigt. Es herrscht viel Trubel und eine entsprechende Geräuschkulisse, sowohl auf der Straße als auch auf dem Fußweg. So einiges deutet auf ein soziales Brennpunktviertel hin, unter anderem die vielen heruntergekommenen oder gar leerstehenden Häuser und die Menschen in schäbigen Klamotten, mit Plastiktüten in der Hand und den Kapuzen ihrer Jacken so tief ins Gesicht gezogen, als wäre die Kälte nicht das einzige, wovor sie sich schützen müssten. Diesen Eindruck möchte ich einfangen. Klick, klick, klick. Die alte, etwas grimmig dreinschauende Frau mit dem Rollator, die just den Zebrastreifen überquert, möchte ich aus einer diskreten Entfernung auch mit auf das Bild bekommen, daher mache ich für einen kleinen Perspektivwechsel eine 45-Grad-Drehung gegen den Uhrzeigersinn. Klick, klick, klick.

„Woran denkst du, wenn du Harlem hörst?“, frage ich ihn.

„An ein Schwarzenghetto“, erwidert er nüchtern.

„Schwarz ist klar, natürlich, Harlem steht für schwarz“, stimme ich ihm zu und lasse meinen Blick über die fast ausschließlich dunkelhäutigen Menschen um uns herum schweifen, bevor ich kritisch anmerke: „Aber Ghetto klingt ziemlich abwertend.“

Er zuckt nur mit den Schultern.

„Weißt du, was ich mit Harlem assoziiere?“

Sein Gesicht gleicht einem Fragezeichen.

„Einen Gospel-Chor! Eine Bühne voller Gesangstalente, die von der Natur mit einer wahnsinnig kräftigen Stimme ausgestattet worden sind, die das Publikum mitreißen und für eine Megastimmung sorgen können, indem sie fröhlich und ausgelassen das Leben feiern, das ist für mich Harlem. Wäre es nicht toll, einen solchen Chor einmal live mitzuerleben? Vielleicht haben wir ja Glück und platzen zufällig in eine letzte Probe für den großen Auftritt bei einem Silvester-Gottesdienst heute Abend.“

„So wie ich dich kenne, wirst du eine solche Performance nie live und, wie es so schön heißt, hautnah miterleben, selbst dann nicht, wenn du einen Platz in der ersten Reihe ergattern hast können. Und soll ich dir verraten, warum nicht?“

Ich bin irritiert.

„Weil dich immer die Linse deiner Kamera und deine Hoffnung, etwas einfrieren und für die Ewigkeit bewahren zu können, vom Geschehen trennen wird. Obwohl du genau weißt, dass alles an dem Ort bleiben wird, an dem du es vorgefunden, fotografiert, gefilmt oder was auch immer hast, und du nichts davon mitnehmen kannst.“

„Die Einzigartigkeit eines solchen Moments wird hier bleiben“, stimme ich ihm zu. „Alles, was ich mitnehmen kann, ist meine Erinnerung daran. Und so lange meine Erinnerung lebt, lebt auch der einzigartige Moment in mir weiter. Genau das ist es, was ich mit meinen Fotos und Videos erreichen möchte.“

Er lächelt mich an und streicht mir liebevoll über die Wange.

„Das ist es, was ich mir für dich wünsche: einen einzigartigen Moment und eine langanhaltende Erinnerung an ihn“, meint er. „Und deswegen halten wir jetzt Ausschau nach einer Kirche.“

„Da vorne, auf der anderen Straßenseite“, rufe ich, als mir eine kleine, schnörkellose Kirche auffällt, auf deren Glockenturm ein großes Kreuz thront.

„Schau mal in deinen Reiseführer, ob diese Kirche wegen gelegentlich erklingenden Gospel-Klängen als unbedingtes Must-see angepriesen wird“, rät er mir.

„Mein Reiseführer kennt sie nicht einmal“, stelle ich fest, nachdem ich die entsprechenden Seiten mehrmals vor- und zurückgeblättert habe.

„Dann können wir wohl getrost an ihr vorbeigehen.“

„Warum? Ist eine Sehenswürdigkeit nur dann sehenswürdig, wenn sie in einem Reiseführer erwähnt wird? Liegt es nicht auch in der Verantwortung des Reisenden, auf seinem Weg die Augen offen zu halten und eigenständig zu entscheiden, wo er stehenbleiben möchte und wo nicht?“

Er kommt nicht dazu, mir darauf zu antworten, weil just in diesem Moment eine Sirene ertönt. Wir drehen uns um und sehen ein Feuerwehrauto auf uns zufahren, das schließlich auf unserer Höhe zum Stehen kommt. Mehrere Männer springen heraus und verschwinden in einem etwa zwanzigstöckigen Hochhaus, welches uns weder durch austretenden Rauch noch sonstiges verrät, was der Grund für das Eintreffen der Feuerwehr ist.

„Lass uns weitergehen“, meint er.

„Gleich“, sage ich und beeile mich mit dem Foto von dem Drehleiter-Fahrzeug des Fire Departments der City of New York.

Klick.

Es ärgert mich, dass mein in der zweiten Reihe geparktes Fotoobjekt etwas von den Autos in der ersten Reihe verdeckt wird, was jedoch der Hintergrund ein Stück weit ausgleichen kann, der aus Backsteingebäuden in unterschiedlichen Farben und einer über die Straße gespannte Weihnachtsbeleuchtung besteht, auch wenn diese natürlich morgens um halb elf noch nicht eingeschaltet ist. Mir fällt ein achtzackiger Stern mit einem H in der Mitte auf und frage mich, ob dieses H für Harlem steht.

„Komm schon“, drängt er und zieht am Ärmel meiner Jacke. „Mir gefällt diese Gegend nicht.“

Wir überqueren einen Zebrastreifen und befinden uns in einer Einkaufsmeile, in der sich Schnellrestaurants, Ramschläden und leerstehende Geschäftsräume abwechseln. Apollo, steht auf einem vertikalen Neonschriftzug, der an einem zweistöckigen, mit einigen Verzierungen versehenen, aber ansonsten eher unauffälligen Gebäude auf der anderen Straßenseite angebracht ist. Theater und Comedy Club, lese ich am Eingang und verspüre das Bedürfnis, meinen Reiseführer aufzuschlagen.

„Wahnsinn“, finde ich und schüttele ungläubig den Kopf. „Sieht so etwa eine Talentschmiede für afroamerikanische Showstars aus, in der schon Berühmtheiten wie Diana Ross, Stevie Wonder und die Jackson Five aufgetreten sind?“

„Nicht wirklich. Mich erinnert es eher an ein Kleinstadttheater, das jede Spielzeit hoffen und bangen muss, dass genügend Eintrittskarten verkauft werden, damit die drohende Schließung verhindert werden kann.“

„Absolut“, stimme ich ihm zu. „Ein Show-Haus von solchem Weltrang, da erwarte ich doch zumindest ein bisschen Glanz und Glamour!“

„Was vielleicht genau das Geheimnis von diesem Apollo ist.“

„Wie meinst du das?“

„Außen pfui und innen hui. Ein unscheinbares Gemäuer, an dem man achtlos vorbeiläuft, wenn man nicht aus dem Showgeschäft kommt oder zufällig davon gehört, was einen im Inneren erwartet.“

„Aber egal ob hui oder pfui, das Apollo ist auf jeden Fall ein Foto wert“, finde ich und schmunzle.

Klick. Der Game-Shop rechts daneben und die zwei Wolkenkratzer im Hintergrund machen sich gut, allerdings stört mich der Lieferwagen, der unmittelbar vor der Eingangstür parkt. Ich laufe ein paar Schritte weiter, drehe mich um und fotografiere nun aus dieser Perspektive, klick.

„Möchtest du dich noch von dem inneren Glanz des Apollo überzeugen?“, fragt er.

„Lohnt es sich?“, frage ich.

Er zuckt nur mit den Schultern.

„Ich glaube nicht, dass um diese Uhrzeit Vorstellungen stattfinden. Und selbst wenn doch, bekommen wir sicherlich so kurz davor keine Karten mehr.“

„Aber vielleicht ist auch das Foyer schon sehenswert oder wir bekommen sogar die Möglichkeit, einen Saal zu besichtigen, meinst du nicht?“

„Eigentlich möchte ich lieber eine Kirche finden, in der ein Original-Harlem-Gospel-Chor probt.“

„Dann ist doch schon geschwätzt“, findet er. „Wo geht’s lang?“

Um diese Frage beantworten zu können, muss ich in meinen Stadtplan sehen.

„Noch ein paar hundert Meter geradeaus bis zur übernächsten Kreuzung, dann links abbiegen in die Lenox Avenue, auch bekannt als Malcolm X Boulevard.“

Ganz plötzlich ändert sich seine Miene und er wirft mir einen Blick zu, der mich zu fragen scheint, wo sich die nächste Gelegenheit bietet, in eine Subway zu steigen, die uns zu unserem Hotel bringt.

„Was ist los?“, frage ich ihn.

„Mein Knie tut wieder weh“, erklärt er mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Dann lass uns diese Exkursion beenden“, schlage ich vor und lege eine Hand auf seinen Arm.

„Wir beenden gar nichts“, protestiert er mit Nachdruck. „Zumindest nicht bevor wir einem Original-Harlem-Gospel-Chor gelauscht haben.“

Ich bleibe stehen, er bleibt stehen, und ich kann nicht anders als ihm zärtlich über die Wange zu streicheln. Daraufhin zieht er mich an sich und drückt mir einen Kuss auf den Mund. Seine Lippen fühlen sich anfangs kalt an, werden aber immer wärmer, je länger sie mit meinen in Verbindung sind. Schließlich laufen wir weiter, Hand in Hand.

Mit der 125. Straße verlassen wir das geschäftige Treiben einer lebhaften Einkaufsmeile. Die Lenox Avenue ist in meinem Stadtplan mindestens genauso dick eingezeichnet, auch sie scheint zu den Hauptverkehrsadern Harlems zu gehören, in der sich allerdings kaum Geschäfte befinden, sondern überwiegend Wohngebäude und Bürokomplexe, weshalb hier auch deutlich weniger Fußgänger unterwegs sind.

Ich bleibe stehen und zücke meine Kamera. Ein Gebäude auf der anderen Straßenseite, das größtenteils aus roten Backsteinen errichtet wurde, fasziniert mich. Es könnte sich um eine Kirche handeln. Dafür sprechen die Ornamente in Blütenform, die langen, schmalen Fenstern mit den Rundbögen und die weiße Turmspitze, die beinahe im Nebel zu versinken scheint. Dagegen sprechen die übrigen Fenster, die vier Stockwerke erkennen lassen, und die Glastür am Eingang. Doch worum es sich auch immer bei diesem Gebäude handelt, es hat definitiv das Potential, das Foto von einer ansonsten unspektakulären Hauptstraße aufzupeppen. Klick.

Die Zoom-Funktion meiner Kamera macht es mir möglich, die Aufschrift über dem Eingang zu entziffern. Jesus Christ. Wenn schon keine Kirche, dann vermute ich doch zumindest eine Art Gemeindehaus. Und ein Gemeindehaus ist für einen Gospel-Chor ein geeigneter Ort, um dort eine Probe abzuhalten. Mein Gefühl sagt mir, dass unsere Suche auf der anderen Straßenseite ein Ende finden könnte.

„Wollen wir rüber?“, scheint er meine Gedanken zu erahnen.

Ich nicke und lächle zufrieden.

Doch von diesem Vorhaben hält uns ein junger, dunkelhäutiger Mann mit einem breiten Grinsen im Gesicht und einigen CDs in der Hand ab, der direkt auf uns zugelaufen kommt und uns mit einem „Hello guys“ begrüßt.

„Ignorier ihn“, zische ich ihm zu, weil ich ahne, was gleich passieren wird: Dieser Typ wird versuchen, uns in ein Gespräch zu verwickeln und uns dann auf eine extrem hartnäckige Art und Weise seine CDs aufzuschwatzen.

„Wo kommt ihr her?“, fragt uns der CD-Verkäufer auf Englisch.

„Aus Deutschland“, antwortet er.

„Wo aus Deutschland? Hamburg, Berlin, München, Köln, Düsseldorf?“

„Aus einer Kleinstadt, von der ich mir sehr sicher bin, dass Sie sie nicht kennen.“

„Weitergehen, einfach weitergehen“, insistiere ich leise.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass mich der CD-Verkäufer zum einen akustisch nicht verstanden hat und zum anderen ohnehin der deutschen Sprache nicht mächtig ist, aber allein an meinem Tonfall und meiner wohl missbilligenden Mimik muss er erkannt haben, dass ich mich nicht auf eine Unterhaltung mit ihm einlassen möchte. Er sieht mich mit seinen großen, beinahe schwarzen Augen so abfällig an, dass ich kurz zusammenzucke. Ich höre ihm nicht zu, als er davon erzählt, dass er Europa schon einmal bereist und Deutschland ihm besonders gut gefallen habe, bevor er zum Verkaufsgespräch übergeht und seine CDs lobpreist, auf denen angeblich erstklassige Rap-Musik zu hören ist, die die Diskriminierung von Schwarzen in den USA anprangert.

Mein Blick fällt auf das Backsteingebäude auf der anderen Straßenseite, in dem vielleicht just ein Gospelchor singt, ohne mich als Zuhörerin. Es ärgert mich und ich werde wütend, auf den Rap-Musik-Verticker, der uns unsere kostbare Zeit stiehlt, und über ihn, der dies zulässt.

„Nein“, protestiere ich barsch, als er dann plötzlich eine CD in Händen hält.

Ganz schnell zieht der Verkäufer seine Ware wieder an sich.

„Ich brauche euer scheiß Geld nicht“, erklärt er in einem äußerst feindseligen Tonfall und will es uns beweisen, indem er seinen Mund und seinen Geldbeutel öffnet. In Ersterem befinden sich mehrere Goldzähne, in Letzterem ein dicker Packen Hundert-Dollar-Scheine.

„Nichts für ungut“, meint er, hebt beschwichtigend die Hände, packt mich am Arm und zieht mich von dem eigenartigen Typen weg.

„Warum seid ihr nach Harlem gekommen?“, ruft uns dieser noch die Frage hinterher, die ihm unter den Nägeln zu brennen scheint, als uns schon ein paar Meter voneinander trennen.

„Falls du denkst, dass wir zu der Sorte Touristen gehören, die…“

„Warum seid ihr nach Harlem gekommen?“, wiederholt der Mann mit den Goldzähnen und dem vielen Geld seine Frage, ohne ihn ausreden zu lassen.

„Ganz einfach: weil wir neugierig sind.“ Er macht eine kurze Pause und stupst mich dann mit dem Ellenbogen an. „Ist doch so, oder?“

„Ja“, sage ich und nicke eifrig. „Es ist die Neugierde, die uns hierher geführt hat. Die Neugierde, was für eine Kultur uns erwartet und was für Menschen wir begegnen. Und vielleicht war es auch ein klein wenig die Abenteuerlust, die uns angetrieben hat. Und die Hoffnung, einen Gospel-Chor ausfindig machen zu können, der uns ein Musik-Erlebnis der ganz besonderen Art beschert.“

„Vor zwanzig Jahren hättet ihr einen großen Bogen um Harlem gemacht.“

„Hätten wir, ja“, gesteht er.

„Lass ihn stehen“, bitte ich ihn eindringlich.

Ich möchte weg von hier. Ich möchte die Straßenseite wechseln. Ich möchte Gospel-Musik hören, mich von ihr mitreißen lassen und dazu tanzen, bis ich völlig außer Atem bin. Ich möchte, dass meine Kamera wieder Klick-Geräusche von sich gibt. Ich fahre mit dem Daumen über die Gehäusekappe, die das Objektiv schützen soll.

„Warum diese Frau?“, fragt ihn dieser dubiose Typ, nachdem er mir einen weiteren verächtlichen Blick zugeworfen hat.

I love her from the deepest depth of my heart.“

Seine Liebeserklärung, die nicht an mich gerichtet ist, aber mich meint, und die dafür sorgt, dass sich in meinem ganzen Körper ein Gefühl der Wärme ausbreitet.

I hate her!“

Worte, die mir das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Nichts wie weg von hier! Über die Straße, sobald sie frei ist. Zehn Meter weiter ist eine Fußgängerampel mit Zebrastreifen, aber zehn Meter sind mir zu weit, sobald der Kleinwagen, der von links kommt, vorbeigefahren ist, werde ich die Straße überqueren. Mein linker Fuß rutscht schon von der Bordsteinkante.

Fuck German!“

Ich drehe meinem Kopf über meine rechte Schulter und sehe in Augen, in denen ich nichts außer Feindseligkeit und Abscheu erkennen kann. Und in diesem Moment wird mir bewusst, dass es zu spät ist, dass es kein Entkommen mehr gibt. Ich kann nichts mehr tun, um es zu verhindern, als dieser Mensch seine Jacke öffnet, aus der Innentasche etwas hervorzieht, etwas, das silberfarben ist und glänzt und mich auf eine sehr merkwürdige Art und Weise blendet, als er es auf mich richtet, und da nehme ich auch schon den Knall wahr, zuerst in meinen Ohren und dann in meinem Kopf, ein heftiger, durchdringender Schmerz, eine Explosion, die mich zu Boden bringt, dann ist alles schwarz.

Ich höre seinen gellenden, fast schon animalischen Schrei nicht mehr, den er ausstößt, während ihn zeitgleich der Schock auf die Knie zwingt, genauso wenig wie ich seine Hände spüre, die nach meinem Gesicht greifen und dann langsam meinen Hals herunterwandern, in der Hoffnung, dort ein pulsierendes Lebenszeichen zu fühlen. Als sich diese zerschlägt, kommen weitere unmenschliche Laute aus seinem Mund, bevor er sich auf mich fallen lässt, die leblose Hülle umklammernd, die von mir übrig geblieben ist, mich nicht gehen lassen wollend. Als man ihn schließlich mit Gewalt entfernen muss, sind sein Gesicht, seine Hände und seine Jacke voller Blut, das aus der Einschussstelle an meiner rechten Schläfe geflossen ist.

Ich erfahre nicht mehr, dass bei meinem Aufprall auf dem Boden die Linse meiner Kamera zu Bruch gegangen ist, während die Speicherkarte unbeschädigt überlebt hat, wodurch sämtliche Klicks, die ich ausgelöst habe, während ich meine mit einem roten Filzstift in einen Stadtplan von Morningside Heights und Harlem eingezeichnete Route abgelaufen bin, erhalten geblieben sind. Was jedoch nur wenig darüber hinwegtrösten kann, dass die auf der Speicherkarte noch vorhandene Kapazität für immer frei bleiben wird. Mehrere Gigabytes, die ausgereicht hätten, um ein großes Silvesterkonzert eines Original-Harlem-Gospel-Chors mit anschließendem Feuerwerk aufzunehmen.
 

Ji Rina

Mitglied


Hallo Sabrina Eitner,

Herzlich willkommen auf der LL!

Was mir an Deiner Erzählung sehr gefallen hat, ist deine Schreibweise, an der ich absolut nichts störendes finden konnte (und das bei einem so langen Text!). Was mir nicht so gut gefallen hat, ist die Länge der Story. Das Thema fand ich interessant und das Ende passend zum Inhalt, aber zehn Seiten Stadtbeschreibung haben mich an manchen Stellen dazu gebracht, einige Sätze zu überfliegen. Ich war froh, als ich auf Seite 9 las:

„Weil dich immer die Linse deiner Kamera und deine Hoffnung, etwas einfrieren und für die Ewigkeit bewahren zu können, vom Geschehen trennen wird. Obwohl du genau weißt, dass alles an dem Ort bleiben wird, an dem du es vorgefunden, fotografiert, gefilmt oder was auch immer hast, und du nichts davon mitnehmen kannst.“

Denn da wurde dieser ewige Klick, Klick Fluss endlich mal mit etwas interessantem durchbrochen. Auf Seite 12 war ich dann froh, dass sich das Pärchen auch mal an die Hand nahm, da ihre Beziehung zueinander bis dahin völlig emotionslos über die Bühne geht . Aber wirklich passieren tut etwas erst auf Seite 13, als der CD Verkäufer in Szene tritt.

Ferner, bin ich manchmal mit den Perspektiven durcheinandergekommen. Bei zwei hintereinander folgenden Sätzen wie:

Ich drehe meinem Kopf über meine rechte Schulter und sehe in Augen, in denen ich nichts außer Feindseligkeit und Abscheu erkennen kann. Und in diesem Moment wird mir bewusst, dass es zu spät ist, dass es kein Entkommen mehr gibt. Ich kann nichts mehr tun, um es zu verhindern, als dieser Mensch seine Jacke öffnet, aus der Innentasche etwas hervorzieht, etwas, das silberfarben ist und glänzt und mich auf eine sehr merkwürdige Art und Weise blendet, als er es auf mich richtet, und da nehme ich auch schon den Knall wahr, zuerst in meinen Ohren und dann in meinem Kopf, ein heftiger, durchdringender Schmerz, eine Explosion, die mich zu Boden bringt, dann ist alles schwarz.

Ich höre seinen Roberts gellenden, fast schon animalischen Schrei nicht mehr, den er ausstößt, während ihn zeitgleich der Schock auf die Knie zwingt, genauso wenig wie ich seine Hände spüre, die nach meinem Gesicht greifen und dann langsam meinen Hals herunterwandern, in der Hoffnung, dort ein pulsierendes Lebenszeichen zu fühlen. Als sich diese zerschlägt, kommen weitere unmenschliche Laute aus seinem Mund, bevor er sich auf mich fallen lässt, die leblose Hülle umklammernd, die von mir übrig geblieben ist, mich nicht gehen lassen wollend. Als man ihn schließlich mit Gewalt entfernen muss, sind sein Gesicht, seine Hände und seine Jacke voller Blut, das aus der Einschussstelle an meiner rechten Schläfe geflossen ist.
würde ich dem zweiten Prot. einen Namen geben.

Ich könnte mir die Geschichte, reduziert auf drei Seiten, sehr gut als Kurzgeschichte vorstellen.
Freue mich auf weitere Texte von Dir,
Liebe Grüsse,
Ji
 
Hallo Sabrina,
sehr unorthodox aufgebaute Story. Da schlendert man ganz lange gemütlich mit einem Touristenpärchen durch New York, hört ihrem Geplänkel zu und denkt sich wie sie nichts Böses dabei, und auf einmal wird es nicht nur ungemütlich, sondern es kracht gleich richtig und die Ich-Erzählerin ist tot. Sprachlich fand ich das überzeugend, aber dass die tote Erzählerin am Ende nür über den ungenutzten Speicherplatz klagt, ist mir doch ein bisschen wenig für jemanden, der aus dem Jenseits noch einmal die Chance bekommen hat, zu uns zu sprechen;)

Viele Grüße

Felix
 



 
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