think twice
Mitglied
"Du kannst nicht mitkommen." hörte sie eine vertraute und plötzlich doch sehr fremd klingende Stimme sagen.
"Ich möchte aber mit! ... Warum darf ich denn nicht mit?"
"Der Mami geht's nicht gut und außerdem gehst du sowieso nicht gerne ins Krankenhaus. Du kannst solang hier bei der Nachbarin bleiben. Das ist eine ganz liebe Frau und wir sind auch bald wieder zurück."
So wurden ihr Wunsch und ihre Frage mit schnellen Worten übergangen.
'Ich kenne die Nachbarin doch gar nicht.' dachte sie sich, doch eine traurige Gewissheit ließ sie verstummen. Ohne weitere Widerworte, ließ sie sich zur Nachbarin bringen, doch sie wusste, sie wusste... Mami war tot oder starb gerade und man ließ sie nicht zu ihr. Sie wollte so sehr zu ihr, doch sie hatte nicht die Kraft sich zu wehren, zu streiten, ihren Willen durch zu setzen. Sie musste ihre Tränen niederkämpfen, damit keiner sie sah. Tapfer sein. Doch sie wusste, sie wusste es genau und dieses Wissen fraß sich in ihre Seele.
Die Nachbarin war lieb und freundlich, doch das nahm sie gar nicht wahr. Eine ältere Frau, die leicht ihre Großmutter hätte sein können, es aber nicht war. So stand sie verloren erst an der Tür, traute sich nicht auch nur einen Schritt in diese fremde Wohnung zu machen. Am liebsten wäre sie weggelaufen, doch nein, soetwas tat man nicht. Dann bat die Nachbarin sie ins Wohnzimmer und gehorsam folgte sie. Ihre Augen brannten von den Tränen, die sie nicht laufen ließ.
'Mami stirbt oder ist tot oder stirbt und ich darf nicht zu ihr. Ich will zu ihr. Denk nicht daran. Denk nicht daran. Denk nicht daran. Denk an irgendetwas anderes.' hämmerte es in ihrem Kopf. 'Rote Augen. Ich habe bestimmt rote Augen. Sie merkt es, aber sie merkt es nicht an. Zum Glück. Ich will nicht, dass sie mit mir darüber spricht, sie soll mich in Ruhe lassen, nur nichts sagen, was mich zum Weinen bringt. Ich kenne diese Frau doch gar nicht. Ich will nicht mit ihr reden! Ich will nicht weinen! Ich will zu Mami! Sie festhalten und umarmen, mich für alles Böse, was ich je getan hab, entschuldigen. Nur nicht daran denken. Nicht daran denken! Alles wird gut.'
Die Nachbarin bat sie ins Wohnzimmer und sie folgte, und als die Nachbarin anbot Karten zu spielen, nahm sie das Angebot dankbar an. Nur nicht nachdenken, was vielleicht sein könnte. Nein, sie wollte es nicht wissen, sie wollte es nicht fühlen, und nach einer Weile verschwand der Druck, dieser Druck, weinen zu müssen. Ihre Augen wurden wieder trocken, der Kloß, der ihren Hals von innen heraus zuschnürte, wurde kleiner, eine eisig kalte Leere breitete sich in ihrer Seele aus, sie konzentrierte sich nur noch auf das Kartenspiel und darauf, wie sie gewinnen konnte. Dass ihre Mutter tot war, sollte sie nicht mehr berühren, ... sollte sie nicht berühren.
Die Zeit verging. Sekunde um Sekunde, Minute um Minute, Stunde um Stunde, wen kümmerte es? Sie fühlte die Zeit nicht mehr. Die schwere Last hob sich von ihrer Seele und Leere nahm ihren Platz ein. Sie hatte ihre Tränen besiegt. Sie war ein starkes, tapferes Mädchen, das von nichts und niemandem berührt werden konnte. Niemand konnte sie verletzen, niemand konnte ihr weh tun. Nichts konnte ihr noch Schmerzen bereiten. Sie wusste, sie würde es nicht zulassen. Niemals!
Der Nachbarin wurde das Kartenspiel wohl langweilig, oder sie dachte sich, es würde Zeit, ein Abendmahl zu sich zu nehmen. Wen kümmerte es? Und die Kleine folgte ihr in die Küche, sie machten Pfannkuchen und sie dachte nicht mehr darüber nach, was geschehen sein könnte, ob Mami noch lebte, ob sie tot war, dass sie sie so gern noch einmal gesehen und in den Arm genommen hätte, sie konzentrierte sich auf das Zubereiten der Pfannkuchen. Mami war tot, das wusste sie. Die letzte Umarmung war ihr verwehrt worden, und dafür hasste sie sie.
Sie waren fast fertig mit der Kocherei, da klingelte es an der Tür. Endlich waren sie zurück, lang ersehnt. Ein leeres '"Hallo" warf sie ihnen entgegen. Die Vorwürfe, dass sie nicht hatte mit dürfen, waren verflogen. Es kümmerte sie nicht mehr.
In den Gesichtern konnte sie lesen, was geschehen war, aber sie hatte es schon vorher gewusst, sie hatte es schon gewusst, und dennoch fragte sie, mehr rhetorisch, denn sie wusste die Antwort schon und empfand nur noch Leere, eisige, gefühllose Leere.
"Was ist?" Nicht mehr, nur diese zwei Worte. Sie wusste es, aber sie wollte es auch hören. Gewissheit? Bestätigung? Ein Ende aller Spekulationen? Ein Ende aller Zweifel? Ein Ende aller Hoffnungen? Sie wollte es hören, weil sie es schon lange wusste. Eine Ewigkeit, wie ihr erschien.
Und ihrer Tante stiegen die Tränen wieder in die Augen. Tränen, die sie, wie man ihr ansehen konnte, kurz davor schon unzählig vergossen hatte.
"Sie ist gestorben." würgte die Tante hervor und brach in Tränen aus ... und sie nickte nur stumm, weil sie es schon wusste.
Nein, es war keine Überraschung mehr. Sie hatte es von Anfang an gewusst. Mami war tot, sie hatte es gewusst, sie hatte es gefühlt, aber nun berührte es sie nicht mehr. Als man sie zur Nachbarin gebracht hatte, da hatte die Angst noch in ihr gebrannt, die Angst, die Hoffnung, der Glaube an Gott, der alles wieder gut machen würde, doch jetzt nicht mehr. Sie wusste ... und war leer, aber dennoch wollte sie es hören, musste es hören, einfach nur hören in all ihrer Leere. Nichts war mehr real.
Die Nachbarin blickte böse 'Nicht jetzt, wir wollen essen, die Kleine muss doch etwas essen!'
Wozu essen? Damit ich nachher erbrechen könnte?
Nein, ich erbrach nicht. Wir setzten uns an den Tisch und ich aß meine Pfannkuchen als wäre nie etwas geschehen. Mami war tot. War sie tot? Wen kümmerte es? Ich aß meine Pfannkuchen.
"Ich möchte aber mit! ... Warum darf ich denn nicht mit?"
"Der Mami geht's nicht gut und außerdem gehst du sowieso nicht gerne ins Krankenhaus. Du kannst solang hier bei der Nachbarin bleiben. Das ist eine ganz liebe Frau und wir sind auch bald wieder zurück."
So wurden ihr Wunsch und ihre Frage mit schnellen Worten übergangen.
'Ich kenne die Nachbarin doch gar nicht.' dachte sie sich, doch eine traurige Gewissheit ließ sie verstummen. Ohne weitere Widerworte, ließ sie sich zur Nachbarin bringen, doch sie wusste, sie wusste... Mami war tot oder starb gerade und man ließ sie nicht zu ihr. Sie wollte so sehr zu ihr, doch sie hatte nicht die Kraft sich zu wehren, zu streiten, ihren Willen durch zu setzen. Sie musste ihre Tränen niederkämpfen, damit keiner sie sah. Tapfer sein. Doch sie wusste, sie wusste es genau und dieses Wissen fraß sich in ihre Seele.
Die Nachbarin war lieb und freundlich, doch das nahm sie gar nicht wahr. Eine ältere Frau, die leicht ihre Großmutter hätte sein können, es aber nicht war. So stand sie verloren erst an der Tür, traute sich nicht auch nur einen Schritt in diese fremde Wohnung zu machen. Am liebsten wäre sie weggelaufen, doch nein, soetwas tat man nicht. Dann bat die Nachbarin sie ins Wohnzimmer und gehorsam folgte sie. Ihre Augen brannten von den Tränen, die sie nicht laufen ließ.
'Mami stirbt oder ist tot oder stirbt und ich darf nicht zu ihr. Ich will zu ihr. Denk nicht daran. Denk nicht daran. Denk nicht daran. Denk an irgendetwas anderes.' hämmerte es in ihrem Kopf. 'Rote Augen. Ich habe bestimmt rote Augen. Sie merkt es, aber sie merkt es nicht an. Zum Glück. Ich will nicht, dass sie mit mir darüber spricht, sie soll mich in Ruhe lassen, nur nichts sagen, was mich zum Weinen bringt. Ich kenne diese Frau doch gar nicht. Ich will nicht mit ihr reden! Ich will nicht weinen! Ich will zu Mami! Sie festhalten und umarmen, mich für alles Böse, was ich je getan hab, entschuldigen. Nur nicht daran denken. Nicht daran denken! Alles wird gut.'
Die Nachbarin bat sie ins Wohnzimmer und sie folgte, und als die Nachbarin anbot Karten zu spielen, nahm sie das Angebot dankbar an. Nur nicht nachdenken, was vielleicht sein könnte. Nein, sie wollte es nicht wissen, sie wollte es nicht fühlen, und nach einer Weile verschwand der Druck, dieser Druck, weinen zu müssen. Ihre Augen wurden wieder trocken, der Kloß, der ihren Hals von innen heraus zuschnürte, wurde kleiner, eine eisig kalte Leere breitete sich in ihrer Seele aus, sie konzentrierte sich nur noch auf das Kartenspiel und darauf, wie sie gewinnen konnte. Dass ihre Mutter tot war, sollte sie nicht mehr berühren, ... sollte sie nicht berühren.
Die Zeit verging. Sekunde um Sekunde, Minute um Minute, Stunde um Stunde, wen kümmerte es? Sie fühlte die Zeit nicht mehr. Die schwere Last hob sich von ihrer Seele und Leere nahm ihren Platz ein. Sie hatte ihre Tränen besiegt. Sie war ein starkes, tapferes Mädchen, das von nichts und niemandem berührt werden konnte. Niemand konnte sie verletzen, niemand konnte ihr weh tun. Nichts konnte ihr noch Schmerzen bereiten. Sie wusste, sie würde es nicht zulassen. Niemals!
Der Nachbarin wurde das Kartenspiel wohl langweilig, oder sie dachte sich, es würde Zeit, ein Abendmahl zu sich zu nehmen. Wen kümmerte es? Und die Kleine folgte ihr in die Küche, sie machten Pfannkuchen und sie dachte nicht mehr darüber nach, was geschehen sein könnte, ob Mami noch lebte, ob sie tot war, dass sie sie so gern noch einmal gesehen und in den Arm genommen hätte, sie konzentrierte sich auf das Zubereiten der Pfannkuchen. Mami war tot, das wusste sie. Die letzte Umarmung war ihr verwehrt worden, und dafür hasste sie sie.
Sie waren fast fertig mit der Kocherei, da klingelte es an der Tür. Endlich waren sie zurück, lang ersehnt. Ein leeres '"Hallo" warf sie ihnen entgegen. Die Vorwürfe, dass sie nicht hatte mit dürfen, waren verflogen. Es kümmerte sie nicht mehr.
In den Gesichtern konnte sie lesen, was geschehen war, aber sie hatte es schon vorher gewusst, sie hatte es schon gewusst, und dennoch fragte sie, mehr rhetorisch, denn sie wusste die Antwort schon und empfand nur noch Leere, eisige, gefühllose Leere.
"Was ist?" Nicht mehr, nur diese zwei Worte. Sie wusste es, aber sie wollte es auch hören. Gewissheit? Bestätigung? Ein Ende aller Spekulationen? Ein Ende aller Zweifel? Ein Ende aller Hoffnungen? Sie wollte es hören, weil sie es schon lange wusste. Eine Ewigkeit, wie ihr erschien.
Und ihrer Tante stiegen die Tränen wieder in die Augen. Tränen, die sie, wie man ihr ansehen konnte, kurz davor schon unzählig vergossen hatte.
"Sie ist gestorben." würgte die Tante hervor und brach in Tränen aus ... und sie nickte nur stumm, weil sie es schon wusste.
Nein, es war keine Überraschung mehr. Sie hatte es von Anfang an gewusst. Mami war tot, sie hatte es gewusst, sie hatte es gefühlt, aber nun berührte es sie nicht mehr. Als man sie zur Nachbarin gebracht hatte, da hatte die Angst noch in ihr gebrannt, die Angst, die Hoffnung, der Glaube an Gott, der alles wieder gut machen würde, doch jetzt nicht mehr. Sie wusste ... und war leer, aber dennoch wollte sie es hören, musste es hören, einfach nur hören in all ihrer Leere. Nichts war mehr real.
Die Nachbarin blickte böse 'Nicht jetzt, wir wollen essen, die Kleine muss doch etwas essen!'
Wozu essen? Damit ich nachher erbrechen könnte?
Nein, ich erbrach nicht. Wir setzten uns an den Tisch und ich aß meine Pfannkuchen als wäre nie etwas geschehen. Mami war tot. War sie tot? Wen kümmerte es? Ich aß meine Pfannkuchen.