„Leeeebäääändige Scholllln!“

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Hagen

Mitglied
„Leeeebäääändige Scholllln!“

In der Nachkriegszeit, Anfang der Fünfziger, ich war damals um die fünf Jahre jung, lebten meine Eltern und meine Großeltern zusammen mit mir in einem typischen Bremer Haus inmitten der Stadt Bremen, im sogenannten ‘Ostertorschen Viertel‘.
Meine Eltern, ganz besonders meine Großmutter, war bestrebt, mich zu einem guten, sensiblen und tierlieben Menschen zu erziehen. Im Goldfischglass meines Großvaters lebten „Pinkpank und Schnucki“, zwei Goldfische, die stets mit ‘kleinen Leckereien‘ vom Mittagstisch verwöhnt wurden.
„Auch Fische sind Lebewesen, die Schmerzen empfinden können“, pflegte meine Großmutter sagen, und mein Großvater sprach sogar von ‘Brüdern im Herren‘.
Und dann kam in unregelmäßigem Abstand ein Kerl, der lebende Schollen verkaufte.
Auf seinem Tempo-Dreirad hatte er diverse Fische, vom Bückling bis zum Matjes; - aber seine ‘Spezialität‘ waren lebende Schollen.
Diese entnahm er einem mit stinkendem Wasser gefüllten Bottich indem er ihnen brutal zwischen die Kiemen packte oder sie mit einem Haken aus dem Wasser zog und warf sie blutend in eine flache Holzkiste auf eine Schicht Eisbrocken. Sodann fing er an zu schreien:
„Leeeebäääändige Scholllln!“
Meine Großmutter nahm mich dann mit zum ‘Fischmann‘ und ich musste zusehen, wie die armen Tiere jämmerlich nach Luft schnappten. Ich vermeine sogar, einige röcheln gehört zu haben; - durch das Stimmengewirr der anderen Frauen:
„De dor is all dout!“
„Nee, de is nich dout, de deit all so”.
Und dann drosch er dem Fisch den Haken auf den Rücken, das der sich vor Schmerzen aufbäumte.
„Siehste de lift! Ich heb‘ nur frische Ware!“
„Pass up, da quabbelt ein wech.“
Sollte es wirklich mal einem Fisch gelingen, vom Wagen zu ‘quabbeln‘, machte sich keiner die Mühe, ihn aufzuheben. Die Frauen schrien nur: „Iiiii gittigitt“, und traten den Fisch in die Gosse.
Sollte er diese Tortur überleben, wurde er meistens von anderen Kindern weiter gequält bis er tot war.
Meine Großmutter ließ sich dann vier oder fünf Schollen schlachten, was nicht alle taten.
„De geit von sülben dout.“
Ich konnte nächtelang nicht schlafen, nach dem Besuch des ‘Fischmanns‘.
Als ich meine Großmutter mal darauf ansprach, bekam ich nur Antworten wie: „Dazu bist du noch zu klein!“
Oder: „Das verstehst du nicht! - Nur so wissen wir, ober Fisch wirklich frisch ist. Oder willst du an Fischvergiftung sterben?“
Beim nächsten Mal musste ich wieder mit.
Erbarmungslos.
Dass die erbarmungslos zu Tode gequälten Fische nachts in meine Träume drangen, erschien meinen Eltern und Großeltern ohne Belang: „Das vergeht, wenn der Junge erst in die Schule kommt …“
Irgendwann erschien ‘der Mann mit den lebenden Schollen‘ nicht mehr, sehr zum Bedauern meiner Großmutter, die ich ansonsten als sehr liebenswerte Frau in Erinnerung habe.
Dass der Beruf des Fischhändlers in dieser Form verschwunden ist, habe ich nie bedauert.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24019

Gast
Hallo Hagen,
eine sehr anschauliche Schilderung vom acht- und empathielosen Umgang mit hilflosen Lebewesen.
Auch wenn es die Fischhändler in dieser Form heute - zum Glück - nicht mehr gibt, bin ich mir nicht sicher, ob sich unser Umgang mit Tieren bis heute insgesamt deutlich gebessert hat. Aber es kann nicht schaden, immer mal wieder daran erinnert zu werden.
Der Mensch befindet sich in der Entwicklungsphase. - Und das wird wohl auch noch lange so bleiben ...
Viele Grüße,
Martin
 

Hagen

Mitglied
Hallo Martin,
Danke für die Beschäftigung mit meinem Text und den Sternenrgen.
Ich stimme Dir voll zu.
Besonders beim Toro Júbilo passiert ja Fürterliches, wobei auch johlende Kinder daran gewöhnt werden rechtzeitig zu verrohen.
Kann das im Sinne des 'Schöpfungsplans' liegen?
Als ich sowas mal im Konfirmandenunterricht ansprach, hat der Pastor nur drumrum geredet.
Da kann man schon mal vom Glauben abfallen.
Vielleicht hilft der 'Karmagedanke' ...?
Ich werde mich jedefalls bemühen in den 'Gedächtnisprotokollen' meiner Kindheit und Jugend vorwiegend Positives zu bringen.


Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleibt schön fröhlich, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert, negativ getestet und stets heiteren Gemütes!
Herzlichst
Yours Hagen


Grausame Bräuche: 11 Traditionen, für die Tiere gequält werden
https://www.peta.de › themen › braeuche-tierleid
 

anbas

Mitglied
Gut erzählt, lieber Hagen!

Ich selber mag keinen Fisch essen, doch ich erinnere mich, wie ich als Kind in Kiel mit meiner Oma oft zum Markt ging, um dort Fisch zu kaufen (ich bekam dann schon damals eine "Extrawurst" gekocht). Es waren meistens Aale, die da herumrochen, bis sie in einen Eimer geworfen wurden oder was auf den Kopf bekamen.

Beste Grüße

Andreas
 

Hagen

Mitglied
Hallo ihr Beiden Lieben,
dicken Dank für die Beschäftigung mit meinem Text und den Sternenregen.
Ich esse zwar gerne Fische, welchen die Wunderbare Ulrike meisterhaft zuzubereiten weiss, muß mich gedanklich aber sehr zurückhalten, da die armen Viecher meistens totgequält, lebend eingesalzen etc. werden.

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleibt schön fröhlich, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert, negativ getestet und stets heiteren Gemütes!
Herzlichst
Yours Hagen

Bedenket: Stimme niemals ein Klavier in nassem Zustand!
 



 
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